Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 21.05.2015


BPatG 21.05.2015 - 30 W (pat) 37/13

Markenbeschwerdeverfahren – "CIRKALM (IR-Marke)/BIKALM" – zur rechtserhaltenden Benutzung – Warenähnlichkeit – zur Kennzeichnungskraft – keine Verwechslungsgefahr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
21.05.2015
Aktenzeichen:
30 W (pat) 37/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze
Art 5 MAbk Madrid
Art 6quinquies Abschn B Nr 1 PVÜ

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die international registrierte Marke IR 892 570

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Mai 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker, des Richters Merzbach und der Richterin Uhlmann

beschlossen:

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die am 18. Mai 2006 unter der Nummer 892 570 international registrierte Wortmarke

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CIRKALM

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beansprucht Schutz für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für die Waren der

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“Klasse 5: Produits pharmaceutiques à savoir crèmes hémorroïdales”.

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Die internationale Registrierung dieser Marke ist am 28. September 2006 veröffentlicht worden.

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Hiergegen hat die Firma A… Pharma AG am 18. Dezember 2006 Widerspruch erhoben aus ihrer am 17. Oktober 1963 für die Waren der

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„Klasse 5: Arzneimittel, chemische Erzeugnisse für Heilzwecke und Gesundheitspflege“

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eingetragenen Wortmarke 778 700

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BIKALM

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Die Widerspruchsmarke ist am 5. März 2008 auf die Beschwerdeführerin umgeschrieben worden, die in das Widerspruchsverfahren eingetreten ist.

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Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat die Benutzung der Widerspruchsmarke zunächst mit Ausnahme von Schlafmitteln, sodann mit Schriftsatz vom 23. September 2011 vollumfänglich bestritten.

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Die Widersprechende hat daraufhin eine eidesstattliche Versicherung des Dr. H…, Brand Director BU Classics der S… D…- … GmbH vom 2. März 2012 (Anlage W1 zu Bl. 104 VA) über jährliche Umsätze für 2008 bis 2011 in Höhe von … Mio. € bis … Mio. € mit einem Schlafmittel, sowie eine weitere eidesstattliche Versicherung des Herrn Dr. H… vom 9. Mai 2012 über Umsätze mit einem Schlafmittel in den Jahren 2004 bis 2006 zusammen mit weiteren Benutzungsunterlagen vorgelegt.

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Mit Beschlüssen vom 2. März 2011 und 13. August 2013, von denen letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, hat die Markenstelle für Klasse 5 – internationale Markenregistrierung - den Widerspruch zurückgewiesen.

