Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 14.06.2018


BVerwG 14.06.2018 - 3 BN 1/17

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
14.06.2018
Aktenzeichen:
3 BN 1/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:140618B3BN1.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OVG Lüneburg, 25. Mai 2016, Az: 4 KN 154/13, Urteil

Gründe

1

1. Die Normenkontrollsache betrifft die Antragsbefugnis einer anerkannten Naturschutzvereinigung gegen eine auf Jagdrecht gestützte Verordnung zur Verkürzung der Schonzeit für Rabenkrähen in einem Landkreis in Niedersachsen. Der Antragsteller - eine nach § 3 UmwRG anerkannte Naturschutzvereinigung - macht neben Verfahrensfehlern und Divergenz insbesondere die grundsätzliche Bedeutung mehrerer der angegriffenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zugrunde liegenden Rechtsfragen geltend.

2

Nach einem Antrag der Jägerschaft und einer Erhebung des Kreisjägermeisters über die durch Rabenkrähen verursachten Schäden an Siloplanen sowie Mais- und Grassilagen erließ der Antragsgegner am 6. Juni 2013 eine auf § 26 Abs. 2 des Niedersächsischen Jagdgesetzes gestützte Rechtsverordnung, mit der die Schonzeit für Rabenkrähen für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis zum 31. Juli 2013 zur Vermeidung von übermäßigen Schäden in der Landwirtschaft vorübergehend aufgehoben wurde.

3

Der Antragsteller hat hiergegen Normenkontrollantrag gestellt und den Erlass einer vorläufigen Regelung nach § 47 Abs. 6 VwGO beantragt. Der Antragsgegner habe das Mitwirkungsrecht des Antragstellers aus § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG verletzt und die Vorgaben der Vogelschutzrichtlinie missachtet.

4

Durch Beschluss vom 9. Juli 2013 hat das Oberverwaltungsgericht die Verordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache einstweilen außer Vollzug gesetzt. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung spreche zwar vieles dafür, dass das Mitwirkungsrecht des Antragstellers nur für auf Naturschutzrecht gestütztes Handeln gelte, eine erweiternde Auslegung der Beteiligungsrechte im Hinblick auf das Aarhus-Übereinkommen sei aber auch nicht ausgeschlossen. Die daher vorzunehmende Folgenabwägung mache zur Vermeidung irreparabler Folgen eine einstweilige Außervollzugsetzung der Verordnung erforderlich.

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Den in der Hauptsache auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Verordnung gerichteten Antrag hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 25. Mai 2016 (NuR 2016, 631) abgelehnt. Dem Antragsteller fehle bereits die Antragsbefugnis, weil ein subjektives Recht, auf das sein Begehren gestützt werden könne, nicht bestehen könne. § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG betreffe nur Verordnungen, die auf das BNatSchG oder auf seiner Grundlage erlassene Rechtsgrundlagen gestützt worden sind. Eine bloße Berührung naturschutzrechtlicher Belange reiche dagegen nicht aus. Anderes folge auch nicht aus dem Aarhus-Übereinkommen. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet, weil der Antragsgegner nicht gegen ein Mitwirkungsrecht des Antragstellers verstoßen habe.

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Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.

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2. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen.

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Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten revisiblen Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht. Das Revisionszulassungsrecht kennt - anders als die Vorschriften zur Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) - den Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 3 m.w.N.).

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Diese Voraussetzungen zeigt die Beschwerde nicht auf. Den - mit Zitaten aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 27. November 1996 - 11 A 100.95 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 18 S. 71 = juris Rn. 34, vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <217> und vom 17. Mai 2000 - 6 CN 3.99 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 141 S. 38 = juris Rn. 23) - in Anspruch genommenen Rechtsgrundsatz der sog. Möglichkeitstheorie, wonach die Klagebefugnis gegeben ist, wenn unter Zugrundelegung des Klagevorbringens eine Verletzung des geltend gemachten Rechts möglich erscheint (BVerwG, Urteil vom 19. November 2015 - 2 A 6.13 [ECLI:DE:BVerwG:2015:191115U2A6.13.0] - BVerwGE 153, 246 Rn. 15), legt das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung vielmehr ausdrücklich zu Grunde. Die Passage befindet sich unmittelbar in dem der unvollständigen Zitierung der Beschwerde vorangegangenen Satz des angegriffenen Urteils.

