Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 11.03.2014


BPatG 11.03.2014 - 29 W (pat) 533/13

Markenbeschwerdeverfahren – "VITA CUR/Verticur" - zur Kennzeichnungskraft – Dienstleistungsidentität und –ähnlichkeit – klangliche Verwechslungsgefahr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
29. Senat
Entscheidungsdatum:
11.03.2014
Aktenzeichen:
29 W (pat) 533/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2011 030 549

hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts im schriftlichen Verfahren am 11. März 2014 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Dr. Mittenberger-Huber, der Richterin Uhlmann und der Richterin k.A. Akintche

beschlossen:

Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

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Die (in orange, weiß und gelb ausgestaltete) Wort-/Bildmarke

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2

ist am 1. Juni 2011 angemeldet und am 11. August 2011 unter der Nummer 30 2011 030 549 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register unter anderem eingetragen worden für die Dienstleistungen der

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Klasse 35: Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten;

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Klasse 44: medizinische und veterinärmedizinische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen und Tiere.

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Gegen diese Marke, deren Eintragung am 16. September 2011 veröffentlicht wurde, hat die Inhaberin der älteren Wortmarke 30 2008 075 413

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Verticur

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die am 30. März 2009 eingetragen worden ist für Waren der Klasse 05 und Dienstleistungen der

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Klasse 35: Werbung; Geschäftsführung für Dritte, Beratung in Fragen der Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung;

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Klasse 44: medizinische Dienstleistungen; veterinärmedizinische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen und Tiere

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Widerspruch erhoben, der sich nur gegen die oben aufgeführten Dienstleistungen aus den Klassen 35 und 44 der angegriffenen Marke richtet.

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Mit Beschluss vom 11. April 2013 hat die Markenstelle für Klasse 35 des DPMA eine Verwechslungsgefahr zwischen den beiden Marken festgestellt und die angegriffene Marke im beantragten Umfang gelöscht. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angegriffenen Dienstleistungen seien mit den Dienstleistungen der Widerspruchsmarke überwiegend identisch. Zudem weise die angegriffene Dienstleistung „Büroarbeiten“ der jüngeren Marke zumindest zu den Dienstleistungen „Geschäftsführung für Dritte“ und „Unternehmensverwaltung“ der älteren Marke ein hochgradiges Ähnlichkeitsverhältnis auf, da bei Geschäftsführung und Unternehmensverwaltung auch Büroarbeiten anfielen. Die Dienstleistungen wendeten sich an ein breites Publikum, bei dem keine besondere Aufmerksamkeit bei Inanspruchnahme der Dienste zu erwarten sei. Mangels entsprechender Anhaltspunkte für eine Steigerung oder Schwächung sei von durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen. Zwar enthalte die Widerspruchsmarke „Verticur“ in „-cur“ einen beschreibenden Anklang an „cura“ (Sorge/ Sorgfalt) und „curare“ (heilen), insgesamt sei sie aber nicht beschreibend, sondern als phantasievolle Wortbildung uneingeschränkt als Herkunftshinweis geeignet. Den bei diesen Umständen zu fordernden deutlichen Markenabstand halte die angegriffene Marke in klanglicher Hinsicht nicht ein. Wegen der grafischen Ausgestaltung der angegriffenen Marke, die in der Widerspruchsmarke keine Entsprechung finde, sei der optische Gesamteindruck ausreichend verschieden. In klanglicher Hinsicht prägten beide Wortbestandteile, die einen einheitlichen Sinngehalt ergäben, die jüngere Marke, so dass sich die Vergleichswörter „VITA CUR“ und „Verticur“ gegenüberstünden. Beide Wörter bestünden aus drei Silben, die jeweils mit dem gleichen Konsonanten begännen; die letzte Silbe sei identisch, ebenso der für das Klangbild so wichtige Sprech- und Betonungsrhythmus. Die vorhandenen Unterschiede seien demgegenüber nur geringfügig und könnten leicht überhört werden.

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Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffene Marke, mit der sie sinngemäß beantragt,

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den Beschluss des DPMA unter Zurückweisung des Widerspruchs aufzuheben.

