Entscheidungsdatum: 02.11.2016
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 28. April 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1 bis 24 der Urteilsgründe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 24 Fällen verurteilt wurde,
b) im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Seine auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen trieb der Angeklagte jedenfalls von Oktober 2014 bis zu seiner Festnahme am 11. September 2015 Handel mit Marihuana. Er veräußerte das Rauschgift unter anderem über den Zeugen S. , der dadurch seine Geldschulden beim Angeklagten "abarbeiten" sollte. Im Zeitraum vom 27. Oktober 2014 bis zum 6. April 2015 übergab der Angeklagte dem Zeugen S. an jedem Montag - insgesamt jedenfalls 24-mal - bei einer Tiefgarage mindestens 100 g Marihuana. Dieser verkaufte das Rauschgift an unbekannt gebliebene Abnehmer und bezahlte vereinbarungsgemäß jeweils die Lieferung der Vorwoche bei Übernahme der nächsten Lieferung (Fälle II. 1 bis 24 der Urteilsgründe).
Als sich der Zeuge S. entschied, nicht weiter für den Angeklagten Marihuana zu verkaufen, und am 13. April 2015 an dem Übergabeort nicht mehr erschien, brachten ihn der Angeklagte und der Mitangeklagte R. mit Hilfe eines unbekannt gebliebenen Dritten in ihre Gewalt. Sie wirkten massiv auf ihn ein, insbesondere mittels in einem Kellerraum mit einer Pistole vorgenommener Todesdrohungen, um die Herausgabe geeigneter "Pfandgegenstände" zu erzwingen. Hierdurch sollte er dazu angehalten werden, zügig seine Schulden zu begleichen oder die Rauschgiftgeschäfte mit dem Angeklagten fortzuführen. Nachdem der um sein Leben fürchtende Zeuge S. derartige Gegenstände ausgehändigt hatte, wurde er aus der Gewalt entlassen (Fall II. 25 der Urteilsgründe).
Am 11. September 2015 lagerte der Angeklagte in einer von ihm als "Bunker" genutzten Wohnung jedenfalls 1,37 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 203 g THC, das zum gewinnbringenden Verkauf bestimmt war (Fall II. 26 der Urteilsgründe).
Das Landgericht hat als Einzelstrafen für die Fälle II. 1 bis 24 der Urteilsgründe jeweils Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten, für den Fall II. 25 der Urteilsgründe die Einsatzfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten sowie für den Fall II. 26 der Urteilsgründe eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt.
II. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat einen durchgreifenden Rechtsfehler zuungunsten des Angeklagten nur mit Blick auf den Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 24 Fällen (Fälle II. 1 bis 24 der Urteilsgründe) ergeben. Insoweit erweist sich die Beweiswürdigung als lückenhaft.
Für die Annahme, dass die wöchentlichen Übergaben von Marihuana an den Zeugen S. jeweils mindestens 100 g betrafen und am 27. Oktober 2014 begannen, fehlt im Urteil jeder Beleg. Damit beruhen die Feststellungen zu dem Tatzeitraum, der Anzahl der Einzeltaten und den gehandelten Mengen nicht auf einer tragfähigen Beweiswürdigung. Zwar dient die Darstellung der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen nicht dazu, jede getroffene Feststellung zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 2014 - 3 StR 27/14, NStZ-RR 2014, 279, 280; Beschluss vom 21. September 2005 - 2 StR 311/05, StraFo 2005, 510, 511; KK-Ott, StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 82). Handelt es sich aber - wie hier - um für den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch wesentliche Umstände, so kann auf einen Beleg in aller Regel nicht verzichtet werden (vgl. BeckOK StPO/Peglau, § 267 Rn. 19). Im Einzelnen:
Die Strafkammer hat die - wider die Einlassung des Angeklagten getroffenen - Feststellungen zu den Fällen II. 1 bis 24 der Urteilsgründe im Wesentlichen auf die Aussage der Zeugin T. im Ermittlungsverfahren gestützt. Die Angaben sind, da die Zeugin in der Hauptverhandlung bezüglich dieser Taten von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, über die Zeugenaussage der vernehmenden Polizeibeamtin eingeführt worden. Die Zeugin T. hatte im Ermittlungsverfahren angegeben, der Zeuge S. , ihr Verlobter, habe sich vor dem 13. April 2015 wöchentlich montags gegen 17.30 Uhr mit dem Angeklagten bei einer Tiefgarage getroffen und von diesem Marihuana erhalten, das der Angeklagte in der Nähe gelagert gehabt habe; sie selbst habe den Zeugen S. mehrere Male dorthin gefahren. Dass die Strafkammer diese Angaben nach eingehender Glaubhaftigkeitsanalyse als zutreffend erachtet hat, ist nicht zu beanstanden, zumal daneben noch weitere - in den Urteilsgründen im Einzelnen aufgeführte - Umstände (sichergestelltes Rauschgift, Einlassung des Angeklagten hierzu, zwei polizeilich überwachte bzw. mitgehörte Telefongespräche) den von der Strafkammer gezogenen Schluss zulassen, dass der Angeklagte vor seiner Festnahme generell mit Marihuana handelte.
