Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 16.11.2017


BGH 16.11.2017 - 3 StR 315/17

Anstiftung zur Brandstiftung: Bedingter Tötungsvorsatz des Anstifters; Überprüfung der Beweiswürdigung durch das Revisionsgericht


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
16.11.2017
Aktenzeichen:
3 StR 315/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2017:161117U3STR315.17.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Verden, 19. Oktober 2016, Az: 20 Ss 9/17
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger D.    S.   , M.   S.    und K.  M.   wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 19. Oktober 2016, soweit es den Angeklagten H.    betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die Revision des Angeklagten H.    gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen Anstiftung zur Brandstiftung mit Todesfolge in Tateinheit mit Anstiftung zur besonders schweren Brandstiftung in Tateinheit mit Anstiftung zur besonders schweren Brandstiftung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung und wegen Betruges" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wenden sich die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, mit denen sie die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite angreifen, soweit sich das Landgericht nicht vom Vorliegen eines (bedingten) Tötungsvorsatzes des Angeklagten zu überzeugen vermocht hat. Die Revision des Angeklagten beanstandet die Verletzung sachlichen Rechts. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben Erfolg; die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schloss der Angeklagte im August 2015 einen notariellen Kaufvertrag über ein Wohnhaus in R.   zum Preis von 150.000 €. Im Einverständnis mit dem Verkäufer bezog er bereits vor Zahlung des Kaufpreises eine Wohnung im Untergeschoss des Hauses; er führte umfangreiche Renovierungsarbeiten durch und vermietete die Wohnung im Obergeschoss an die Geschädigte U.  W.    . Bei dieser übernachtete vorwiegend an Wochenenden ihr Lebensgefährte, der Geschädigte H.        M.   ; davon hatte der Angeklagte Kenntnis. Als die von Anfang an ungeklärte Finanzierung des Kaufs endgültig scheiterte und der Verkäufer auf Zahlung des Kaufpreises - den der Angeklagte nicht zu leisten vermochte - oder Auszug des Angeklagten drängte, veranlasste dieser den Nichtrevidenten B.   , einen Brand in der vom Angeklagten genutzten Wohnung zu legen, um anschließend die Gebäudeversicherung und seine Hausratversicherung in Anspruch zu nehmen. B.     gegenüber versicherte der Angeklagte wahrheitswidrig, dass die Mieterin noch nicht eingezogen sei. Am 29. November 2015 gegen 04:00 Uhr legte B.    , nachdem der Angeklagte ihn kurz vor Mitternacht per WhatsApp-Chat aufgefordert hatte, die Tat noch in dieser Nacht auszuführen, wie geplant unter Verwendung von Benzin als Brandbeschleuniger Feuer in der Wohnung des Angeklagten. Er nahm dabei nicht wahr, dass sich im Obergeschoss schlafend die Mieterin und ihr Lebensgefährte befanden. Der Brand breitete sich schnell aus und ergriff nach schlagartiger Durchzündung auch die Treppe und die Obergeschosswohnung. U.  W.     und H.       M.   erwachten durch das Eindringen von Rauch in ihr Schlafzimmer; sie konnten noch Notrufe absetzen, sahen jedoch keine Fluchtmöglichkeit und verstarben dort wenige Minuten später an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Das gesamte Haus brannte aus. Die Hausratversicherung des Angeklagten leistete aufgrund seiner unrichtigen Angaben 12.500 € als Vorschuss an ihn; zur Auszahlung der Gebäudeversicherungssumme kam es nicht.

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2. Das Landgericht hat sich nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte hinsichtlich des Todes der Geschädigten vorsätzlich gehandelt hat. Im Fall der Geschädigten U.  W.    hat es eine leichtfertige Verursachung des Todes (§ 306c StGB) angenommen; bezüglich des H.        M.    ist es hingegen von einer fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) ausgegangen.

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I. Dies beanstanden die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger zu Recht; denn die Beweiswürdigung des Landgerichts, auf deren Grundlage es einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat, weist durchgreifende Rechtsfehler zu dessen Gunsten auf. Insoweit gilt:

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1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement) und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet (Willenselement). Beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft, durch tatsächliche Feststellungen belegt und in eine individuelle Gesamtschau einbezogen und bewertet werden (vgl. BGH, Urteile vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 77; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372). Begeht der Täter eine das Leben Dritter in hohem Maße gefährdende Tat oder veranlasst er - wie hier - eine solche, so liegt es - vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Umstände des Einzelfalls - nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkennt und, da er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, den Todeserfolg auch billigend in Kauf nimmt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN). Kann das Tatgericht auf der Grundlage der gebotenen Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies zwar regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Das Revisionsgericht hat indes zu prüfen, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 6. August 2015 - 3 StR 226/15, juris Rn. 5; vom 2. April 2015 - 3 StR 635/14, juris Rn. 3).

