Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 07.02.2012


BPatG 07.02.2012 - 3 Ni 30/10 (EP)

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung Patentnichtigkeitsklageverfahren – „Biodegradable polymeric compositions comprising starch and thermoplastic polymer“ - zur Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
07.02.2012
Aktenzeichen:
3 Ni 30/10 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 0 937 120

(DE 697 30 852)

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm, der Richter Guth, Dipl.-Chem. Dr. Egerer, der Richterin Dipl.-Chem. Zettler sowie des Richters Dipl.-Chem. Dr. Lange

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 0 937 120 wird im Umfang seiner Ansprüche 21 und 22 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Prioritäten IT TO960890 vom 5. November 1996 und IT TO960996 vom 9. Dezember 1996 am 5. November 1997 angemeldeten und unter anderem für die Bundesrepublik Deutschland in der Amtssprache Englisch erteilten Europäischen Patents EP 0 937 120 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 697 30 852 geführt wird und der internationalen Patentanmeldung WO 1998/020073 entstammt. Die Erteilung des Patents mit der Bezeichnung "Biodegradable polymeric compositions comprising starch and a thermoplastic polymer" (Biologisch abbaubare Polymerzusammensetzungen, die Stärke und ein thermoplastisches Polymer enthalten) wurde 22. September 2004 veröffentlicht.

2

Das Streitpatent umfasst in der erteilten Fassung 22 Patentansprüche, von denen die Ansprüche 21 und 22 angegriffen sind. Der erteilte Patentanspruch 21 und der auf ihn rückbezogene Patentanspruch 22 haben folgenden Wortlaut:

Abbildung

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3

In der deutschsprachigen Übersetzung lauten die Patentansprüche 21 und 22:

Abbildung

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4

Die Klägerin macht hinsichtlich dieser Patentansprüche die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der fehlenden Ausführbarkeit geltend. Sie stützt ihr Vorbringen auf folgende Dokumente:

5

K1 Streitpatentschrift EP 0 937 120 B1

6

K1a Deutsche Übersetzung des Streitpatents DE 697 30 852 T2

7

K2 Registerauszug des DPMA zu Aktenzeichen-DE: 697 30 852.9 vom 27. Dezember 2009

8

K3 Merkmalsgliederung des Anspruchs 21 von K1a

9

K4 WO 90/05161 A1

10

K5 WO 96/31561 A1

11

K6 U. Seeliger, "Biologisch abbaubar", PLASTVERARBEITER, 47. Jg., 1996, Nr. 1 (Januar 1996), S. 62 und 67

12

K7 I. Tomka et al., "Thermoplastic Starch Compounds: Physico-Chemical Backgrounds, Processing Conditions, Properties",

13

DAVOS RECYCLE'93, International Forum and Exposition, Davos, CH, 22.-26. März 1993 (1993)

14

K8 S. Simmons et al., "Structural Characteristics of Biodegradable Thermoplastic Starch/Poly(ethylene-vinyl alcohol) Blends", J. Appl. Polym. Sci., Vol. 58, S. 2259-2285 (1995)

15

K9 I. Tomka et al., "Thermoplastic Starch/Polymer Blends: Structure, Properties, Application", CIIA Symposium, Paris, FR, 20.-21. November 1991, S. 309-322 (1991)

16

K10 WO 92/19680 A1

17

K11 Schriftsatz der Patentanmelderin vom 5.1.2004 an das Europäische Patentamt im Erteilungsverfahren zum Streitpatent

18

K12  3 Ni 3/10 (EU) BPatG Urteil vom 24.5.2011

19

K13 EP 0 947 559 B1

20

K13a DE 697 31 396 T2

21

K14 Tabellarischer Vergleich der Merkmalsgliederungen: K13a Anspruch 1 gemäß Hauptantrag mit Anspruch 21 des Streitpatents

22

K15 T1819/07 Entscheidung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 15.3.2011

23

K16 Kirk-Othmer, Encyclopedia of Chemical Technology, 4th Ed., Vol. 22, John Wiley & Sons (1997), Seiten 256 bis 278

24

K17 Konkordanzliste von 3 Ni 30/10 (EP) zu 3 Ni 3/10 (EU)

25

K18 Tabellarische Übersicht der in Absatz 52 des Streitpatents (K1a) angegebenen Beispiele für "mit Stärke inkompatible" Polymere

26

K19 Raymond B. Seymour und Charles E. Carraher, Jr., "Polymer Chemistry", 3th Ed., Marcel Dekker, Inc., New York Basel Hong Kong (1992), Seiten 325 bis 326

27

K20 A. A. Collyer und L. A. Utracki, "Polymer rheology and processing", Elsevier Applied Science, London and New York (1990), S. 85

28

K21 Analysebericht von BIOTEC, "Quantitative Mikrostruktur-analyse für Abbildung 15 b) "WM50" und Abbildung 16b) "NC50" von Anlage K8 mit korrigierter Seite 4, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 7.2.2012

29

K22 EP 0 512 360 A1 (K13 im 3 Ni 3/10 Parallelverfahren)

30

K23 WO 91/02025 A1 (K11 im 3 Ni 3/10 Parallelverfahren)

31

K24 WO 92/14782 A1 (K12 im 3 Ni 3/10 Parallelverfahren)

32

K25 WO 93/09171 A1 (K14 im 3 Ni 3/10 Parallelverfahren)

33

K26 EP 0 560 244 A2 (K15 im 3 Ni 3/10 Parallelverfahren)

34

K27 Textstellen im Stand der Technik zu Entgasung während der Extrusion, Tabellarische Übersicht zu Entgasung in K10 und K22 - K26

35

K28 Versuchsbericht von BIOTEC: Nacharbeitung von Beispiel 3 auf Seite 14 der Patentanmeldung WO 96/31561 (Anlage K5)

36

K28a Analysebericht von BIOTEC: Quantitative Mikrostrukturanalyse der Probe 11127 (0,18 % Wassergehalt) mit Hilfe der "Image Tool 3.0" Software

37

K29 Herstellungsbedingungen des Beispiels 3 auf Seite 14 der K5 [Schaubild zu Tabelle 1 auf Seite 14 von K5 (K22 im 3 Ni 3/10 Parallelverfahren)]

38

K30 Versuchsbericht von BIOTEC: Nacharbeitung von Tomka, Paris 1991 (Anlage K9)

39

K31 "Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie", 4. Auflage, Band 15, Verlag Chemie Weinheim New York (1978), Seite 216

40

K32 Versuchsbericht von BIOTEC: Untersuchung zum Einfluss der Dauer der Säureätzung von Stärke-Polyester-Blends mit 5 M HCl

41

sowie auf die in der mündlichen Verhandlung überreichten Dokumente

42

Schaubild "Wirkungsweise von Phasenvermittlern"

43

Schaubild "Bildung eines Phasenvermittlers vom Typ A)e) [K1a] in-situ".

