Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 11.01.2018


BGH 11.01.2018 - 3 StR 378/17

Mittelbare Falschbeurkundung: Behandlung von Veterinärbescheinigungen im grenzüberschreitenden Schweinefleischhandel


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
11.01.2018
Aktenzeichen:
3 StR 378/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:110118U3STR378.17.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Stade, 25. Oktober 2016, Az: 500 KLs 29/15
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 25. Oktober 2016 aufgehoben.

Die Angeklagten werden freigesprochen.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten V.   wegen schwerer mittelbarer Falschbeurkundung in 57 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 330 Tagessätzen zu je 15 € und den Angeklagten R.   unter Freispruch im Übrigen wegen mittelbarer Falschbeurkundung in 55 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts; der Angeklagte R.  beanstandet außerdem das Verfahren. Die Staatsanwaltschaft hat jeweils zu Ungunsten der Angeklagten Revision eingelegt und erklärt, diese auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken; sie erhebt ebenfalls die Sachbeschwerde und eine Verfahrensrüge. Sämtliche Rechtsmittel - diejenigen der Staatsanwaltschaft zu Gunsten der Angeklagten - haben mit der Sachrüge Erfolg und führen zum Freispruch der Angeklagten.

I.

2

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

3

Im Tatzeitraum vom 19. Mai 2010 bis zum 21. Dezember 2011 lieferte die V.    Fleisch GmbH & Co. KG (im Folgenden: Firma V.    ) Fleischprodukte, unter anderem Schweinerückenspeck, an das in der Ukraine ansässige Unternehmen VAT "M.           Y.      " (fortan: Firma Y.    ). Der Angeklagte V.    war einer der Geschäftsführer der Komplementärin der Firma V.   , der Angeklagte R.   - mit einer kurzzeitigen Unterbrechung von sechs Wochen - Mitarbeiter in deren Verkaufsabteilung.

4

In der Ukraine unterlagen im Tatzeitraum Importe von Fleischwaren staatlichen Einfuhrreglementierungen. Die für den Warenbezug aus dem Ausland erforderliche Importlizenz wurde von den dortigen staatlichen Stellen nur dann erteilt, wenn der ausländische Lieferant Fleisch im eigenen Betrieb geschlachteter Tiere verarbeitet hatte. Der Bezug von Fleischwaren, die das Exportunternehmen nicht selbst produziert, sondern von Drittfirmen erworben hatte, war dem Lizenznehmer nach den ukrainischen Importvorgaben dagegen nicht erlaubt.

5

Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hatte mit dem ukrainischen Veterinärdienst am 31. Oktober 2005 in Kiew anlässlich eines Wirtschaftstreffens der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH (nachfolgend: CMA) eine Übereinkunft über eine "Veterinärbescheinigung für die Ausfuhr von frischem Schweinefleisch aus der Bundesrepublik Deutschland in die Ukraine" getroffen. Gegenstand dieser Abmachung war ein in ukrainischer und deutscher Sprache gehaltenes Muster eines Veterinärzertifikats. In das Formular waren unter anderem Name und Adresse des Schlachtbetriebes, des Zerlegungsbetriebes sowie des Versenders einzutragen. Des Weiteren war die Einhaltung bestimmter - insbesondere europarechtlicher - lebensmittelhygienischer Standards für die Warenlieferung zu dokumentieren. Die ausgefüllte Veterinärbescheinigung gehörte zu den für den grenzüberschreitenden Schweinefleischhandel mit der Ukraine notwendigen Transportpapieren.

6

Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft teilte mit E-Mail vom 4. November 2005 dem - für das Veterinärwesen zuständigen - Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit, dass bei dem Wirtschaftstreffen der CMA das beschriebene Muster der "Veterinärbescheinigung für die Ausfuhr von frischem Schweinefleisch aus der Bundesrepublik Deutschland in die Ukraine" paraphiert worden sei. Nach einer Änderung des Musters zum November 2010 wies das Bundesministerium das Landesministerium mit E-Mail vom 13. März 2011 darauf hin, dass das neu abgestimmte Formular eines Veterinärzertifikats ab sofort zu verwenden sei.