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Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass selbst bei weitgehend identischen Dienstleistungen eine Verwechslungsgefahr nicht bestehe. Durch die grafische Ausgestaltung weiche die jüngere Marke bildlich ausreichend von der Widerspruchsmarke ab. In klanglicher Hinsicht falle bei der Aussprache der Marke „Verticur“ verglichen mit der Aussprache „VITA CUR“ auf, dass sich allenfalls die harten Endungen „cur“ ähnelten. Ganz erhebliche Abweichungen ergäben sich bei der Vokalfolge; die einzige Übereinstimmung im letzten Vokal „u“ sei aber nur von geringer Bedeutung, weil dieser sich in der für Bezeichnungen im Gesundheitswesen abgegriffenen, häufig vorkommenden und dadurch kennzeichnungsschwachen Endsilbe „cur“ befinde. Die deshalb für die Frage der vorhandenen Abweichungen oder Übereinstimmungen allein maßgeblichen Markenbestandteile „verti“ und „VITA“ zeigten beim Klangbild deutliche Unterschiede. Dies gelte auch in begrifflicher Hinsicht. Während die jüngere Marke mit dem lateinischen Wort „VITA“ einen eigenständigen Bedeutungsgehalt im Sinne von „Leben, Lebenskraft“ enthalte, fehle ein solcher bei „verti“ völlig. Der Auffassung des Amtes, die jüngere Marke „VITA CUR“ werde als Gesamtbegriff mit einheitlicher Aussage im Sinne von „Sorge für das Leben/die Gesundheit“ aufgefasst, sei zu widersprechen, denn das Wort „VITA“ sei in sämtlichen Bevölkerungsschichten und Verkehrskreisen weithin bekannt. Dies gelte nicht im selben Maße für „cur“, für das es keine direkte Übersetzung gebe. Das Amt habe daher die selbständige Bedeutung des Wortes „VITA“ in der angegriffenen Marke verkannt.

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Die Inhaberin der angegriffenen Marke trägt ferner vor, dass das Vorgehen der Widersprechenden schon deshalb nicht zulässig sei, weil diese das parallele Bestehen der Gemeinschaftsmarke „vitacur“ einer dritten Firma dulde.

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Die Widersprechende beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Sie hält an ihrer im Amtsverfahren geäußerten Auffassung fest, dass aufgrund der Identität der Dienstleistungen und der großen Zeichenähnlichkeit, insbesondere im Klang- und Schriftbild, eine Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichsmarken bestehe. Zu der von der Beschwerdeführerin eingewendeten vermeintlichen Duldung der Marke einer dritten Firma, sei anzumerken, dass die Existenz dieser Gemeinschaftsmarke der Widersprechenden bekannt sei. Wegen der Warenferne habe sie aber keine Verwechslungsgefahr gesehen und daher auch keine Notwendigkeit gegen diese Marke vorzugehen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 MarkenG zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

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Die Beschwerdegegnerin hat ihre Rechte aus der älteren Marke durch eine etwaige Duldung der Gemeinschaftsmarke „Vitacur“ einer dritten Firma nicht verwirkt, so dass sie widerspruchsberechtigt war. Nach der Eintragung einer Marke muss von Gesetzes wegen mit Widersprüchen gerechnet werden. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Widersprechende bereits gegen andere Anmeldungen bzw. Eintragungen vorgegangen ist. Die Entscheidung, Widerspruch gegen die Eintragung einer Drittmarke einzulegen, trifft allein die Inhaberin einer älteren Marke unter Berücksichtigung der von ihr angenommenen Verwechslungsgefahr (vgl. BPatG, Beschluss vom 28.05.2008, 29 W (pat) 32/08).

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Der Senat teilt die Auffassung der Markenstelle, dass zwischen den sich gegenüberstehenden Marken hinsichtlich der angegriffenen Dienstleistungen Verwechslungsgefahr im Sinne von §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.

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Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (EuGH, GRUR 2010, 1098, 1099, Rdnr. 44 – Calvin Klein/ HABM; GRUR 2010, 933, 934, Rdnr. 32 – Barbara Becker; GRUR 2006, 237, 238 – PICARO/PICASSO; BGH, GRUR 2012, 1040, 1042, Rdnr. 25 – pjur/pure; GRUR 2010, 235 Rdnr. 15 – AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, 486 Rdnr. 23 – METROBUS; GRUR 2008, 905, 906, Rdnr. 12 – Pantohexal; GRUR 2008, 258, 260 Rdnr. 20 – INTERCONNECT/T-InterConnect; GRUR 2006, 859, 860 Rdnr. 16 – Malteserkreuz I; GRUR 2006, 60, 61 Rdnr. 12 – coccodrillo m.w.N.). Bei dieser umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den durch die Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH, a.a.O. – Barbara Becker; BGH, GRUR 2013, 833, 835, Rdnr. 30 – Culinaria/ Villa Culinaria; a.a.O. – pjur/pure).