44

Die Klägerin ist der Ansicht, die Gegenstände der angegriffenen Ansprüche 21 und 22 des Streitpatents seien nicht ausführbar, da Messmethoden zur Bestimmung der Mikrostruktur und Verfahrensparameter weitestgehend nicht genannt und unklare Begriffe verwendet würden. Insbesondere fehle es an der Ausführbarkeit der extrem breiten Ansprüche für solche Materialien, die keinen Ester vom Typ A) a) gemäß Absatz [0015] des Streitpatents darstellten, der für die in Anspruch 21 genannte Mikrostruktur unerlässlich sei.

45

Außerdem seien die Gegenstände der streitgegenständlichen Ansprüche durch den Stand der Technik gemäß K5, K7 und K8 neuheitsschädlich getroffen. Dabei sei davon auszugehen, dass "mit Stärke inkompatibel" im Sinne des Streitpatents solche Polymere seien, die mit Stärke nicht vollständig mischbar seien, so dass beim Mischen eine heterophasige Struktur entstehe. Der Fachmann entnehme der K7 aufgrund seines allgemeinen Fachwissens, dass ein amphiphiles Polymer eingesetzt werde. Darüber hinaus ergäben sich die Merkmale der beanspruchten Erfindung für den Fachmann in naheliegender Weise aus seinem allgemeinen Fachwissen in Verbindung mit dem Stand der Technik gemäß K9 und K7.

46

Soweit die Beklagte der Auffassung sei, die Entgegenhaltungen ständen der Patentfähigkeit nicht entgegen, weil deren Gegenstände nicht ausführbar seien und dies mit Vergleichsversuchen belegen wolle, handele es sich - wie entsprechende Untersuchungen der Klägerin belegten - nicht um korrekte Nacharbeitungen.

47

Die Klägerin stellt den Antrag,

48

das europäische Patent 0 937 120 im Umfang seiner Patenansprüche 21 und 22 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

49

Die Beklagte stellt den Antrag,

50

die Klage abzuweisen

51

und beantragt die Gewährung einer Schriftsatzfrist zur Erwiderung auf den Schriftsatz der Klägerin vom 30. Januar 2012, insbesondere zu den mit diesem Schriftsatz vorgelegten Gutachten K30 und K32.

52

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und verweist auf die Dokumente:

53

NB1 Internetauszug von 2007: "European Inventor of the Year 2007" (http://www.epo.org/about-us/events/archive/2007/patent-forum/inventor2007.html)

54

B1 Cor Koning et al., "Strategies for compatibilization of polymer blends", Prog. Polym. Sci., Vol. 23, Seiten 707 bis 757, 1998

55

B2 Analysebericht von Novamont S.p.A. vom 29.11.2011 Reproduction of Tomka I. et al., "Thermoplastic Starch Compounds: Physico-Chemical Backgrounds, Processing Conditions, Properties", Davos Recycle '93 International Forum and Exposition - in situ formation of amphiphilic polymers - Seiten 1 bis 11

56

B3 Analysebericht von Novamont S.p.A. vom 13.12.2011 Reproduction of Tomka I. et al., "Thermoplastic Starch Compounds: Physico-Chemical Backgrounds, Processing Conditions, Properties", Davos Recycle '93 International Forum and Exposition - Addition of external amphiphilic polymers - Seiten 1 bis 8

57

B4 E. R. George et al., "Thermoplastic Starch Blends With a Poly(Ethylene-Co-Vinyl Alcohol): Processability and Physical Properties", Polymer Engineering and Science, Mid-January 1994, Vol. 34, No. 1, Seiten 17 bis 23

58

B5 Analysebericht von Novamont S.p.A. vom 13.12.2011 Reproduction of Tomka I. et al., "Thermoplastic starch/polymer blends: Structure, Properties, Applications", Symposium International "Valorisation industrielle non alimentaire des productions de grande culture", 20 et 21 Novembre 1991 - Paris, Seiten 1 bis 10

59

B6 Analysebericht von Novamont S.p.A. vom 3.5.2011, Ex. 3 WO 96/31561 reproduction: Part I film blowing and tear resistance, Seiten 1 bis 8, und Part II SEM microstructural analysis, Seiten 1 bis 5

60

B7 von Novamont S.p.A. vom 3.5.2011, Effect of phase mediator in heterophase compositions comprising starch and a thermoplastic polymer incompatible with starch at water content during mixing above and below 1 %, Seiten 1 bis 17

61

B8 Analysebericht von Novamont S.p.A. vom 15.12.2011, Example 17 of WO 92/19680 reproduction, Seiten 1 bis 8

62

B9 Analysebericht von Novamont S.p.A. vom 15.12.2011, Reproduction of the teaching of WO 92/19680 with a composition based on PCL and starch including EVOH, Seiten 1 bis 8

63

B10 Analysebericht von Novamont S.p.A. vom 3.5.2011, Ex 1B and 2B of EP 0 937 120 B1 reproduction, Seiten 1 bis 8

64

B11 Analysebericht von Novamont S.p.A. vom 23.9.2011, Effect of acid etching conditions in heterophase compositions comprising thermoplastic starch and a thermoplastic polymer incompatible with starch, Seiten 1 bis 7

65

B12 Teilchengrößenverteilungen gemäß Figuren 1 und 2

66

B13 Berufungsbegründung der Patentinhaberin in Sachen der EP 0 947 559 (3 Ni 3/10 (EU)) vom 17. Januar 2012 samt Anlagen an den Bundesgerichtshof

67

B14 Manual / Gebrauchsanleitung von Stereoscan 260, Scanning Electron Microscope Operating Instructions, Ausgabe 4. Mai 1990.

68

Die Beklagte ist der Ansicht, die Lehre von Anspruch 21 des Streitpatents sei hinreichend deutlich offenbart, da der Fachmann die üblichen Methoden zur Messung der Partikelgröße im Streitpatent mitlese.