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Zur Begründung ist im Erinnerungsbeschluss ausgeführt, die Widersprechende habe auf die zulässig erhobene Nichtbenutzungseinrede die Benutzung der Marke für ein verschreibungspflichtiges Schlafmittel für die maßgeblichen Benutzungszeiträume von 2001 bis September 2006 und für die Jahre 2008 bis 2013 glaubhaft gemacht. Die für den ersten Zeitraum, in dem die Widersprechende noch nicht Inhaberin der Widerspruchsmarke gewesen sei, vorgelegten Unterlagen Dritter genügten zur Glaubhaftmachung der Verwendung. Die Verwendung mit einem Bildbestandteil sei eine unschädliche werbeübliche Abwandlung. Nach der erweiternden Minimallösung sei damit von einer Benutzung für die Waren der Hauptgruppe 49 „Hypnotika/Sedativa“ der „Roten Liste“ auszugehen. Diese seien den Waren der jüngeren Marke ähnlich im unteren Bereich. Den deshalb und wegen der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zur Vermeidung von Verwechslungen erforderlichen relativ deutlichen Abstand halte die angegriffene Marke ein. Die Unterschiede in den Wortanfängen seien nicht geringfügig, sondern deutlich hörbar. Der Anfangsbuchstabe der angegriffenen Marke sei ein klangstarker Zisch- und Dauerlaut, „B“ in „BIKALM“ dagegen ein weicher klangschwacher Augenblickslaut. Zudem fehle in der Widerspruchsmarke das „R“, ebenfalls ein Dauerlaut, am Ende der ersten Silbe der jüngeren Marke. Wieso dieses wegen seiner Position vor dem „K“ nicht zur Geltung kommen solle, sei nicht nachvollziehbar. Beide Marken würden auf der ohnehin stärker beachteten ersten Silbe betont. Hinzu komme, dass die gemeinsame zweite Silbe „KALM“ bei Sedativa und Hypnotika eher kennzeichnungsschwach und nicht selten ein Markenbestandteil sei. Zwar liege keine Schwächung durch Drittmarken vor, da die Benutzung der aufgeführten Drittmarken nicht unstreitig und nicht glaubhaft gemacht sei, die entsprechenden Eintragungen könnten aber als Indiz für einen von Haus aus bestehenden Qualitätsmangel der Widerspruchsmarke dienen.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden vom 11. September 2013. Sie trägt unter Vorlage einer weiteren eidesstattlichen Versicherung vom 19. Mai 2015 über Umsätze mit dem verschreibungspflichtigen Schlafmittel „Bikalm“ für die Jahre 2012 bis 2014 in Höhe von je rund … Mio. € so- wie weiterer Benutzungsnachweise vor, zwischen den Waren der Widerspruchsmarke „Hypnotika/Sedativa“ und den von der Inhaberin der jüngeren Marke beanspruchten Waren „Pharmazeutische Erzeugnisse, nämlich Hämorrhoidencremes“ bestehe durchschnittliche Ähnlichkeit. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei normal, „BIKALM“ sei ein reines Fantasiewort. Die Vergleichszeichen seien entgegen der Auffassung der Markenstelle hochgradig ähnlich. Klanglich stimmten sie in fünf von sieben Buchstaben überein, die noch dazu in der gleichen Reihenfolge platziert seien, außerdem in der Silbenzahl, der Vokalfolge „I-A“ und dem klangstarken Mittelkonsonanten „K“. Die Unterschiede in zwei Buchstaben genügten nicht, um die Verwechslungsgefahr auszuschließen. Der Buchstabe „C“, der wie „ts“ oder Doppel-S ausgesprochen werde, werde ebenso kurz gesprochen wie der Anfangsbuchstabe „B“ der Widerspruchsmarke. Das zusätzliche „R“ der jüngeren Marke werde unmittelbar vor einem Konsonanten nicht betont, sondern unterliege einer sehr schwachen Aussprache. Eingeschobene Zwischenbuchstaben würden vom Verkehr ohnehin regelmäßig nicht wahrgenommen. Auch liege die Betonung der Zeichen nicht auf der ersten Silbe, da die zweite Silbe „KALM“ wesentlich länger als die erste Silbe sei und zudem mit dem klangstarken „K“ beginne. Auch sei „-KALM“ nicht kennzeichnungsschwach. Die Silbe verschmelze im Widerspruchszeichen mit dem Wortanfang „BI“ zu einem einheitlichen Fantasiebegriff; deshalb habe der Verkehr keinen Anlass, das Zeichen zu zergliedern. Selbst wenn man in „KALM“ eine Anlehnung an das englische Wort „calm“ sehe, sei dieses nicht mit Hypnotika oder Sedativa gleichzusetzen. Auch sei das Widerspruchszeichen nicht kennzeichnungsschwach wegen ähnlicher Drittmarken mit dem Bestandteil „CALM“. Zudem stellten die angegriffenen Beschlüsse unzulässig auf den Vergleich einzelner Markenbestandteile ab, maßgebend sei jedoch der Gesamteindruck. Auch schriftbildlich bestehe Ähnlichkeit, diese werde durch unterschiedliche Sinngehalte der Marken nicht geschmälert, weil es sich bei beiden Zeichen um reine Fantasiebegriffe handele. Die geringfügigen Unterschiede könnten selbst bei gesteigerter Aufmerksamkeit des Verkehrs die Gefahr von Verwechslungen nicht ausschließen, wobei zu beachten sei, dass Verwechslungen im Gesundheitsbereich verheerende Folgen haben könnten und deshalb eine Markenähnlichkeit auf diesem Gebiet besonders zu vermeiden sei.

