Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 06.04.2016


BPatG 06.04.2016 - 29 W (pat) 574/12

Markenbeschwerdeverfahren – "Nett von Netto (Wort-Bild-Marke)" – zum Dienstleistungsverzeichnis – Handel mit Dienstleistungen – hinreichend klare Bezeichnung der Dienstleistungen in Klasse 35


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
29. Senat
Entscheidungsdatum:
06.04.2016
Aktenzeichen:
29 W (pat) 574/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze
Art 2 EGRL 95/2008

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2011 052 149.2

hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 6. April 2016 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Dr. Mittenberger-Huber, der Richterin Akintche und des Richters am Landgericht Dr. von Hartz

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 10. September 2012 aufgehoben.

Gründe

I.

1

Das Wort-/Bildzeichen (gelb, rot)

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2

ist am 22. September 2011 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für Waren und Dienstleistungen der Klassen 18, 25, 35 und 36 angemeldet worden.

3

Mit Beschluss vom 10. September 2012 hat die Markenstelle für Klasse 35 die Anmeldung teilweise nach § 36 Abs. 4 MarkenG wegen mangelnder Bestimmtheit bzw. Nichterfüllung der formellen Anforderungen der §§ 32 Abs. 3, 65 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG i. V. m. § 20 Abs. 1 MarkenV zurückgewiesen, nämlich für folgende Dienstleistungen:

4

Klasse 35:  Dienstleistungen des Einzel- und Großhandels, insbesondere die Zusammenstellung verschiedener Dienstleistungen für Dritte, um den Verbrauchern den Erwerb dieser Dienstleistungen zu erleichtern, insbesondere auch durch Einzelhandelsgeschäfte, Großhandelsverkaufsstellen, über Versandkataloge oder elektronische Medien, z. B. Websites oder Teleshopping-Sendungen hinsichtlich der folgenden Dienstleistungen: aus Klasse 35: Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten; aus Klasse 36: Ausgabe von Gutscheinen oder Wertmarken; aus Klasse 39: Veranstaltung von Reisen; aus Klasse 41: Unterhaltung; aus Klasse 45: persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse.

5

Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, die zurückgewiesenen Dienstleistungen seien weder nach Inhalt noch Umfang klar und eindeutig von anderen Dienstleistungen abgrenzbar, so dass eine Klasseneinteilung nicht möglich sei. Unter den Begriff „Dienstleistung des Einzelhandels“ falle die gesamte Tätigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers, die dieser entfalte, um zum Abschluss eines Kaufvertrages über die von ihm gehandelten Waren anzuregen. Diese Tätigkeit bestehe insbesondere in der Auswahl des Sortiments der zum Kauf angebotenen Waren und im Angebot verschiedener Dienstleistungen, die einen Verbraucher veranlassen sollen, den Kaufvertrag mit diesem Händler statt mit einem seiner Wettbewerber abzuschließen. Hierbei handele es sich im Wesentlichen um die in den erläuternden Anmerkungen zu Klasse 35 der Nizzaer Klassifikation aufgeführten Dienstleistungen „das Zusammenstellen verschiedener Waren (ausgenommen deren Transport) für Dritte, um den Verbrauchern Ansicht und Erwerb dieser Waren zu erleichtern“. Nicht unter den Begriff der Einzelhandelsdienstleistung fielen dagegen sonstige Leistungen, die lediglich anlässlich des Warenvertriebs oder neben dem Einzelhandel erbracht würden und in erster Linie zum Tätigkeitsbereich anderer Wirtschaftsbereiche gehörten und für die in anderen Klassen eigenständiger Markenschutz vorgesehen sei. Dies gelte insbesondere für die hier in Rede stehenden Dienstleistungen „Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten“ (Klasse 35), „Ausgabe von Gutscheinen oder Wertmarken“ (Klasse 36), „Veranstaltung von Reisen“ (Klasse 39), „Unterhaltung“ (Klasse 41) sowie „persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“ (Klasse 45). Mit diesen trete der Einzelhändler nicht in Wettbewerb zu anderen Einzelhändlern, sondern zu den jeweiligen Dienstleistungsunternehmen wie Werbeagenturen, Unternehmensberatern, Reisebüros usw.. Wer für solche Dienstleistungen Markenschutz begehre, müsse seine Anmeldung ausdrücklich auf diese beziehen. Mit einer Einzelhandelsdienstleistungsmarke sei dieser Bereich nicht abgedeckt.

