Entscheidungsdatum: 26.11.2014
Eine unangemessen lange Verfahrensdauer ist grundsätzlich kein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Für die Verzögerung der Entscheidung ist in §§ 198 ff. GVG ein eigenständiges Verfahren vorgesehen, das ihre Geltendmachung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ausschließt. Ob etwas anderes gilt, wenn die Entscheidung auf der Verzögerung beruhen kann, bleibt offen.
Die Kläger wenden sich als Erben gegen die Aufhebung einer dem Erblasser erteilten Bescheinigung nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) und gegen die Rückforderung diesem gewährter Eingliederungshilfen.
Der 1932 geborene Erblasser war von 1955 bis zu seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland 1982 in der DDR als Arzt tätig gewesen und in der DDR viermal zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Zwei Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen wurden durch das Bezirksgericht Potsdam und das Landgericht Berlin für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben. 1983 wurde dem Erblasser antragsgemäß eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG erteilt, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG vorlägen und Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG nicht gegeben seien. Für seine Haftzeiten wurden ihm Eingliederungshilfen und Ausgleichsleistungen in Höhe von 16 780 DM bewilligt.
Im Zuge eines vom Erblasser eingeleiteten weiteren Verfahrens auf berufliche Rehabilitierung erklärte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), aus den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) ergäben sich Hinweise auf eine Zusammenarbeit des Erblassers mit dem MfS; er sei dort als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) geführt worden. Es lägen eine unterschriebene Verpflichtungserklärung und zahlreiche Treffberichte vor, in denen der IM umfangreich über Personen berichtet habe. Daraufhin zog das Landesamt für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin (im Folgenden: Landesamt) mit Rücknahmebescheid vom 17. April 2003 die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ein, erklärte sie für ungültig, nahm den Bescheid über die Gewährung von Eingliederungshilfen zurück und forderte den Erblasser auf, die Eingliederungshilfen (8 579,48 €) zurückzuzahlen. Der hiergegen erhobene Widerspruch, den das Landesamt selbst beschied, die Klage und die Berufung blieben erfolglos. Während des Berufungsverfahrens ist der Erblasser verstorben.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage weiterhin für zulässig erachtet. Sie habe sich durch den Tod des ursprünglichen Klägers nicht erledigt, denn die entzogenen Rechtspositionen seien, wie § 1 Abs. 1 Nr. 3 HHG verdeutliche, nicht höchstpersönlich und im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben übergegangen. Die Rücknahme sei rechtmäßig. Zuständig für sie sei das Landesamt als Ausstellungsbehörde in entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 3 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) gewesen. Dass die Zuständigkeitsvorschrift des § 10 Abs. 7 HHG in der maßgeblichen Fassung noch nicht auf diese Vorschrift verwiesen habe, sei ein redaktionelles Versehen. Die Häftlingshilfebescheinigung sei rechtswidrig, weil der Erblasser von Ausschließungsgründen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG betroffen gewesen sei, über die er die Behörde getäuscht habe. Er habe von 1963 bis 1976 Spitzeldienste für die Staatssicherheit geleistet. Die Unterlagen des BStU belegten, dass er sich mit Führungsoffizieren konspirativ getroffen und zahlreiche Berichte über Vorgänge im dienstlichen wie privaten Bereich abgegeben habe. Die Kontakte und deren Quantität habe er „überschlägig eingestanden“. Die gelieferten Informationen seien nicht inhaltsleer oder nichtssagend, sondern geeignet gewesen, die Denunzierten ernsthaft in Gefahr zu bringen. Die Spitzeltätigkeit sei auch nicht unter einem die Freiwilligkeit ausschließenden Druck ausgeübt worden.
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Die Beschwerde benennt keine Rechtsfrage, sondern führt lediglich aus, warum sie das angefochtene Urteil für sachlich falsch hält. Das gilt insbesondere für die Vererblichkeit der streitigen Rechtspositionen, für die Bewertung der Spitzeltätigkeit des Erblassers und für die Berechnung der Jahresfrist für die Rücknahme (§ 48 Abs. 4 VwVfG). Es ist weder dargelegt noch sonst erkennbar, dass sich insofern ungeklärte Rechtsfragen stellen oder dass bei den vom Berufungsgericht zugrunde gelegten rechtlichen Maßstäben Anlass zu ihrer Fortentwicklung besteht. Eine lediglich unzutreffende Anwendung von Maßstäben würde der Sache keine Rechtsgrundsätzlichkeit verleihen. Nur klarstellend ist anzumerken, dass die sorgfältigen Erwägungen und umfassenden Würdigungen des angefochtenen Urteils keine Rechtsfehler erkennen lassen.