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1. Ausgehend von der hier entscheidenden Registerlage besteht zwischen den zu vergleichenden Dienstleistungen überwiegend Identität und im Übrigen hochgradige Ähnlichkeit. Die Widerspruchsmarke ist noch in der Benutzungsschonfrist. Zutreffend hatte das DPMA bereits auf die Unzulässigkeit der Einrede der Nichtbenutzung hingewiesen.

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Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen. Hierzu gehören insbesondere die Art der Waren und Dienstleistungen, ihr Verwendungszweck, ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen. In die Beurteilung einzubeziehen ist, ob die Waren oder Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt oder erbracht werden oder ob sie beim Vertrieb Berührungspunkte aufweisen (EuGH, GRUR 1998, 922 Rdnr. 15 – Canon; BGH, GRUR 2012, 1145, 1148 Rdnr. 34 f.- Pelikan; GRUR 2009, 484 Rdnr. 25 – METROBUS; GRUR 2007, 321 Rdnr. 20 – COHIBA).

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a) Die Dienstleistungen „Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung“ und „medizinische und veterinärmedizinische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für Menschen und Tiere“ der angegriffenen Marke sind im Waren- und Dienstleistungsverzeichnis der Widerspruchsmarke identisch enthalten.

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b) Die in Klasse 35 angegriffene Dienstleistung „Büroarbeiten“ der jüngeren Marke ist nach oben aufgeführten Grundsätzen mit der Dienstleistung der Widerspruchsmarke „Unternehmensverwaltung“ hochgradig ähnlich, weil es sich dabei auch um unternehmensbezogene Dienste handelt, die bei der Verwaltung von Unternehmen anfallen (vgl. BPatG, Beschluss vom 29.01.2013, 29 W (pat) 16/11).

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2. Die sich gegenüberstehenden identischen bzw. ähnlichen Dienstleistungen richten sich in Klasse 35 vorwiegend an den Fachverkehr, bei dem ein etwas erhöhter Aufmerksamkeitsgrad anzusetzen ist. Dies gilt auch in bezug auf die zu vergleichenden Dienstleistungen der Klasse 44, die sich sowohl an den Fachverkehr als auch an das breite Publikum richten. Denn erfahrungsgemäß begegnen die allgemeinen Verbraucher allem, was mit Gesundheit zu tun hat – auch der Gesundheit ihrer Haustiere – mit einer leicht gesteigerten Aufmerksamkeit.

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3. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist durchschnittlich.

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Anhaltspunkte für eine Steigerung oder Schwächung der Kennzeichnungskraft sind nicht erkennbar. Zwar handelt es sich bei der Schlusssilbe „cur“ um ein auf medizinischem Gebiet und im Gesundheitssektor häufig verwendetes Markenelement mit beschreibenden Anklängen an die lateinischen Wörter „curare“ für „behandeln“ und „cura“ mit der Bedeutung „Sorge, Pflege“. Diese klingen an in den deutschen Wörtern „Kur, kurieren“, so dass die Wortendung kennzeichnungsschwach ist (vgl. BPatG, Beschluss vom 19.05.2011, 30 W (pat) 46/10 femicare./.Femicur; Beschluss vom 16.09.1999, 25 W (pat) 225/98 Propicur./.Topicur). Selbst wenn die hier angesprochenen Verkehrskreise die Verkürzung des lateinischen Wortes erkennen, ist der Widerspruchsmarke eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft und damit ein normaler Schutzumfang zuzuerkennen (vgl. BGH, GRUR 2013, 833, 838, Rdnr. 55 – Culinaria/Villa Culinaria, zu den Graden der Kennzeichnungskraft). Denn dem weiteren Markenelement „Verti-„ kommt keine erkennbare Bedeutung zu, so dass die Gesamtmarke „Verticur“ als Fantasiebegriff aufgefasst wird.

