Entscheidungsdatum: 18.03.2010
Die erzwungene vorzeitige Beendigung einer planmäßigen Doktoraspirantur an einer Universität oder Hochschule der DDR ist ein Eingriff sowohl in den Beruf des Aspiranten als auch in die berufsbezogene Ausbildung zum Forscher der gewählten Fachrichtung.
Der 1937 geborene Kläger begehrt seine Rehabilitierung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) wegen der vorzeitigen Entlassung aus der planmäßigen Aspirantur an einer Universität der DDR.
Nach Tätigkeiten als Arbeiter und Werkzeugmacher besuchte der Kläger die Arbeiter- und Bauernfakultät der Bergakademie F. und die Technische Hochschule I. Ein fünfjähriges Studium der Mineralogie schloss er mit dem Diplom ab und wurde anschließend beim VEB Rechenelektronik M./Z.-M. beschäftigt. Dieser delegierte ihn an das Institut für Mineralogie und Petrographie der K.-M.-Universität L., wo er ab dem 15. März 1965 als planmäßiger wissenschaftlicher Aspirant mit dem Ziel der Erlangung des Doktorgrades aufgenommen wurde. Die vertraglich auf drei Jahre (bis zum 28. Februar 1968) festgelegte Aspirantur endete vorzeitig. Der wissenschaftliche Betreuer des Klägers beantragte mit einem ausführlich begründeten Schreiben vom 5. Mai 1967, die Aspirantur aufzuheben. Ab diesem Tag durfte der Kläger das Institut nicht mehr betreten. Der Leiter der Kaderabteilung des Rektorats der K.-M.-Universität teilte dem Kläger mit Schreiben vom 21. August 1967 mit, die Aspirantur laufe am 31. August 1967 aus, denn er biete nicht die Gewähr dafür, seine Doktorarbeit mit Erfolg abzuschließen; er habe seine bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen mangelhaft betrieben und kaum Ergebnisse aufzuweisen, die Verpflichtungen aus dem Arbeitsplan vom 31. Juli 1964 nicht eingehalten, füge sich nicht in das Kollektiv seiner Arbeitsgruppe ein und handele oft egozentrisch. Das Ministerium für das Hoch- und Fachschulwesen stimmte der Beendigung zu.
Der Kläger kehrte am 2. Oktober 1967 in den VEB Rechenelektronik M./Z.-M. zurück und erhielt dort zunächst befristete Arbeitsverträge als Technologe. Das Arbeitsverhältnis wurde über den 31. März 1968 hinaus nicht verlängert. Ein im April 1968 gestellter Antrag des Klägers, die Aspirantur an der K.-M.-Universität wieder aufnehmen zu dürfen, blieb erfolglos, ebenso Bewerbungen im April 1969 um eine Stelle als Technologe im VEB Rechentechnik in S. und im Mai 1969 als 3. Sekretär beim Deutschen Kulturbund S.
Im August 1969 wurde gegen ihn nach einem Vorfall im Arbeitsamt J. ein Ermittlungsverfahren wegen Staatsverleumdung eingeleitet. Auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft wurde er vom 11. bis 23. September 1969 zur stationären Beobachtung in ein Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie eingewiesen, wo auch ein nervenfachärztliches Gutachten erstellt wurde. Wegen der Freiheitsentziehung vom 11. bis 23. September 1969 wurde der Kläger mit Beschluss des Landgerichts M. vom 5. Januar 1994 strafrechtlich rehabilitiert.
Im Anschluss an seine Einweisung war der Kläger zunächst weiter arbeitslos. Vom 16. Februar bis 2. September 1970 arbeitete er dann beim VEB C. Z. in J. als Werkzeugmacher, ab dem 1. Oktober 1970 beim Kombinat Keramische Werke H./Thüringen als Technologe. Dort war er vom 1. Januar 1976 bis zum 31. Dezember 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter, bis zum 31. Dezember 1985 Mitarbeiter "Standort" und schließlich bis zu seiner Invalidisierung am 31. August 1987 Ingenieur.