6

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

7

Nach Schluss der am 8. Mai 2013 stattgefundenen mündlichen Verhandlung ist das hiesige Beschwerdeverfahren durch Beschluss des Senats bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das Vorabentscheidungsersuchen im Parallelverfahren 29 W (pat) 573/12 (Netto Marken-Discount) ausgesetzt worden. Der Senat hatte dort mit Beschluss vom gleichen Tage auch dieses Beschwerdeverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung des Art. 2 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken vom 22. Oktober 2008 (ABl.-EU Nr. L 299 vom 8. November 2008, S. 25) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

8

1. Ist Art. 2 der Richtlinie dahingehend auszulegen, dass unter einer Dienstleistung im Sinne dieser Vorschrift auch der Einzelhandel mit Dienstleistungen verstanden wird?

9

2. Falls die Frage 1 bejaht wird:

10

Ist Art. 2 der Richtlinie dahingehend auszulegen, dass die Dienstleistungen, die vom Einzelhändler angeboten werden, inhaltlich genauso konkretisiert werden müssen wie die Waren, die ein Einzelhändler vertreibt?

11

a) Reicht es für die Konkretisierung der Dienstleistungen aus, wenn angegeben wird

12

aa) nur der Dienstleistungsbereich allgemein oder Oberbegriffe,

13

bb) nur die Klasse(n) oder

14

cc) jede einzelne Dienstleistung im Konkreten?

15

b) Nehmen diese Angaben dann an der Festlegung des Anmeldetages teil oder ist bei der Angabe von Oberbegriffen oder Klassen ein Austausch oder eine Ergänzung möglich?

16

3. Falls die Frage 1 bejaht wird:

17

Ist Art. 2 der Richtlinie dahingehend auszulegen, dass sich der Schutzumfang der Einzelhandelsdienstleistungsmarke mit Dienstleistungen auch auf Dienstleistungen erstreckt, die der Einzelhändler selbst erbringt?

18

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 10. Juli 2014 – C-420/13 (vgl. GRUR 2014, 869 – Netto) unter anderem wie folgt geantwortet:

19

Zur ersten Frage

20

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Leistungen eines Wirtschaftsteilnehmers, die darin bestehen, Dienstleistungen zusammenzustellen, damit der Verbraucher diese bequem vergleichen und erwerben kann, unter den Begriff „Dienstleistungen“ gemäß Art. 2 der Richtlinie 2008/95 fallen können.

21

Zur zweiten Frage

22

Die Richtlinie 2008/95 verlangt somit, dass die Waren oder Dienstleistungen, für die Markenschutz beantragt wird, vom Anmelder so klar und eindeutig angegeben werden, dass die zuständigen Behörden und die Wirtschaftsteilnehmer allein auf dieser Grundlage den Umfang des Markenschutzes bestimmen können (Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 49).

23

Um dieser Anforderung zu genügen, ist es nicht erforderlich, dass der Anmelder einer Marke für eine Zusammenstellungsdienstleistung jede der Tätigkeiten konkret benennt, aus denen diese Dienstleistung besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte, EU:C:2005:425, Rn. 49, und Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 45). Eine Beschreibung wie die in der von Netto Marken-Discount eingereichten Anmeldung, wonach die in Rede stehende Dienstleistung insbesondere die „Zusammenstellung verschiedener Dienstleistungen für Dritte, um den Verbrauchern den Erwerb dieser Dienstleistungen zu erleichtern, insbesondere auch durch Einzelhandelsgeschäfte, Großhandelsverkaufsstellen, über Versandkataloge oder elektronische Medien, z. B. Websites oder Teleshopping-Sendungen“ umfasst, erlaubt es den zuständigen Behörden und den Wirtschaftsteilnehmern, zu erkennen, dass sich die Anmeldung auf eine Dienstleistung bezieht, die in der Auswahl und Präsentation eines Sortiments von Dienstleistungen besteht, damit der Verbraucher bei einem einzigen Ansprechpartner unter diesen Dienstleistungen wählen kann.