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4. Ausgehend von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke bei identischen und hochgradig ähnlichen Dienstleistungen und trotz Anwendung einer etwas erhöhten Sorgfalt hält die angegriffene Marke den erforderlichen Abstand zur Widerspruchsmarke in klanglicher Hinsicht nicht mehr ein.

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Maßgebend für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (BGH, GRUR 2013, 833, 835, Rdnr. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, 1042, Rdnr. 25 – pjur/pure; GRUR 2008, 905, Rdnr. 12 – Pantohexal; GRUR 2008, 909, Rdnr. 13 – Pantogast), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u.a. EuGH, GRUR 2004, 428, 431, Rdnr. 53 – Henkel; BGH, MarkenR 2000, 420, 421 – RATIONAL SOFTWARE CORPORATION; GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH, GRUR 2005, 1042, 1044, Rdnr. 28 f. - THOMSON LIFE; BGH, GRUR 2012, 64, Rdnr. 14 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2009, 487, Rdnr. 32 – METROBUS; GRUR 2006, 60, Rdnr. 17 - coccodrillo). Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, (Schrift-)Bild und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH GRUR 2006, 413, 414, Nr. 19 - ZIRH/SIR; GRUR 2005, 1042, 1044, Rdnr. 28 - THOMSON LIFE; BGH GRUR 2010, 235, Rdnr. 15 - AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, 487, 487, Rdnr. 32 – METROBUS). Dabei kann für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Hinsicht genügen (st. Rspr. vgl. z.B. BGH GRUR 2010, 235, Rdnr. 18 - AIDA/AIDU).

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In klanglicher Hinsicht ist der in ständiger Rechtsprechung anerkannte Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass beim Zusammentreffen von Wort- und Bildbestandteilen der Verkehr in der Regel einem kennzeichnungskräftigen Wort als einfachster und kürzester Bezeichnungsform die größte Bedeutung beimisst (vgl. BGH, Urteil vom 31.10.2013, I ZR 49/12, Rdnr. 30 – OTTO CAP; a.a.O., Rdnr. 20 – coccodrillo). Die angegriffenen Wort-/Bildmarke „VITA CUR“ ist zwar bildlich ausgestaltet, es bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend der (klangliche) Gesamteindruck der angegriffenen Marke aus Rechtsgründen nicht durch den Begriff „VITA CUR“ geprägt wird, und daher die grafische Gestaltung einer kollisionsbegründenden Bedeutung des Wortes entgegenstehen könnte (vgl. BGH, GRUR 2004, 778, 779 – URLAUB DIREKT, BPatG, Beschluss vom 23.01.2014, 30 W (pat) 1/13).

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a) Eine prägende Bedeutung allein des Wortelements „VITA“ kann trotz der größenmäßigen Herausstellung gegenüber dem darunter angeordneten Begriff „CUR“ nicht angenommen werden. Auch wenn dem Bestandteil „CUR“ – wie im Zusammenhang mit der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke bereits erörtert – zumindest auf dem hier auch betroffenen Medizin- und Gesundheitssektor eine Kennzeichnungsschwäche wegen des beschreibenden Anklangs an „Sorge, Pflege“ anhaften mag, haben die angesprochenen Verkehrskreise keine Veranlassung, sich ausschließlich an dem Bestandteil „VITA“ zu orientieren.

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Denn zum einen vermittelt in der angegriffenen Marke nicht nur das Wort „CUR“ beschreibende Anklänge, sondern ebenfalls das weitere Markenwort „VITA“. Der aus der lateinischen Sprache stammende Begriff „VITA“ ist in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen (vgl. Duden online, www.duden.de). Es hat in erster Linie die Bedeutung „Leben“ und im hier betroffenen Dienstleistungsbereich „Lebensfunktion, Lebenskraft“ wie auch „Vitalität“ (vgl. BPatG, Beschluss vom 01.12.2003, 30 W (pat) 219/02 – VITA Vitamin E forte; Beschluss vom 14.12.2000, 25 W (pat) 233/99 – VITA – Venencreme); auch diesem Bestandteil kommt mithin wegen der die relevanten Dienstleistungen beschreibenden Begriffsanklänge nur eine verminderte Kennzeichnungskraft zu. Sind aber die Wortbestandteile hinsichtlich ihrer Kennzeichnungskraft gleichgewichtig – unabhängig davon, ob gleich stark oder gleich schwach – so vermag keines allein zu prägen.

