Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 30.11.2016


BVerwG 30.11.2016 - 3 B 23/16

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
30.11.2016
Aktenzeichen:
3 B 23/16
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:301116B3B23.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OVG Lüneburg, 19. Januar 2016, Az: 10 LB 51/14, Urteilvorgehend VG Lüneburg, 19. Juni 2013, Az: 1 A 1186/12, Urteil

Gründe

1

Der Kläger begehrt eine Ausgleichszulage für das Jahr 2011, deren Bewilligung die Beklagte abgelehnt hat, weil er die Durchführung einer Vor-Ort-Kontrolle unmöglich gemacht habe. Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Behördenentscheidung bestätigt. Der Kläger habe die Durchführung einer Vor-Ort-Kontrolle unmöglich gemacht, weil er trotz Aufforderung eine rechtzeitige Terminabsprache unterlassen habe. Auch sei von ihm kein Vertreter für die Absprache und Durchführung von Kontrollen benannt worden. Zur weiteren Begründung verweist das Oberverwaltungsgericht auf seine Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils in dem die Betriebsprämie 2011 betreffenden Parallelverfahren 10 LB 52/14. Dort hat es ausgeführt: Zwar habe der Kläger dem L. e.V. 2008 eine Vollmacht erteilt. Bereits ihrem Wortlaut nach schließe diese aber nicht die Vertretung im Zusammenhang mit der Durchführung von Vor-Ort-Kontrollen ein. Sie wäre von dem Verein auch nicht zu leisten. Der Begriff des Vertreters im Sinne von Art. 26 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1122/2009 - der Art. 4 Abs. 6 Satz 1 VO (EU) Nr. 65/2011 entspricht - erfasse (nur) jede volljährige geschäftsfähige Person, die auf dem Hof wohne und der zumindest ein Teil der Bewirtschaftung des Hofes anvertraut worden sei, sofern sie bevollmächtigt sei.

2

Die auf alle Revisionszulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

3

1. Die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt voraus, dass die Rechtssache eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Sie ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darzulegen und setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90, vom 7. Juni 1996 - 1 B 127.95 - Buchholz 430.4 Berufsständisches Versorgungsrecht Nr. 32 und vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26).

4

a) Der Kläger möchte geklärt wissen,

wie der Begriff "Vertreter" im Sinne der unionsrechtlich einheitlich auszulegenden Begriffe in der maßgeblichen Regelung gemäß Art. 4 Abs. 6 VO (EU) Nr. 65/2011 - in Ansehung der wortgleich enthaltenen Regelung in der Vorgängervorschrift in Art. 23 Abs. 2 VO (EG) Nr. 796/2004 und dem Ausdruck aus Art. 26 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1122/2009 - zu verstehen und zu definieren ist.

5

aa) Mit dieser allgemeinen Frage ist eine konkret entscheidungserhebliche und zugleich klärungsbedürftige Frage nicht herausgearbeitet. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung selbstständig tragend darauf gestützt, dass die Vollmacht des L. e.V. nicht einschließe, den Kläger im Zusammenhang mit der Durchführung einer Vor-Ort-Kontrolle zu vertreten. Der Kläger ist zwar der Auffassung, die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts sei fehlerhaft; sehr wohl sei von einer umfassenden Vertretungsbefugnis auszugehen. Einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt er insoweit aber nicht auf. Er legt selbst zugrunde, dass eine Vertretung nur auf der Grundlage einer Vollmacht in Betracht kommt. Rechtsgrundsätzliche Fragen, die sich bei der Auslegung der hier erteilten Vollmacht stellen könnten, ergeben sich aus seinem Vorbringen nicht. Im Übrigen hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 16. Juni 2011 (C-536/09 [ECLI:EU:C:2011:398], Omejc - Rn. 39) zu der im Wesentlichen wortgleichen Vorschrift des Art. 23 Abs. 2 VO (EG) Nr. 796/2004 betont, es komme auf den klar ausgedrückten Willen des Betriebsinhabers an, eine Person zum Vertreter im Sinne dieser Vorschrift zu bestellen.