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Die Beschwerdeführerin stellt sinngemäß den Antrag,

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die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 - Internationale Markenregistrierung - des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 2. März 2011 und 13. August 2013 aufzuheben und der international registrierten Marke IR 892 570 aufgrund des Widerspruchs aus der Marke 778 700 den Schutz für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verweigern.

18

Die Beschwerdegegnerin stellt sinngemäß den Antrag,

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die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen.

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Sie trägt vor, zwischen den Vergleichswaren „Hämorrhoidencremes“ der jüngeren Marke und den für die Widerspruchsmarke geschützten „Schlafmitteln“ bestehe nur eine geringe Ähnlichkeit, wenn nicht sogar ausgeprägte Warenferne. Die Waren der Widerspruchsmarke seien gemäß § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG auf Schlafmittel zu reduzieren. Sie seien von „Hämorrhoidencremes“ sowohl im Indikationsgebiet als auch in der Herstellungstechnik völlig verschieden. Hinzu komme, dass die Schlafmittel der Widerspruchsmarke rezeptpflichtig, also nicht frei verkäuflich über die Ladentheke seien, sodass sich auch die Vertriebswege gravierend unterschieden. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei durchschnittlich. Sie sei für Schlafmittel ein sprechendes Zeichen, da der Bestandteil „calm/kalm“ in einer Vielzahl von Marken für entsprechende Waren enthalten sei. Zudem komme insbesondere durch den auf der Umverpackung benutzten Bildbestandteil in Form eines Mondes die Vorstellung von Ruhe auf. Die Vergleichszeichen unterschieden sich maßgeblich. Die Bestandteile der Widerspruchsmarke „BI“ und „KALM“ würden sofort erfasst. Da das Schlafmittel der Beschwerdeführerin verschreibungspflichtig sei, komme es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beim Zeichenvergleich ausschließlich auf das Verständnis der verschreibenden Ärzte, von Apothekern oder sonstigen medizinischen Fachleuten an. Für diese sei das Widerspruchszeichen kein Fantasiewort. Die Unterschiede befänden sich in den grundverschiedenen Anfangssilben und würden von dem in diesem Bereich besonders umsichtigen Verkehr wahrgenommen. Wegen der Verschreibungspflicht des unter der Widerspruchsmarke vertriebenen Schlafmittels bestehe die Gefahr klanglicher Verwechslungen unter realistischen Verkaufssituationen nicht, da für den Erwerb die Vorlage eines Rezeptes gegenüber einem Apotheker erforderlich sei.

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Die Beschwerdegegnerin ist in der mündlichen Verhandlung vom 21. Mai 2015 trotz ordnungsgemäßer Ladung gemäß ihrer Ankündigung vom 20. Mai 2015 nicht erschienen.

22

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

23

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Eine Verwechslungsgefahr gemäß §§ 119, 124, 107, 114, 43 Abs. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG i. V. m. Art. 5 PMMA, Art. 6quinquies B Nr. 1 PVÜ besteht nicht, da die jüngere Marke den erforderlichen Zeichenabstand zu der Widerspruchsmarke noch einhält.

24

Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (vgl. z. B. EuGH GRUR 2010, 1098, Nr. 44 – Calvin Klein/HABM; GRUR 2010, 933, Nr. 32 - BARBARA BECKER; GRUR 2011, 915, Nr. 45 - UNI; BGH GRUR 2012, 1040, Nr. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 235, Nr. 15 - AIDA/AIDU). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit die Identität oder Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Marken sowie der von diesen erfassten Waren oder Dienstleistungen. Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und - davon abhängig - der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren (st. Rspr., z. B. BGH GRUR 2013, 833, Nr. 30 - Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Nr. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 1103, Nr. 37 - Pralinenform II; EuGH GRUR 2008, 343 Nr. 48 - Il Ponte Finanziaria Spa/HABM).

