Entscheidungsdatum: 21.03.2019
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 26. September 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge - sowie auf eine nicht näher ausgeführte und damit bereits unzulässige (s. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Rüge der Verletzung formellen Rechts - gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Während der Schuldspruch des Landgerichts nicht zu beanstanden ist, können der Strafausspruch und die Entscheidung über die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt keinen Bestand haben.
1. Die Strafkammer hat das Vorliegen eines sonstigen minder schweren Falles des Totschlags nach § 213 Alternative 2 StGB verneint und die ausgesprochene Strafe dem nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Die Begründung, mit der das Landgericht nicht auf einen minder schweren Fall des Totschlags erkannt hat, hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Sieht das Gesetz den Sonderstrafrahmen eines minder schweren Falles vor und ist auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, so muss bei der Strafrahmenwahl zunächst geprüft werden, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung vorab auf die allgemeinen Strafzumessungsgründe abzustellen. Vermögen bereits diese die Annahme eines minder schweren Falles allein zu tragen, stehen die den gesetzlich vertypten Milderungsgrund verwirklichenden Umstände noch für eine (weitere) Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB zur Verfügung. Ist jedoch nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so ist zusätzlich der gesetzlich vertypte Strafmilderungsgrund in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin die Anwendung des milderen Sonderstrafrahmens nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrundes herabgesetzten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. März 2018 - 3 StR 625/17, juris Rn. 4 mwN).
Dem wird das angegriffene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat zwar bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall des Totschlags nach § 213 Alternative 2 StGB vorliegt, eine Gesamtwürdigung der allgemeinen Milderungsgründe vorgenommen. Es hat aber den vertypten Milderungsgrund des Versuchs (§ 23 Abs. 2 StGB) nicht in seine Abwägung eingestellt. Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes zur Annahme eines minder schweren Falles und in dessen Strafrahmen zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre.
2. Auch die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen konsumierte der Angeklagte etwa seit 2008 Cannabis und Alkohol. Er steigerte seinen Konsum im Jahr 2014 und beging in der Folge "Diebstähle und Einbrüche, um weitere Drogen zu erhalten". Im Tatzeitraum rauchte er täglich vier bis fünf Joints und trank nahezu jeden Tag hochprozentigen Alkohol. Auch bei Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat stand er unter dem Einfluss von Alkohol und Cannabis.
b) Die sachverständig beratene Strafkammer hat das Vorliegen eines Hanges des Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, im Ergebnis verneint und zur Begründung in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen ausgeführt, bei dem Angeklagten liege zwar eine leicht- bis mittelgradige Suchtproblematik hinsichtlich einer bestehenden Cannabisabhängigkeit und eines begleitenden Alkoholmissbrauchs vor. Es sei allerdings nicht von einem Hang vom Schweregrad einer Suchterkrankung auszugehen, zumal der Angeklagte in der Lage gewesen sei, seinen Alltag zu bewältigen und einer Berufstätigkeit nachzugehen. Zudem bestehe auch kein symptomatischer Zusammenhang zwischen der Suchtproblematik und der Anlasstat, denn diese gehe nicht "unmittelbar" auf seine Sucht bzw. "weniger auf die Intoxikation des Angeklagten" als vielmehr auf seine dissoziale Verhaltensbereitschaft zurück. Wenngleich die Gefahr bestehe, der Angeklagte werde infolge der Suchtproblematik auch in der Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, bestünde für eine Behandlung in einer Entziehungsanstalt keine Erfolgsaussicht, denn der Angeklagte verfüge nur über "geringe Deutschkenntnisse", die eine Kommunikationsbarriere zwischen ihm und dem Therapeuten darstellten, und habe auch nur eine eingeschränkte Therapiemotivation.
aa) Die Strafkammer ist bereits bei der Prüfung des Vorliegens eines Hanges von unzutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgegangen.
Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB genügt nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Wenngleich erheblichen Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommt und diese in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2018 - 3 StR 299/18, juris Rn. 8 mwN). Nahe liegt ein Hang demgegenüber insbesondere bei Beschaffungskriminalität (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204, 205).
Gemessen hieran lassen die Ausführungen des Landgerichts besorgen, dass es von einem zu engen Verständnis des Hanges ausgegangen ist und der Fähigkeit des Angeklagten, seinen Alltag zu bewältigen und einer Berufstätigkeit nachzugehen, zu große Bedeutung beigemessen hat. Zudem hat es bei der Prüfung des Hanges nicht in Bedacht genommen, dass der Angeklagte bereits Straftaten beging, um seinen Rauschmittelkonsum zu finanzieren.
bb) Auch die Verneinung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Ein solcher Zusammenhang liegt immer dann vor, wenn der Hang jedenfalls neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist. Es ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2009 - 3 StR 191/09, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 5 Rn. 6).
Damit greift die Erwägung der Strafkammer, die den symptomatischen Zusammenhang allein unter Verweis auf die von ihr festgestellte lediglich nachrangige Bedeutung der Cannabis- und Alkoholintoxikation des Angeklagten für die Begehung der Tat verneint hat, bereits im Ansatz zu kurz.
cc) Schließlich ist auch die auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützte Verneinung der Erfolgsaussichten der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht frei von Rechtsfehlern.
Zum einen hat die Strafkammer lediglich pauschal auf die "geringen Deutschkenntnisse" des Angeklagten abgestellt. Dabei hat sie - unabhängig von der Frage, welche Bedeutung mangelnde Sprachkenntnissen für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Unterbringung im Einzelnen zukommt (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 3 StR 513/12, BGHR StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 1 Rn. 6) - nicht bedacht, dass bereits solche Kenntnisse der deutschen Sprache, die eine Verständigung im Alltag ermöglichen, für eine erfolgreiche Therapie ausreichend sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Januar 2013 - 3 StR 513/12, aaO; vom 20. Juni 2001 - 3 StR 209/01, NStZ-RR 2002, 7). Auch hat sie nicht in den Blick genommen, dass wegen des Vorwegvollzugs eines Teiles der verhängten Freiheitsstrafe nach § 67 Abs. 2 Satz 2, 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 StGB der Angeklagte die Möglichkeit hätte, seine Kenntnisse der deutschen Sprache im Strafvollzug vor Beginn der Maßregel zu vertiefen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 2 StR 436/13, juris Rn. 6; MüKoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 71).
Zum anderen hat die Strafkammer nicht geprüft, ob - über die bereits bestehende eingeschränkte und von ihr für unzureichend erachtete Therapiemotivation hinaus - eine weitergehende Bereitschaft, sich auf eine Behandlung einzulassen, bei dem Angeklagten geweckt werden kann; denn gerade auch darin kann das Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug bestehen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2017 - 3 StR 177/17, juris Rn. 5).
d) Über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss daher - naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen - neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5).
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