69

Die Gegenstände der streitgegenständlichen Patentansprüche seien neu und beruhten auf erfinderischer Tätigkeit. Das in K7 beschriebene EVOH stelle kein mit Stärke inkompatibles Polymer im Sinne des Streitpatents dar und sei mangels Nennung konkreter Verfahrensbedingungen nicht ausführbar. Vor allem aber wirkten die amphiphilen Polymere gemäß Streitpatent rein physikalisch, während K7 und K5 eine chemische Bindung, d. h. molekulare Koppelung beträfen. K8 offenbare im Unterschied zum Streitpatent nur stärkehaltige Domänen, die nicht in den Anspruch 21 des Streitpatents angegebenen Größenbereich fielen.

70

Eine Zusammenschau von K9 mit K7 und K8 führe nicht zum Gegenstand des Streitpatents, da die Mittel zur Erreichung der Mikrostruktur dort nicht offenbart seien. K5 und K10 verwendeten gänzlich andere Mittel als das Streitpatent.

71

Die zu den Entgegenhaltungen angestellten Vergleichsversuche der Beklagten seien unter den in den jeweiligen Druckschriften offenbarten Verfahrensbedingungen durchgeführt worden. Sie beantragt die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Fragen,

72

ob das Gutachten B2 auf einer der Lehre der K7 entsprechenden Nacharbeitung beruht,

73

ob das Gutachten B6, nicht aber K28, auf einer der Lehre der K5 entsprechenden Nacharbeitung beruht,

74

und

75

ob das Gutachten B5, nicht aber K30, auf einer der Lehre der K9 entsprechenden Nacharbeitung beruht.

Entscheidungsgründe

I.

76

Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. b EPÜ) und mangelnder Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ) gestützte Klage ist zulässig. Sie erweist sich auch als begründet. Der von der Klägerin geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit führt zur Nichtigkeit des Streitpatents im Umfang der angegriffenen Patentansprüche 21 und 22, da sich deren patentgegenständliche Lehre gegenüber dem vorgebrachten Stand der Technik jedenfalls als nicht erfinderisch erweist.

77

1. a) Das Streitpatent betrifft biologisch abbaubare polymere Zusammensetzungen mit hohem Widerstand gegen Alterung und gegen geringe Feuchtigkeit, umfassend thermoplastische Stärke und ein mit Stärke inkompatibles thermoplastisches Polymer. In diesen Zusammensetzungen konstituiert die Stärke die dispergierte Phase und das thermoplastische Polymer konstituiert die kontinuierliche Phase (vgl. K1a Abs. [0001]).

78

Zum Stand der Technik ist in der Streitpatentschrift ausgeführt, dass es bekannt sei, dass die mechanischen Eigenschaften, insbesondere die Reißfestigkeit von Produkten (Filmen), die aus Zusammensetzungen hergestellt seien, welche thermoplastische Stärke und ein mit Stärke inkompatibles thermoplastisches Polymer enthielten, bei denen die Stärke die disperse Phase konstituiere, beträchtliche Verschlechterungen erführen, weil die Stärke Wasser abgebe oder absorbiere, bis sie mit der Umgebungsfeuchtigkeit im Ausgleich sei (K1a Abs. [0003]). Unter Bedingungen relativ niedriger Feuchtigkeit, beispielsweise bei 20 % Feuchtigkeit, zeige das Material die Tendenz, fragil zu werden, weil die disperse Phase wegen Wasserverlusts ungenügend plastifiziert werde, wodurch die Transformationstemperatur über die Umgebungstemperatur steige (K1a Abs. [0004]). Wenn unter diesen Umständen die Stärkepartikel, welche die disperse Phase ausmachten, belastet seien, könnten sich diese nicht verformen und die Belastung aufnehmen, sondern blieben starr, wodurch das Zerreißen ausgelöst würde (K1a Abs. [0005]).

79

Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, biologisch abbaubare, heterophasige Zusammensetzungen, die thermoplastische Stärke und ein mit Stärke inkompatibles thermoplastisches Polymer aufweisen und in denen die Stärke die disperse Phase und das Polymer die kontinuierliche Phase ausmachen, bereitzustellen, die geeignet sind, gute mechanische Eigenschaften auch bei geringer relativer Feuchtigkeit zu bewahren (vgl. K1a Abs [0015] Zn. 1 bis 4).

80

Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 21 durch ein

81

1 Material, das aus heterophasigen Zusammensetzungen gewonnen werden kann,1.1 umfassend thermoplastische Stärke und ein mit Stärke inkompatibles thermoplastisches Polymer,1.2 in dem die Stärke die disperse Phase und das thermoplastische Polymer die kontinuierliche Phase konstituiert,1.3 mit einer Mikrostruktur der dispersen Phase, in der mindestens 80% der Partikel Abmessungen haben, die kleiner als 1 um sind und die durchschnittliche Partikelgröße zwischen 0,1 und 0,5 um beträgt

82

Laut Patentanspruch 22 kommt folgendes Merkmal hinzu:

83

2 Material nach Anspruch 21 in Filmform.

84

b) Bei der Beurteilung des Gegenstandes des Streitpatents, nämlich einer Zusammensetzung von Polymeren mit verbesserten Eigenschaften, ist das Wissen und Verständnis des einschlägigen Fachmanns bezüglich der Kompatibilisierung von Polymermischungen(blends) von Bedeutung. Der zuständige Fachmann ist hier als Diplom-Chemiker der Fachrichtung makromolekulare Chemie bzw. Polymerchemie zu definieren, der mit der Entwicklung von umweltverträglichen polymeren Zusammensetzungen betraut ist, die zum Einen gut biologisch abbaubar sind und zum Anderen eine hohe mechanische Festigkeit mit geringer Neigung zur Alterung aufweisen, und der sich praktisch wie theoretisch weitgehende Kenntnisse auf dem Gebiet der Herstellung solcher Materialien angeeignet hat.

85

c) Zur Erläuterung dieses Wissens wird auf den Übersichtsartikel von Cor Koning et al. (B1), der Strategien zur Kompatibilisierung von Polymermischungen zusammenfasst, Bezug genommen. Dieser Übersichtsartikel ist zwar nachveröffentlicht, die zitierten Literaturstellen, die in B1 abgehandelt werden, sind jedoch alle vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents veröffentlicht, so dass der darin beschriebene Stand der Technik vor diesem Zeitpunkt dem aufmerksamen Fachmann bekannt war und damit zum fachmännischen Wissen gehörte (vgl. B1 Kap. 1. SCOPE S. 709 - 710). Dies entspricht dem Vorbringen der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung im Verfahren 3 Ni 3/10 (EU) (vgl. B13 Kap. III., dort S. 9).

