Entscheidungsdatum: 19.04.2016
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 27. April 2015
a) dahin ergänzt, dass
aa) der Angeklagte im Übrigen freigesprochen wird; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die ausscheidbaren notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,
bb) die in den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet wird,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft von einem Teilfreispruch abgesehen, soweit es sich in acht der dem Angeklagten zur Last gelegten Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln (Fälle 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 der Anklageschrift) nicht von dessen Täterschaft zu überzeugen vermocht hat (UA S. 49). Dem Angeklagten waren mit der Anklage 685 tatmehrheitlich begangene Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln vorgeworfen worden. Dem ist die Strafkammer im Eröffnungsbeschluss gefolgt. Insoweit ist dem Angeklagten unter den Ziffern 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 zur Last gelegt worden, am 19. September 2013 sowie am 2., 7., 11., 12., 15., 20. und 21. Oktober 2013 im Zusammenwirken mit den drei Mitangeklagten jeweils 1 bis 10 Gramm der unter den Bezeichnungen "Göttin Astarte" und "CM 21" vertriebenen Substanzen, die den in der Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG genannten Wirkstoff AKB-48F enthielten, an verschiedene Abnehmer veräußert zu haben. Diese Vorwürfe hat das Landgericht nach der Beweisaufnahme als nicht erwiesen angesehen. Es hätte den Angeklagten deshalb, um den Eröffnungsbeschluss zu erschöpfen, ohne Rücksicht auf die dem Urteil unter dem Gesichtspunkt der Bewertungseinheit zugrunde gelegte konkurrenzrechtliche Beurteilung der Verkaufsfälle als Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen teilweise freisprechen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338 mwN; Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 3 StR 321/14, juris Rn. 2).
2. Die Strafkammer hat außerdem entgegen der Vorschrift des § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB keine Bestimmung über den Maßstab getroffen, nach dem die von dem Angeklagten in den Niederlanden erlittene Freiheitsentziehung auf die gegen ihn erkannte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist. Diese Entscheidung muss in der Urteilsformel zum Ausdruck kommen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2003 - 5 StR 162/03, NStZ-RR 2003, 364). Da nach der Sachlage nur eine Anrechnung im Maßstab 1:1 in Betracht kommt, hat der Senat den grundsätzlich dem Tatrichter obliegenden Ausspruch über die Festsetzung des Anrechnungsmaßstabs nachgeholt und die Urteilsformel entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ergänzt (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2003 - 5 StR 162/03, NStZ-RR 2003, 364; vom 13. August 2009 - 3 StR 255/09, NStZ-RR 2009, 370).
3. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Strafkammer hat ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen damit begründet, dass der Angeklagte zwar an einer Abhängigkeit von Cannabinoiden leide (ICD-10 F12.2), ein Hang, psychotrop wirkende Substanzen im Übermaß zu sich zu nehmen, jedoch nicht festzustellen sei. Voraussetzung für die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB sei, dass die berufliche, soziale und gesundheitliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten durch seinen Betäubungsmittelkonsum nachhaltig beeinträchtigt werde. Eine nachhaltige Beeinträchtigung könne im Hinblick auf die Komplexität des Tatgeschehens und die herausgehobene organisatorische Position des Angeklagten in der Tätergruppe indes ausgeschlossen werden. Im Übrigen sei mangels jeglicher Motivation des Angeklagten, eine Therapie zu durchlaufen, nicht davon auszugehen, dass eine Entziehungsbehandlung innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen werden könne.
b) Diese äußerst knappen Ausführungen lassen zunächst besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 Satz 1 StGB verkannt hat. Ein solcher liegt nicht nur - wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit vor; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (BGH, Beschlüsse vom 4. April 1995 - 4 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10, juris Rn. 4). Im Hinblick auf die von der Strafkammer als gegeben angesehene Abhängigkeitserkrankung des Angeklagten liegt es indes ausgesprochen nahe, dass der Angeklagte eine derartige Neigung hat. Dem steht auch nicht ohne Weiteres entgegen, dass er trotz seiner Abhängigkeit von Cannabinoiden in der Lage war, die abgeurteilten Straftaten zu begehen.
Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit durch den Rauschmittelkonsum indiziert zwar einen Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, ihr Fehlen schließt diesen indes nicht aus (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, juris Rn. 10; Beschluss vom 3. Februar 2016 - 1 StR 646/15, juris Rn. 11).
Darüber hinaus steht auch die aktuelle Therapieunwilligkeit des Angeklagten seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht notwendig entgegen. Therapieunwilligkeit kann zwar im Einzelfall gegen die Erfolgsaussicht der Maßregel (§ 64 Satz 2 StGB) sprechen. Liegt sie vor, so ist es jedoch geboten, im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände die Gründe des Motivationsmangels festzustellen und zu prüfen, ob eine Therapiebereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann; denn gerade auch darin kann das Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug bestehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. März 2004 - 2 StR 513/03, NStZ-RR 2004, 263; vom 15. Dezember 2009 - 3 StR 516/09, NStZ-RR 2010, 141).
c) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107; vom 27. März 2008 - 3 StR 38/08, StV 2008, 405, 406). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. dazu BGHSt 38, 362 f.).
4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ergänzend zu der Stellungnahme des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Der Einwand des Beschwerdeführers, dass die - sachverständig beratene - Strafkammer sich bei der Feststellung der Wirkstoffkonzentration der von dem Angeklagten vertriebenen Betäubungsmittel in Widerspruch zu dem von ihr als erwiesen angesehenen Erfahrungssatz gesetzt habe, wonach eine valide Hochrechnung aus einer Teilmenge eines Betäubungsmittels auf die Zusammensetzung und den Wirkstoffgehalt der Gesamtmenge nur vorgenommen werden könne, wenn mindestens 10 bis 30% der gesamten Menge untersucht worden seien, geht fehl. Den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass dieser Erfahrungssatz dem Gutachten des Sachverständigen zufolge der von der Strafkammer vorgenommenen Hochrechnung nicht entgegen stand, weil der Angeklagte und seine Mittäter die von ihnen bezogenen Substanzen zunächst vermischt und aus der auf diese Weise gewonnenen Gesamtmenge die von ihnen vertriebenen 1- bis 3-Gramm-Päckchen befüllt hatten (UA S. 67).
Becker Schäfer Gericke
Spaniol Tiemann