Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 19.01.2016


BVerwG 19.01.2016 - 3 B 76/15

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
19.01.2016
Aktenzeichen:
3 B 76/15
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:190116B3B76.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 10. September 2015, Az: 5 A 70/15, Urteilvorgehend VG Dresden, 11. Oktober 2014, Az: 1 K 1123/13, Urteil

Gründe

I

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung, dass die Wohngemeinschaft für Intensivpflegebedürftige in Weinböhla eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Betreuungs- und Wohnqualität im Alter, bei Behinderung und Pflegebedürftigkeit im Freistaat Sachsen (Sächsisches Betreuungs- und Wohnqualitätsgesetz - SächsBeWoG) vom 12. Juli 2012 sei.

2

Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ermächtige die Vorschrift über die Anzeigepflicht des Betriebs einer stationären Einrichtung (§ 4 Abs. 1 SächsBeWoG) auch zu der Feststellung, dass eine solche Einrichtung vorliege. Die Wohngruppe für Intensivpflegebedürftige sei eine stationäre Einrichtung i.S.v. § 2 Abs. 1 SächsBeWoG und keine von Dritten unabhängige Wohngemeinschaft für Pflegebedürftige i.S.v. § 2 Abs. 5 SächsBeWoG. Die Wohngemeinschaft werde im Wesentlichen von der Klägerin organisiert und gesteuert. Angesichts des rund um die Uhr bestehenden intensiven Pflegebedarfs und der Tatsache, dass mehrere Bewohner unter Betreuung stünden, könne von einer Selbständigkeit der Wohngemeinschaft nur ausgegangen werden, wenn eine Auftraggebergemeinschaft bestehe, die sich in sehr kurzen Intervallen treffe und im Einzelnen über die die Bewohner betreffenden Angelegenheiten entscheide. Daran fehle es. Eine schriftliche Bewohnervereinbarung finde sich nicht bei den Akten. Es fehlten auch Anhaltspunkte dafür, dass sich die Auftraggeber häufiger als ein oder wenige Male im Jahr träfen.

3

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

4

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

5

1. Die geltend gemachte Divergenz zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juli 1991 - 1 B 64.91 - (Buchholz 451.44 HeimG Nr. 6) und zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2003 - 6 C 23.02 - (BVerwGE 119, 123) ist nicht in der erforderlichen Weise dargelegt. Die Klägerin bezeichnet nicht - wie dies zur Darlegung einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erforderlich ist (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328) - einen die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem das Oberverwaltungsgericht von einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen sein sollte.

6

Unabhängig hiervon kann eine Divergenz nur vorliegen, wenn sich die Rechtssätze auf dieselbe Rechtsvorschrift beziehen (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Das ist hier nicht der Fall. Das Oberverwaltungsgericht hat § 4 SächsBeWoG die Ermächtigung entnommen, einen feststellenden Verwaltungsakt zu erlassen. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine solche Befugnis § 6 des früheren Heimgesetzes (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 1991 - 1 B 64.91 - Buchholz 451.44 HeimG Nr. 6 S. 24 f.) bzw. § 91 Abs. 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2003 - 6 C 23.02 - BVerwGE 119, 123 <125>), mithin anderen Rechtsvorschriften entnommen.

7

2. Die Rechtssache hat auch nicht die von der Klägerin geltend gemachte rechtsgrundsätzliche Bedeutung.

8

Die Klägerin möchte in einem Revisionsverfahren geklärt wissen, ob auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 6 des damaligen Bundes-Heimgesetzes zurückgegriffen werden kann, wenn man eine Ermächtigungsgrundlage im Wege der Auslegung des an seine Stelle getretenen Landesrechts - hier des § 4 SächsBeWoG - ermitteln will. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedürfen feststellende Verwaltungsakte einer gesetzlichen Grundlage, wenn ihr Inhalt etwas als rechtmäßig feststellt, was der Betroffene erklärtermaßen nicht für rechtens hält; es ist aber keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erforderlich, vielmehr genügt eine Grundlage, die im Wege der Auslegung ermittelt wird (BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 1991 - 1 B 64.91 - Buchholz 451.44 HeimG Nr. 6 S. 24; Urteil vom 22. Oktober 2003 - 6 C 23.02 - BVerwGE 119, 123 <124 f.>). Dass diese im Rechtsstaatsprinzip und damit im Bundesverfassungsrecht wurzelnden Grundsätze auch für Verwaltungsakte gelten, die eine sich aus Landesrecht ergebende Rechtslage feststellen, versteht sich von selbst und bedarf nicht der Bestätigung in einem Revisionsverfahren. Ob § 4 Abs. 1 SächsBeWoG aus ähnlichen Gründen wie der zum 30. September 2009 außer Kraft getretene (Art. 3 Satz 2 des Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föderalismusreform vom 29. Juli 2009, BGBl. I S. 2319) § 6 HeimG dahin ausgelegt werden kann, dass die zuständige Behörde durch Verwaltungsakt feststellen darf, ob eine Einrichtung in den Anwendungsbereich der Vorschrift fällt oder nicht, ist eine Frage des nicht revisiblen Landesrechts; sie könnte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden.