86

Durch das Mischen von verschiedenen Polymeren werden neue Polymermischungen erhalten, die in der Regel gegenüber den individuellen Polymeren verbesserte Eigenschaften aufweisen. Die Polymermischungen können im Ergebnis homogen bis heterogen sein. In homogenen Mischungen verlieren beide Mischkomponenten ihre Identität und die Produkteigenschaften stellen das arithmetische Mittel beider Komponenten dar. In heterogenen Mischungen bleiben die Eigenschaften aller Komponenten erhalten. Die bekanntesten und meist erhaltenen Mischstrukturen sind (i) Dispersionen von einem Polymeren in der Matrix eines anderen Polymeren und (ii) co-kontinuierliche Zweiphasenstrukturen. Welche der beiden Strukturen erhalten wird, hängt ua von der Natur der Mischkomponenten, der Viskosität und deren Verhältnis zueinander, der Mischtemperatur und dem Mischungsverhältnis der Komponenten ab. (vgl. B1 Kap. 2. BASIC PRINCIPLES Punkt 2.1.).

87

Die meisten Mischungen sind vollständig unmischbar. Sie haben eine grobe Phasenstruktur, die Phasengrenzfläche ist scharf und die Adhäsion dazwischen ist gering, dh diese Mischungen müssen kompatibilisiert werden, um einen synergistischen Effekt bezüglich der Komponenteneigenschaften zu erzielen (vgl. B1 Kap. 2. BASIC PRINCIPLES Punkt 2.3. dort S. 712 Abs. 2). Die Kontrolle der Phasenstruktur während des Mischverfahrens ist entscheidend, um die neuen Materialien mit verbesserten Eigenschaften bezüglich der unmischbaren Ausgangssubstanzen zu erhalten. Zur Mischung der Komponenten haben sich in der Praxis Doppelschneckenextruder als am besten geeignet erwiesen, wobei hier u. a. die Temperatur, Geschwindigkeit und die Zeit während des Mischens im Mischprozess (im Extruder) zu beachten sind (vgl. B1 Kap. 2. BASIC PRINCIPLES Punkt 2.4.1.2. insb. S. 715 Abs. 3).

88

Zur Kompatibilisierung werden Makromoleküle (Polymere) verwendet, die grenzflächenaktive Eigenschaften aufweisen. Üblicherweise umfassen diese grenzflächenaktiven Polymere Blockstrukturen mit einem Block, der mit einer Mischungskomponente mischbar ist, und einem anderen Block, der in der anderen Mischungskomponente mischbar ist. Diese Blockstrukturen können auch in-situ während des Mischungsprozesses erzeugt werden. Die grenzflächenaktiven Polymere verringern die Grenzflächenspannung zwischen den Phasen. Je kleiner die Grenzflächenspannung zwischen den Phasen ist, desto kleiner wird der Durchmesser der erzeugten Tropfen (Teilchen) des in der Matrix dispergierten Polymers 1. Üblicherweise können durchschnittliche Partikelgrößen im Submikrobereich erreicht werden. Durch den Einsatz geeigneter Kompatibilisierungsmittel erhöht sich die Adhäsion zwischen den Grenzflächen, was Belastungen zwischen den Phasen abschwächt, so dass auftretende Risse nicht weiterwachsen können. Folgenschwere Fehler in der Matrix, die aus äußeren Belastungen herrühren, werden in Folge verhindert (vgl. B1 Kap. 2. BASIC PRINCIPLES Punkt 2.4.2.).

89

d) Der Begriff "inkompatibel" im Zusammenhang mit Merkmal 1.1 bedarf der Erläuterung. Zur Beurteilung dieses Begriffs ist nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bestimmung der in der Patentschrift verwendeten Begriffe entscheidend, sondern das Verständnis des unbefangenen Fachmanns. Patentschriften stellen im Hinblick auf die dort gebrauchten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon dar (vgl BGH GRUR 1999, 909 - 914 Spannschraube). Die Patentschrift betrifft Zusammensetzungen der Gruppen A), B) und C). Bezüglich der Zusammensetzung A) ist u. a. ausgeführt, dass die Wirkung von Estern der Klasse a) zur Erzeugung einer Kompatibilität im Fall von Stärke/Polyestersystemen auf der Wechselwirkung zwischen den freien Alkoholgruppen des Esters und jenen der Stärke und zwischen den Estergruppen des Esters, wodurch die Kompatibilität bewirkt wird, und der Polyesterphase beruht (vgl. K1a Abs. [0020] u. [0027]). Gemäß Abs. [0097] können die Zusammensetzungen B) auch die grenzflächenaktiven Mittel umfassen, die für die Zusammensetzungen A) beschrieben wurden. In diesem Fall verbessert der Einsatz des grenzflächenaktiven Mittels zusätzlich die rheologischen Eigenschaften der Zusammensetzungen. Unter diese Zusammensetzungen fallen auch die grenzflächenaktiven polymeren Mittel der Klasse e) (vgl. K1a Abs. [0046]). Insgesamt ist für die Zusammensetzungen A), B) und C) ausgeführt, dass mit Kompatibilitätsbedingungen (mit oder ohne grenzflächenaktive Mittel) während des Mischens mit dem Extruder, die ausreichend gut sind, eine Dispersion von Stärke in Form von Partikeln mit einer durchschnittlichen Größe von weniger als 1 Mikrometer, vorzugsweise weniger als 0,5 Mikrometer, gewonnen werden kann (vgl. K1a Abs. [0030], [0031], [0107] u. [0115]).

90

Dem einschlägigen Fachmann erschließt sich hier die Lehre, dass das thermoplastische Polymer soweit mit der thermoplastischen Stärke kompatibilisiert (vermischt) vorliegen soll, dass das gewünschte Ergebnis, Domänengrößen im Submikrobereich zu erhalten, erreicht wird. Diese Erkenntnis steht auch im Einklang mit seinem diesbezüglichen Fachwissen. Der Begriff "inkompatibel" ist in diesem Zusammenhang demnach so zu verstehen, dass die thermoplastischen Polymere in der Mischung soweit kompatibilisiert sind, dass die Zusammensetzung mit allen ihren beanspruchten Merkmalen erhalten wird. Dies ist auch Gegenstand des Patentanspruchs 21. Dort soll gemäß Merkmal 1.1 das beanspruchte Material thermoplastische Stärke und ein mit Stärke inkompatibles thermoplastisches Polymer umfassen, d. h. der Begriff "inkompatibel" bezieht sich auf das thermoplastische Polymer im Erzeugnis, wobei das Polymer in der oben beschriebenen Form darin vorliegt - nämlich in einer in Bezug auf die thermoplastische Stärke ausreichend kompatibilisierten Form. Im Grenzbereich der verschiedenen Phasen liegt dann eine (teilweise) Vermischung vor.