7

Die Firma Y.   verfügte über eine ukrainische Importlizenz für den Bezug von Schweinefleisch von der Firma V.   . Da der von dieser durch eigene Schlachtung hergestellte Schweinerückenspeck regelmäßig nicht ausreichte, um die Lieferverpflichtungen gegenüber der Firma Y.   zu erfüllen, wies der Angeklagte V.    vor 57 Lieferungen Mitarbeiter der Firma V.    an, zu exportierenden Schweinerückenspeck von anderen Produzenten einzukaufen. Vor der Ausfuhr wurde die Ware stets in einem Tiefkühlhaus der F.    . Fleischhandelsgesellschaft mbH (im Folgenden: Firma F.   ) zwischengelagert; dort führten beim örtlich zuständigen Landkreis G.    beschäftigte Amtstierärzte sowie ein vom Landkreis beauftragter niedergelassener Tierarzt Kontrollen der Fleischwaren insbesondere anhand schlüssiger Belege durch. Um die Herkunft des Schweinerückenspecks von Drittunternehmen zu verschleiern, erteilte der Angeklagte V.    jeweils die Anweisung, an das Tiefkühlhaus inhaltlich unzutreffende Umlagerungslieferscheine zu übermitteln. Bei 55 Lieferungen führte der Angeklagte R.  diese Anweisung aus, in den beiden weiteren Fällen ein anderer Mitarbeiter. Auf Grund der nicht zutreffenden Daten in den Umlagerungslieferscheinen wurde der Schweinerückenspeck im Lagerbestand des Kühlhauses als von der Firma V.    produzierte Ware erfasst; die Firma F.   . stellte entsprechende Vorzertifikate aus. Auf dieser Grundlage fertigten die kontrollierenden Tierärzte bei sämtlichen 57 Lieferungen Veterinärbescheinigungen nach dem jeweils vorgegebenen zweisprachigen Muster und versahen sie mit ihrer Unterschrift sowie dem Dienstsiegel. Die Bescheinigungen wiesen demzufolge als Schlachtbetrieb ebenfalls die Firma V.   aus und bestätigten die Einhaltung der lebensmittelhygienischen Standards allein in Bezug auf diese, nicht auch auf den tatsächlichen Schlachtbetrieb.

8

Das Original der Veterinärbescheinigung wurde jeweils dem mit dem Transport der Ware betrauten LKW-Fahrer zusammen mit weiteren Frachtpapieren ausgehändigt; eine Kopie verblieb bei der Firma F.  .

II.

9

Die Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Urteils und zum Freispruch der Angeklagten. Zulässigkeit und Begründetheit der Verfahrensrüge des Angeklagten R.   können daher dahinstehen.

10

1. Die 57 Veterinärzertifikate, welche die beim Landkreis G.     beschäftigten Tierärzte bzw. der von diesem beauftragte Tierarzt ausstellten, stellen keine öffentlichen Urkunden gemäß § 271 Abs. 1 StGB dar.

11

a) Welche Urkunden als öffentliche Urkunden gelten, ist auch für das Strafrecht im Ausgangspunkt in § 415 Abs. 1 ZPO bestimmt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 1963 - 1 StR 463/62, BGHSt 19, 19, 21; Beschluss vom 14. August 1986 - 4 StR 400/86, BGHR StGB § 348 Abs. 1 Notar 1). Danach sind öffentliche Urkunden im Sinne des § 271 Abs. 1 StGB (wie des § 348 Abs. 1 StGB) solche, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind. Der strafrechtliche Begriff erfordert darüber hinaus eine erhöhte Beweiskraft. Die öffentliche Urkunde muss für den Verkehr nach außen bestimmt sein und dem Zweck dienen, volle Beweiswirkung für und gegen jedermann zu erbringen. Nur soweit dieser öffentliche Glaube reicht, können Falschangaben strafbewehrt sein (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1954 - 3 StR 718/53, BGHSt 6, 380, 381; Beschlüsse vom 2. Juli 1968 - GSSt 1/68, BGHSt 22, 201, 202 f.; vom 30. Oktober 2008 - 3 StR 156/08, BGHSt 53, 34, 35 f.; vom 14. Juni 2016 - 3 StR 128/16, BGHR StGB § 271 Abs. 1 Öffentlicher Glaube 5; S/S-Heine/Schuster, StGB, 29. Aufl., § 271 Rn. 8, 20; LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 271 Rn. 9, 29 f.).

12

Inwieweit eine öffentliche Behörde bei der Errichtung der Urkunde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse tätig ist, bestimmt sich nach den jeweiligen zugrundeliegenden Rechtsvorschriften. Eine ständige Verwaltungsübung allein kann dagegen eine Befugnis zur Ausstellung öffentlicher Urkunden nicht begründen (vgl. LK/Zieschang aaO, Rn. 18 mwN). Auch die inhaltliche Reichweite der erhöhten Beweiskraft ist den Rechtsvorschriften zu entnehmen. Soweit eine ausdrückliche Regelung zur Beweiswirkung besteht, ist diese ausschlaggebend. Fehlt eine solche, kann sich die erhöhte Beweiskraft mittelbar - unter Beachtung der Anschauung des Rechtsverkehrs - aus den Vorschriften ergeben, die für die Errichtung und den Zweck der Urkunde maßgeblich sind (vgl. BGH, Urteile vom 12. Oktober 1995 - 4 StR 259/95, NJW 1996, 470; vom 16. April 1996 - 1 StR 127/96, BGHSt 42, 131; vom 25. Mai 2001 - 2 StR 88/01, BGHSt 47, 39, 42; Beschluss vom 14. Juni 2016 - 3 StR 128/16, aaO).

