Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 01.10.2018


BVerwG 01.10.2018 - 3 B 20/17

Ergänzung einer Rehabilitierungsbescheinigung um weitere Verfolgungsmaßnahmen


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
01.10.2018
Aktenzeichen:
3 B 20/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:011018B3B20.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend VG Berlin, 28. Februar 2017, Az: 9 K 19.16, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Der Kläger begehrt die Ergänzung einer ihm nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) erteilten Rehabilitierungsbescheinigung.

2

Er wurde 1996 nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz als politisch Verfolgter anerkannt, weil er nach der Stellung eines Ausreiseantrags in der DDR beruflichen Repressionen ausgesetzt war. Mit einem weiteren Bescheid vom 14. April 1997 wurde nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz gemäß § 1 VwRehaG festgestellt, dass die Verzögerung der Ausreise rechtsstaatswidrig war und zu einer gesundheitlichen Schädigung des Klägers geführt haben könnte. In einem Rechtsstreit um die Gewährung von Entschädigungsleistungen regte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg im September 2011 ein weiteres Rehabilitierungsverfahren an, um wesentliche Schädigungsereignisse feststellen zu lassen. Diesen Antrag stellte der Kläger im November 2011 und machte eine Reihe weiterer Drangsalierungen im Gefolge seines Ausreiseantrags geltend. Der Beklagte lehnte diesen Antrag nach weiteren Ermittlungen mit Bescheid vom 23. Januar 2014 ab. Widerspruch und die Klage mit dem Begehren, den Rehabilitierungsbescheid vom 14. April 1997 um die Feststellung weiterer rechtsstaatswidriger Vernehmungen, Bespitzelungen bzw. Observierungen durch Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) und beruflicher Degradierungen zu ergänzen, blieben erfolglos.

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Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Klageabweisung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe ein Rechtsschutzbedürfnis für die erstrebten Feststellungen mit Blick auf seine Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz. Es könne nach den vom Beklagten beigezogenen Akten aber nicht festgestellt werden, dass der Kläger den genannten Maßnahmen politischer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Ein Plan oder leitender Willensentschluss zur "operativen Bearbeitung" oder "Zersetzung" des Klägers sei weder den Akten des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) noch anderen beigezogenen Akten zu entnehmen. Erkennbar sei lediglich, dass die in Westberlin lebende damalige Verlobte und heutige Ehefrau des Klägers ins Visier des MfS geraten sei. Die Beweiserleichterung des § 13 Abs. 2 VwRehaG komme dem Kläger nicht zugute. Was der Kläger an Verfolgungsmaßnahmen vortrage, sei nicht glaubhaft. Ungeachtet dessen sei fraglich, ob die geltend gemachten Maßnahmen individuelle Verfolgungsmaßnahmen oder doch eher allgemeines Schicksal bei Stellung eines Ausreiseantrags gewesen seien.

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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch liegt ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

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1. Die Beschwerde sieht einen Verfahrensmangel darin, dass das Verwaltungsgericht die psychischen bzw. psychosomatischen Krankheitsfolgen, die sich durch die geltend gemachten Bespitzelungen nach dem Ausreiseantrag ergeben hätten, nicht ermittelt, insbesondere nicht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens weiter aufgeklärt habe. Auch die Bespitzelung seiner damaligen Verlobten sei zu berücksichtigen gewesen; denn dadurch sei auch er selbst in das Visier des MfS geraten.

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a) Die Rüge greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hatte von seinem Rechtsstandpunkt aus, der insofern maßgebend ist, keine Veranlassung zu weiterer Aufklärung. Denn es hat Verfolgungsmaßnahmen, die in einer relevanten Weise zu einer gesundheitlichen Schädigung hätten führen können, nicht feststellen können (UA S. 7), auch nicht mit Blick auf die Anwerbeversuche des MfS, denen die damalige Verlobte des Klägers ausgesetzt war.

7

b) Zu dieser Einschätzung ist das Verwaltungsgericht durch eine Tatsachen- und Beweiswürdigung gelangt, die die Beschwerde nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen infrage stellt. Namentlich hat es den Behauptungen des Klägers die Glaubhaftigkeit abgesprochen und ihm daher die Beweiserleichterung des § 13 Abs. 2 VwRehaG nicht zugute halten wollen. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

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Dass Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, wenn sie denn vorlägen, nach ständiger Rechtsprechung revisionsrechtlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen sind, erkennt die Beschwerde an. Für das ausnahmsweise Umschlagen in einen Verfahrensfehler, weil die verwaltungsgerichtliche Würdigung die Grenze einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie die allgemeinen Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschreitet, zeigt sie nichts auf. Das Verwaltungsgericht hat - was die Verfolgungsmaßnahmen angeht - sämtliche ihm verfügbare Verwaltungsvorgänge ausgewertet, nicht nur die Akte über das Bundesnotaufnahmeverfahren. Wenn es diese Akte als ersten Bezugspunkt für seine Einschätzung mangelnder Glaubhaftigkeit des Vortrags heranzieht, beruht das darauf, dass in ihr die früheste Darstellung des Klägers zu seiner Verfolgung enthalten ist. Es trifft auch nicht zu, dass sich das Verwaltungsgericht nur auf die Akte des Bundesnotaufnahmeverfahrens gestützt hätte. Vielmehr hat es ebenso die Erklärungen anlässlich der Ablehnung eines Bundesvertriebenenausweises ausgewertet. Dass weitere aussagekräftige Unterlagen hätten ausgewertet werden können, macht die Beschwerde nicht geltend. Es ist dann aber jedenfalls nicht willkürlich, auf der Grundlage fehlender früherer Anhaltspunkte das neue Vorbringen des Klägers als unglaubhaft gesteigert zu betrachten.

