Entscheidungsdatum: 15.04.2013
Auf die Revisionen der Angeklagten G. und B. wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 5. Januar 2012, auch soweit es die Angeklagten D. , H. , R. , Ha. , F. , Re. , Bö. , De. , Gr. und Bu. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben mit Ausnahme des Schuldspruchs bezüglich des Mitangeklagten Bu. im Fall C. der Urteilsgründe, der in diesem Fall verhängten Einzelstrafe sowie der Einziehung des Schlagrings.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten G. und B. , die mit den nichtrevidierenden Mitangeklagten D. , H. , R. , Ha. , F. , Re. , Bö. , De. , Gr. und Bu. sowie weiteren gesondert Verfolgten unter der Bezeichnung "W. -Radio" ein Internetradio zur Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts betrieben, wegen der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als Mitglied (Angeklagte G. ) bzw. wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit Volksverhetzung in zwei Fällen, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (Angeklagter B. ) zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die nichtrevidierenden Mitangeklagten D. , H. , R. , Ha. , F. , De. und Bu. hat es ebenfalls wegen der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als Mitglied, die nichtrevidierenden Mitangeklagten Re. , Bö. und Gr. wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu Freiheitsstrafen verurteilt. Dabei hat es - außer bei den Mitangeklagten F. , Re. und Bu. - jeweils in unterschiedlichem Maße die tateinheitliche Verwirklichung weiterer Delikte, namentlich der Volksverhetzung, des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, der Gewaltdarstellung, der Beleidigung, der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und der Billigung von Straftaten angenommen sowie den Mitangeklagten Bu. wegen eines Waffendelikts verurteilt und insoweit eine Einziehungsentscheidung getroffen.
Die Revisionen der Angeklagten G. und B. haben mit der erhobenen Sachrüge Erfolg; auf die - nicht ausgeführte und somit unzulässige (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) - Rüge der Verletzung formellen Rechts kommt es deshalb nicht an. Die Aufhebung des Urteils erstreckt sich in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang auf die nichtrevidierenden Mitangeklagten.
I. Der Schuldspruch hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang keinen Bestand, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts genügt nicht den Mindestanforderungen, die an die richterliche Überzeugungsbildung zu stellen sind.
1. Das Landgericht hat bei der Verurteilung der Angeklagten wegen "Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als Mitglied" bzw. "Unterstützung einer kriminellen Vereinigung" und eines Teils der Mitangeklagten wegen zahlreicher mitverwirklichter Äußerungs- und Propagandadelikte unter anderem Feststellungen zu 73 Liedern größtenteils rechtsradikalen Inhalts getroffen, deren textliche Wiedergabe - teilweise in deutscher Übersetzung der englischen Originalfassung - über 35 Urteilsseiten umfasst. Es hat weiter bei einem Großteil der Angeklagten über einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahr mit minutengenauer Darstellung der Spielzeiten eine Vielzahl von über das "W. -Radio" gesendeten Liedern und Äußerungen der Angeklagten nach Datum und Uhrzeit festgestellt. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat es lediglich ausgeführt, die getroffenen Feststellungen beruhten "auf den glaubhaften geständigen Einlassungen der Angeklagten in der Hauptverhandlung, den verlesenen Registerauszügen und den glaubhaften Bekundungen der Zeugen KOK Sch. und KOK St. , die insbesondere über den Gang des Ermittlungsverfahrens berichtet haben."
2. Diese Ausführungen belegen, dass die Strafkammer sich ihre Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten auf unzureichender Basis verschafft hat, was der Senat auch allein auf die Sachrüge zu berücksichtigen hat. Im Einzelnen:
a) Aus dem verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip folgt im deutschen Strafprozessrecht die Verpflichtung der Gerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt - die materielle Wahrheit - zu erforschen (§244 Abs. 2 StPO, vgl. zuletzt BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, NJW 2013, 1058). Diese Pflicht bestimmt den Umfang der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Die Würdigung der Beweise (§ 261 StPO) bildet wiederum die Grundlage für den Schuldspruch und die Festsetzung der entsprechenden Rechtsfolgen. Die Amtsaufklärungspflicht darf - schon wegen der Gesetzesbindung des Richters (Art. 20 Abs. 3 GG) - nicht dem Interesse an einer einfachen und schnellstmöglichen Erledigung des Verfahrens geopfert und kann nicht zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts gestellt werden (BVerfG aaO).
Es ist daher unzulässig, dem Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu legen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung unter vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials beruht. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte - unter Umständen aufgrund einer Verständigung - geständig gezeigt hat. Zwar unterfällt auch die Bewertung eines Geständnisses dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung. Das Tatgericht muss aber, will es die Verurteilung des Angeklagten auf dessen Einlassung stützen, von deren Richtigkeit überzeugt sein (BGH, Urteil vom 10. Juni 1998 - 2 StR 156/98, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 31). Es ist deshalb stets zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11, NStZ-RR 2012, 256). Die Beschränkung der Beweiswürdigung im Wesentlichen auf den bloßen Hinweis, der Angeklagte sei geständig gewesen, genügt insbesondere dann nicht, wenn aufgrund der Komplexität und der zahlreichen Details des festgestellten Sachverhalts Zweifel bestehen können, dass der Angeklagte an das Tatgeschehen eine auch in den Einzelheiten genügende Erinnerung hat (BGH, Beschlüsse vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11, NStZ-RR 2012, 256 f. und vom 5. Dezember 1995 - 4 StR 698/95, StV 1996, 214, 215).