Soweit die Beschwerde sinngemäß die Frage anspricht, ob das Landesamt als Ausstellungsbehörde in analoger Anwendung des § 15 Abs. 3 BVFG für die Rücknahme der Bescheinigung zuständig war, ist eine Klärungsbedürftigkeit schon deswegen nicht gegeben, weil diese Frage ausgelaufenes Recht betrifft. Die Zuständigkeitsregelung in § 10 Abs. 7 Satz 3 HHG ist nach der letzten Verwaltungsentscheidung durch Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 10. Dezember 2007 (BGBl I S. 2830) im Sinne des angefochtenen Urteils neu geregelt worden. Fragen, die sich nur aufgrund von ausgelaufenem Recht stellen, verleihen einer Rechtssache regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung, weil eine fallübergreifende Klärung mit Blick auf die Zukunft nicht mehr möglich ist (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 7. Oktober 2004 - BVerwG 1 B 139.04 - Buchholz 402.240 § 7 AuslG Nr. 12 S. 6 und vom 5. Oktober 2009 - BVerwG 6 B 17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4 Rn. 11). Hiervon sind zwar Ausnahmen anerkannt; deren Voraussetzungen werden von der Beschwerde aber nicht ansatzweise dargetan.
2. Das angefochtene Urteil weicht auch nicht vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. März 2002 - BVerwG 3 C 23.01 - (BVerwGE 116, 100) ab. Zur Darlegung einer Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) wäre es erforderlich, einen rechtlichen Obersatz aus dem zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu bezeichnen und ihm einen davon abweichenden rechtlichen Obersatz zu derselben Vorschrift aus dem Berufungsurteil gegenüberzustellen. Die Beschwerde macht aber wiederum nur geltend, das Berufungsgericht habe die in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zu Spitzeltätigkeiten für das MfS als Ausschlussgrund für Leistungen falsch angewendet. Selbst wenn dies zutreffen würde, läge in einem solchen Subsumtionsfehler keine Abweichung. Soweit sich die Beschwerde auf das Urteil des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 24. Januar 2014 - VfGBbg 2/13 - beruft, handelt es sich schon nicht um ein divergenzfähiges Gericht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Davon abgesehen ist nicht ansatzweise dargelegt, welche Folgerungen für das Verfahren der Kläger sich aus jenem Urteil ergeben sollen.
3. Es liegt auch kein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Beschwerde rügt eine unzureichende Aufklärung des Sachverhalts, zeigt jedoch nicht auf, warum sich dem Berufungsgericht eine weitere Aufklärung hätte aufdrängen müssen, welche Aufklärungsmaßnahmen hätten ergriffen werden sollen und zu welchem Ergebnis diese voraussichtlich geführt hätten. Letztlich bemängelt die Beschwerde wiederum nur, dass das Berufungsgericht den Sachverhalt anders als geschehen hätte würdigen müssen.
4. Schließlich ist die Revision auch nicht wegen der geltend gemachten unangemessenen Dauer des erstinstanzlichen und des zweitinstanzlichen Verfahrens zuzulassen. Abgesehen davon, dass die Kläger nicht dargelegt haben, im zweitinstanzlichen Verfahren die erforderliche Verzögerungsrüge erhoben zu haben, geschweige denn, dass dies fristgerecht geschehen ist (vgl. § 198 Abs. 3 GVG i.V.m. Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 - BGBl I S. 2302), ist für einen solchen Verfahrensmangel ein eigenständiges Rechtsschutzverfahren vorgesehen, der seine Geltendmachung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ausschließt. Ob etwas anderes gilt, wenn die Entscheidung auf der Verzögerung beruhen kann, braucht hier nicht entschieden zu werden, denn dies machen die Kläger nicht geltend und ist auch unabhängig davon nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.