24

Dagegen ist es erforderlich, dass der Anmelder einer Marke für die Dienstleistung der Zusammenstellung von Dienstleistungen mit hinreichender Klarheit und Eindeutigkeit diese Dienstleistungen bezeichnet (vgl. entsprechend Urteile Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte, EU:C:2005:425, Rn. 50, und Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 45). Ohne eine hinreichend klare und eindeutige Benennung der Dienstleistungen, die der Anmelder auszuwählen und dem Verbraucher zu präsentieren beabsichtigt, kann es sich nämlich insbesondere für die zuständigen Behörden als schwierig, wenn nicht gar unmöglich erweisen, eine vollständige Prüfung der Anmeldung vorzunehmen. Wenn diese Behörden der Anmeldung nicht entnehmen können, auf welche Dienstleistungen der Anmelder abzielt, können sie insbesondere nicht sachgerecht prüfen, ob das als Marke angemeldete Zeichen für eine oder mehrere Dienstleistungen, die der Anmelder auswählen und präsentieren möchte, beschreibend ist.

25

Im vorliegenden Fall hat N… für die Bezeichnung der Dienstleistungen, die sie zusammenzustellen beabsichtigt, auf die Klassen 35, 36, 39, 41 und 45 der Nizzaer Klassifikation verwiesen. Für die meisten dieser Klassen hat sie jedoch lediglich Oberbegriffe verwendet, die in den Klassenüberschriften enthalten sind. Insoweit ist festzustellen, dass einige der in den Klassenüberschriften der Nizzaer Klassifikation enthaltenen Oberbegriffe derart unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen abdecken, dass sie den Anforderungen der Klarheit und Eindeutigkeit nicht genügen können. Folglich erlaubt die Richtlinie 2008/95 die Verwendung von Oberbegriffen aus den Klassenüberschriften ohne zusätzliche Angaben nur in den Fällen, in denen diese Oberbegriffe für sich genommen hinreichend klar und eindeutig sind, damit die zuständigen Behörden und die Wirtschaftsteilnehmer den Umfang des beantragten Schutzes bestimmen können (vgl. Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 54 und 56).

26

Es ist Sache der zuständigen Behörden, zu beurteilen, ob Angaben wie die in der von N… eingereichten Anmeldung enthaltenen Angaben „Unterhaltung“ und „persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“ den Erfordernissen der Klarheit und der Eindeutigkeit genügen (vgl. entsprechend Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 55).

27

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass ein Markenanmelder, wenn er für eine bestimmte Klasse alle Oberbegriffe der Überschrift dieser Klasse verwendet, in jedem Fall klarstellen muss, ob sich seine Anmeldung auf alle oder nur auf einige der in der alphabetischen Liste der betreffenden Klasse aufgeführten Waren oder Dienstleistungen bezieht. Falls sie sich nur auf einige dieser Waren oder Dienstleistungen beziehen soll, hat der Anmelder anzugeben, welche Waren oder Dienstleistungen dieser Klasse beansprucht werden (Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 61).

28

Im vorliegenden Fall hat Netto Marken-Discount in der Anmeldung angegeben, dass sich die Dienstleistung der Zusammenstellung, für die sie Markenschutz beantragt, u. a. auf die Zusammenstellung der Dienstleistungen „Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten“ bezieht. Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht stellt diese Anmeldung offenbar nicht klar, ob die Klägerin des Ausgangsverfahrens, indem sie die gesamte Überschrift der Klasse 35 wiedergibt, den Schutz dieser Marke für die Zusammenstellung sämtlicher in der alphabetischen Liste dieser Klasse aufgeführten Dienstleistungen oder nur für die Zusammenstellung einiger dieser Dienstleistungen begehrt. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Betrachtungsweisen innerhalb der Union in Bezug darauf, wie die Verwendung der Überschrift einer Klasse der Nizzaer Klassifikation zu verstehen ist, kann eine Anmeldung, die es nicht erlaubt, festzustellen, ob der Anmelder mit der Verwendung einer Klassenüberschrift auf alle oder nur auf einige der von dieser Klasse erfassten Waren oder Dienstleistungen abzielt, nicht als hinreichend klar und eindeutig angesehen werden (Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 58, 59 und 62).