13

Nach gefestigter Rechtsprechung kommt es daher entscheidend auf den auf der Grundlage einer Rechtsvorschrift beurkundeten öffentlichen Glauben an; die spezifische Beweiswirkung der öffentlichen Urkunde kann somit nicht - losgelöst von der Rechtsgrundlage - allein aus der Verkehrsanschauung hergeleitet (entgegen LK/Zieschang aaO, Rn. 35 unter fälschlicher Berufung auf BGH, Urteil vom 25. Mai 2001 - 2 StR 88/01, aaO, S. 42, 44) oder ausschließlich mit dem Beurkundungsinhalt, dem Beurkundungsvorgang und den tatsächlichen Prüfungsmöglichkeiten der Behörde begründet werden.

14

b) Unter Anlegung dieser Maßstäbe sind die verfahrensgegenständlichen Veterinärbescheinigungen nicht als öffentliche Urkunden im strafrechtlichen Sinne zu beurteilen. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage für die Ausstellung der Veterinärbescheinigungen als Ausfuhrdokumente mit voller Beweiswirkung für und gegen jedermann.

15

aa) Nach den Feststellungen dienten die Zertifikate, was sich bereits aus ihrer Bezeichnung ergibt, dem Fleischexport aus Deutschland in die Ukraine. Mit ihnen wurden lebensmittelrechtlich relevante Aspekte dokumentiert; es wurde im Wesentlichen bestätigt, dass die gelieferten Fleischwaren bestimmten - insbesondere im europäischen Recht normierten - Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit genügten, was für die Ukraine naheliegend von erheb-licher Bedeutung war. So sieht das Muster Angaben etwa zur Tiergesundheit, zur Unbelastetheit des Fleisches sowie zu hygienischen Anforderungen an die Verarbeitung unter Bezugnahme auf Verordnungen und eine Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft vor. Auf die damalige ukrainische Einfuhrreglementierung dergestalt, dass die für den Bezug von Schweinefleisch aus dem Ausland erforderliche Importlizenz von den dortigen staatlichen Stellen nur dann erteilt wurde, wenn der ausländische Lieferant selbstgeschlachtetes Fleisch verarbeitet hatte, geht das Formular indes nicht explizit ein. Bei wahrheitsgemäßen Angaben wäre ein etwaiger Verstoß gegen die Lizenzbedingungen freilich zwangsläufig offenbart worden.

16

bb) Eine Rechtsgrundlage für die Ausstellung der Veterinärbescheinigungen als mit öffentlichem Glauben versehener Exportdokumente ergibt sich nicht aus den allgemeinen Vorschriften des Lebensmittelrechts.

17

Zwar gehörte (und gehört) in Niedersachsen die verwaltungsrechtliche Überwachung von aus Deutschland in Länder außerhalb der Europäischen Union ausgeführten Lebensmitteln grundsätzlich zu den Aufgaben der Landkreise und kreisfreien Städte. Die sachliche Zuständigkeit zur Tatzeit folgt aus § 2 Nr. 5 Buchst. a der Verordnung über Zuständigkeiten auf verschiedenen Gebieten der Gefahrenabwehr (ZustVO-SOG) aF i.V.m. § 38 Abs. 1, § 39 Abs. 1 LFGB, Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren der Lebensmittelsicherheit (sog. Basisverordnung). Nach Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 178/2002 haben auch aus der Gemeinschaft in ein Drittland ausgeführte Lebensmittel grundsätzlich den europarechtlichen Anforderungen des Lebensmittelrechts zu genügen. Die Überwachung der Einhaltung der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Union ist nach § 38 Abs. 1, § 39 Abs. 1 LFGB die Aufgabe der nach Landesrecht zuständigen Behörden; in Niedersachsen ist sie den Landkreisen und kreisfreien Städten übertragen (vgl. § 2 Nr. 5 Buchst. a ZustVO-SOG aF bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 5 ZustVO-SOG nF).

