Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 23.01.2014


BPatG 23.01.2014 - 30 W (pat) 1/13

Markenbeschwerdeverfahren – "VebiTOX (IR-Marke, Wort-Bild-Marke)/Vermitox" – mögliche Dienstleistungsidentität – klangliche Verwechslungsgefahr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
30. Senat
Entscheidungsdatum:
23.01.2014
Aktenzeichen:
30 W (pat) 1/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze
Art 6quinquies Abschn B Nr 1 PVÜ
Art 5 MAbk Madrid

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die international registrierte Marke IR 887 659

hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 23. Januar 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker, der Richterin Winter und des Richters Jacobi

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 5 - Internationale Markenregistrierung - des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. November 2012 (Erinnerungsbeschluss) aufgehoben, soweit darin auf die Erinnerung der Inhaberin der international registrierten Marke IR 887 659 der Erstbeschluss derselben Markenstelle vom 1. Oktober 2009 (angegeben mit dem Datum 1. September 2009) aufgehoben und der Widerspruch aus der Marke 1 050 081 zurückgewiesen worden ist.

Die Erinnerung der Inhaberin der international registrierten Marke IR 887 659 gegen den Beschluss der Markenstelle für Klasse 5  - Internationale Markenregistrierung - vom 1. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die am 19. Dezember 2005 international unter der Nummer 887 659 registrierte Marke

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beansprucht Schutz für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für die Waren der Klasse 5 "Rodenticides".

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Die internationale Registrierung dieser Marke ist am 10. August 2006 veröffentlicht worden.

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Hiergegen ist Widerspruch erhoben aus der deutschen Marke 1 050 081

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Vermitox

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die seit 23. Juni 1983 für die Waren und Dienstleistungen der Klassen 5 und 37 "Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren, nämlich Nagergifte; Schädlingsbekämpfung" eingetragen ist.

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Die Inhaberin der angegriffenen IR-Marke hat im Erinnerungsverfahren die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten. Die Widersprechende hat daraufhin zwei eidesstattliche Versicherungen vom 10. und 11. Oktober 2011 eingereicht, enthaltend Umsatzangaben für die Jahre 2002 bis 2006 bzw. Angaben zur Art und Weise der Benutzung sowie dazu weitere Unterlagen beigefügt.

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Die Markenstelle für Klasse 5 - Internationale Registrierung - des DPMA hat mit einem ersten Beschluss vom 1. Oktober 2009 der international registrierten Marke IR 887 659 wegen des Widerspruchs aus der deutschen Marke 1 050 081 den Schutz für die Bundesrepublik Deutschland versagt. Dabei ist die Markenstelle von identischen Waren sowie einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen und hat wegen hoher klanglicher Ähnlichkeiten in der Gesamtbetrachtung Verwechslungsgefahr bejaht. Auf die hiergegen eingelegte Erinnerung ist mit Beschluss vom 6. November 2012 der Beschluss derselben Markenstelle vom 1. September 2009 (gemeint ersichtlich 1. Oktober 2009) aufgehoben und der Widerspruch aus der Marke 1 050 081 zurückgewiesen worden, da die Widersprechende eine Benutzung der Widerspruchsmarke für den zweiten Benutzungszeitraum Oktober 2007 bis Oktober 2012 nicht hinreichend glaubhaft gemacht habe.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie hat zwei weitere eidesstattliche Versicherungen vom 7. Januar 2013 eingereicht mit Umsatzangaben für die Jahre 2007 bis 2011 und Angaben zur Art und Weise der Benutzung sowie dazu weitere Unterlagen beigefügt. Sie hält mit näheren Ausführungen die Benutzung für glaubhaft gemacht und Verwechslungsgefahr für gegeben.

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Die Widersprechende beantragt sinngemäß,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 5 - Internationale Markenregistrierung - des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. November 2012 aufzuheben, soweit darin der Beschluss derselben Markenstelle vom 1. Oktober 2009 (Erstbeschluss) aufgehoben und der Widerspruch aus der Marke 1 050 081 zurückgewiesen worden ist, und die Erinnerung der Inhaberin der international registrierten Marke IR 887 659 gegen den Beschluss der Markenstelle für Klasse 5 - Internationale Markenregistrierung - vom 1. Oktober 2009 zurückzuweisen.

