Entscheidungsdatum: 23.05.2013
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem ihm das Recht aberkannt wurde, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis der Klasse B im Inland Gebrauch zu machen. Der am 24. August 2006 ausgestellte tschechische Führerschein weist einen Wohnsitz des Klägers in Deutschland aus. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben, weil es an vom Ausstellerstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen für einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis fehle. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ergebe sich - wie hier - aus dem Führerscheindokument, dass sein Inhaber bei dessen Ausstellung keinen ordentlichen Wohnsitz im Ausstellerstaat gehabt habe, dürfe der Wohnsitz- oder Aufnahmemitgliedstaat überprüfen, ob die Behauptung des Betroffenen zutreffe, sich zur maßgeblichen Zeit für mindestens sechs Monate im Ausstellerstaat als Student oder Schüler aufgehalten zu haben. Die Berechtigung aus dem EU-Führerschein dürfe dem Inhaber jedoch - nicht anders als sonst - nur abgesprochen werden, wenn sich aus unbestreitbaren Informationen des Ausstellerstaates ergebe, dass der Betroffene sich auf diese Ausnahme vom Wohnsitzprinzip nicht berufen könne. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt, weil die unbestreitbaren Informationen aus dem Ausstellerstaat, nämlich die Stellungnahme des Bezirksamts U. und die Mitteilung der Ausländerpolizei über Aufenthaltszeiten, dahin zu würdigen seien, dass ein Aufenthalt des Klägers als Student über die erforderliche Mindestdauer von sechs Monaten in der Tschechischen Republik nicht erfüllt gewesen sei und die Vorlage der Bescheinigung über einen Englisch-Sprachkurs allein nicht ausgereicht habe, um dort die Erfüllung der Aufenthaltsvoraussetzungen nach Unionsrecht nachzuweisen. Tatsächlich lägen damit schon die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen der Ausnahme nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 der Fahrerlaubnisverordnung alter Fassung - FeV a.F. -, die sich mit der Mindesterteilungsvoraussetzung in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG deckten, nicht vor.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, noch rechtfertigt die geltend gemachte Abweichung von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Schließlich sind auch die gerügten Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht erkennbar.
1. Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
„welche inhaltlichen Mindestanforderungen an ein Studium oder an einen Schulbesuch erfüllt sein müssen, um Student oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV zu sein, bzw. um als Student im Sinne des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG oder Art. 7 Abs. 1 lit. e der Richtlinie 2006/126/EG zu gelten.“
Die Frage führt schon deswegen nicht zum Erfolg des Rechtsbehelfs, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht zu beantworten wäre. Maßgeblich für die Abweisung der Klage durch das Oberverwaltungsgericht war nicht, dass die vom Kläger geltend gemachte Ausbildung nicht die inhaltlichen Mindestanforderungen der genannten Vorschriften an ein Studium oder Schulbesuch erfüllte, sondern dass es die Stellungnahme des Bezirksamts U. und die Meldung der Ausländerpolizei über Aufenthaltszeiten des Klägers dahin gewürdigt hat, dass ein Studiumaufenthalt über die erforderliche Mindestdauer von sechs Monaten in der Tschechischen Republik nicht erfüllt war.
Auch die in diesem Zusammenhang formulierte Frage, ob die vorgelegte Studienbescheinigung ausreichend sei, um eine Ausnahme vom Anerkennungsgrundsatz des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 FeV a.F. anzunehmen, führt nicht weiter. Abgesehen davon, dass es insoweit um die Beurteilung von Tatsachen in einem Einzelfall geht, verkennt der Kläger wiederum, dass das Oberverwaltungsgericht nicht die vorgelegte Studienbescheinigung als solche, sondern die genannten Informationen des Ausstellerstaates gewürdigt hat.
2. Ebenso wenig kommt eine Zulassung der Revision wegen der gerügten Abweichung von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Betracht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Entscheidungen jenes Gerichts überhaupt divergenzfähig im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind (dagegen die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: Beschlüsse vom 23. Januar 2001 - BVerwG 6 B 35.00 - juris Rn. 10 f. und vom 17. Juli 2008 - BVerwG 9 B 15.08 - NVwZ 2008, 1115; a.A.: Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage 2012, § 132 Rn. 14); denn die vermeintliche Divergenz, bei deren Vorliegen jedenfalls eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache angezeigt wäre, ist nicht erkennbar.
Der Kläger sieht die Abweichung darin, dass der Europäische Gerichtshof in der Sache Grasser (EuGH, Urteil vom 19. Mai 2011 - Rs. C-184/10 - Slg. 2011 I-4057) als Ausnahme vom Wohnsitzerfordernis den Nachweis der Eigenschaft als Student während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaates anerkannt habe, während das Oberverwaltungsgericht einen dauerhaften Aufenthalt für diese Zeit fordere. Damit verkenne das Oberverwaltungsgericht, dass es allein darauf ankomme, ob der Fahrerlaubnisinhaber während seines Aufenthalts in dem Ausstellermitgliedstaat „korporationsrechtlich Mitglied“ einer Hochschule oder Schule gewesen sei.