91

e) Während der Vermischung der Komponenten in der Schmelze können bei den erhöhten Temperaturen chemische Reaktionen ablaufen. So reagieren Hydroxyl(OH)-Gruppen von z. B. Stärke mit freien Säuregruppen anderer Polymere unter Bildung eines Esters, wobei Wasser freigesetzt wird. Da chemische Reaktionen in beide Richtungen (vorwärts und rückwärts) verlaufen, stellt sich bei einer gewissen Konzentration der Edukte und Produkte ein Gleichgewicht ein (Massenwirkungsgesetz). Dieses Gleichgewicht kann durch Entfernen oder Zugeben von Edukten oder Produkten beeinflusst werden. Bei Veresterungsreaktionen geschieht dies üblicherweise durch Entfernen von Wasser aus dem Reaktionsbereich durch Destillation, so dass das Gleichgewicht immer von Neuem in Richtung der Veresterung gedrückt wird. In der Praxis kann es deshalb bei der Vermischung (blend) von Polyestern mit Stärke im Extruder mit Entgasung (Entfernen von Wasserdampf) zu Veresterungs- oder Umesterungsreaktionen kommen. Bei Mischungen mit Stärke wird dabei die hydrophile Stärke an die hydrophobe Polymere angebunden, wobei diese dann in-situ kompatibilisiert werden.

92

f) Bei der Herstellung von Dispersionen von einem Polymeren in der Matrix eines anderen Polymeren fallen grundsätzlich Partikel mit unterschiedlichen Durchmessern an, d. h. es liegt immer eine Partikelgrößenverteilung vor. Zur quantitativen Beurteilung dieser Partikelverteilung ist es deshalb von Vorteil, Mittelwerte bezüglich der Partikelgrößen anzugeben. Der Streitpatentschrift können keine Angaben entnommen werden, welcher Mittelwert unter einer durchschnittlichen Partikelgröße (Patentanspruch 1) bzw. durchschnittlichen numerischen Dimension (Beispiele B1 und B2) gemeint ist. D. h. zur Beurteilung der durchschnittlichen Partikelgröße gemäß Streitpatentschrift können alle in Frage kommenden Mittelwerte herangezogen werden. Der Begriff der durchschnittlichen Partikelgröße im Streitpatent ist dementsprechend zu verstehen.

93

2. Die Klägerin stützt ihr Vorbringen der mangelnden Ausführbarkeit zum Einen auf fehlende Ausführbarkeit über die gesamte Breite des Patentanspruchs 21 und zum Anderen auf fehlende Angaben zu Messmethoden und Verfahrensparametern zur Bestimmung der Mikrostruktur sowie auf diesbezügliche mangelnde Klarheit.

94

a) Was fehlende Angaben zu Messmethoden und Verfahrensparametern zur Bestimmung der Mikrostruktur in Bezug auf das Merkmal 1.3 anbelangt, so stellt diese nach Auffassung des Senats nicht die Ausführbarkeit, sondern vielmehr ausschließlich die Unterscheidbarkeit streitpatentgemäßer Zusammensetzungen von gattungsgemäßen Zusammensetzungen des Standes der Technik und damit deren Abgrenzbarkeit in Frage. Bei dem Merkmal 1.3 handelt es sich lediglich um eine relativ beliebig gezogene Auswahlgrenze, mit deren Hilfe der Fachmann aus dem riesigen Kollektiv von mit Stärke inkompatiblen thermoplastischen Polymeren dasjenige Material selektieren kann, welches voraussichtlich die gestellten technischen Anforderungen erfüllt. Denn die im Einzelnen angewandte Analysenmethode führt nicht zu einem anderen Stoff bzw. nicht zu einer anderen Zusammensetzung. Ziel eines jeden analytischen Verfahrens ist es, die Beschaffenheit einer bestimmten Probe, hier einer den Merkmalen 1, 1.1 und 1.2 unterfallenden Zusammensetzung, zu untersuchen. Wenngleich für ein und dasselbe, unter die Merkmale 1.1 und 1.2 fallende Verfahrensprodukt in Abhängigkeit von üblichen, dem Fachmann geläufigen Messverfahren und von den Verfahrensparametern zur Bestimmung der Mikrostruktur unterschiedliche Messwerte für das Merkmal 1.3 erhalten werden können, so ändert sich dadurch allenfalls die zur Analyse herangezogene Probe (zerstörende oder zerstörungsfreie Analytik), nicht aber die stoffliche Beschaffenheit des jeweiligen zu untersuchenden Produkts an sich.

95

b) Entgegen der Ansicht der Klägerin kann aus einer extrem breiten, quasi aufgabenhaften Formulierung des Patentanspruchs 21 ebenfalls nicht der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung hergeleitet werden (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. b EPÜ). Wie die Klägerin selbst nicht in Abrede stellt, zeigt das Streitpatent jedenfalls anhand zweier konkreter Ausführungsbeispiele, wie heterophasige Zusammensetzungen mit den stofflichen Merkmalen 1.1 und 1.2 in Domänengrößen des beanspruchten Bereichs des Merkmals 1.3 erhalten werden können (vgl. K1a S 21 bis 22 Beispiele 1B, 2B), so dass dem fachkundigen Leser die erforderliche technische Information vermittelt wird, um mit seinem Wissen und Können die streitpatentgemäße Lehre jedenfalls insoweit nachzuarbeiten (vgl. auch BGH GRUR 2010, 916 - Klammernahtgerät).