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Nach diesen Grundsätzen ist zwischen den Vergleichsmarken eine markenrechtlich relevante Gefahr von Verwechslungen nicht zu besorgen.

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1. Bei der Prüfung der Warenähnlichkeit ist auf Seiten der Widerspruchsmarke nicht auf die Registerlage abzustellen, sondern von einer Benutzung für Arzneimittel der Hauptgruppe 49 „Hypnotika/Sedativa“ der „Roten Liste“ auszugehen.

27

Die Inhaberin der angegriffenen IR-Marke hat die Benutzung der Widerspruchsmarke in zulässiger Weise bestritten. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Schutzerstreckung der angegriffenen Marke in dem vom Internationalen Büro der Weltorganisation für geistiges Eigentum herausgegebenen Veröffentlichungsblatt (§§ 124, 114 Abs. 1 MarkenG), hier am 28. September 2006, war die Widerspruchsmarke bereits länger als fünf Jahre eingetragen. Das Bestreiten ist undifferenziert und betrifft deshalb beide Benutzungszeiträume gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 MarkenG (vgl. Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 43 Rdn. 18). Deshalb oblag es der Widersprechenden, die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke in den beiden Zeiträumen September 2001 bis September 2006 und Mai 2010 bis Mai 2015 hinsichtlich aller maßgeblichen Umstände, insbesondere nach Art, Zeit, Ort und Umfang darzulegen und glaubhaft zu machen. Dies ist ihr für den zweiten Zeitraum zwischen 2010 und 2015 mit den im Widerspruchs- und im Beschwerdeverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nebst Anlagen für ein verschreibungspflichtiges Medikament zur Behandlung von Schlafstörungen gelungen. Für den ersten Zeitraum vor Veröffentlichung der jüngeren Marke kann die Benutzung der Widerspruchsmarke für ein solches Schlafmittel zugunsten der Beschwerdeführerin unterstellt werden. Auch die Beschwerdegegnerin geht im Beschwerdeverfahren von einer Benutzung der Widerspruchsmarke für ein verschreibungspflichtiges Schlafmittel aus. Eine weitergehende Benutzung des Widerspruchszeichens behauptet selbst die Beschwerdeführerin nicht.

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Im Rahmen der Integrationsfrage (vgl. Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 26 Rdnr. 254 ff., insbes. Rdnr. 260) ist weiter zu berücksichtigen, dass die Widersprechende einerseits nicht auf das ganz spezielle mit der Widerspruchsmarke gekennzeichnete Produkt festzulegen ist, andererseits aber auch nicht der gesamte mit dem eingetragenen Oberbegriff „Arzneimittel“ umfasste weite Warenbereich einzubeziehen ist. Anwendung findet vielmehr die sogenannte „erweiterte Minimallösung“. Danach wird einerseits die Beanspruchung des breiten Oberbegriffs ausgeschlossen, andererseits der Markeninhaber aber auch nicht auf das konkrete Einzelprodukt in seiner speziellen Zusammensetzung, Rezeptpflicht usw. beschränkt. Eine rechtserhaltende Benutzung ist vorliegend deshalb für den Bereich anzuerkennen, welcher der jeweiligen Arzneimittelhauptgruppe in der „Roten Liste“ entspricht (vgl. BGH GRUR 2012, 64, 65 Rn. 10 - Maalox/Melox-GRY; BPatG, Beschluss vom 22. Mai 2014, 25 W (pat) 79/12 – Tebo/TOBI; 30 W (pat) 19/13 - Dorotim-Ophtal/DORZOTIM; Ströbele/Hacker, a. a. O., § 26 Rdnr. 270 m. w. N.); das ist hier die Hauptgruppe 49 „Hypnotica/Sedativa“ der „Roten Liste“. Bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr sind damit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG nur diese Waren zu berücksichtigen.