29

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen ist, dass nach dieser Richtlinie die Anmeldung einer Marke für eine Dienstleistung, die in der Zusammenstellung von Dienstleistungen besteht, so klar und eindeutig formuliert werden muss, dass die zuständigen Behörden und die anderen Wirtschaftsteilnehmer erkennen können, welche Dienstleistungen der Anmelder zusammenzustellen beabsichtigt.

30

Zur dritten Frage

31

Die dritte Frage (ob sich der Begriff „Handel“ tatsächlich nur auf Fremd- oder auch auf Eigenprodukte beziehen kann) hat der EuGH für unzulässig erklärt.

32

Im Rahmen des fortgesetzten Beschwerdeverfahrens hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom 1. April 2016 unter Bezugnahme auf den mittlerweile im Verfahren 29 W (pat) 573/12 – N… ergangenen Senatsbeschluss vom 12. Januar 2016 ihr Waren- und Dienstleistungsverzeichnis bezüglich der verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen - wie im Parallelverfahren - wie folgt neu gefasst:

33

,,Klasse 35:

(. . .)

34

Dienstleistungen des Einzel- und Großhandels, insbesondere die Zusammenstellung verschiedener Dienstleistungen für Dritte, um den Verbrauchern den Erwerb dieser Dienstleistungen zu erleichtern, insbesondere auch durch Einzelhandelsgeschäfte, Großhandelsverkaufsstellen, über Versandkataloge oder elektronische Medien, z. B. Websites oder Teleshopping-Sendungen hinsichtlich der folgenden Dienstleistungen aus:

35

Klasse 35: Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten;

36

Klasse 36: Ausgabe von Gutscheinen, Wertmarken;

37

Klasse 39: Veranstaltung von Reisen;

38

Klasse 41: Unterhaltung;

39

Klasse 45: Adoptionsvermittlung; Ahnenforschung; Babysitting; Begleitung von Personen als Gesellschafter; Bestattungsdienstleistungen; Dienstleistungen auf dem Gebiet der nicht-juristischen Streitregelung; Dienstleistungen eines Detektivs; Ehevermittlung; Einbalsamierungsdienste; Erdbestattung; Erstellung von Horoskopen; Feuerbestattung; Haushüten; Hüten von Haustieren; Mediation; Nachforschung in Rechtsangelegenheiten; Nachforschungen nach vermissten Personen; Nachforschungen über Personen; Öffnen von Türschlössern; Online- Dienstleistungen zum Knüpfen sozialer Kontakte; Organisation von religiösen Veranstaltungen; Planung und Vorbereitung von Hochzeitsfeiern; Schlichtungsdienstleistungen; Tauben aufsteigen lassen zu besonderen Anlässen; Vermietung von Bekleidungsstücken; Vermietung von Kleidung und Kostümen; Vermittlung von Bekanntschaften“.

40

Sie beantragt,

41

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 10. September 2012 aufzuheben.

42

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

43

Die nach §§ 66, 64 Abs. 6 MarkenG zulässige Beschwerde ist begründet.