96

Eine unangemessene Anspruchsbreite, auf welche die Klägerin mit ihrem Vorbringen im Ergebnis abzielt, ist nach der Rechtsprechung für sich allein zwar kein Nichtigkeitsgrund (BGH GRUR 2001, 813, 818 - Taxol; GRUR 2004, 47 LS 2 - blasenfreie Gummibahn I; dagegen BGH GRUR Int. 2010, 749-752 - Thermoplastische Zusammensetzung). Jedoch stellt die Lehre des Patentanspruchs 21 in Anbetracht der streitpatentgemäß äußerst großen Anzahl grundsätzlich geeigneter thermoplastischer Polymere, die nach den schriftsätzlichen Ausführungen der Beklagten lediglich optional Kompatibilitätsvermittler bzw. grenzflächenaktive Mittel erfordern (vgl. Schrifts v 19. Dezember 2011 S. 8 le. Abs.; K1a z. B. Abs. [0030], [0031], [0097], [0107], [0115] u. 0118]), sowie in Anbetracht einer Vielzahl von Ausgestaltungsmöglichkeiten betreffend die Beschaffenheit und damit die Struktur thermoplastischer Stärke nichts anderes dar als ein "Forschungsprogramm" zum Auffinden für spezielle Anwendungen geeigneter Blends von unter die Merkmale 1.1 und 1.2 subsumierbarer Edukte bzw. letztlich nur die Aufgabenstellung im Rahmen des Zielmerkmals 1.3 (vgl. BPatG 3 Ni 47/08 v. 23.11.2010 - Buprenorphinpflaster; EPA T 1063/06 v. 3.2.2009).

97

3. Ob die mangelnde Ausführbarkeit des Gegenstandes des Streitpatents gegeben ist, kann allerdings dahinstehen, da das Material gemäß Patentanspruch 21, wie nachfolgend dargelegt, nicht patentfähig ist.

98

Das Material mit den Eigenschaften 1 bis 1.3 dürfte gegenüber der Offenbarung der Druckschriften K7 und K8 bereits nicht neu sein.

99

a) Aus der Druckschrift K7 geht ein Material hervor, das aus Mischungen von thermoplastischer Stärke (TPS) und hydrophoben Polymeren hergestellt wird. Als mit TPS zu mischende Polymere sind Polyolefine, unterschiedliche Cellulosederivate und aliphatische Polyester aufgeführt. Selbstverständlich handelt es sich bei diesen Polymeren aufgrund ihrer thermischen Verformbarkeit um thermoplastische Polymere. Die TPS bildet die disperse Phase und das Polymer die Matrix, d. h. es liegt eine heterophasige Zusammensetzung vor. Dies entspricht den Merkmalen 1 und 1.2. Die Partikelgröße der dispersen Phase ist mit weniger als 0,2 µm angegeben, d. h. die durchschnittliche Partikelgröße der dispersen Phase ist kleiner als 0,2 µm. Es spricht vieles dafür, dass bei dieser durchschnittlichen Partikelgröße über 80 % der Partikelabmessungen unter 1 µm liegen, und dass damit das Merkmale 1.3 insgesamt erfüllt ist. Entsprechendes gilt für das Teilmerkmal des "inkompatiblen thermoplastischen Polymers" des Merkmals 1.1 insofern, als in K7, neben den mit Stärke ohnehin inkompatiblen Polyolefinen, mit Cellulosederivaten und aliphatischen Polyestern auch solche thermoplastischen Polymere als Matrix eingesetzt werden, die gemäß der Beschreibung des Streitpatents als inkompatibel mit Stärke bezeichnet werden (vgl. K1a Abs. [0052]), und wobei eine Kompatibilisierung im Zuge der Mischung und Verarbeitung entsteht (vgl. K7 Abs. 4 u. 5).

100

Die Druckschrift K8 beschäftigt sich mit Struktureigenschaften von biologisch abbaubaren thermoplastischen Stärke/Poly(ethylen-vinylalkohol)-Mischungen. Es werden ua die Eigenschaften von Extrusionsmischungen aus Amylose-reichen Hylon VII mit Polyethylenvinylalkohol (EVOH) mit 56 Mol% Vinylalkohol untersucht (vgl. K8 Titel und Zusammenfassung). Demnach weist eine HY50 Mischung (Stärke als Hylon VII und EVOH mit jeweils 50 Gew.-% - vgl. S. 2262 Tabelle 1) mit einer feinen Dispersion von kleineren stärkehaltigen Domänen, verteilt in einer grauen Matrix (EVOH), Durchmesser von d < 0,25 µm auf (vgl. K8 S. 2277 li. Sp. Abs. 3 i. V. m. Abs. 2). Dies bedeutet, dass das Material aus einer heterophasigen Zusammensetzung erhältlich ist (Merkmal 1), in dem die Stärke die disperse Phase und das thermoplastische Polymer die kontinuierliche Phase darstellt (Merkmal 1.2). Die Mikrostruktur der dispersen Phase mit Durchmessern der Domänen von < 0,25 µm fällt unter Merkmal 1.3 (siehe obige Ausführungen zu K7). In K8 ist ausgeführt, dass aufgrund des geringeren Kontrasts der kleineren Domänengrößen bei der Messung auf eine gewisse Löslichkeit der Stärke und EVOH Komponenten geschlossen werden kann. Das Vorliegen von diskreten stärkehaltigen Domänen zeigt jedoch, dass der größte Teil der Stärke unmischbar mit dem EVOH ist (vgl. K8 S. 2277 re. Sp. Abs. 1). D. h. das thermoplastische Polymer EVOH ist in der Mischung mit der Stärke im Sinne des Streitpatents "inkompatibel" (Merkmal 1.1).Dass es sich bei dem gemäß K8 eingesetzten Poly(ethylen-vinylalkohol) um ein mit Stärke im Sinne des Streitpatents inkompatibles thermoplastisches Polymer handelt und damit auch das Merkmal 1.1 insgesamt erfüllt ist, ergibt sich aus der Beschreibung des Streitpatents, wonach die expressis verbis als mit Stärke inkompatibel eingestuften thermoplastischen Polyester, darunter das in K10 im Gemisch mit EVOH zum Einsatz gelangende Poly-ε-caprolacton (vgl. K10 S. 27 Beisp. 17 bis 23), auch im Gemisch mit einem bis zu 30-fachen Überschuss an EVOH eingesetzt werden können (vgl. K1a Abs. [0061] i. V. m. Abs. [0052], [0057], [0058] [0060], [0087], [0090], [0091]).