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2. Hieran gemessen hält die Beweiswürdigung des Landgerichts revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Sie unterscheidet nicht durchgehend hin-reichend zwischen den beiden Vorsatzelementen und erweist sich darüber hinaus in Teilen als widersprüchlich und lückenhaft.

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a) Dies gilt zunächst hinsichtlich des Geschädigten M.   .

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aa) Insoweit stellen sich bereits die Erwägungen des Landgerichts zum Wissenselement des (bedingten) Vorsatzes als widersprüchlich und unvollständig dar, was gleichzeitig auch der Verneinung einer zumindest leichtfertigen Todesverursachung im Sinne des § 306c StGB die rechtliche Grundlage entzieht.

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Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte "nicht zumindest billigend in Kauf, dass die Mieterin U.  W.    und/oder dessen [gemeint: deren] Lebensgefährte und Ex-Mann H.        M.    bei einer Inbrandsetzung des Hauses um 20:30 Uhr, mithin zu einem Zeitpunkt, zu welchem man, wenn man sich zu Hause befindet, üblicherweise noch wach ist, ums Leben kommen. Zu dieser Zeit wäre eine Rettung der Getöteten W.      und M.    besser möglich gewesen, als zur tatsächlich erfolgten Inbrandsetzung nachts gegen ca. 04:00 Uhr" (UA S. 28/29). Danach hatte der Angeklagte die Möglichkeit erkannt, dass sich die beiden späteren Tatopfer zum Zeitpunkt der Brandlegung in dem Haus aufhalten und durch die Tat erheblich in Lebensgefahr geraten könnten (so auch UA S. 38).

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Im Rahmen der Beweiswürdigung verneint das Landgericht einen Tötungsvorsatz des Angeklagten in Bezug auf den Geschädigten M.   dagegen, weil zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen sei, dass er nicht wusste und auch nicht davon ausgehen musste, dass dieser Geschädigte "konkret am Wochenende des Brandes" bei der Geschädigten W.       übernachten werde (UA S. 98, 101). Dies ist in mehrfacher Hinsicht rechtlich nicht tragfähig. Zunächst setzt sich die Strafkammer damit schon in Widerspruch zu ihren oben dargelegten Ausführungen im Rahmen der getroffenen Feststellungen. Darüber hinaus legt sie auch nicht dar, aus welchem Grund zu Gunsten des Angeklagten von diesem abweichenden Vorstellungsbild auszugehen sei. Vor allem aber wendet sie einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab an: Maßgeblich ist nicht, ob der Angeklagte wusste oder davon ausgehen musste, dass der Geschädigte M.    an dem "konkreten" Wochenende der geplanten Tat bei der Geschädigten W.     übernachten werde. Entscheidend, weil für das Wissenselement des bedingten Vorsatzes ausreichend, ist vielmehr, ob er dies für möglich hielt. Davon ist nach den Feststellungen auszugehen; denn dass der Geschädigte M.   an Wochenenden gelegentlich bei der Geschädigten W.      übernachtete und der Angeklagte dies wusste, wird an mehreren Stellen des Urteils ausdrücklich dargelegt. Schon damit erweist es sich als rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht eine leichtfertige Verursachung des Todes des Geschädigten M.   durch den Angeklagten verneint hat; denn dies stützt es ausdrücklich darauf, dass der Angeklagte nicht um den für das Tatwochenende beabsichtigten Besuch des Geschädigten M.   bei der Geschädigten W.     wusste, und sich ihm diese Möglichkeit auch "nicht aufdrängen" musste (UA S. 103).

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bb) Auch soweit das Landgericht bedingten Tötungsvorsatz wegen Fehlens des Willenselements verneint, erweist sich seine Würdigung als rechtsfehlerhaft.

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Schon indem die Strafkammer im Rahmen der bereits oben zitierten Feststellungen - ohne allerdings einen differenzierenden Bezug zum Wissens- oder Willenselement herzustellen - einen bedingten Tötungsvorsatz lediglich mit der Erwägung verneint, zur ursprünglich geplanten Tatzeit um 20:30 Uhr sei eine Rettung besser möglich gewesen als zum Zeitpunkt der dann tatsächlich ausgeführten Brandlegung um 04:00 Uhr am Morgen, bleiben seine Ausführungen lückenhaft. Denn danach war sich der Angeklagte gerade nicht sicher, dass es zu einer "Rettung" der beiden möglicherweise im Brandobjekt aufhält-lichen Personen kommen werde; er hielt eine "Rettung" nur für "besser möglich". Zu der Frage, wie sich der Angeklagte subjektiv zu dem damit nicht ausgeschlossenen Tatablauf stellte, dass es nicht zu der zwar "besser möglichen", aber nicht sicheren Rettung kommen werde, verhält sich das Urteil an dieser Stelle aber nicht. Das Willenselement bleibt damit offen.