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Bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit stehen sich mithin die Vergleichswaren der jüngeren Marke „Pharmazeutische Produkte, nämlich Hämorrhoidencremes“, die zur Hauptgruppe 47 der „Roten Liste“ gehören, und die Widerspruchswaren „Hypnotika/Sedativa“ der Hauptgruppe 49 der „Roten Liste“ gegenüber. In beiden Gruppen besteht keine generelle Verschreibungspflicht.

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Eine Ähnlichkeit der beiderseitigen Waren ist anzunehmen, wenn diese in Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen - insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlicher Gründe - so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus denselben oder ggfls. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, sofern sie - was zu unterstellen ist - mit identischen Marken gekennzeichnet sind (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, 923 f., Nr. 22 - 29 - Canon; EuGH GRUR 2006, 582 ff., Nr. 85 - VITAFRUIT; BGH GRUR 2006, 941 ff., Nr. 13 - TOSCA BLU; GRUR 2004, 241, 243 - GeDIOS; GRUR 2001, 507, 508 - EVIAN/REVIAN; Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 9 Rdn. 60 m. w. N.).

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Zwischen den genannten Vergleichswaren besteht danach mittlere Ähnlichkeit. Sie unterscheiden sich deutlich im Hinblick auf Inhaltsstoffe, das Indikationsgebiet und die Darreichungsform; die Widerspruchswaren werden überwiegend oral eingenommen oder injiziert, während es sich bei den Waren der jüngeren Marke um Cremes, also Mittel zu Auftragung im Hautbereich handelt. Auch ergänzen sich die Vergleichswaren nicht in der Therapie. Beide Waren dienen aber als Heilmittel, können vom gleichen (Pharma)hersteller stammen und haben den gleichen Vertriebsweg über Apotheken und Drogerien.

32

2. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist von Haus aus durchschnittlich. „BIKALM“ ist ein Fantasiebegriff, dessen Bedeutung sich - wenn überhaupt - erst durch mehrere Gedankenschritte erschließt. Die angesprochenen Verkehrskreise bestehen sowohl aus medizinischem Personal als auch aus der Allgemeinheit der Verbraucher, die Arzneimittel wegen ihres Bezugs zur Gesundheit und ihrer erwünschten und unerwünschten Wirkungen generell mit gesteigerter Aufmerksamkeit begegnen (siehe dazu unten unter Punkt 3. a)).

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Wenn auch manches dafür spricht, dass jedenfalls der angesprochene Fachverkehr in dem Bestandteil „KALM“ ohne Weiteres das englische Adjektiv „calm“ mit der deutschen Bedeutung „ruhig, gelassen, friedlich“ und darin einen Hinweis auf die beruhigende Wirkung des Arzneimittels erkennt, kommt der Widerspruchsmarke gleichwohl durchschnittliche Kennzeichnungskraft zu, wovon nunmehr auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen. Denn die mögliche Bedeutung im Sinne von „sei ruhig“ erschließt sich wegen der doppelten Verfremdung sowohl des Wortelements „be“ zu „BI“ als auch der Abwandlung des ersten Buchstabens von „calm“ durch den Buchstaben „K“ in „KALM“ nicht unmittelbar, sondern nur bei einer analysierenden Betrachtung des Zeichens, die der Verkehr erfahrungsgemäß nicht anstellt.

34

Von einem verminderten Schutzumfang der Widerspruchsmarke wegen ähnlicher Drittmarken ist nicht auszugehen. Zum Einen besteht die Übereinstimmung mit den von der Beschwerdegegnerin aufgeführten Drittmarken – wenn überhaupt – nur in einem Bestandteil, zum Anderen ist über die Benutzung dieser Drittmarken nichts bekannt. Nur tatsächlich benutzte Drittmarken können zu einer Schwächung der Kennzeichnungskraft einer Marke führen, weil nur auf dem Markt tatsächlich präsente Zeichen den Verkehr dazu veranlassen können, wegen Ähnlichkeiten sorgfältiger auf etwaige Unterschiede zwischen den Marken zu achten und eine Verwechslung zu vermeiden (Hacker in Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rn. 174).