Am 28. Juni 1994 beantragte der Kläger seine berufliche Rehabilitierung ab dem 5. Mai 1967 und machte als Benachteiligungen den Abbruch der Aspirantur, seine dreimalige Arbeitslosigkeit in der Zeit von 1968 bis 1990 sowie die rechtsstaatswidrige Einweisung in das Bezirkskrankenhaus geltend.
Das Landesamt für Soziales und Familie lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. Februar 2002 im Wesentlichen mit der Begründung ab, es sei nicht erkennbar, dass der Kläger aus politischen Gründen aus dem Hochschuldienst entlassen worden sei. Den Widerspruch des Klägers wies das Landesamt für Soziales und Familie mit Bescheid vom 18. Januar 2007 zurück.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23. Oktober 2008 abgewiesen. Die planmäßige Aspirantur mit dem Ziel der Promotion sei keine berufsbezogene Ausbildung und kein Beruf im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG. Mit der Promotion sei weder eine zwangsläufige Fortführung zur Habilitation noch die Fortsetzung einer akademischen Karriere an der Universität verbunden gewesen. In der Zeit vom 1. September 1967 bis zum 16. Februar 1970 habe der Kläger weder einen Beruf ausgeübt noch nachweisbare Versuche unternommen, einen qualifikationsgemäßen Beruf auszuüben. Es spreche zwar manches dafür, dass er nach der Beendigung der Aspirantur in dem Ruf gestanden habe, nicht systemkonform zu sein. Doch ergebe sich aus den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit kein operativer Vorgang mit dem Ziel, den Kläger beruflich zu diskriminieren. Zum Zeitpunkt der Aspirantur lägen, soweit erkennbar, keine IM-Berichte zu ihm vor. Zwar könne sich hinter dem Vorwurf, fachlich nicht ordnungsgemäß zu arbeiten, eine systematische Diskriminierung aus politischen Gründen verbergen. Da das Verhalten des Klägers aber von verschiedenen Organisationen und Einrichtungen beanstandet worden sei, hätte es dafür einer übergeordneten Lenkung bedurft. Diese sei nicht erkennbar. Zwar sei durchaus denkbar, dass aus Gründen der Geheimhaltung entsprechende Dokumente nicht erstellt oder vernichtet worden seien, doch auch insoweit fehlten fassbare Anzeichen.
Mit der Revision hat der Kläger die beanspruchte Verfolgungszeit auf den Zeitraum zwischen der Beendigung des Aspiranturverhältnisses (1. September 1967) und dem 2. Oktober 1990 präzisiert. Das Verwaltungsgericht habe den Charakter der Aspirantur falsch eingeschätzt. Sie sei im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG Berufsausübung im erlernten Beruf und berufsbezogene Ausbildung gewesen. Die Entlassung habe ihm konkrete Aufstiegschancen genommen, aber auch die weitere Ausübung seines Berufes als Diplom-Mineraloge verhindert. Auch den politischen Charakter der Entlassung habe das Verwaltungsgericht verkannt. Sein damaliger wissenschaftlicher Betreuer sei Mitglied des ZK der SED gewesen und habe ihm seine Weigerung verübelt, in die SED einzutreten. Außerdem sei seine Kaderakte nach der Relegation verschwunden. Dadurch sei es ihm unmöglich gewesen, auch nur eine sozial gleichwertige Tätigkeit aufzunehmen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Revision hat keinen Erfolg. Zwar verletzt das angefochtene Urteil Bundesrecht, soweit es die Aspirantur nicht als Beruf und berufsbezogene Ausbildung im Sinne von § 1 Abs. 1 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) anerkennt. Es erweist sich jedoch aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO); denn die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen tragen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den Schluss, dass die beruflichen Nachteile des Klägers nicht verfolgungsbedingt waren.