44

Es wird Bezug genommen auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Zulässigkeit der Eintragung von Marken für Handelsdienstleistungen mit näher bezeichneten Dienstleistungen (EuGH GRUR 2014, 869 – N… AG & Co. KG/Deutsches Patent- und Markenamt [Netto]), das auf das Vorlageersuchen des hiesigen Senats im Parallelverfahren ergangen ist und auf den daraufhin ergangenen Beschluss vom 12. Januar 2016 (BPatG, 29 W (pat) 573/12; zu finden auf der Homepage des BPatG unter www.bundespatentgericht.de) Unter Berücksichtigung der vorgenannten Entscheidungen und unter Zugrundelegung des mit Schriftsatz vom 1. April 2016 eingereichten Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses weist die vorliegende Anmeldung keine formellen Mängel nach §§ 32 Abs. 3, 65 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG i. V. m. §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 20 MarkenV auf, so dass ein Zurückweisungsgrund nach § 36 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 MarkenG nicht (mehr) besteht.

45

Das Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen ist nicht nur gemäß § 20 Abs. 1 MarkenV so zu fassen, dass die Klassifizierung jeder einzelnen Ware und Dienstleistung in eine Klasse der Klasseneinteilung nach § 19 Abs. 1 MarkenV möglich ist. Die beanspruchten Waren und Dienstleistungen sind außerdem vom Anmelder so klar und eindeutig anzugeben, dass die zuständigen Behörden und die Wirtschaftsteilnehmer allein auf dieser Grundlage den Umfang des Markenschutzes bestimmen können, und zwar schnell, umfassend und unmissverständlich. Die Waren und Dienstleistungen müssen nach Inhalt und Umfang klar und eindeutig von anderen Waren und Dienstleistungen abgrenzbar sein (vgl. Kirschneck in Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Auflage, § 32 Rn. 105; EuGH GRUR 2012, 822, Nr. 47, 48 – Chartered Institute of Patent Attorneys/Registrar of Trade Marks [IP TRANSLATOR]). Dabei müssen nicht zwingend die Bezeichnungen der Klassifikation von Nizza verwendet werden. Diese Bezeichnungen „sollen“ zwar verwendet werden (§ 20 Abs. 2 Satz 1 MarkenV). Es können aber auch in der Klassifikation von Nizza nicht enthaltene, aber verkehrsübliche Bezeichnungen verwendet werden (§ 20 Abs. 2 Satz 2 MarkenV). Die notwendigen Klarstellungen müssen zudem die allgemeinen und objektiven Eigenschaften und Zweckbestimmungen der Waren und Dienstleistungen in einer wirtschaftlich nachvollziehbaren und damit rechtlich abgrenzbaren Weise betreffen (vgl. Kirschneck in Ströbele/Hacker, a. a. O. § 32 Rn. 107). Im Falle einer Neuformulierung des Verzeichnisses darf keine unzulässige Erweiterung erfolgen (vgl. Kirschneck in Ströbele/Hacker, a. a. O., § 39 Rn. 3); eine Einschränkung oder Präzisierung ist aber auch noch im Beschwerdeverfahren ohne weiteres möglich.

46

Das verfahrensgegenständliche Dienstleistungsverzeichnis genügt den vorgenannten Anforderungen.

47

1. Mit Beantwortung der ersten Vorlagefrage in seinem Netto-Urteil hat der EuGH klargestellt, dass er den Handel mit Dienstleistungen - als Dienstleistung der Klasse 35 der Nizzaer Klassifikation - anerkennt.

48

2. Bei der Beantwortung der zweiten Frage hat der EuGH hinsichtlich der Konkretisierung der beanspruchten Handels- bzw. Zusammenstellungsdienstleistungen Bezug genommen auf seine Entscheidungen „IP-Translator“ (GRUR 2012, 822) und „Praktiker“ (GRUR 2005, 764 - Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte); die Anforderungen an die Formulierung der beanspruchten Handelsdienstleistung als solcher entsprechen danach denjenigen, die für die Zusammenstellungsdienstleistung mit Waren gefordert werden. Eine inhaltliche Konkretisierung der geschützten Handelsdienstleistung als solche, also die konkrete Bezeichnung der einzelnen Tätigkeiten dieser Dienstleistungen ist daher - auch weiterhin - nicht erforderlich. Der EuGH hat im Übrigen ausdrücklich bestätigt, dass die - auch im hiesigen Verfahren - von der Anmelderin gewählte Formulierung „…Dienstleistungen des Einzel- und Großhandels, insbesondere die Zusammenstellung verschiedener Dienstleistungen für Dritte, um den Verbrauchern den Erwerb dieser Dienstleistungen zu erleichtern, insbesondere auch durch Einzelhandelsgeschäfte, Großhandelsverkaufsstellen, über Versandkataloge oder elektronische Medien, z. B. Websites oder Teleshopping-Sendungen hinsichtlich der folgenden Dienstleistungen aus…“ den Grundsätzen der Konkretheit und Eindeutigkeit genügt (a. a. O. – Rn. 45 – Netto).

