Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 25.07.2017


BGH 25.07.2017 - 3 StR 119/17

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Darlegung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen psychotischer Erkrankung und der Tat


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
25.07.2017
Aktenzeichen:
3 StR 119/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2017:250717B3STR119.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Hildesheim, 30. November 2016, Az: 17 Js 20201/16 - 12 Ks
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 30. November 2016 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

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I. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte, der ab dem Jahr 2014 vermehrt Amphetamin konsumierte, an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie oder an einer durch psychotrope Substanzen hervorgerufenen psychotischen Störung. Diese Grunderkrankung führt zu wahnhaften Verfolgungsvorstellungen. In der Mitte des Jahres 2014 und im Verlauf des Jahres 2015 befand er sich in einer hochakuten psychotischen Phase, litt unter Verfolgungsängsten und befürchtete, vergiftet und abgehört zu werden. Nachdem er im Herbst 2015 eine neue Lebensgefährtin gefunden hatte und mit dieser zusammengezogen war, stabilisierte sich seine persönliche Situation, sein psychischer Zustand verbesserte sich aber nicht wesentlich. Im November 2015 wurde er wegen geäußerter suizidaler Gedanken in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, in der er seine anhaltenden Verfolgungsvorstellungen bekundete, allerdings nach vier Tagen "bei rückläufiger Wahnvorstellung" entlassen wurde. Im Februar 2016 wurde er erneut eingewiesen, nachdem er seine Lebensgefährtin im Zuge einer Auseinandersetzung in den Bauch geboxt hatte; in der Klinik wurde indes weder eine Fremd- noch eine Eigengefährdung festgestellt und der Angeklagte auf eigenen Wunsch entlassen.

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Im Juni 2016 lieh sich der Angeklagte von einer Bekannten ein Messer, das er aber am Folgetag zurückgeben wollte. Auf einem Schützenfest nahm der Nebenkläger das Messer an sich und brachte es später mit in die Wohnung der Bekannten, in der es deren Lebensgefährte außer Sichtweite auf einen Schrank legte; dies vergaß er infolge seiner Alkoholisierung.

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Am Tattag forderte die Bekannte das Messer von dem Angeklagten zurück, der antworten ließ, dass der Nebenkläger das Messer haben müsse, an den er es weitergegeben habe. Darauf angesprochen antwortete dieser der Bekannten, dass er das Messer nicht mehr habe. Da er zunehmend den Eindruck gewann, dass seine Freunde ihm nicht glaubten und ihn der Unterschlagung des Messers verdächtigten, geriet der Nebenkläger in Zorn. Er verabredete sich mit dem Angeklagten, um mit diesem über den Verbleib des Messers zu sprechen; es kam zum Streit, zunächst auf dem Parkplatz eines Supermarkts und alsdann in der Wohnung der Bekannten. Im Gegensatz zu dem Nebenkläger, der immer erboster wurde, blieb der Angeklagte ruhig und verließ nach dreißig Minuten mit seiner Lebensgefährtin "genervt" die Wohnung; sie machten sich auf den Nachhauseweg. Der Nebenkläger folgte ihnen und ließ sich zur Wohnung des Angeklagten bringen. Unterwegs sahen er und seine Begleiterinnen den Angeklagten und seine Lebensgefährtin in Richtung eines weiteren Supermarkts gehen und fuhren auf dessen Parkplatz. Als der Angeklagte diesen erreichte, stieg der Nebenkläger aus und fasste den Angeklagten an der Schulter, um noch einmal über die "Messer-Geschichte" zu reden. Der Angeklagte wollte dies nicht und war erneut "genervt". Er ergriff nun einen zufällig mitgeführten Brieföffner, um den Nebenkläger abzuschrecken; dieser sah das, wollte aber nicht auf Distanz zum Angeklagten gehen. Die Männer schubsten sich gegenseitig und der Angeklagte wurde immer ungehaltener und aggressiver. Gleichwohl wollte er sich der Situation entziehen und verließ mit seiner Lebensgefährtin den Parkplatz, um mit ihr den Nachhauseweg fortzusetzen. Der Nebenkläger rief dem Angeklagten eine Beleidigung nach, die dieser mit einer weiteren parierte. Das wiederum wollte der Nebenkläger nicht hinnehmen und lief dem Angeklagten hinterher, um ihn zur Rede zu stellen.