18

Mit dieser grundsätzlichen Übertragung der Aufgabe der Überwachung der Lebensmittelsicherheit auch in Fällen der Ausfuhr in ein Drittland ist jedoch den Landkreisen bzw. kreisfreien Städten nicht zugleich die Befugnis zugewiesen, Urkunden zu errichten, die die Dokumentation der Ergebnisse von Kontrollen mit Wirkung für und gegen jedermann betreffen. Eine von einer Behörde ausgestellte Urkunde hat nicht schon deshalb die erforderliche erhöhte Beweiskraft, weil die zu beurkundenden Vorgänge in ihren gesetzlich bestimmten Aufgabenbereich fallen; vielmehr ist - wie oben unter II. 1. a) ausgeführt - (mindestens) erforderlich, dass durch Rechtsvorschriften gerade die Beurkundung seitens der Behörde geregelt ist. Aus den für die Errichtung und den Zweck der Urkunde maßgebenden Rechtsnormen ergeben sich die spezifische Beweiswirkung und ihre Reichweite. Im nationalen und supranationalen Lebensmittelrecht ist indes für die Ausfuhr in ein Drittland - anders als etwa für die Einfuhr aus einem Drittland (s. etwa Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs) - eine solche die Beurkundung betreffende allgemeinverbindliche Vorschrift nicht vorhanden.

19

cc) Eine die erhöhte Beweiskraft bewirkende Rechtsgrundlage für die Ausstellung der Zertifikate lässt sich ebenso wenig der am 31. Oktober 2005 zwischen dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und dem ukrainischen Veterinärdienst getroffenen Übereinkunft über eine "Veterinärbescheinigung für die Ausfuhr von frischem Schweinefleisch aus der Bundesrepublik Deutschland in die Ukraine" oder den beiden E-Mails des Bundesministeriums vom 4. November 2005 und vom 13. März 2011 entnehmen.

20

(1) Mit der Übereinkunft selbst lässt sich ein öffentlicher Glaube der dem abgestimmten Muster entsprechenden Veterinärbescheinigungen nicht begründen.

21

Bei dieser Vereinbarung handelt es sich nicht um einen ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag mit Gesetzeskraft im Inland (vgl. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG); sie ist nicht im Teil II des Bundesgesetzblatts veröffentlicht. Vielmehr wurde sie von den beiden beteiligten Staaten auf Verwaltungsebene getroffen (s. auch Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG). Dementsprechend hat sie unmittelbar allein verwaltungsinterne Bedeutung und begründet keine Rechte und Pflichten Dritter. Für den Rechtsunterworfenen wirkt sich die Abmachung nur mittelbar aus: Die Kontrollmaßnahmen, die auf Grund anderer lebensmittelrechtlicher Vorschriften zu den Aufgaben der Behörde gehören, sind zum Zweck der Förderung des grenzüberschreitenden Handelsverkehr in einem einheitlichen Formular zu dokumentieren.

22

Aus der - in der Antragsschrift des Generalbundesanwalt angeführten - bilaterale Abkommen regelnden Vorschrift des Art. 12 Abs. 2 VO (EG) Nr. 178/2002 i.V.m. § 38 Abs. 1, § 39 Abs. 1 LFGB, § 2 Nr. 5 Buchst. a ZustVO-SOG aF ergibt sich nichts anderes. Auf den Rechtscharakter und den sachlichen Gehalt der Übereinkunft selbst kann sich diese Regelung nicht auswirken. Daher kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob Art. 12 Abs. 2 VO (EG) Nr. 178/2002 überhaupt anwendbar ist.

23

(2) Die E-Mails des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft vom 4. November 2005 und vom 13. März 2011 stellen ebenfalls keine "Rechtsvorschriften" dar, denen sich mittelbar entnehmen ließe, dass den Veterinärzertifikaten eine erhöhte Beweiskraft zukäme. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Ansicht der Strafkammer zu folgen ist, dass die formlosen elektronischen Nachrichten als Erlasse im verwaltungsrechtlichen Sinne zu beurteilen seien, was zur Folge habe, dass (neben § 2 Nr. 5 Buchst. a ZustVO-SOG aF) auch die Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 ZustVO-SOG aF vor-lägen.