Den Urteilsgründen ist indes nicht zu entnehmen, dass sich die Zeugin T. dazu geäußert hätte, welche Mengen der Zeuge S. bei den regelmäßigen Übergaben erhielt und ab welchem Zeitpunkt diese stattfanden. Zu den übergebenen Rauschgiftmengen könnte allenfalls die Angabe der Zeugin T. , dass sich das vom Angeklagten gelieferte Marihuana immer in einem Frischhaltebeutel befunden habe, der mit den Zahlen "100" oder "150" versehen gewesen sei, einen Hinweis bieten. Zu diesem möglichen Indiz verhalten sich die Urteilsgründe jedoch nicht.
Weitere Beweisergebnisse, die Schlüsse auf die Rauschgiftmengen und den Beginn der Tatserie zuließen, sind in den Urteilsgründen nicht dargelegt. Namentlich der tatnächste Zeuge S. hat hierzu zu keiner Zeit ausgesagt. In der Hauptverhandlung hat er umfassend die Auskunft zur Sache verweigert; im Ermittlungsverfahren hatte er nur Angaben zum Fall II. 25 der Urteilsgründe gemacht. Im Hinblick auf die Fälle II. 1 bis 24 der Urteilsgründe waren diese Angaben lediglich insoweit ergiebig, als er zum Motiv des Angeklagten für diese spätere Tat erklärt hatte, er - der Zeuge - habe am 13. April 2015 nicht mehr für den Angeklagten "arbeiten" wollen.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 24 Fällen (Fälle II. 1 bis 24 der Urteilsgründe) kann folglich keinen Bestand haben.
III. Im Übrigen erweist sich der Schuldspruch, wegen Geiselnahme (Fall II. 25 der Urteilsgründe) sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 26 der Urteilsgründe), als rechtsfehlerfrei.
Auch die beiden hierfür verhängten Einzelstrafen können bestehen bleiben. Die Strafzumessung leidet an keinem durchgreifenden Rechtsfehler. Zwar hat die Strafkammer bei der Prüfung minder schwerer Fälle (§ 239a Abs. 2, § 239b Abs. 2 StGB und § 29a Abs. 2 BtMG) und bei der Strafbemessung im engeren Sinne zu Lasten des Angeklagten jeweils die festgestellten zahlreichen weiteren Straftaten berücksichtigt. Jedoch ist - insbesondere in Anbetracht der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Marihuanahandel als solchem - auszuschließen, dass das jeweils festgesetzte Strafmaß hierauf beruht (s. § 337 Abs. 1 StPO).
IV. Die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 1 bis 24 der Urteilsgründe bedingt die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die rechtsfehlerfrei getroffene Einziehungsentscheidung hat hingegen Bestand.
V. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Sollte sich das neue wie das erste Tatgericht von den Straftaten überzeugen, die in den Fällen II. 1 bis 24 der Urteilsgründe abgehandelt werden, so wird es aufzuklären haben, inwieweit hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die einzelnen Rauschgiftlieferungen des Angeklagten ganz oder teilweise aus einem Verkaufsvorrat stammten, so dass ihre Verbindung zu einer Bewertungseinheit oder mehreren Bewertungseinheiten geboten ist (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. März 1998 - 2 StR 22/98, NStZ 1998, 360; vom 28. April 2015 - 3 StR 61/15, NStZ-RR 2015, 313; Weber, BtMG, 4. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 588 ff.). Sollte das neue Tatgericht hiernach nicht von - nur - einer Bewertungseinheit ausgehen, indes erneut feststellen, dass der Zeuge S. jeweils die Lieferung der Vorwoche bei Übernahme der nächsten Lieferung bezahlte, so wird es Bedacht darauf zu nehmen haben, dass derzeit keine einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung zu der konkurrenzrechtlichen Bewertung derartiger Fallkonstellationen besteht (vgl. einerseits Senat, Beschluss vom 3. September 2015 - 3 StR 236/15, NStZ 2016, 415 mwN; andererseits 2. Strafsenat, Beschluss vom 31. Mai 2016 - 2 ARs 403/15, NStZ-RR 2016, 313; 4. Strafsenat, Beschluss vom 1. September 2016 - 4 ARs 21/15, juris).
Schäfer Gericke Tiemann
Berg Hoch