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Die von der Beschwerde beanstandete Auffassung des Oberverwaltungsgerichts bezieht sich hieran anknüpfend auf die Frage, wann die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO besteht. Hierzu verhalten sich die mit der Beschwerde zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht, die überdies anders gelagerte Konstellationen (insbesondere das bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB) und nicht die Klage einer anerkannten Naturschutzvereinigung betreffen.

11

Die grundsätzliche Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass eine solche Möglichkeit nur bestehen kann, wenn die in Anspruch genommene Norm subjektiv-öffentliche Rechte des Antragstellers überhaupt begründen kann, steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

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Ob ein in Anspruch genommenes Recht den Interessen des Antragstellers zu dienen bestimmt ist und die Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte danach bestehen kann, ist grundsätzlich bereits in der Zulässigkeitsprüfung zu klären (BVerwG, Urteile vom 12. April 2018 - 3 A 16.15 [ECLI:DE:BVerwG:2018:120418U3A16.15.0] - Rn. 14 ff., vom 19. November 2015 - 2 A 6.13 - BVerwGE 153, 246 Rn. 15 und vom 20. Oktober 2016 - 2 A 2.14 [ECLI:DE:BVerwG:2016:201016U2A2.14.0] - BVerwGE 156, 193 Rn. 16).

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Nur wenn die in Anspruch genommene Rechtsnorm jedenfalls auch dem Schutz individueller Interessen zu dienen bestimmt und grundsätzlich geeignet ist, subjektive Rechte des Klägers oder Antragstellers zu begründen, findet eine Begründetheitsprüfung zu der Frage statt, ob die Voraussetzungen des in Anspruch genommenen Rechts im Einzelfall erfüllt sind (BVerwG, Urteile vom 25. September 2008 - 3 C 35.07 - BVerwGE 132, 64 Rn. 14 und vom 19. November 2015 - 2 A 6.13 - BVerwGE 153, 246 Rn. 15 m.w.N.). Kann die begehrte Rechtsfolge von vornherein nicht auf eine den Kläger oder Antragsteller begünstigende Anspruchsgrundlage gestützt werden - wie etwa beim Fehlen einer nachbar- oder drittschützenden Norm (BVerwG, Urteile vom 22. Februar 1994 - 1 C 24.92 - BVerwGE 95, 133 <133 f.> und vom 3. August 2000 - 3 C 30.99 - BVerwGE 111, 354 <356>) oder eines eigenen abwägungserheblichen Belangs (BVerwG, Beschluss vom 11. August 2015 - 4 BN 12.15 [ECLI:DE:BVerwG:2015:110815B4BN12.15.0] - BRS 83 Nr. 49 Rn. 4) -, fehlt bereits die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2, § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Eine inhaltliche Prüfung durch die Verwaltungsgerichte findet dann nicht statt.

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Ein Fall, in dem ein Kläger Rechtsbehelfe einlegen kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen (§ 42 Abs. 2 Halbsatz 1 VwGO i.V.m. § 2 Abs. 1 UmwRG, § 64 BNatSchG), liegt hinsichtlich des geltend gemachten Mitwirkungsrechts aus § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG nicht vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 36).

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3. Die Revision ist auch nicht zur Klärung einer grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfrage zuzulassen.

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Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine - mit der Beschwerde darzulegende (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) - Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9).

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Diesen Voraussetzungen genügen die von der Beschwerde bezeichneten Fragen zur Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO und zum Mitwirkungsrecht aus § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG schon deshalb nicht, weil sie im Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wären: Der Antrag ist unabhängig hiervon mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Die Beteiligten sind hierauf hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

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Der ursprüngliche Antrag, die Rechtsverordnung des Antragsgegners vom 6. Juni 2013 für unwirksam zu erklären, hat sich nach Antragstellung erledigt, weil die Rechtsnorm mit Ablauf der in ihr angeordneten Geltungsdauer vom 1. bis zum 31. Juli 2013 bereits unwirksam ist und keinerlei Rechtswirkungen mehr entfaltet. Eine Entscheidung über die "Gültigkeit" (§ 47 Abs. 1 VwGO) kommt nach Außerkrafttreten der Norm nicht mehr in Betracht. Dementsprechend hat der Antragsteller sein Begehren umgestellt und die Feststellung beantragt, dass die streitige Rechtsverordnung unwirksam gewesen ist.

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Die Zulässigkeit eines derartigen Fortsetzungsfeststellungsbegehrens setzt auch im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO jedenfalls ein berechtigtes Interesse an der Feststellung voraus (BVerwG, Beschluss vom 2. September 1983 - 4 N 1.83 - BVerwGE 68, 12 <15>; Urteil vom 29. Juni 2001 - 6 CN 1.01 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 149 S. 70 = juris Rn. 11 und Beschluss vom 26. Mai 2005 - 4 BN 22.05 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 170 S. 151 ff. = juris Rn. 5). Die Annahme einer - hier allein geltend gemachten und in Betracht kommenden - Wiederholungsgefahr setzt die konkret absehbare Möglichkeit voraus, dass in naher Zukunft und unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleiche oder gleichartige Maßnahme des Antragsgegners zu erwarten ist, die den Antragsteller beschwert (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 21 m.w.N.). Ob dies der Fall ist, hat auch das Revisionsgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 3 C 8.06 - BVerwGE 129, 27 Rn. 20).

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Tatsächliche Anknüpfungspunkte für eine konkrete Wiederholungsgefahr sind aber weder dargetan noch sonst ersichtlich. Vielmehr hat der Antragsgegner bereits in seiner Antragserwiderung vom 29. Oktober 2013 zugesagt, künftig die Schonzeit für Rabenkrähen nicht mehr durch eine entsprechende Rechtsverordnung zu verkürzen und sich nachfolgend auch entsprechend verhalten.

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Die vom Antragsteller angestellten Erwägungen zur rechtlichen Bindungswirkung der Zusage vermögen die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr nicht zu begründen. Vielmehr bedarf es umgekehrt tatsächlicher Anhaltspunkte für das Vorliegen einer derartigen Gefahr. Nur dann erscheint es gerechtfertigt, ein gerichtliches Verfahren über die Rechtmäßigkeit eines bereits erledigten Rechtsaktes durchzuführen. Aus den vom Antragsteller aufgeworfenen Zweifeln an der rechtlichen Verbindlichkeit der Zusage ergibt sich kein tatsächlicher Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr. Der Antragsgegner hat gerade nicht die Absicht erkennen lassen, an seiner früheren Rechtsauffassung festzuhalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. April 1993 - 4 B 31.93 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 255 S. 108 = juris Rn. 27).

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Soweit der Antragsteller auf etwaige Rechtsverordnungen anderer Gebietskörperschaften verwiesen hat, folgt hieraus nichts anderes. Ein Feststellungsinteresse liegt nur dann vor, wenn die Wiederholungsgefahr gerade im Verhältnis zwischen den Prozessbeteiligten besteht (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 27. Juni 1997 - 8 C 23.96 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 128 S. 16 = juris Rn. 18 und vom 14. April 2005 - 3 C 3.04 - Buchholz 442.16 § 33 StVZO Nr. 1 S. 5 = juris Rn. 22).

23

Schließlich verlangt auch die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG keine andere Beurteilung. Da das Oberverwaltungsgericht die streitige Rechtsverordnung bereits im Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO außer Vollzug gesetzt hat, ist eine Rechtsbeeinträchtigung im Ergebnis nicht eingetreten. Die Rechtsverordnung hat keine Rechtswirkungen entfaltet. Jedenfalls in einem solchen Fall kann allein die Kurzfristigkeit ihrer Geltung ein Feststellungsinteresse nicht begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2001 - 6 CN 1.01 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 149 S. 70 = juris Rn. 10). Einen Anspruch zur Entscheidung abstrakter Rechtsfragen gewährleistet auch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 - 8 C 38.09 - BVerwGE 136, 75 Rn. 32).

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4. Die Beschwerde hat schließlich keinen Verfahrensmangel aufgezeigt, auf dem die angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

25

a) Die gerügte Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht war nicht verpflichtet, den Antragsteller im Hinblick auf die im Beschluss über die einstweilige Anordnung getroffenen Ausführungen ausdrücklich auf die Möglichkeit der Annahme einer fehlenden Klagebefugnis hinzuweisen.

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Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die entscheidungserheblich sein können. Mit diesem Äußerungsrecht korrespondiert keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Jedoch verlangt der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung, dass das Gericht nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.>; Kammerbeschluss vom 15. Februar 2011 - 1 BvR 980/10 [ECLI:DE:BVerfG:2011:rk20110215.1bvr098010] - NVwZ-RR 2011, 460 Rn. 13 m.w.N.).