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3. Den wegen der durchschnittlichen Warenähnlichkeit und der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke erforderlichen deutlichen Abstand von der Widerspruchsmarke „BIKALM“, an den keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen, hält die jüngere Marke „CIRKALM“ noch ein.

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a) Auszugehen ist von einem aufmerksamen Publikum, das sich zusammensetzt aus Fachkreisen und Endverbrauchern, denn allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt, pflegt der Verkehr eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen (vgl. BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal). Dabei ist entgegen der Auffassung der Inhaberin der jüngeren Marke nicht allein auf den medizinischen Fachverkehr bestehend aus Ärzten und Apothekern abzustellen, der den Vergleichswaren mit besonderer Fachkenntnis und Aufmerksamkeit begegnet, sondern auch die Wahrnehmung von Personal mit geringeren Fachkenntnissen sowie die Wahrnehmung des Endverbrauchers mit einzubeziehen.

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Dies gilt hier schon deshalb, weil auf Seiten der Widerspruchsmarke nicht nur verschreibungspflichtige Schlafmittel, sondern im Rahmen der erweiterten Minimallösung alle Arzneimittel der Hauptgruppe 49 der „Roten Liste“ ohne Beschränkung auf bestimmte Wirkstoffe, Darreichungsformen oder auf eine Rezeptpflicht im Warenvergleich zu berücksichtigen sind (BPatG, Beschluss vom 22. Mai 2014, 25 W (pat) 79/12 – Tebo/TOBI; 30 W (pat) 19/13 – Dorotim-Ophtal/DORZOTIM). Eine Rezeptpflicht ist weder im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke verankert, noch ergibt sie sich aus der Hauptgruppe 49 der „Roten Liste“.

38

Ungeachtet dessen ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH GRUR Int. 2007, 718 Rn. 6, 57 – TRAVATAN II) der Umstand, dass zwischengeschaltete Personen wie medizinische Fachleute die Wahl des Endverbrauchers beeinflussen oder sogar bestimmen können, als solcher nicht geeignet, jede Verwechslungsgefahr hinsichtlich der Herkunft der in Frage stehenden Produkte beim Endverbraucher auszuschließen. Es ist auch bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Rechnung zu stellen, dass der gesamte Vermarktungsprozess letztlich auf den Erwerb durch den Endverbraucher abzielt und dieser Möglichkeiten hat, die zwischengeschalteten Fachleute wie Ärzte und Apotheker dazu zu veranlassen, seine Wünsche und Präferenzen zu berücksichtigen (OLG Köln, WRP 2014, 1085, Nr. 29 – L-Thyrox). Soweit demgegenüber der Bundesgerichtshof in seiner bisherigen (älteren) Rechtsprechung die Auffassung vertreten hat, bei verschreibungspflichtigen Medikamenten sei ausschließlich der die Auswahlentscheidung verantwortende Fachverkehr - Arzt oder Apotheker - maßgeblicher Verkehrskreis (BGH GRUR 1990, 453, 455 – L-Thyroxin; GRUR 1995, 50, 52 – INDOREKTAL/INDOHEXAL; GRUR 1999, 587, 590 - Ceffalone), kann dies hier im Ergebnis dahinstehen, da auch die gesteigerte Aufmerksamkeit des medizinisch nicht geschulten Endverbrauchers gegenüber Heilmitteln im vorliegenden Fall genügt, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen.

39

b) Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist grundsätzlich vom jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen auszugehen (vgl. z. B. BGH GRUR 2013, 833, Nr. 45 - Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Nr. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 15 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 729 Nr. 23 - MIXI). Dabei ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdn. 237).