9

c) Zu Unrecht hält die Beschwerde dieser Würdigung einen Denkfehler vor. Auch wenn die Verzögerung der Ausreise als Ursache der gesundheitlichen Schädigung des Klägers anerkannt ist, schließt dies doch nicht automatisch die Anerkennung weiterer, andersgearteter Verfolgungsmaßnahmen ein. Diese sind vielmehr gesondert festzustellen, schon weil mit ihnen andere Schädigungen rehabilitierungsfähiger Rechtsgüter (vgl. § 1 Abs.1, § 1a Abs. 1 VwRehaG) verbunden sein können.

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d) Auf dieser Grundlage musste auch die eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 10. Januar 2015 zu den behaupteten Verhören bzw. Rückhaltegesprächen nach Stellung des Ausreiseantrags dem Verwaltungsgericht keinen Anlass zu weiteren Nachforschungen geben. Das liegt schon deshalb auf der Hand, weil das Verwaltungsgericht die darin enthaltenen Tatsachenbehauptungen als unglaubhaft betrachtet hat. Die Versicherung an Eides statt ist zwar ein auch im Rehabilitierungsverfahren zulässiges Mittel der Glaubhaftmachung mit erhöhtem Beweiswert (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2 VwRehaG i.V.m. § 27 VwVfG). Eine abgegebene eidesstattliche Versicherung ist jedoch im Gesamtzusammenhang aller Erkenntnisse frei zu würdigen, wodurch ihr Beweiswert entkräftet werden kann (vgl. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 27 Rn. 16). Davon ist das Verwaltungsgericht offenkundig ausgegangen.

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e) Ihm mussten sich schließlich auch nicht durch die so genannte Berlin-2-Studie des Zentrums für Folteropfer weitere Aufklärungen aufdrängen. Zwar spricht alles dafür, dass Zersetzungsmaßnahmen, wie sie der Kläger geschildert hat, keineswegs zu einem allgemeinen Schicksal in der DDR gerechnet werden dürfen (so aber UA S. 9), sondern, sobald sie sich gegen eine einzelne Person konkretisieren, als individuelle Verfolgung zu betrachten sind. Der Kläger hat nach der nicht zu beanstandenden Würdigung des Verwaltungsgerichts jedoch keine Zersetzungsmaßnahmen erlitten. Daher hilft ihm auch die Berufung auf die Beweiserleichterung des § 3 Abs. 5 VwRehaG nicht weiter. Danach genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung nämlich nur dann, wenn das schädigende Verfolgungsereignis feststeht.

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f) Die vom Kläger im Beschwerdeverfahren zusätzlich zu den vorliegenden Unterlagen vorgelegten Atteste und ärztlichen Stellungnahmen führen nicht weiter, weil dem Bundesverwaltungsgericht eine eigenständige Sachverhaltsermittlung nicht erlaubt ist, es im angestrebten Revisionsverfahren vielmehr grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO). Für das Vorliegen eines der geltend gemachten Zulassungsgründe und damit den Erfolg des Beschwerdeverfahrens sind diese Unterlagen ohne Bedeutung.

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2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung.

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Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfordert die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Diese Voraussetzungen erfüllen die beiden aufgeworfenen Fragen nicht.

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a) Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob vor rechtsstaatswidrigen operativen Maßnahmen gegen eine Zielperson des MfS - hier gegen die damalige Verlobte des Klägers - auch deren Familienangehörige wie der Kläger geschützt seien.

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Diese Frage ist in der gestellten Form zu verneinen, ohne dass es dazu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Schon nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 VwRehaG ist eindeutig, dass eine Rehabilitierung nur hinsichtlich solcher natürlichen Personen möglich ist, die durch eine Maßnahme unmittelbar in ihren (eigenen) Rechten betroffen sind. Eine unmittelbare Betroffenheit ist nach § 9 Abs. 2 VwRehaG auch in Fällen der Rehabilitierung nach § 1a VwRehaG erforderlich. Das Unmittelbarkeitserfordernis macht zwar Rechtsbeeinträchtigungen nicht unbeachtlich, die einer Person anlässlich der operativen Behandlung Dritter widerfahren sind. Einen solchen Sachverhalt hat das Verwaltungsgericht bezogen auf den Kläger aber nicht festgestellt, weshalb die formulierte Frage nicht entscheidungserheblich ist.

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b) Aus demselben Grund ist auch die weitere, in dieselbe Richtung zielende Frage,

"ob eine konkrete Bespitzelung und Observierung von einzelnen Personen unter den Schutzbereich der §§ 1, 3 VwRehaG fällt, wenn diese Personen, die auch prinzipiell keine Familienangehörigen sein könnten, z.B. Freunde, Arbeitgeber oder sonstige Dritte, konkret von rechtsstaatswidriger Bespitzelung bzw. Observierung betroffen sind, obwohl sich der operative Vorgang final auf eine andere Zielperson richtet",

nicht entscheidungserheblich.

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Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.