101

Ihren Einwand, dass in Blends gemäß K8 und K10 keine mit thermoplastischer Stärke inkompatiblen thermoplastischen Polymere zum Einsatz kämen und sich deshalb lediglich Stärke-reiche und Thermoplast-reiche Domänen oder co-kontinuierliche Strukturen aus zwei Phasen ausbildeten (vgl. z. B. Schrifts. v. 19. Dezember 2011 S. 10 ff., S. 22 le. Abs. ff.), muss die Beklagte in Anbetracht der Beschreibung des Streitpatents und der damit verbundenen stofflichen Unbestimmtheit bzw. stofflichen Breite des Patentanspruchs 21 auch gegen den Gegenstand des Streitpatents im beanspruchten Umfang gelten lassen. Des Weiteren handelt es sich aufgrund des Wortlauts des Patentanspruchs (Merkmal 1.1 umfassend) und im Hinblick auf den Begriff thermoplastisches Polymer um einen stofflich offenen Sachanspruch, bei dem die Inkompatibilität sich nicht nur auf den Zustand vor dem Verarbeiten der Ausgangsstoffe bezieht, und auch auf den Zustand der Komponenten in dem erhaltenen bzw. erhältlichen Material. Denn Kompatibilität ist für den Erhalt der kleinen Domänen gemäß Merkmal 1.3 zwingend erforderlich, was letztlich durch Zugabe von kompatibilitätsvermittelnden Stoffen, z. B. auch von EVOH im Sinne der Lehre des Streitpatents, erreicht werden kann.

102

b) Ob der Gegenstand des Patentanspruchs 21 gegenüber der Lehre der Druckschriften K7 oder K8 die erforderliche Neuheit aufweist, kann letztlich jedoch dahinstehen. Denn der Gegenstand des Patentanspruchs 21 beruht gegenüber den Druckschriften K7 und K9 oder K8 jedenfalls nicht auf einer erfinderischer Tätigkeit.

103

Bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit ist von dem zugrunde liegenden technischen Problem auszugehen und zu prüfen, ob der Fachmann Anlass dazu hatte, die fraglichen Druckschriften in Betracht zu ziehen, und ob diese ihm Hinweise oder Anregungen zur Lösung des Problems bzw. der Aufgabe geben können (BGH GRUR 2009, 1039 - Fischbissanzeiger). Das ist hier der Fall. Die Druckschriften K7, K8 und K9 betreffen nämlich biologisch abbaubare Polymermischungen aus thermoplastischer Stärke und unpolaren thermoplastischen Polymeren. Sie beschäftigen sich auch mit verbesserten mechanischen Eigenschaften dieser Mischungen im Hinblick auf deren Mikrostruktur.

104

Aus der vorveröffentlichten Druckschrift K9, die ausweislich ihres Titels thermoplastische Stärke-Polymer-Mischungen, deren Struktur, Eigenschaften und Anwendungen betrifft, gehen dementsprechende Mischungen hervor, die neben thermoplastischer Stärke (TPS) und einem unpolaren synthetischen thermoplastischen Polymer wie Polyethylen und Polypropylen, das mit TPS nicht mischbar ist, ein Kompatibilisierungsmittel zur Erzielung der gewünschten Eigenschaften enthalten (vgl. K9 COMPONENTS S. 310 - Merkmal 1.1). Demnach sind die erhaltenen TPS/Polyolefin-Mischungen multiphasig und damit auch heterophasig (Merkmal 1), wobei ein Polymer üblicherweise in dem Anderen dispergiert ist und das Kompatibilisierungsmittel zwischen den Phasengrenzen verteilt ist. Das Kompatibilisierungsmittel soll dabei die Grenzspannung zwischen den Phasen verringern und somit auch die Partikelgröße der dispergierten Teilchen beeinflussen. Dabei ist eine feinere Verteilung der Partikel für die mechanischen Eigenschaften des Materials von wesentlicher Bedeutung (vgl. K9 STRUKTURE S. 310 bis 311). Bezüglich der Eigenschaften der Mischungen wird in K9 darauf hingewiesen, dass a) ein hoher Stärkeanteil zur besseren Erzielung der biologischen Abbaubarkeit und b) eine Polyolefinmatrix hinsichtlich einer guten Wasserbeständigkeit als kontinuierliche Phase vorliegen soll. D. h. die Stärke liegt entsprechend Merkmal 1.2 als die disperse Phase vor und das thermoplastische Polymer bildet die kontinuierliche Phase. Dabei können passende mechanische Eigenschaften nur erzielt werden, wenn die Größe der dispergierten Teilchen klein ist, d. h. wenn der Homogenisierungsgrad hoch ist. Die Verwendung des Kompatibilisierungsmittels verringert nach K9 die Größe der dispergierten Teilchen und verbessert die Belastbarkeit des Materials, u. a. die Reißfestigkeit. Die Vermischung des Kompatibilisierungsmittels mit beiden Phasen verbessert also die Wechselwirkung zwischen den Grenzflächen (vgl. K9 PROPERTIES S. 311 bis 312). In K9 wird vorgeschlagen diese Mischungen in der Praxis durch Homogenisieren in einem Doppelschneckenextruder herzustellen. Da die Struktur der Mischungen von den jeweiligen Temperaturen und Prozessbedingungen abhängt, ist der Herstellungsprozess dementsprechend anzupassen, um die erwünschten Ergebnisse zu erzielen (vgl. K9 PROCESSING S. 313). Dies liegt im konstruktiven Können des Fachmanns.

105

Dem Fachmann, der vor der Aufgabe steht, die mechanischen Eigenschaften von biologisch abbaubaren Zusammensetzungen aus thermoplastischer Stärke und mit Stärke inkompatiblen thermoplastischen Polymeren zu verbessern, erschließt sich damit aus K9 die Lehre, dass Mischungen mit den Merkmalen 1, 1.1 und 1.2 soweit kompatibilisiert werden müssen, dass der Homogenisierungsgrad hoch ist. D. h. die Größe der dispergierten Teilchen soll so klein wie möglich ausfallen. Damit hatte der Fachmann den entscheidenden Hinweis zur Lösung der gestellten Aufgabe, nämlich die Teilchengröße der Stärkedomänen möglichst klein einzustellen. Dies wird gemäß K9 durch Einsatz von Kompatibilisierungsmitteln erreicht.

106

Die einschlägige Druckschrift K7 gibt klare Hinweise, welche Partikelgröße der dispergierten TPS erstrebenswert ist, nämlich kleiner 0,2 µm (Merkmal 1.3), wodurch hervorragende Eigenschaften wie u. a. hohe mechanische Haltbarkeit in biaxial gestreckten Filmen erreicht wird (vgl. K7 le. Abs.). K7 zeigt auch auf, welche Kompatibilisierungsmittel eingesetzt werden können, nämlich in-situ erzeugte amphiphile Polymere, die auf die Moleküle der Matrix im Mischprozess (compounding process) aufgepfropft werden. Der Fachmann hatte damit Anlass, Zusammensetzungen mit den Merkmalen 1 bis 1.2 dahingehend zu verbessern, dass die Partikelgröße der dispergierten TPS unter 0,2 µm liegt und dabei die Streuung der Partikelgröße möglichst gering zuhalten, beispielsweise so, dass mindesten 80 % der Partikel kleiner sind als 1µm sind. Somit gelangt er zwanglos und ohne Weiteres zu einem Material gemäß Patentanspruch 21.