Der vom Kläger behauptete Widerspruch zwischen den Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs und des Berufungsgerichts ist nicht feststellbar.
Der Europäische Gerichtshof hat sich in dem vom Kläger herangezogenen Urteil vom 19. Mai 2011 darauf beschränkt, den Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG wiederzugeben, ohne auf die Notwendigkeit eines Aufenthalts des Studenten im Ausstellermitgliedstaat einzugehen (EuGH, Urteil vom 19. Mai 2011 a.a.O. Rn. 26 und 29). Er hatte keine Veranlassung zu dieser Frage Stellung zu nehmen, weil es auf ihre Beantwortung nicht ankam; denn Frau Grasser war weder Studentin noch hatte sie Entsprechendes geltend gemacht. Schon deswegen fehlt es an dem vom Kläger behaupteten Widerspruch tragender Rechtssätze zu der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Aber auch unabhängig davon bedarf die Beantwortung der Frage nicht der Zulassung der Revision; denn die in der Richtlinie geforderte Eigenschaft als Student während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats setzt - wie auch in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 FeV a.F. geregelt - selbstverständlich und ohne dass es ausdrücklicher Erwähnung bedurfte einen mit dem Studium oder dem Schulbesuch verbundenen Aufenthalt im Ausstellermitgliedstaat voraus. Ansonsten bestünde keinerlei innere Rechtfertigung für die Erteilung der Fahrerlaubnis durch den wohnsitzfremden Mitgliedstaat; denn auf das Erfordernis eines ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat wird bei Studenten im Hinblick darauf verzichtet, dass der Besuch einer Universität oder Schule nach Art. 9 Abs. 2 Satz 3 der Richtlinie keine Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes zur Folge hat, Studenten aber dennoch die Möglichkeit gegeben werden soll, die Fahrerlaubnis an ihrem ausbildungsbedingten Aufenthaltsort zu erwerben. Dies ist offenkundig und lässt sich dem Sinn und Zweck der Richtlinienbestimmungen zweifelsfrei entnehmen, so dass die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV in einem Revisionsverfahren nicht erforderlich wäre (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, Cilfit - Slg. 1982 I-3415 Rn. 12 ff.); demzufolge ist auch keine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geboten.
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang sinngemäß rügt, dass das Oberverwaltungsgericht ihm entgegen dem vom Europäischen Gerichtshof hervorgehobenen Anerkennungsgrundsatz die Beweislast dafür aufgebürdet habe, dass ihm wegen seines Studiums oder Schulbesuchs der Führerschein in Abweichung vom Wohnsitzprinzip habe ausgestellt werden dürfen, geht sein Vorbringen daran vorbei, dass das Oberverwaltungsgericht keine Beweislastentscheidung getroffen, sondern anhand der von ihm herangezogenen Informationen aus Tschechien die Überzeugung gewonnen hat, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis an einen Studenten im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG nicht vorlagen.
3. Auch die geltend gemachten Verfahrensmängel sind nicht erkennbar.
Ausgehend davon, dass für das Oberverwaltungsgericht nicht die Eigenschaft als Schüler oder Student allein, sondern auch der damit verbundene Aufenthalt im Ausstellermitgliedstaat maßgeblich war und das Gericht aufgrund der Informationen des Ausstellermitgliedstaates die Überzeugung gewonnen hatte, dass es an diesem Aufenthalt mangelte, kam es nicht mehr darauf an, ob und in welcher Zeit und mit welchem Studienziel der Kläger als Student eingeschrieben war. Seine auf die Ermittlung dieser Umstände gerichtete Verfahrensrüge ist daher unbegründet; denn der Umfang der Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO bestimmt sich nach der dem Urteil zugrundeliegenden materiell- rechtlichen Auffassung des Gerichts.
Auch die weiteren Einwände, die der Kläger im Zusammenhang mit den herangezogenen oder heranzuziehenden Erkenntnissen aus Tschechien erhebt, können nicht zum Erfolg der Beschwerde führen. Insoweit wendet er sich überwiegend in der Art einer Berufungsbegründung gegen die den Tatsacheninstanzen vorbehaltene Bewertung dieser Informationen, ohne einen Verfahrensmangel zu bezeichnen, der die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte. Soweit er sich auch an dieser Stelle auf einen Aufklärungsmangel beruft, weil das Oberverwaltungsgericht nicht beachtet habe, dass ein „vollumfänglicher Beweis“ für das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung des Führerscheins erforderlich sei, geht sein Vorbringen erneut daran vorbei, dass das Gericht eine entsprechende Überzeugung gewonnen und keine Beweislastentscheidung getroffen hat.
Die abschließende Rüge des Klägers, die Stellungnahme des Stadtamts Lovosice belege, dass die Erteilungsvoraussetzungen für den Führerschein vorgelegen hätten, betrifft ebenfalls die den Tatsachengerichten vorbehaltene Feststellung und Würdigung des Sachverhalts; einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zeigt der Kläger auch hier nicht auf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.