24

Selbst wenn die E-Mails - in eher ungewöhnlicher Form erteilte - generalisierende Weisungen im Behördengefüge darstellten, begründeten sie keine spezifische Beweiswirkung für und gegen jedermann. Wie oben unter II. 1. a) dargelegt, bestimmt sich der öffentliche Glaube einer behördlich errichteten Urkunde ebenso wie dessen Reichweite nach den jeweiligen Rechtsvorschriften. Hiermit sind prinzipiell allgemeinverbindliche Gesetze in einem materiellen Sinne (Gesetze, Verordnungen, Satzungen) gemeint, nicht dagegen Verwaltungsinterna. Verwaltungsvorschriften können ausnahmsweise Berücksichtigung finden, wenn mit ihnen die gesetzliche Grundlage ausgestaltet und präzisiert wird (derartige Regelungen berücksichtigend: Senatsurteil vom 24. April 1985 - 3 StR 66/85, BGHSt 33, 190, 192 f.; OLG Rostock, Urteil vom 21. August 2002 - 1 Ss 93/01 I 5/02, NStZ-RR 2004, 172). Die von der Strafkammer als Erlasse behandelten E-Mails erschöpften sich indes in einer schlichten Mitteilung bzw. einem bloßen Hinweis ohne Bezug zu einer entsprechenden Rechtsnorm.

25

Soweit das Reichsgericht entschieden hat, auf Grund unveröffentlichter behördlicher "Anordnungen" geführte Gefangenenjournale bzw. -bücher könnten mit erhöhter Beweiskraft versehene Feststellungen zu den Häftlingen enthalten (vgl. Urteile vom 27. März 1908 - IV 205/08, RGSt 41, 201, 205; vom 30. Dezember 1910 - V 797/10, RGSt 44, 196, 197 f.; s. auch LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 271 Rn. 35), waren die betreffenden Verwaltungsvorschriften (Teil der Geschäftsordnung der Justizbehörden, Schließereiordnung) wie Gesetze im materiellen Sinne ausgeformt. Ungeachtet der Frage, inwieweit an den reichsgerichtlichen Entscheidungen noch festzuhalten ist, sind die hier zu beurteilenden E-Mails mit derartigen gesetzesgleichen "Anordnungen" nicht vergleichbar.

26

(3) Ergänzend kommt hinzu, dass gegen eine spezifische Beweiswirkung der Veterinärzertifikate für und gegen jedermann der Zweck der bilateralen Übereinkunft auf Verwaltungsebene sowie der Weiterleitung des abgestimmten Musters an die Veterinärbehörden sprechen dürfte. Mit dem Muster sollte der grenzüberschreitende Handelsverkehr erleichtert werden. Deswegen waren die Dokumente als ein dem für die Ausfuhr von Schweinefleisch dienlicher Nachweis gegenüber den damit befassten, insbesondere ukrainischen Behörden bestimmt. Dass sich jeder Dritte gegenüber dem Exporteur und dieser gegenüber sämtlichen Dritten darauf berufen kann, war erkennbar nicht Anliegen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es dem Sinn der Übereinkunft entspräche, wenn sich jedes Rechtssubjekt alle oder einzelne Befunde in den Veterinärbescheinigungen entgegenhalten lassen müsste; zu denken wäre etwa an den Fall, dass Verbraucher vor deutschen Gerichten Rechte gegen den Exporteur wegen Nichtbeachtung bestimmter in den Zertifikaten bestätigter Vorschriften der Lebensmittelsicherheit geltend machen.

27

2. Weitere tatsächliche Feststellungen, die zu einer Verurteilung der Angeklagten im Hinblick auf die angeklagten prozessualen Taten führen könnten, sind nach Lage des Falls ausgeschlossen. Auch eine Strafbarkeit nach anderen Strafvorschriften als § 271 StGB kommt nicht in Betracht. Insbesondere scheidet eine Verurteilung wegen Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) durch das Gebrauchmachen von den inhaltlich unzutreffenden Veterinärbescheinigungen gegenüber der Firma Y.    aus, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass die von der Firma V.    gelieferten Fleischwaren lebensmittelrechtlich bedenklich gewesen sein könnten. Der Senat hat daher gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst zu entscheiden und die Angeklagten - unter Aufhebung des angefochtenen Urteils - freizusprechen.

III.

28

Nach alledem sind auch die Revisionen der Staatsanwaltschaft in demselben Umfang zu Gunsten der Angeklagten (vgl. § 301 StPO) begründet wie deren Rechtsmittel. Die von der Staatsanwaltschaft erklärte Beschränkung ihrer Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch ist dabei unwirksam, weil auf der Grundlage der Feststellungen zu dem jeweils nicht angefochtenen Schuldspruch überhaupt keine Strafen gegen die Angeklagten verhängt werden könnten (vgl. BGH, Urteile vom 22. Februar 1996 - 1 StR 721/94, NStZ 1996, 352, 353; vom 14. Mai 1996 - 1 StR 51/96, NJW 1996, 2663, 2665; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 352 Rn. 6; LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 318 Rn. 47; MüKoStPO/Quentin, § 318 Rn. 54).

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