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Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Sie hat die Nichtbenutzungseinrede aufrechterhalten. Im Übrigen hält sie Verwechslungsgefahr nicht für gegeben. Dazu meinte sie im DPMA-Verfahren insbesondere, dass angesichts der rein beschreibenden Bedeutung der Endsilbe "tox" der beiden Marken durch die Unterschiede in den regelmäßig stärker beachteten Wortanfängen, die den Firmenbezeichnungen der Markeninhaber entsprächen, die Unterscheidung der sich gegenüberstehenden Marken gewährleistet sei. Es sei anerkannt, dass bei Kurzwörtern bereits geringfügige Abweichungen ausreichten, um die Verwechslungsgefahr auszuschließen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat auch in der Sache Erfolg. Zwischen den Vergleichsmarken besteht für das angesprochene Publikum die Gefahr von Verwechslungen in klanglicher Hinsicht (§§ 119, 124, 107, 114, 43 Abs. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG i. V. m. Art. 5 PMMA, Art. 6quinquies B Nr. 1 PVÜ).

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1. Die Inhaberin der angegriffenen IR-Marke hat die Benutzung der Widerspruchsmarke in zulässiger Weise bestritten, so dass auf Seiten der Widerspruchsmarke gemäß § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG nur die Produkte bzw. die Dienstleistungen zu berücksichtigen sind, für die eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke glaubhaft gemacht worden ist. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der internationalen Registrierung der angegriffenen Marke in dem vom Internationalen Büro der Weltorganisation für geistiges Eigentum herausgegebenen Veröffentlichungsblatt (§§ 124, 114 Abs. 1 MarkenG), hier am 10. August 2006, war die Widerspruchsmarke bereits länger als fünf Jahre eingetragen (Tag der Eintragung im Register: 23. Juni 1983). Das Bestreiten ist undifferenziert und betrifft deshalb beide Benutzungszeiträume gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 MarkenG. Deshalb oblag es der Widersprechenden, die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke in den beiden Zeiträumen August 2001 bis August 2006 und Januar 2009 bis Januar 2014 hinsichtlich aller maßgeblichen Umstände, insbesondere nach Art, Zeit, Ort und Umfang darzulegen und glaubhaft zu machen. Dies ist ihr mit den im Erinnerung- und im Beschwerdeverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nebst Anlagen jedenfalls für die Waren "Nagergifte" gelungen. In den eidesstattlichen Versicherungen sind Umsätze in Deutschland im erforderlichen Umfang in den maßgeblichen Zeiträumen mit der erforderlichen Dauer angegeben. Die tatsächliche Verwendung der Marke für Nagergifte ergibt sich aus den zu den maßgeblichen Zeiträumen eingereichten Verpackungsaufklebern sowie den Verpackungsmustern der Gifte enthaltenden Köderboxen und -stationen sowie der eingereichten, ebenfalls mit Gift vertriebenen Rattenfalle. Von einer rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke für die Waren "Nagergifte" ist damit auszugehen.

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2. Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (vgl. z. B. EuGH GRUR 2010, 1098, Rn. 44 - Calvin Klein/HABM; GRUR 2010, 933, Rn. 32 - BARBARA BECKER; GRUR 2011, 915, Rn. 45 - UNI; BGH GRUR 2012, 1040, Rn. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930, Rn. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Rn. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 235, Rn. 15 - AIDA/AIDU). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit die Identität oder Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Marken sowie der von diesen erfassten Waren (oder Dienstleistungen). Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und - davon abhängig - der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren (st. Rspr., z. B. BGH GRUR 2013, 833, Rn. 30 - Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Rn. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930, Rn. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Rn. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 1103, Rn. 37 - Pralinenform II; EuGH GRUR 2008, 343 Rn. 48 - Il Ponte Finanziaria Spa/HABM).

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Nach diesen Grundsätzen ist zwischen den Vergleichsmarken eine markenrechtlich relevante Gefahr von Verwechslungen zu besorgen.

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a) Die auf Seiten der Widerspruchsmarke zu berücksichtigenden Waren "Nagergifte" sind mit den von der angegriffenen IR-Marke beanspruchten Waren der Klasse 5 "Rodenticides" (deutsch: Mäuse/Rattengift/Nagetierbekämpfungsmittel) identisch.

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b) Die Widerspruchsmarke Vermitox verfügt auch mit der an "Toxin" (Gift) anklingenden Endung in ihrer Gesamtheit von Haus aus über eine normale (durchschnittliche) Kennzeichnungskraft (zu den Graden der Kennzeichnungskraft vgl. BGH GRUR 2013, 833, Rn. 55 - Culinaria/Villa Culinaria).

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c) Bei dieser Ausgangslage hält die angegriffene IR-Marke den zur Vermeidung von Verwechslungen erforderlichen deutlichen Abstand zur Widerspruchsmarke in klanglicher Hinsicht nicht ein.

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Auszugehen ist angesichts der Giftigkeit der Produkte, die mit umfassenden Warnhinweisen in den Verkehr gelangen, von einem Publikum mit gesteigerter Aufmerksamkeit, das sich zusammensetzt aus Fachkreisen und Endverbrauchern.