49

3. Die Überprüfung der Frage, ob in den jeweiligen Einzelfällen der Grad der Präzisierung des gehandelten Dienstleistungssortiments ausreicht, ist den nationalen Behörden und Gerichten vorbehalten worden (vgl. EuGH, a. a. O. Rn. 52 - Netto). Die vorliegende Anmeldung erfüllt nach Ansicht des Senats die insoweit vom Europäischen Gerichtshof geforderten Konkretisierungserfordernisse auch im Hinblick auf die gehandelten bzw. „zusammengestellten“ Dienstleistungen.

50

Hierzu im Einzelnen:

51

a) Beim Handel mit Dienstleistungen sind - entsprechend den Handelsdienstleistungen mit Waren - in Bezug auf die Dienstleistungen oder Arten von Dienstleistungen, die der Anmelder auszuwählen und den Kunden zu präsentieren beabsichtigt, nähere Angaben zu fordern; der Gegenstand der Handelsdienstleistung muss dabei - worauf der EuGH ausdrücklich hin- weist -, mit „hinreichender Klarheit und Eindeutigkeit“ benannt werden (EuGH a. a. O., Rn. 46 – Netto). Damit hat der EuGH die Vorgaben aus seiner „IP-Translator“-Entscheidung nicht nur auf die Angabe der beanspruchten Handelsdienstleistung als solcher bezogen, sondern sie weiter erstreckt auf die erforderlichen Spezifizierungen im Zusammenhang mit den „zusammengestellten“ Dienstleistungen, d. h. auf das Sortiment, mit dem gehandelt wird. Den Ausführungen des EuGH in den Randnummern 46 bis 50 kann eine Angleichung der Maßstäbe hinsichtlich der erforderlichen Konkretisierung entnommen werden. Die Prüfung, ob Waren- und Dienstleistungsangaben ausreichend klar und eindeutig sind, ist aus Sicht des Senats daher unabhängig davon vorzunehmen, ob diese als solche beansprucht werden oder als Handelssortiment. Denn eine nicht ausreichend klare und eindeutige Waren- oder Dienstleistungsangabe wird nicht dadurch präziser, dass sie „nur“ als gehandeltes Sortiment beansprucht wird.

52

Nicht ausreichend sind daher nur Klassenangaben (z. B. „Groß- und Einzelhandelsdienstleistung mit Dienstleistungen aus den Klassen 35, 41 und 43“). Die bloße Angabe einer Klasse vermittelt ohne Zuhilfenahme der jeweils gültigen Fassung der Klasseneinteilung und der alphabetischen Liste nach § 19 MarkenV keine aus sich heraus verständliche Information über den Bereich des gehandelten Sortiments; der Schutzumfang kann daher nicht unmittelbar dem Register entnommen werden. Die gegenteilige Auffassung würde voraussetzen, dass Öffentlichkeit und Wirtschaftsteilnehmer derart spezielle Klassifikationskenntnisse besitzen, dass sie genau wissen, welche Waren und Dienstleistungen welcher Klasse zuzuordnen sind; hiervon kann nicht ausgegangen werden.