107

Auch die Druckschrift K8 weist dem Fachmann den Weg zur Lösung der gestellten Aufgabe. Die Druckschrift K8 beschäftigt sich mit Struktureigenschaften von biologisch abbaubaren thermoplastischen Stärke/Poly(ethylen-vinylalkohol)-Mischungen mit den Merkmalen 1 bis 1.2 (vgl. die Ausführungen unter I.3.a). Es werden ua die Eigenschaften von Extrusionsmischungen aus Amylose-reichen Hylon VII mit Polyethylenvinylalkohol (EVOH), das 56 Mol% Vinylalkohol enthält, untersucht (vgl K8 Titel und Zusammenfassung). Im dem abschließenden Absatz, der die Einflüsse der Struktur auf die Verarbeitbarkeit und Eigenschaften von Stärke/EVOH-Mischungen zusammengefasst, ist ausgeführt, dass die mechanischen Eigenschaften von Stärke/EVOH-Mischungen auch von der Verteilung der Stärke-haltigen und EVOH-haltigen Phasen abhängen. Kleinere und gleichmäßig verteilte Domänen führen zu mechanischen Eigenschaften, die mehr denen der Mischungen von beiden Komponenten entsprechen. Dagegen wirken sich große Stärkedomänen als Kristallisationspunkte für Belastungseffekte (stress) aus, was zu mechanischen Defekten schon bei geringer Zugbeanspruchung führt. Wenn zwischen Stärke und EVOH eine gewisse Mischbarkeit besteht (also Inkompatibilität im Sinne des Streitpatents) (Merkmal 1.1), erhöht sich die Adhäsion zwischen den Grenzflächen der Phasen. Dadurch können Fehler in der Matrix, die durch Abkoppeln der Domänen von der Matrix herrühren, vermindert werden (vgl. S. 2283 li. Sp. Abs. 3).

108

Der Fachmann entnimmt der Druckschrift K8 direkt die Lehre, dass die Domänengröße der Stärke-haltigen Partikel möglichst klein und gleichmäßig verteilt eingestellt werden muss, um verbesserte mechanische Eigenschaften der Mischungen mit den beiden Komponenten zu erhalten. Dadurch können sich Defekte in der Matrix nicht ohne weiters weiterverbreiten, was wiederum zu einer besseren Belastbarkeit führt. Es wird in K8 auch darauf hingewiesen, dass zwischen den Komponenten an der Grenzfläche der Domänen eine gewisse Mischbarkeit bestehen soll. Im Falle von K8 wird dies durch den hohen Anteil von Polyvinylalkohol in der hydrophoben Matrix erreicht. Aus K8 entnimmt der Fachmann entsprechend Merkmal 1.3 auch die Anregung, die Größe der möglichst kleinen Domänen auf einen Durchmesser unter 0,25 µm einzustellen (d < 0,25 µm) (vgl. K8 S. 2277 li. Sp. Abs. 3 bis re. Sp. Abs. 1), um das erwünschte Ergebnis zu erzielen.

109

Insgesamt hatte der Fachmann damit Anlass, Zusammensetzungen mit den Merkmalen 1 bis 1.2 dahingehend zu verbessern, dass die Partikelgröße der dispergierten TPS unter einer Zielgröße von 0,25 µm liegt, um die angestrebten verbesserten mechanischen Eigenschaften der Mischung zu erhalten.

110

Sofern die Beklagte die Ausführbarkeit bzw. Nacharbeitbarkeit des vorgebrachten Standes der Technik, insbesondere der K7 in Frage stellt, weil darin weder Verfahrensparameter und Vorrichtungen noch Ausführungsbeispiele enthalten seien, vermag dies den Fachmann nicht davon abzuhalten, ausgehend von K9 - Partikelgrößen von 0,2 µm stets im Blickfeld - zu Materialien entsprechend den Merkmalen 1.3 zu gelangen. Die dazu erforderliche experimentelle Arbeitsweise erschließt sich ihm zwanglos aufgrund seines Wissens und Könnens (vgl. vorstehend Kap. I.1.c)).

111

Ein Material mit den Merkmalen 1 bis 1.3 war deshalb für den Fachmann im Hinblick auf die Druckschriften K7 und K9 oder K8 naheliegend, so dass Patentanspruch 21 in der erteilten Fassung, jedenfalls mangels erfinderischer Tätigkeit, keinen Bestand hat.

112

4. Was den auf den Patentanspruch 21 rückbezogenen angegriffenen Anspruch 22 anbelangt, so ergibt sich dessen Merkmal bereits aus K7 bzw K8 oder werden dort zumindest nahegelegt.

113

So ist in K7 aufgezeigt, dass mit den dortigen Mischungen Materialien in Filmform hergestellt werden können (vgl. K7 Abs. 2 v. u.). Auch in K8 sind als typischer Anwendungsbereich für die Stärke/Polymer-Mischungen u. a. Kompostierbeutel, also Folien, beschrieben (Merkmal 2) (vgl. K8 S. 2259 re. Sp. Abs. 1).

114

5. Der von der Beklagten beantragten Gewährung einer Schriftsatzfrist zur Stellungnahme zu den Gutachten K 30 und K 32 bedurfte es nicht, da es auf diese nicht ankam. Im Übrigen hat sich die Beklagte hierzu in der mündlichen Verhandlung ausführlich geäußert.

115

Der Senat hatte auch keine Veranlassung, entsprechend dem Antrag der Beklagten ein Sachverständigengutachten einzuholen, da die von den Parteien für beweiserheblich gehaltenen Fragen rechtliche Bewertungen sowie die Beurteilung von Parteigutachten betreffen, für die die Mitglieder des Senats fachkundig sind (vgl. dazu Thomas-Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 402 Vorbem. Rn. 3; Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl. § 81, Rn. 161; Benkard, Patentgesetz, 10. Aufl., § 88 Rn. 6; § 139, Rn. 125).

III.

116

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.