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Ausgehend hiervon war das Oberverwaltungsgericht nicht verpflichtet, auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass es ein Mitwirkungsrecht des Antragstellers verneinen und den Antrag für unzulässig halten könnte. Eine derartige Pflicht des Gerichts folgt insbesondere nicht aus den Erwägungen, mit denen es den Beschluss über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO begründet hat.

28

Eine inhaltliche Bindungswirkung des Beschlusses über den Erlass einer einstweiligen Anordnung für das Hauptsacheverfahren, wie von der Beschwerde angenommen, besteht nach geltendem Prozessrecht nicht. Der Beschluss nach § 47 Abs. 6 VwGO ist vielmehr allein darauf gerichtet, den Zwischenzeitraum bis zum Ergehen der Hauptsachenentscheidung offenzuhalten und schwere Nachteile aus einem faktischen Vollzug zu vermeiden. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung an einer Folgenabwägung zu orientieren (BVerwG, Beschluss vom 16. September 2015 - 4 VR 2.15 [ECLI:DE:BVerwG:2015:160915B4VR2.15.0] - BRS 83 Nr. 58 Rn. 4). Eine Aussage über den voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist damit nicht verbunden. Der auf eine Folgenabwägung gestützte Beschluss über den Erlass einer einstweiligen Anordnung will die effektive Sachprüfung in einem Hauptsacheverfahren ermöglichen; er nimmt diese aber nicht vorweg (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. März 2016 - 2 B 105.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:010316B2B105.15.0] - Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 35 Rn. 5 zur fehlenden inhaltlichen Bindungswirkung eines Beschlusses über die Zulassung der Berufung).

29

Dementsprechend hat das Oberverwaltungsgericht in dem Beschluss vom 9. Juli 2013 über den Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Vertrauenstatbestand dahin geschaffen, dass es von der Möglichkeit eines Mitwirkungsrechts des Antragstellers ausgehen werde. Die Frage ist vielmehr ausdrücklich offengelassen worden. In dem Beschluss ist der Antrag als "nicht von vornherein unzulässig" eingeordnet worden, weil ein Beteiligungsrecht des Antragstellers "bestanden haben könnte". Zwar spreche vieles dafür, dass ein Mitwirkungsrecht nach § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG nur gegeben sei, wenn die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständige Behörde bei Erlass der Rechtsvorschrift auf der Grundlage des BNatSchG oder des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes handle und nicht bereits, wenn eine Verordnung auch Belange von Naturschutz und Landschaftspflege berührt. Es sei aber auch nicht "offensichtlich ausgeschlossen", dass das Mitwirkungsrecht im Lichte des Aarhus-Übereinkommens erweiternd ausgelegt werden müsse. Die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung müsse daher allein unter Gesichtspunkten der Folgenabwägung ergehen. Nach diesen Ausführungen musste der Antragsteller damit rechnen, dass das Gericht im Hauptsacheverfahren der Normenkontrolle zu dem Ergebnis gelangen könnte, ein Mitwirkungsrecht des Antragstellers aus § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG und hieran anknüpfend die Antragsbefugnis für einen Normenkontrollantrag bestehe nicht.

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Im Übrigen ist im Normenkontrollverfahren gerade über diese Frage gestritten worden. Der Antragsgegner hatte bereits in seiner Antragserwiderung auf die seiner Ansicht nach fehlende Antragsbefugnis hingewiesen, und der Antragsteller hat hierzu auch umfänglich vorgetragen.

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b) Ob und unter welchen Voraussetzungen die fehlerhafte Anwendung einer Norm des Verwaltungsprozessrechts - wie hier § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO - im Hinblick auf die an die Geltendmachung gestellten Anforderungen auch einen Mangel der Verfahrenshandhabung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2009 - 4 BN 9.09 - BRS 74 Nr. 45 Rn. 3 und vom 17. Dezember 2012 - 4 BN 19.12 - BRS 79 Nr. 65 Rn. 2), bedarf keiner Vertiefung, weil die Anwendung und Handhabung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO durch das Oberverwaltungsgericht - wie dargelegt - nicht entscheidungserheblich waren und die Entscheidung deshalb hierauf nicht beruhen kann.

32

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).

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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.