53

Auch allgemeine, klassenübergreifende Bereichsangaben (z. B. „Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen mit Dienstleistungen aus dem medizinischen Bereich“ oder „Einzelhandelsdienstleistungen im Zusammenhang mit Gesundheit, Lifestyle, Wellness“) genügen den Vorgaben der Klarheit und Eindeutigkeit nicht, weil das Sortiment nicht ausreichend abgrenzbar ist und damit insbesondere die Bestimmung des Ähnlichkeitsbereichs nicht bzw. kaum möglich ist. „Nähere Angaben“ – so der EuGH schon in seinem Urteil zu „Praktiker“ (GRUR 2005, 764 – Rn. 51) – erleichtern im Kollisionsfall die Anwendung der Art. 4 Abs. 1 und 5 Abs. 1 RL 89/104/EG  [Markenrechts-RL 1989] ohne den Markenschutz spürbar zu begrenzen. Eine Verlagerung dieser Problematik in nachfolgende Widerspruchs- oder Verletzungsverfahren ist daher weder sinnvoll noch mit der Funktion des Markenregisters vereinbar, wonach allein auf Grundlage der Dienstleistungsformulierung der Schutzumfang der Marke schnell, umfassend und unmissverständlich bestimmbar sein muss.

54

b) Die von der Anmelderin gewählten Formulierungen zur Konkretisierung des gehandelten Sortiments setzen sich jeweils zusammen aus Klassenangaben einerseits sowie Begriffen der Nizzaer Klassenüberschriften oder Einzelbegriffen der Nizzaer Klassifikation andererseits. Sie grenzen damit den Bereich sowie das Sortiment der gehandelten Dienstleistungen ausreichend eindeutig und klar ein.

55

aa) Nach Auffassung des Senats genügen - so bereits in dem Vorlagegesuch des BPatG an den EuGH (s. dort S. 26/27) - die Handelsdienstleistungen betreffend die Dienstleistungen aus der „Klasse 35: Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten“ dem in der Entscheidung des EuGH zu IP-Translator (GRUR 2012, 822) postulierten Grundsatz der Klarheit und Eindeutigkeit, und zwar sowohl, wenn diese – wie vorliegend – als Sortiment der gehandelten Dienstleistungen benannt sind als auch, wenn sie unmittelbar als solche beansprucht werden. Soweit der EuGH in der Vorlageentscheidung (Rn. 52) Bedenken äußert, es sei nicht klar, ob durch die Angabe aller Klassenoberbegriffe der Nizzaer Klassifikation in Klasse 35 sämtliche in der alphabetischen Liste dieser Klasse aufgeführten Dienstleistungen beansprucht würden, stellt sich diese Frage in Deutschland nicht. Es ist langjährige Praxis, die Dienstleistungsbegriffe nach ihrem natürlichen Wortsinn auszulegen.

56

Anders als bis vor kurzem das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) verfolgen das DPMA und die nationale Rechtsprechung nicht das sogenannte „class heading covers all“- Prinzip; nach diesem umfasst die Benennung der Klassenüberschriften automatisch sämtliche der jeweiligen Klasse der Nizzaer Klassifikation zugeordnete Waren oder Dienstleistungen. Bei nationalen Markenanmeldungen müssen und mussten dagegen die Waren oder Dienstleistungen, die dem Markenschutz unterliegen sollen, stets eindeutig benannt werden oder durch die Oberbegriffe abgedeckt sein. Dieses in Deutschland geltende Prinzip des „means what it says“ ist – auch unter Hinweis auf die EuGH-Entscheidungen „Netto“ und „IP-Translator“ – vom Bundespatentgericht (Beschluss vom 15.01.2015, 25 W (pat) 76/11 – Yosoja/YOSOI) als zutreffend bestätigt worden. Bezüglich der berechtigten Kritik an der früheren HABM-Praxis – diese wurde mittlerweile ohnehin geändert (vgl. neuer Art. 28 der Unionsmarkenverordnung, die am 23. März 2016 in Kraft getreten ist) - und den Bedenken im Einzelnen wird auf die Ausführungen in diesem Beschluss verwiesen (vgl. zur aktuellen Praxis auch „Gemeinsame Mitteilung des HABM und der nationalen Ämter zur Anwendung von IP Translator“ vom 02.05.2013, zu finden auf der Homepage des DPMA und des HABM).