9

Einen über die genannte Frage hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Klägerin mit ihrer Beschwerde nicht auf. Sie lässt es bereits an der Formulierung einer weiteren Rechtsfrage fehlen (vgl. zu dieser Anforderung BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Unabhängig hiervon richtet sich ihre Kritik auch im Übrigen gegen die Auslegung nicht revisiblen Landesrechts.

10

3. Als Verfahrensmangel macht die Klägerin einen Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) und die Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 i.V.m. § 104 Abs. 1 VwGO) sowie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine Überraschungsentscheidung (§ 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO) geltend: Eine Selbständigkeit der Wohngemeinschaft hätte das Oberverwaltungsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe (UA Rn. 41) angenommen, wenn eine Auftraggebergemeinschaft bestünde, die sich in sehr kurzen Intervallen treffe und im Einzelnen über die die Bewohner betreffenden Angelegenheiten entscheide. Diese Voraussetzung habe es verneint, weil sich eine schriftliche Bewohnervereinbarung, die von den Mitgliedern der Wohngemeinschaft oder ihren Betreuern oder Angehörigen unterzeichnet sei, nicht bei den Akten befinde. Die vermissten Bewohnervereinbarungen würden nunmehr überreicht. Das Oberverwaltungsgericht habe nach ihnen zu keinem Zeitpunkt gefragt; das in der mündlichen Verhandlung unterbreitete Angebot, derartige Vereinbarungen vorzulegen, habe es übergangen und insoweit eine Überraschungsentscheidung getroffen.

11

Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klägerin mit Schreiben vom 6. August 2015 (Bl. 342 der Gerichtsakte) aufgefordert, mitzuteilen, ob es eine Bewohnergemeinschaft gibt, wie diese gegebenenfalls verfasst ist und wer Vertreter oder Geschäftsführer ist. Dass die Klägerin die erbetenen Angaben durch Vorlage einer entsprechenden Vereinbarung zwischen den Bewohnern belegen musste, falls eine solche getroffen war, war von der Aufforderung ohne Weiteres umfasst und verstand sich auch von selbst. Durch diese Verfügung ist das Gericht einer etwaigen Aufklärungs- und Hinweispflicht nach § 86 Abs. 1 und 3 VwGO im Hinblick auf das Vorliegen einer Bewohnervereinbarung nachgekommen. Es wollte mit seinem Hinweis zwar in erster Linie vor der Ladung zur mündlichen Verhandlung klären, ob die Wohngemeinschaft selbst prozess- und damit beiladungsfähig oder ob dies nur bei ihren Mitgliedern der Fall war. Es lag aber auf der Hand, dass das Bestehen einer Bewohner- und damit Auftraggebergemeinschaft und ihrer Verfasstheit auch für die Frage relevant sein würde, ob die Bewohner eine von Dritten unabhängige Wohngemeinschaft für Pflegebedürftige i.S.v. § 2 Abs. 5 SächsBeWoG bilden. Dass diese Rechtsauffassung überraschend gewesen sei, macht auch die Klägerin nicht geltend. Ausgehend hiervon hätte sie die Bewohnervereinbarungen spätestens in der mündlichen Verhandlung vorlegen, jedenfalls aber unter Darlegung etwaiger Hinderungsgründe die Einräumung eines Schriftsatznachlasses beantragen müssen. Sofern die Behauptung der Beschwerde zutreffen sollte, das Oberverwaltungsgericht habe in der mündlichen Verhandlung das Angebot übergangen, Bewohnervereinbarungen vorzulegen, wäre es geboten und ohne Weiteres möglich gewesen, sich durch entsprechende Anträge zu Protokoll Gehör zu verschaffen. Das hat die Klägerin ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung aber unterlassen.

12

Unabhängig hiervon würde das Urteil auf den geltend gemachten Verfahrensmängeln nicht beruhen. Nach der für das Vorliegen eines Verfahrensmangels maßgeblichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts genügt das Bestehen einer Bewohnergemeinschaft nicht, um eine Wohngruppe Pflegebedürftiger als Wohngemeinschaft i.S.v. § 2 Abs. 5 SächsBeWoG zu qualifizieren; das Oberverwaltungsgericht fordert bei Intensivpflegebedürftigen darüber hinaus, dass sich die Auftraggebergemeinschaft in sehr kurzen Intervallen - jedenfalls häufiger als ein oder wenige Male im Jahr - trifft und im Einzelnen über die Angelegenheiten der Bewohner entscheidet (UA Rn. 41). Die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bewohnervereinbarungen verlangen mindestens zwei Versammlungen pro Jahr (§ 4); sie belegen nicht, dass tatsächlich deutlich mehr als zwei Versammlungen abgehalten werden.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.