1. Der Kläger hat im Revisionsverfahren sein Klagebegehren in zulässiger Weise klargestellt. Mit der Präzisierung der Verfolgungszeit (vgl. § 17 Abs. 1 i.V.m. § 22 Abs. 1 Nr. 3 BerRehaG) hat er zugleich verdeutlicht, dass er nur die vorzeitige Beendigung der Aspirantur als - in seinem Berufsweg fortwirkende - Eingriffsmaßnahme betrachtet.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Verfolgter im Sinne des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG, auf den sich der Kläger stützt, liegen nicht vor. Danach muss ein Betroffener durch eine "andere", also nicht unter Nr. 1 bis 3 fallende Maßnahme im Beitrittsgebiet zumindest zeitweilig daran gehindert worden sein, seinen bisher ausgeübten, begonnenen, erlernten oder durch den Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung nachweisbar angestrebten Beruf auszuüben; außerdem muss diese Maßnahme der politischen Verfolgung gedient haben.
Mit der vorzeitigen Beendigung der planmäßigen Doktoraspirantur war ein Eingriff in eine Rechtsposition im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG verbunden. Die Aspirantur war durch eine Doppelnatur als eigenständiger Beruf und zugleich als Ausbildung für einen angestrebten neuen Beruf gekennzeichnet. Ihre erzwungene vorzeitige Beendigung kommt darüber hinaus - worauf hier nur der Vollständigkeit halber hingewiesen sei - als Anknüpfungspunkt für Benachteiligungen in der beruflichen Tätigkeit bei dem Betrieb in Betracht, der den Aspiranten an die Hochschule entsandt hat, was der Kläger mit Blick auf das Auslaufen seiner Tätigkeit als Diplom-Mineraloge im VEB Rechenelektronik M./Z.-M. zum 1. April 1968 geltend macht. Diese Unterscheidungen sind nicht nur für die Prüfung der Verfolgungszusammenhänge und -zeiten von Bedeutung, sondern auch etwa für die im rentenrechtlichen Nachteilsausgleichsverfahren vorzunehmende Eingruppierung in eine Qualifikationsgruppe (Anlage 13 zum Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI; dazu Urteil des Senats vom 27. April 2006 - BVerwG 3 C 15.05 - Buchholz 428.8 § 22 BerRehaG Nr. 1 = ZOV 2006, 287).
a) Die Aspirantur ist zum einen ein Beruf im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG. Das ergibt sich aus der Verordnung über die wissenschaftliche Aspirantur an den Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik vom 15. November 1951 (GBl der DDR S. 1091; im Folgenden: VO 1951). Sie bestimmte die Aufnahmemodalitäten und den rechtlichen Rahmen der Tätigkeit.
§ 3 VO 1951 sah vor, dass planmäßige und außerplanmäßige Aspiranturen vergeben werden durften. Beide konnten den Erwerb des Doktorgrades (Doktoraspiranturen) oder die Habilitation zum Ziel haben. Auch die planmäßige Doktoraspirantur war als befristeter vollzeitiger Beruf ausgestaltet. Zugelassen werden konnten nur hauptberuflich Beschäftigte mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Während die außerplanmäßigen Aspiranten ihre hauptberufliche Tätigkeit außerhalb der Universität beibehielten (§ 5 VO 1951), waren planmäßige Aspiranten von den sie delegierenden Betrieben oder sonstigen Arbeitsstellen freizugeben (§ 9 VO 1951). Mit ihrer Zulassung wurden sie in die aufnehmende Universität oder Hochschule eingegliedert und deren Angehörige neben Hochschullehrern und wissenschaftlichen Mitarbeitern (vgl. Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR
b) Die planmäßige Aspirantur ist jedoch zugleich als berufsbezogene Ausbildung für einen nachweisbar angestrebten (neuen) Beruf im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG anzusehen. Nach § 1 VO 1951 war sie zur systematischen Ausbildung von Hochschullehrern und Forschern eingerichtet und befähigte zur Übernahme einer solchen Tätigkeit (VO 1951 Präambel). Dabei führte zwar nur die Aspirantur mit dem Ziel der Habilitation unmittelbar zum Beruf des Hochschullehrers; für diesen war die Doktoraspirantur, worauf der Beklagte richtig hinweist, nur eine notwendige Vorstufe. Jedoch führte die Doktoraspirantur daneben unmittelbar zu dem Beruf des Forschers (§ 4 VO 1951). Die berufliche Ausrichtung wurde mit der gewählten Fachrichtung bei Aufnahme in eine Aspirantur konkretisiert (vgl. § 5 Satz 2, § 13 Abs. 1 VO 1951); die Verwendung der Absolventen der Aspirantur in einem der erworbenen Qualifikation angemessenen Beruf wurde durch eine Verwendungsentscheidung festgelegt, die das Staatssekretariat für Hochschulwesen der DDR bzw. das Fachministerium gemäß § 23 VO 1951 zu treffen hatte. Entgegen der Annahme des Beklagten war dabei die Weiterverwendung nicht auf den Hochschulbereich beschränkt, was vor allem für Doktoraspiranten bedeutsam war, die ihre neue Tätigkeit in ihrem alten oder einem neuen Betrieb ausüben sollten.