57

Der Senat sieht angesichts der nationalen Klassifikationspraxis, der gefestigten Rechtsprechung hierzu (vgl. Ströbele in Ströbele/Hacker, a. a. O., § 26 Rn. 253) und der rechtlichen Bedenken in Bezug auf die frühere Praxis des HABM keine Notwendigkeit zu der vom EuGH angesprochenen Klarstellung.

58

bb) Auch soweit sich die Handelsdienstleistungen auf die Dienstleistungen der „Klasse 36:  Ausgabe von Gutscheinen, Wertmarken“ und „Klasse 39:  Veranstaltung von Reisen“ beziehen, ist aus Sicht des Senats das gehandelte Sortiment jeweils ausreichend klar und eindeutig benannt.

59

cc) Wenngleich die von der Klassifikation verwendete Dienstleistungsangabe „Klasse 41: Unterhaltung“ für sich genommen recht weit ist, so ist - trotz der geäußerten Bedenken des EuGH - hierdurch die Art der gehandelten Dienstleistungen ausreichend klar und eindeutig bestimmt. Denn es besteht kein vernünftiger Zweifel daran (so schon BPatG, Beschluss vom 16.10.2012, 33 W (pat) 21/11), welche Dienstleistungen (z. B. Musikdarbietungen, Theateraufführungen, Dienstleistungen eines Kabaretts etc.) unter diese Bezeichnung fallen.

60

dd) Keine Bedenken bestehen des Weiteren im Hinblick auf die einzeln aufgeführten Dienstleistungsangaben der „Klasse 45: Adoptionsvermittlung; Ahnenforschung; Babysitting; Begleitung von Personen als Gesellschafter; Bestattungsdienstleistungen; Dienstleistungen auf dem Gebiet der nicht-juristischen Streitregelung; Dienstleistungen eines Detektivs; Ehevermittlung; Einbalsamierungsdienste; Erdbestattung; Erstellung von Horoskopen; Feuerbestattung; Haushüten; Hüten von Haustieren; Mediation; Nachforschung in Rechtsangelegenheiten; Nachforschungen nach vermissten Personen; Nachforschungen über Personen; Öffnen von Türschlössern; Online- Dienstleistungen zum Knüpfen sozialer Kontakte; Organisation von religiösen Veranstaltungen; Planung und Vorbereitung von Hochzeitsfeiern; Schlichtungsdienstleistungen; Tauben aufsteigen lassen zu besonderen Anlässen; Vermietung von Bekleidungsstücken; Vermietung von Kleidung und Kostümen; Vermittlung von Bekanntschaften“.

61

Eine unzulässige Erweiterung enthält das Verzeichnis insoweit nicht, vielmehr handelt es sich jeweils um konkrete Einzelaufzählungen von Dienstleistungen, die unter den ursprünglich genannten Klassenoberbegriff „persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“ zu subsumieren sind. Unter Berücksichtigung und in Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung zu IP-Translator wurde von den an der Harmonisierung teilnehmenden Markenämtern mittlerweile der in den Klassenüberschriften der Nizzaer Klassifikation enthaltene Oberbegriff „persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“ - aus Sicht des Senats zutreffend - für nicht klar und eindeutig genug befunden; ohne eine weitere Spezifizierung ist er als solcher daher nicht zulässig (vgl. Gemeinsame Mitteilung zur gemeinsamen Praxis für die Zulässigkeit von Klassifikationsbegriffen v1.0 vom 20.02.2014, vgl. Homepage des DPMA und des HABM). Dem entsprechend lässt die Angabe „persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“ auch keine ausreichende Spezifizierung derjenigen Dienstleistungen zu, mit denen gehandelt wird. Die geänderte Fassung des verfahrensgegenständlichen Verzeichnisses trägt diesen Bedenken Rechnung.

62

Die mit der Beschwerde beanspruchten Handelsdienstleistungen für Dienstleistungen sind nach dem Vorgesagten ausreichend spezifiziert; der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben.