Entscheidungsdatum: 17.08.2011
Die Beschwerde der Klägerin zu 2 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 3. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin zu 2 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1.
Die Beteiligten streiten um die Zuordnung von Teilflächen zweier Flurstücke am Güterbahnhof von K. W.. Beide Flurstücke wurden zunächst der Klägerin zu 1, der Belegenheitsgemeinde, durch Bescheide des Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion C. zugeordnet. Auf Antrag der Klägerin zu 2, der Rechtsnachfolgerin des V. K. P., die angab, auf den Flurstücken einen Kohleumschlag betrieben zu haben, wurden ihr die besagten Teilflächen mit Bescheid des Bundesamts für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen vom 26. Februar 2009 zugeordnet und in diesem Umfang die zugunsten der Klägerin zu 1 ergangenen Zuordnungsbescheide aufgehoben.
Der dagegen erhobenen Klage der Klägerin zu 1 hat das Verwaltungsgericht stattgegeben und den Bescheid vom 26. Februar 2009 aufgehoben, weil die Klägerin zu 2 das Recht verwirkt habe, ihre Eigentumsstellung geltend zu machen, und die Beklagte darüber hinaus ihr Rücknahmeermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Eine mit dieser Klage zu einem gemeinsamen Verfahren verbundene Klage der Klägerin zu 2 auf Erwirkung einer Grundbucheintragung bei Bestandskraft des Bescheides vom 26. Februar 2009 hatte sich zuvor in der Hauptsache erledigt, nachdem die Beklagte den Anspruch auf ein Grundbuchersuchen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 und 3 des Vermögenszuordnungsgesetzes - VZOG - unter den dort genannten Voraussetzungen anerkannt hatte.
Die Beschwerde der Klägerin zu 2 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (1.), noch gibt es die nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerügte Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (2.). Schließlich sind auch die nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beanstandeten Verfahrensfehler nicht erkennbar (3.).
1. a) Die Klägerin zu 2 hält zunächst allgemein für klärungsbedürftig,
ob der Anspruch eines Zuordnungsberechtigten auf Feststellung des Eigentumsübergangs nach materiellem Recht im Vermögenszuordnungsverfahren der Verwirkung unterliegen kann.
Diese Frage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil ihre Bejahung auf der Hand liegt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Verwirkung als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat. Sie bildet einen Anwendungsfall des venire contra factum proprium (Verbot widersprüchlichen Verhaltens) und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen (Beschluss vom 12. Januar 2004 - BVerwG 3 B 101.03 - NVwZ-RR 2004, 314 ff., unter Berufung auf Urteile vom 7. Februar 1974 - BVerwG 3 C 115.71 - BVerwGE 44, 339 <343 f.>, und vom 16. Mai 1991 - BVerwG 4 C 4.89 - Buchholz 404.19 Nachbarschutz Nr. 102 S. 66 ff.). Dies gilt naturgemäß auch für vermögens- und vermögenszuordnungsrechtliche Ansprüche. Das hat das Bundesverwaltungsgericht für das Vermögensrecht bereits ausdrücklich ausgesprochen und darauf hingewiesen, dass die für die Verwirkung maßgeblichen Kriterien dort ohne Einschränkung anwendbar sind (Urteil vom 27. Juli 2005 - BVerwG 8 C 15.04 - Buchholz 428 § 36 VermG Nr. 9, unter Berufung auf den Beschluss vom 13. Februar 1998 - BVerwG 7 B 34.98 - juris), demgemäß also auch unabhängig davon, dass diese Ansprüche auf die Übertragung oder Feststellung des Eigentums an Vermögensgegenständen gerichtet sind. Es liegt auf der Hand, dass diese Rechtsprechung auf das Vermögenszuordnungsrecht übertragbar ist, weil es keine nachvollziehbaren Gründe gibt, dieses Teilgebiet des Wiedervereinigungsrechts von dem Rechtsinstitut der Verwirkung auszunehmen. Das hat auch der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung als selbstverständlich vorausgesetzt (vgl. Beschluss vom 31. August 1999 - BVerwG 3 B 57.99 - NVwZ-RR 2000, 259 f., sowie Urteil vom 20. Januar 2005 - BVerwG 3 C 31.03 - BVerwGE 122, 350, soweit hier maßgeblich - Abschnitt 1. g) der Entscheidungsgründe - allerdings nur abgedruckt in NVwZ 2005, 958 <960>).
b) Soweit die Klägerin zu 2 speziell beantwortet wissen will,
ob das Recht des Rechtsnachfolgers des früheren Fondsinhabers, den Eigentumsübergang durch deklaratorischen Vermögenszuordnungsbescheid feststellen zu lassen, durch Veräußerung des Fondsvermögens oder sonstige Aufgabe der tatsächlichen Nutzung dann verwirkt sein kann, wenn einem möglichen anderen Zuordnungsberechtigten der im Eigentum des Rechtsnachfolgers des Fondsinhabers stehende Vermögensgegenstand bereits zugeordnet war, ohne dass der Rechtsnachfolger des Fondsinhabers an diesem Verfahren beteiligt war, ihm der Zuordnungsbescheid nicht bekanntgegeben wurde und dieser erst später Kenntnis von seinem Eigentum erlangt,
rechtfertigt dies schon deswegen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, weil sich die Frage trotz ihrer generalisierenden Formulierungen ausschließlich an den besonderen Umständen des Falles orientiert und daher nicht über die konkrete Rechtssache hinausweist. Dies zeigt auch die Begründung der Klägerin zu 2 für die Fragestellung, mit der sie der Sache nach vornehmlich die Würdigung der konkreten Tatumstände durch das Gericht in Zweifel zieht.
c) Auch die weitere von der Klägerin zu 2 formulierte Frage,
ob § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG im Rahmen des § 48 Abs. 1 VwVfG eine Rücknahme auch dann noch im Sinne einer Ermessensdirektive einschränkt, wenn der Zuordnungsbescheid neben einer fehlenden Beteiligung rechtswidrig ist, weil er auf unrichtigen Angaben beruht,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Senat hat in seinem vom Verwaltungsgericht herangezogenen Urteil vom 27. April 2006 (BVerwG 3 C 23.05 - BVerwGE 126, 7 Rn. 26) klargestellt, dass die Ermessensdirektive es nicht ausschließt, dass im Einzelfall öffentliche Belange von derart hohem Gewicht für die Korrektur einer fehlerhaften Zuordnung streiten, dass sie sich auch noch nach Ablauf der Zweijahresfrist durchsetzen. Zu diesen öffentlichen Belangen kann auch das Bedürfnis der Korrektur eines durch unrichtige Angaben erwirkten Zuordnungsbescheides zählen. Ob ein solcher Korrekturbedarf besteht, beantwortet sich jedoch anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles. Jedenfalls lösen fehlerhafte Angaben zur Grundstücksnutzung im Zuordnungsantrag weder zwangsläufig einen solchen Korrekturbedarf aus, noch führen sie dazu, dass die in § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG zum Ausdruck kommende Wertung von vornherein unberücksichtigt bleiben muss.
d) Die abschließend als grundsätzlich bezeichnete Frage,
ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Beständigkeit fehlerhafter Zuordnungsentscheidungen im Hinblick auf § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG im Rahmen des § 48 Abs. 1 VwVfG auch dann noch besteht, wenn an dem Prätendentenstreit ein privatisiertes ehemaliges Treuhandunternehmen beteiligt ist, dessen Interesse sich auf den besonders angestrebten Schutz der Vermögenslage privatisierter Unternehmen bezieht,
führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Die Wertentscheidung, die dem zu den allgemeinen Bestimmungen des Vermögenszuordnungsgesetzes zählenden § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG zugrunde liegt, erfasst das gesamte Vermögenszuordnungsrecht, also auch soweit privatisierte Treuhandunternehmen Verfahrensbeteiligte sind. Hier gilt jedoch ebenfalls - wovon bereits das Verwaltungsgericht ausgegangen ist -, dass einem im Einzelfall bestehenden Schutzbedürfnis solcher Unternehmen auch noch nach Ablauf der Zweijahresfrist durch die Korrektur der fehlerhaften Zuordnungsentscheidung Rechnung getragen werden kann.
2. Die neben den Grundsatzrügen erhobene Divergenzrüge ist ebensowenig berechtigt. Die Klägerin zu 2 sieht einen Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darin, dass dieses in seinem Urteil vom 9. Dezember 1998 - BVerwG 3 C 1.98 - (BVerwGE 108, 93 <99>) ausgeführt habe:
„Der Verpflichtete kann unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung nur dann auf ein weiteres Absehen des Berechtigten von einer Rechtsverfolgung vertrauen, wenn ihm bewusst war, dass der Gegenseite ein solches Recht zustand (vgl. Urteil vom 7. Februar 1974 – BVerwG 3 C 115.71 - BVerwGE 44, 339 <344>), zumindest aber zustehen könnte. Es gibt kein Vertrauen darauf, dass von einem nicht bestehenden Recht kein Gebrauch gemacht wird.“
Abweichend davon enthalte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu einer Kenntnis der Klägerin zu 1 von einem ihr - der Klägerin zu 2 - zustehenden oder mutmaßlich zustehenden Recht an den betroffenen Teilflächen der Flurstücke keine Ausführungen. Das Verwaltungsgericht habe allein auf ihr vermeintliches Desinteresse an der Fläche und auf die Unerheblichkeit ihrer fehlenden Kenntnis vom Eigentumsübergang abgestellt. Die im Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts enthaltene Wertung, dass es für die Annahme einer Verwirkung auch auf das Bewusstsein des Verpflichteten vom Recht des Anderen ankomme, habe das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt. Vielmehr liege der Entscheidung die gegenteilige Wertung zugrunde, für die Annahme einer Verwirkung sei es unerheblich, ob dem Verpflichteten ein bestehendes oder mögliches Recht des Berechtigten bekannt gewesen sei.
Die gerügte Abweichung ist nicht erkennbar. Für eine Divergenz im Rechtssinne reicht es nicht aus, dass ein Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft angewendet worden ist; vielmehr müsste das Verwaltungsgericht einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt haben, den es seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Dies kann allein aus dem Umstand, dass es keine ausdrücklichen Feststellungen zu der Kenntnis der Klägerin zu 1 von einer möglichen Berechtigung der Klägerin zu 2 an den umstrittenen Flächen getroffen hat, nicht geschlossen werden. Dass das Verwaltungsgericht sich auf die von der Klägerin zu 2 herangezogene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts selbst berufen hat, spricht im Gegenteil - wenn überhaupt - für einen bloßen Subsumtionsfehler. Im Übrigen geht die Rüge der Klägerin zu 2 an der Feststellung des Verwaltungsgerichts vorbei, dass sie mit Schreiben vom 6. November 2000 gegenüber der Klägerin zu 1 hinsichtlich einer - für eine Ausgleichsmaßnahme in Betracht kommenden - Teilfläche eines der beiden Flurstücke „auf das Eigentum und den Besitz“ verzichtet hat, was sich schwerlich erklären ließe, wenn eine solche Rechtsstellung aus der Sicht der Beteiligten von vornherein nicht in Betracht gekommen wäre. Dieser Umstand macht es begreiflich, dass das Verwaltungsgericht davon abgesehen hat, Ausführungen zur Kenntnis der Klägerin zu 1 von einer möglichen Berechtigung der Klägerin zu 2 zu machen.
3. Die Verfahrensrüge, das Verwaltungsgericht habe den Anspruch der Klägerin zu 2 auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, genügt bereits nicht den formellen Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Begründung einer solchen Rüge.
Die Klägerin beanstandet, dass sie durch das Verhalten des Gerichts an einer Schilderung ihres konkreten wirtschaftlichen Interesses an der umstrittenen Fläche gehindert worden sei. Sie legt jedoch nicht dar, was sie bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs zu diesem Gesichtspunkt vorgetragen hätte. Dies wäre aber nach ständiger Rechtsprechung für eine ordnungsgemäße Begründung der Gehörsrüge erforderlich gewesen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VZOG nicht erhoben. Wegen des Gegenstandswerts wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG hingewiesen.