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Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist grundsätzlich vom jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen auszugehen (z. B. BGH GRUR 2013, 833, Rn. 45 - Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Rn. 25 - pjur/pure; GRUR 2012, 930, Rn. 22 - Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Rn. 15 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 729 Rn. 23 - MIXI). Dabei ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdnr. 211). Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, (Schrift-)Bild und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH GRUR 2006, 413, Rn. 19 - ZIRH/SIR; GRUR 2005, 1042, Rn. 28 - THOMSON LIFE; GRUR Int. 2004, 843, Rn. 29 - MATRATZEN; BGH GRUR 2010, 235, Rn. 15 - AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, Rn. 32 - METROBUS; GRUR 2006, 60, Rn. 17 - coccodrillo; GRUR 2004, 779, 781 - Zwilling/Zweibrüder). Dabei genügt für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Richtung (st. Rspr., vgl. z. B. BGH GRUR 2010, 235, Rn. 18 - AIDA/AIDU m. w. N.; Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdnr. 224 m. w. N.).

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Das ist hier in klanglicher Hinsicht der Fall. Die angegriffene IR-Marke ist zwar bildlich ausgestaltet. Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend der (klangliche) Gesamteindruck der angegriffenen Marke aus Rechtsgründen nicht durch das Wort Vebitox geprägt wird, und dass die grafische Gestaltung der angegriffenen Marke einer kollisionsbegründenden Bedeutung des Wortes entgegenstehen könnte (vgl. BGH GRUR 2004, 778, 779 - URLAUB DIREKT). Im Unterschied zum bildlichen wird der klangliche Gesamteindruck einer Wort-/Bild-Marke zudem in der Regel durch den Wortbestandteil geprägt, wenn er schutzfähig ist (vgl. etwa BGH GRUR 2008, 258, 260 (Nr. 23) - INTERCONNECT/T-Interconnect; GRUR 2008, 903, 905 (Nr. 25) - SIERRA ANTIGUO; Ströbele/Hacker, a. a. O. § 9 Rdn. 332 m. w. N.). Nach diesem Grundsatz ist im vorliegenden Fall von einer Prägung des Gesamteindrucks der angegriffenen Marke durch das Wort "Vebitox" auszugehen, zumal die Konturierung der Buchstaben unauffällig ist und die an eine Handschrift erinnernde Darstellung der Silbe "tox" sich unmittelbar an den Bestandteil "Vebi" anfügt.

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Stehen sich danach klanglich zum Vergleich die Markenwörter Vebitox und Vermitox gegenüber, besteht unter Berücksichtigung der maßgeblichen Faktoren in klanglicher Hinsicht Verwechslungsgefahr. Die Vergleichsmarken sind sich hochgradig ähnlich. Sie verfügen jeweils über drei Silben ("Ve-bi-tox" bzw. "Ver-mi-tox"), über die identische Vokalfolge ("e-i-o") und eine ähnliche Konsonantenfolge ("V-b-t-x" bzw. "V-r-m-t-x"). Bei derart weitgehenden Übereinstimmungen wirken sich der zusätzliche Konsonant "r" in der Widerspruchsmarke und die Abweichung in den Konsonanten "b/m" in den Wortmitten der Vergleichswörter im Klang nicht ausreichend differenzierend aus.

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Dass die jeweiligen Endungen "tox" der Markenwörter im Sinn von "Toxin" (Gift) kennzeichnungsschwach bzw. schutzunfähig sind, führt nicht dazu, dass sie bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr von vornherein unberücksichtigt bleiben; der maßgebliche Gesamteindruck kann auch durch solche Elemente mitbestimmt werden und im Zusammenhang mit weiteren Ähnlichkeiten beider Marken als zusätzlicher Grund für die Bejahung der Verwechslungsgefahr Bedeutung erlangen (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O. § 9 Rdn. 180 m. w. N.).

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Soweit die Inhaberin der angegriffenen Marke meint, dass die Wortanfänge den Firmenbezeichnungen der Markeninhaber entsprächen und dies die Unterscheidung der sich gegenüberstehenden Marken gewährleiste, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Es ist nämlich nichts dafür dargetan oder ersichtlich, dass die Firmenbezeichnungen der Beteiligten den angesprochenen Verkehrskreisen bekannt sind.

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Bei dieser Sachlage kann eine Verwechslungsgefahr in klanglicher Hinsicht nicht verneint werden, was ausreicht (vgl. BGH GRUR 2008, 714, 717 - Nr. 37 - idw).

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Der angefochtene Erinnerungsbeschluss kann daher keinen Bestand haben.

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3. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen wurden noch ersichtlich sind.