40

Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, (Schrift-)Bild und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH GRUR 2006, 413, Nr. 19 - ZIRH/SIR; GRUR 2005, 1042, Nr. 28 – THOMSON LIFE; GRUR Int. 2004, 843, Nr. 29 - MATRATZEN; BGH GRUR 2010, 235, Nr. 15 - AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, Nr. 32 - METROBUS; GRUR 2006, 60, Nr. 17 - coccodrillo; GRUR 2004, 779, 781 - Zwilling/Zweibrüder). Dabei genügt für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Richtung (st. Rspr. vgl. z. B. BGH GRUR 2010, 235, Nr. 18 - AIDA/AIDU m. w. N.; vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdn. 254 m. w. N.).

41

aa) Schriftbildlich unterscheiden sich die Vergleichszeichen CIRKALM und BIKALM hinreichend durch die unterschiedlichen Anfangsbuchstaben „C“ bzw. „B“ sowie die geringere Buchstabenzahl der Widerspruchsmarke, die zu einer unterschiedlichen Wortlänge führt. Da der im Wortbeginn identische zweite Buchstabe „I“ wesentlich schmaler ist als die abweichenden Konsonanten, fallen diese schriftbildlich deutlicher ins Auge. Der übereinstimmende Bestandteil „KALM“ ist zwar im Zeichenvergleich selbst dann nicht völlig zu vernachlässigen, wenn man ihm einen beschreibenden Anklang beimisst. Denn er bildet mit den jeweiligen ersten Silben einen fantasievollen Gesamtbegriff. Die Übereinstimmungen sind jedoch am Ende der Zeichen positioniert, die weniger stark beachtet werden als die Wortanfänge.

42

bb) Auch klanglich bestehen noch hinreichende Unterschiede zwischen den Zeichen. Zwar verfügen beide über die gleiche Silbenzahl und die gleiche Vokalfolge. Der Verkehr wird die Zeichen „tsir-kalm“ und „bi-kalm“ aussprechen. Die stimmlose Aussprache des Anfangsbuchstabens „C“ der jüngeren Marke als „K“ liegt für den inländischen Verkehr fern, da der Buchstabe „C“ vor dem Vokal „i“ im Deutschen in der Regel stimmhaft als „Z“ oder „S“ ausgesprochen wird (circa, City, Cinema, Occident, Society). Auch der zusätzlich in der ersten Silbe der jüngeren Marke vorhandene Buchstabe „R“ ist - wenn er in der Wortmitte dem Vokal „i“ nachfolgt - deutlich zu hören. Der Vokal „i“ hat zudem in der jüngeren Marke zwischen den Buchstaben C und R eine dunklere Klangfarbe und größere Länge als zwischen den Buchstaben B und K im Widerspruchszeichen, wo er hell und kurz klingt. Diese Unterschiede am stärker beachteten Wortanfang fallen deutlicher ins Gewicht als die Übereinstimmung „-KALM“ am Wortende. Sie führen dazu, dass eine Verwechslung wegen der gesteigerten Aufmerksamkeit der Verkehrskreise und des bestehenden Warenabstands auch bei undeutlicher Übermittlung oder Erinnerung ausgeschlossen ist.

43

cc) Eine begriffliche Verwechslungsgefahr besteht ebenfalls nicht. Begriffliche Verwechslungen sind zu befürchten, wenn sich deutsche oder fremdsprachige Wörter gegenüberstehen, die ihrem Sinn nach vollständig oder doch im Wesentlichen übereinstimmen, also Synonyme darstellen (Ströbele/Hacker a. a. O., § 9 Rn. 285). Daran fehlt es hier schon deshalb, weil die Vergleichszeichen keine eindeutige Bedeutung haben.

44

dd) Anhaltspunkte für sonstige Arten der Verwechslungsgefahr bestehen nicht.

45

Daher war die Beschwerde zurückzuweisen.

46

4. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen noch ersichtlich sind.