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Soweit das Landgericht anderweitig ausführt, der Angeklagte habe, als er nach dem Chatverkehr mit dem Mitangeklagten von einer Brandlegung erst nach Mitternacht ausgegangen sei, "nicht die Entscheidung getroffen", "nunmehr den Tod von U.  W.      und/oder H.         M.    billigend in Kauf" zu nehmen (UA S. 31), und darauf vertraut, dass sich diese "durch einen Sprung aus dem Fenster des ersten Stocks auf den Rasen" würden retten können (UA S. 38), vermag auch dies die Verneinung des Willenselements bedingten Tötungsvorsatzes rechtlich nicht zu tragen. Abgesehen davon, dass es schon kaum nachvollziehbar erscheint, der Angeklagte könne eine "Entscheidung" hinsichtlich des bedingten Tötungsvorsatzes getroffen haben, lässt das Landgericht bei seinen Erwägungen wesentliche Indizien unbeachtet. Ausgehend von den Feststellungen zu den ursprünglichen Vorstellungen des Angeklagten von den Rettungschancen für die beiden möglichen Hausbewohner bei einer Brandlegung um 20:30 Uhr, hatte sich die Gefahrenlage bei einer Tatzeit erst nach Mitternacht, mithin zu einem Zeitpunkt, als die beiden Personen möglicherweise schon zu Bett gegangen waren, auch aus Sicht des Angeklagten erheblich verstärkt. Warum er dennoch deren "Rettung" für naheliegend hielt und deren Tod im Hinblick auf sein erstrebtes Ziel der Versicherungsleistungen nicht billigend hinnahm, stellt das Landgericht nicht in seine Erwägungen ein. Ebenso wenig nimmt es in den Blick, dass ein Sprung aus dem Fenster des ersten Stocks von den beiden Geschädigten nicht nur einer zutreffenden Einschätzung ihrer Gefährdungslage und einer nicht unerheblichen Selbstüberwindung bedurfte, sondern zunächst überhaupt voraussetzte, dass sie den Brand zu einem Zeitpunkt bemerkten, als ihnen eine derartige Flucht überhaupt noch möglich war. Gerade aber schlafende Personen werden eines Brandes in vielen Fällen nicht mehr rechtzeitig gewahr, insbesondere weil sie durch Rauchgasvergiftungen schon an dem Erkennen der ihnen drohenden Gefahr oder zumindest an erfolgversprechenden Bemühungen, sich selbst in Sicherheit zu bringen, gehindert sind. Auch dies hat das Landgericht nicht erwogen, sodass sich seine Beweiswürdigung auch in diesem Punkt als lückenhaft erweist.

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b) Aus den unter a) bb) dargestellten Gründen ist auch die Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes hinsichtlich der Geschädigten W.       rechtsfehlerhaft. Zwar hat das Landgericht einige Indiztatsachen benannt, die aus seiner Sicht gegen einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten in Bezug auf die Geschädigte W.      jedenfalls mit Blick auf das Willenselement sprechen (UA S. 101/102). Da es aber nicht alle maßgeblichen Gesichtspunkte in seine Gesamtabwägung einbezogen hat, vermögen diese Indizien für sich allein die Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes nicht zu tragen.

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3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Da die Feststellungen zur inneren Tatseite des Angeklagten eng mit dem objektiven Tatgeschehen verknüpft sind, können auch die hierzu getroffenen Feststellungen nicht aufrechterhalten werden.

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4. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass ein Fall mittelbarer Täterschaft des Angeklagten in Betracht kommt, soweit der frühere Mitangeklagte B.    aufgrund der Täuschung des Angeklagten von einer Entwidmung des Gebäudes zu Wohnzwecken (vgl. dazu BGH, Urteile vom 20. November 1961 - 2 StR 521/61, BGHSt 16, 394, 395 f.; vom 4. Juli 1984 - 3 StR 134/84, NStZ 1984, 455) durch den einzigen ihm bekannten Bewohner ausging. Für den Fall, dass die Strafe erneut dem § 306c StGB zu entnehmen ist, wird bei der Strafrahmenwahl zu beachten sein, dass diese eine umfassende Gesamtwürdigung aller strafzumessungsrelevanten Umstände erfordert. Eine Strafzumessungsregel des Inhalts, dass die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe im Allgemeinen mindestens bedingten Tötungsvorsatz oder die Verursachung des Todes mehrerer Menschen voraussetze (s. UA S. 115), existiert nicht.

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II. Revision des Angeklagten

18

Die auf die erhobene Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ergeben; seine Revision erweist sich deshalb als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Becker     

      

Schäfer     

      

Spaniol

      

Berg     

      

Hoch