6

bb) Ist damit hinsichtlich einer das Urteil selbstständig tragenden Begründung ein Revisionszulassungsgrund nicht gegeben, so kann die Revision nicht wegen eines Grundes zugelassen werden, der sich gegen eine weitere selbstständig tragende Begründung richtet (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 m.w.N.). Deshalb führt die Frage auch nicht zur Zulassung der Revision, soweit der Kläger mit ihr überprüft wissen möchte, ob als Vertreter nur eine volljährige geschäftsfähige Person in Betracht kommt, die auf dem Hof wohnt und der zumindest ein Teil der Bewirtschaftung des Hofes anvertraut ist, wovon das Oberverwaltungsgericht in Anlehnung an das genannte Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16. Juni 2011 (C-536/09) ausgegangen ist. Allerdings hat der Gerichtshof mit seiner Entscheidung lediglich bestätigt, dass eine solche Person als Vertreter angesehen werden kann, wenn dies dem klar ausgedrückten Willen des Betriebsinhabers entspricht. Insbesondere lässt sich weder Art. 4 Abs. 6 Satz 1 VO (EU) Nr. 65/2011 noch einer anderen Bestimmung der Verordnung entnehmen, dass der Vertreter jederzeit auf dem Hof erreichbar sein und deshalb dort wohnen muss (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juni 2011 - C-536/09 - Rn. 44). Mit der Alternative, dass der Begünstigte oder sein Vertreter die Durchführung einer Vor-Ort-Kontrolle unmöglich gemacht hat, verdeutlicht Art. 4 Abs. 6 Satz 1 VO (EU) Nr. 65/2011, dass das Verhalten eines Vertreters dem Begünstigten zuzurechnen ist. Entscheidend kommt es darauf an, ob der Begünstigte oder sein Vertreter alle Maßnahmen getroffen hat, die in der konkreten Situation vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass die Kontrolle vollständig durchgeführt werden kann. Wird die Durchführung einer Kontrolle durch ein Tun oder Unterlassen verhindert, das auf Fahrlässigkeit zurückzuführen ist, so sind die betroffenen Beihilfeanträge abzulehnen (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juni 2011 - C-536/09 - Rn. 28, 30). Verweist ein Begünstigter darauf, von einer Person vertreten zu werden, die erkennbar nicht geeignet und in der Lage ist, die sich bei einer Vor-Ort-Kontrolle konkretisierenden Mitwirkungspflichten zu erfüllen, so fällt dies ungeachtet eines Verschuldens des Vertreters als eigenes Verschulden auf den Begünstigten zurück, wenn deshalb die Durchführung einer Vor-Ort-Kontrolle unmöglich wird. Eine darüber hinausgehende Beschränkung des Personenkreises, der als Vertreter in Betracht kommt, ist weder dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs noch Art. 4 Abs. 6 Satz 1 VO (EU) Nr. 65/2011 zu entnehmen.

7

b) Die weitere Frage,

ob die Annahme einer Unmöglichmachung bzw. Verhinderung der Vor-Ort-Kontrolle nach Art. 4 Abs. 6 VO (EU) Nr. 65/2011 im Falle einer Bevollmächtigung von Dritten oder Vertretern die vorherige Kontaktaufnahme der Agrarförderbehörde bzw. der zuständigen Kontrollbehörde/Prüfer mit diesen voraussetzt, soweit die Agrarförderbehörde bzw. die Kontrollbehörde dem Betriebsinhaber bzw. Agrarförderantragsteller vorwirft, er sei zur Terminabsprache bzgl. einer Vor-Ort-Kontrolle und/oder für eine Vor-Ort-Kontrolle nicht erreichbar gewesen und/oder er habe nicht mitgewirkt,

ist nicht entscheidungserheblich, nachdem das Oberverwaltungsgericht eine Bevollmächtigung des L. e.V. zur Vertretung im Zusammenhang mit der Durchführung von Vor-Ort-Kontrollen verneint hat.

8

2. Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor. Der geltend gemachte Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 23. Juli 2010 (10 LA 26/09 - RdL 2010, 301) ist nicht divergenzfähig. Im Übrigen erklärt sich die Abkehr des Oberverwaltungsgerichts von diesem Beschluss als Konsequenz aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nach der der Betriebsinhaber nicht verpflichtet ist, jederzeit auf dem Hof erreichbar zu sein (EuGH, Urteil vom 16. Juni 2011 - C-536/09 - Rn. 44).

9

3. Das Beschwerdevorbringen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Wird der Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels geltend gemacht, so ist dieser nur dann in der erforderlichen Weise bezeichnet (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), wenn sowohl die Tatsachen, die ihn begründen sollen, als auch seine rechtliche Begründung substantiiert dargelegt sind (BVerwG, Beschlüsse vom 10. November 1992 - 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5 und vom 17. Dezember 2010 - 9 B 60.10 - BayVBl. 2011, 352).

10

a) Der Kläger rügt, das Oberverwaltungsgericht habe § 108 (Abs. 1 Satz 2) VwGO verletzt, indem es jenseits seiner Ausführungen zur weiteren Begründung seines Urteils auf die Entscheidungsgründe des Urteils in dem die Betriebsprämie 2011 betreffenden Parallelverfahren 10 LB 52/14 Bezug genommen hat. Die Pflicht, in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO), ist nicht verletzt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass die für die gerichtliche Überzeugung leitenden Gründe auch durch eine Bezugnahme auf eine genau bezeichnete andere Entscheidung und die dortigen Ausführungen angegeben werden können. Entscheidend ist, dass die Beteiligten diese ohne Schwierigkeiten zur Kenntnis nehmen können und sich aus einer Zusammenschau der in Bezug nehmenden und der in Bezug genommenen Entscheidung die maßgeblichen Gründe mit hinreichender Klarheit ergeben (BVerwG, Beschlüsse vom 3. Januar 2006 - 10 B 17.05 - juris Rn. 3 f. m.w.N. und vom 13. Oktober 2011 - 3 B 38.11 - juris Rn. 4 f.). Weshalb dies hier nicht der Fall sein sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Im Gegenteil belegt die weitere Beschwerdebegründung, dass sich die maßgeblichen Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts ohne Weiteres erkennen lassen. Entsprechend fehlt der Behauptung jede Grundlage, das rechtliche Gehör des Klägers sei durch die Bezugnahme verletzt worden.