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Zum anderen bildet der Wortbestandteil „VITA“ der angegriffenen Marke zusammen mit dem darunter angeordneten Wort „CUR“ einen gemeinsamen Begriffsanklang an „Sorge/Pflege für das Leben, für die Vitalität“, worauf schon die Markenstelle zutreffend hingewiesen hat. Trotz der unterschiedlichen Schriftgröße besteht auch aus diesem Grund kein Anlass anzunehmen, dass der Begriff „CUR“ bei der Wahrnehmung oder Wiedergabe der Marke vernachlässigt wird.

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b) Stehen sich demnach klanglich die Vergleichswörter „Verticur“ und „VITA CUR“ gegenüber, sind sie nach Auffassung des Senats im klanglichen Gesamteindruck so deutlich angenähert, dass eine hinreichend sichere Unterscheidung nicht mehr gewährleistet ist. Die Marken werden einerseits „wer-ti-kur“ und andererseits „wi-ta-kur“ ausgesprochen. Damit stimmen sie nicht nur in der Endsilbe, sondern auch im Anfangsbuchstaben „V“, der als weiches „w“ gesprochen wird sowie in der Silbenzahl und im Sprech- und Betonungsrhythmus überein. Zudem beginnen alle drei Silben jeweils mit dem gleichen Konsonanten. Diese Gemeinsamkeiten erzeugen ein sehr ähnliches Gesamtklangbild.

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Auch wenn der Erfahrungssatz beachtet wird, dass das Publikum Wortanfänge regelmäßig stärker beachtet als nachfolgende Wortteile, führt dies vorliegend nicht zu einem ausreichenden Markenabstand. Die Abweichungen durch die Vokalfolge „i-a-u“ einerseits und „e-i-u“ andererseits sowie den Buchstaben „r“ in der Widerspruchsmarke stellen kein ausreichendes Gegengewicht zu den deutlichen Übereinstimmungen im übrigen dar, zumal auch der klangschwache Konsonant „r“ unmittelbar vor dem Sprenglaut „t“ steht und deshalb klanglich häufig von diesem überdeckt wird. Wenn schließlich noch berücksichtigt wird, dass die Marken im Verkehr nicht nebeneinander aufzutreten pflegen und ein Vergleich aufgrund eines undeutlichen Erinnerungsbildes erfolgt, kann eine Verwechslungsgefahr nicht mehr verneint werden.

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c) Die klanglichen Übereinstimmungen werden auch nicht durch die nur in der angegriffenen Marke enthaltene Bedeutung „VITA“ im Sinne von „Leben“ beseitigt. Zwar können Übereinstimmungen im Wort oder Klangbild von Marken durch deren abweichenden Begriffsgehalt so reduziert werden, dass eine Verwechslungsgefahr zu verneinen ist (vgl. BGH, GRUR 2010, 235, Rdnr. 18 - AIDA/AIDU) Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind Bedeutungsunterschiede grundsätzlich geeignet, klangliche Ähnlichkeiten zu neutralisieren, wenn zumindest eines der fraglichen Zeichen in der Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise eine eindeutige und bestimmte Bedeutung hat, so dass diese Verkehrskreise sie ohne weiteres erfassen können (EuGH, GRUR 2006, 237 – PICARO/PICASSO). Dies setzt jedoch voraus, dass der abweichende Sinngehalt klanglich überhaupt wahrgenommen wird. Der Unterschied in der Bedeutung der Markenbestandteile „VITA“ im Sinne von „Leben“ und „Verti“ als Fantasiebegriff bei im Übrigen übereinstimmendem Bedeutungsanklang in der Endsilbe ist zum Ausschluss der Verwechslungsgefahr nicht geeignet. Der Bedeutungsunterschied geht wegen der hohen klanglichen Ähnlichkeit im konkreten Fall unter, denn das Verhören liegt hier vor dem Erfassen des Begriffsinhalts.

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Wegen der strengen Anforderungen an den Markenabstand kann eine unmittelbare Verwechslungsgefahr in klanglicher Hinsicht daher nicht verneint werden, was bereits für die Löschung der angegriffenen Marke ausreicht (BGH, GRUR 2008, 714, 715, Rdnr. 37 – idw).

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Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG bietet der Streifall keinen Anlass.