c) Daraus folgt, dass der Kläger nicht nur - wie vom Beklagten angenommen - einen nicht rehabilitierungsfähigen so genannten Aufstiegsschaden erlitten hat. Aufstiegsschäden entstehen durch den Eingriff in Qualifizierungsmaßnahmen innerhalb eines ausgeübten Berufs (Urteil vom 30. Juni 1998 - BVerwG 3 C 39.97 - Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 13 = ZOV 1999, 55). Sie bleiben, wie auch andere berufliche Chancen, als hypothetische (Aufstiegs-)Möglichkeiten im Vorfeld der Schutzwirkung des § 1 Abs. 1 BerRehaG (Urteil vom 12. Februar 1998 - BVerwG 3 C 25.97 - Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 11 S. 22 = ZOV 1998, 278). Der Kläger hatte aber bereits mit Aufnahme in die Doktoraspirantur eine hinreichend verfestigte Anwartschaft auf eine höherwertige Berufstätigkeit erworben und nicht nur die Aussicht auf den Erwerb eines akademischen Grades oder einer Zusatzqualifikation innerhalb der ausgeübten Tätigkeit.
3. Die Entlassung des Klägers aus der Aspirantur diente aber nicht der politischen Verfolgung, wie es § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG für eine berufliche Rehabilitierung weiter voraussetzt.
Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich verneint, dass der Kläger von einer politisch motivierten beruflichen Diskriminierung betroffen war. Es hat dies auf tatsächliche Feststellungen gestützt, die auch schon den Zeitraum der vorzeitigen Beendigung der Aspirantur umfassen. Seine Schlussfolgerung, dass selbst unter Anwendung der Beweiserleichterung aus § 25 Abs. 2 Satz 1 BerRehaG hinreichende Anhaltspunkte für eine berufliche Diskriminierung fehlen, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage der zahlreichen im Verwaltungsverfahren eingeholten Auskünfte festgestellt, dass der Kläger erst Anfang der 1970er Jahre in den Blick des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) geraten ist. Dann aber bedarf es für die davor liegenden Zeiträume erst recht hinreichend aussagekräftiger Anhaltspunkte für einen politisch motivierten Willensentschluss, den Kläger beruflich zu benachteiligen. Solche Anhaltspunkte sind nicht festgestellt. Dabei hat das Verwaltungsgericht zu Recht erwogen, ob sich hinter den gegen den Kläger erhobenen fachlichen und persönlichen Vorwürfen verschiedener Stellen seit der Aspirantur eine systematische Diskriminierung verberge; es hat dies aber mit der Erwägung verworfen, dass dafür eine übergeordnete Lenkung bzw. ein "kollusives Vorgehen" aller beteiligten Stellen erforderlich sei, was sich den Unterlagen nicht entnehmen lasse. Diese Erwägungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, zumal das Verwaltungsgericht es ausgeschlossen hat, dass Dokumente aus Gründen der Geheimhaltung nicht erstellt oder vernichtet worden sind. Die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen sind für den Senat bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO). Gegen sie hat der Kläger keine durchgreifenden Rügen vorgebracht, insbesondere keine weitergehenden Ermittlungsansätze aufgezeigt.