11

b) Der Kläger meint ferner, das Oberverwaltungsgericht habe seine Hinweis- und Aufklärungspflichten (§ 86 VwGO) verletzt, es habe schlichtweg unterstellt, der L. e.V. sei kein benannter Vertreter im Sinne von Art. 4 Abs. 6 VO (EU) Nr. 65/2011 und zur Vertretung bei einer Vor-Ort-Kontrolle unfähig. Damit geht der Kläger darüber hinweg, dass das Oberverwaltungsgericht selbstständig tragend eine Bevollmächtigung des L. e.V. zur Vertretung bei einer Vor-Ort-Kontrolle verneint und dies mit dem Wortlaut der Vollmacht begründet hat. Er zeigt nicht auf, welche Hinweise das Oberverwaltungsgericht pflichtwidrig unterlassen haben könnte und welche konkreten Aufklärungsmaßnahmen mit welcher voraussichtlichen Erkenntnis sich dem Gericht von sich aus hätten aufdrängen müssen. Von seinem maßgeblichen rechtlichen Standpunkt, dass der Vertreter auf dem Hof wohnen und ihm zumindest ein Teil der Bewirtschaftung des Hofes anvertraut sein müsse, bedurfte zudem die Eignung des L. e.V. keiner weiteren Aufklärung. Mit diesem Standpunkt hat das Oberverwaltungsgericht zwar die materiell-rechtlichen Anforderungen an einen Vertreter überspannt. Das führt jedoch nicht zu einem Verfahrensfehler und ist im Übrigen - wie zur Grundsatzrüge ausgeführt - aufgrund der Doppelbegründung des Urteils unerheblich. Soweit der Kläger mit seiner Rüge zu § 86 VwGO eine Verletzung des rechtlichen Gehörs verbindet, wird dies nicht weiter ausgeführt und ist damit nicht in der erforderlichen Weise dargetan.

12

c) Nichts anderes gilt für die Behauptung, das Oberverwaltungsgericht habe § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verletzt, wonach in dem Urteil die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Der Kläger meint, das Oberverwaltungsgericht habe nicht angegeben, "warum" die Durchführung einer Vor-Ort-Kontrolle verhindert worden sei. Das trifft nicht zu. Es hat in dem angefochtenen Urteil ausgeführt, der Kläger habe die Durchführung einer Vor-Ort-Kontrolle dadurch unmöglich gemacht, dass er eine rechtzeitige Terminabsprache unterlassen habe. In diesem Zusammenhang rügt der Kläger weiter, das Oberverwaltungsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass die ursprünglich vorgesehene Vor-Ort-Kontrolle noch nicht abgeschlossen gewesen sei; parallele Kontrollen seien nicht möglich. Er zeigt jedoch nicht auf, weshalb sich das Oberverwaltungsgericht mit diesen Gedanken hätte auseinandersetzen müssen, und behauptet weiter, das Oberverwaltungsgericht habe objektiv sachwidrig zu seinen Lasten entschieden, was mit einer fehlerhaften Überzeugungsbildung einhergehe. Für die damit angesprochene Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gilt, dass eine fehlerhafte Sachverhalts- und Beweiswürdigung grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen ist. Die verfahrensmäßige Verpflichtung des Gerichts, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, ist nur ausnahmsweise dann verletzt, wenn das Urteil auf einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung beruht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. April 2008 - 9 B 13.08 - Buchholz 451.29 Schornsteinfeger Nr. 44, vom 29. Juni 2011 - 6 B 7.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 410 und vom 13. Februar 2012 - 9 B 77.11 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73). Dass dies der Fall wäre, hat der Kläger nicht dargetan und ist auch insoweit nicht ersichtlich, als er meint, das Oberverwaltungsgericht habe ihn wegen eines Befangenheitsantrags oder der Übertragung seines Tierbestandes abgestraft.

13

d) Soweit der Kläger im Übrigen der Auffassung ist, das Oberverwaltungsgericht habe materielles Recht verletzt, insbesondere die Bedeutung von Art. 4 Abs. 6 VO (EU) Nr. 65/2011 und § 9 VwVfG verkannt, ist damit schon ansatzweise kein Verfahrensmangel aufgezeigt.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.