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Ausweislich der landgerichtlichen Feststellungen befand sich der Angeklagte ab diesem Zeitpunkt im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit: Infolge seiner oben genannten Grunderkrankung habe er Verfolgungsängste gehabt, die durch das Verhalten des Nebenklägers verstärkt worden seien.

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In der folgenden beidseitigen Rangelei entschloss sich der Angeklagte, der durch das penetrante Verhalten des Nebenklägers zunehmend verärgert war, diesen körperlich abzustrafen und dabei auch den Brieföffner als Waffe einzusetzen, um die Auseinandersetzung definitiv zu beenden. Zu diesem Zweck stach er seinem zuvor gefassten Tatenschluss folgend mit dem Brieföffner zwei Mal in den linken Brustbereich des Nebenklägers etwa zehn Zentimeter oberhalb des Herzens. Die Spitze drang jeweils zwei bis drei Zentimeter in dessen Körper ein. Dabei war dem Angeklagten bewusst, dass er durch diese Handlungen schwerwiegende lebensgefährliche Verletzungen hervorrufen konnte; die mögliche Todesfolge nahm er billigend in Kauf. Der Nebenkläger blieb zunächst stehen. Der Angeklagte hatte gesehen, dass die von ihm ausgeführten Stiche zwei Mal dessen Haut durchstoßen hatten; er verließ den Tatort gleichwohl und machte sich aus Gleichgültigkeit keine Vorstellungen über die weiteren Folgen seines Handelns. Der Nebenkläger, der kurz danach zusammenbrach, erlitt durch die Stiche, die potentiell lebensgefährlich waren, schwerwiegende Verletzungen.

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II. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist der Schuldspruch gegen den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, zeigt die auf die erhobene Sachrüge durchzuführende umfassende Überprüfung des Urteils auch unter Berücksichtigung der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.

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III. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB kann hingegen keinen Bestand haben.

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1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn unter anderem zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Störung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26. Juli 2016 - 3 StR 211/16, juris Rn. 5 mwN).

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2. Den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Feststellung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Zustand, in dem der Angeklagte sich krankheitsbedingt befand, und der ihm zur Last gelegten Tat genügen die Urteilsgründe nicht.

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Die Diagnose entweder einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie oder einer psychotischen Störung durch psychotrope Substanzen führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit. Es hätte vielmehr einer konkretisierenden Darlegung bedurft, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt haben soll (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75 mwN). Konkrete Feststellungen zu einem etwaigen Effekt der - alternativ begründeten - psychischen Erkrankung auf die Tatbegehung lassen sich den Urteilsgründen indes nicht entnehmen. Die von der Strafkammer mitgeteilte Einschätzung des Sachverständigen, es spreche alles dafür, dass der Angeklagte zur Tatzeit unter einer psychischen Störung im Sinne eines paranoiden Erlebens gelitten habe, weil die in ihm "schlummernden" paranoiden Gedanken, er werde verfolgt, durch die tatsächliche Verfolgung durch den Nebenkläger so verstärkt worden seien, dass ein "akutes Störungsbild" vorgelegen habe, ist nicht geeignet, eine Beeinflussung der von dem Angeklagten begangenen Tat durch dessen psychotische Erkrankung tragfähig zu belegen. Eine solche Beeinflussung ergibt sich hier auch nicht von selbst, denn der Angeklagte wurde tatsächlich von dem Nebenkläger in penetranter Weise verfolgt. Zur Tat kam es erst, nachdem mehrere Versuche, sich der Auseinandersetzung zu entziehen, immer wieder an dem hartnäckigen Verhalten des Nebenklägers gescheitert waren.

12

Über die Maßregelanordnung muss deshalb umfassend neu verhandelt und entschieden werden.

Becker     

       

Gericke     

       

Spaniol

       

Tiemann     

       

Berg