b) Nach diesen Maßstäben ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, denn das Landgericht hat es ausweislich der Urteilsgründe unterlassen, die Geständnisse der Angeklagten einer näheren Überprüfung zu unterziehen. Damit beruht seine Überzeugung nicht auf einer tragfähigen Grundlage. Insbesondere mit Blick auf die jeweils genauen Texte einer großen Zahl teilweise fremdsprachiger Lieder sowie die Frage, welcher Angeklagte genau bei welcher Moderation welche Lieder zu Gehör brachte, liegt es auf der Hand, dass die Angeklagten sich insoweit nicht an die exakten Einzelheiten des zudem einige Zeit zurückliegenden Geschehens erinnern konnten.
Dass die Angeklagte G. nur wegen der Beteiligung an der kriminellen Vereinigung als Mitglied und der Angeklagte B. neben der Unterstützung der kriminellen Vereinigung lediglich wegen des Abspielens zweier inkriminierter Lieder verurteilt worden ist, führt zu keiner anderen Beurteilung: Der Inhalt der Lieder und die Häufigkeit sowie der Zeitraum, über den sie von allen Moderatoren des "W. -Radio" gespielt wurden, bestimmten hier nicht nur die für den Schuldumfang maßgeblichen strafbaren Handlungen der kriminellen Vereinigung, sondern waren auch für die Feststellung, dass es sich überhaupt um eine kriminelle Vereinigung handelte, unverzichtbar.
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs wirkt gemäß § 357 StPO auch zugunsten der nichtrevidierenden Mitangeklagten D. , H. , R. , Ha. , F. , Re. , Bö. , De. , Gr. und Bu. , soweit sie wegen der nämlichen Tat, die sich hier nach der Mitgliedschaft an bzw. der Unterstützung derselben kriminellen Vereinigung bestimmt, verurteilt worden sind. Bezüglich des Mitangeklagten Bu. erstreckt sich die Aufhebung indessen nicht auf die Verurteilung im Fall C. der Urteilsgründe, die nicht die nämliche Tat im Sinne des § 357 StPO betrifft.
Dass sich die Anforderungen an die Urteilsgründe hinsichtlich der nichtrevidierenden Mitangeklagten nur nach dem Maßstab des § 267 Abs. 4 StPO bestimmen, steht der Notwendigkeit der Erstreckung nicht entgegen, denn es handelt sich hier nicht nur um einen bloßen Erörterungsmangel. Vielmehr ist das Landgericht aufgrund einer unzureichenden Beweiswürdigung zu einer Verurteilung sämtlicher Angeklagter gelangt. Von der Verpflichtung des Tatgerichts, seine Überzeugung auf eine tragfähige Grundlage zu stützen, vermag aber auch § 267 Abs. 4 StPO, der nur Darstellungspflichten betrifft, nicht zu befreien (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11, juris Rn. 8 mwN).
II. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht für die Angeklagten G. und B. sowie die Mitangeklagten D. , H. , R. , Ha. , F. , Re. , Bö. , De. , Gr. und Bu. die Aufhebung auch des Rechtsfolgenausspruchs nach sich. Für den Mitangeklagten Bu. bleibt es allerdings bei der im Fall C. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe und der auf dieser Tat beruhenden Einziehungsentscheidung.
III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Nach den bisherigen Feststellungen war die Mitangeklagte F. neben anderen gesondert Verfolgten Mitbegründerin des "W. -Radio" und beteiligte sich unmittelbar im Anschluss daran in der Folgezeit als Mitglied an der Vereinigung. Sollte sich dies erneut bestätigen, stünde die Gründung, die im Verhältnis zur Beteiligung als Mitglied einen selbständigen Unrechtsgehalt aufweist, zu der mitgliedschaftlichen Betätigung in Tateinheit und wäre nicht nur bei der Bewertung des Schuldumfangs im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Vielmehr gebietet es das Erfordernis der Rechtsklarheit in diesem Fall, bereits im Schuldspruch zu verdeutlichen, dass über die mitgliedschaftliche Beteiligung hinaus eine weitere, eigenständige Tathandlung des § 129 Abs. 1 StGB verwirklicht wurde (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 235).
2. Sollte das neue Tatgericht im Rahmen der Hauptverhandlung erneut das Senden von Liedern und Äußerungen feststellen, wird es - eingehender als bisher - jedes Lied und jede Äußerung, die es zur Grundlage des Schuld- und Strafausspruchs macht, unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. insbesondere BVerfG, Beschlüsse vom 25. März 2008 - 1 BvR 1753/03, NJW 2008, 2907; vom 15. September 2008 - 1 BvR 1565/05, NJW 2009, 908) und des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, juris) daraufhin zu untersuchen haben, ob hierdurch Äußerungs- und Propagandadelikte verwirklicht worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11, NStZ-RR 2012, 256, 257).
Tolksdorf Hubert Schäfer
Gericke Spaniol