Entscheidungsdatum: 20.06.2012
In der Beschwerdesache
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betreffend die Marke DE 306 13 944.8
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2012 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Klante, der Richterin Dorn und des Richters am Amtsgericht Jacobi
beschlossen:
1. Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts, Markenstelle für Klasse 29, vom 19. August 2010 wird aufgehoben, soweit der Widerspruch für die Waren der Klasse 30 „ Reiscracker; Schokoladennüsse; Popcorn“ zu rückgewiesen worden ist. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat die angegriffene Marke DE 306 13 944.8 auch insoweit zu löschen.
2. Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird zurückgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
I.
Die Wortmarke
DESPERADO
ist am 26. Februar 2004 zunächst als Gemeinschaftsmarke angemeldet und am 18. Dezember 2006 unter der Nummer DE 306 13 944.8 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für folgende Waren der
Klasse 29: Verarbeitete Nüsse; überzogene Nüsse, nicht in anderen Klassen enthalten; Snackprodukte auf der Basis von Nüssen; verarbeitete Samen; getrocknete subtropische Früchte und Trockenfrüchte, nicht in anderen Klassen enthalten,
Klasse 30: Reiscracker; Schokoladennüsse; Popcorn,
Klasse 31: Unverarbeitete Nüsse, unverarbeitete Sämereien.
Gegen diese Marke, deren Eintragung am 19. Januar 2007 veröffentlicht wurde, hat die Rechtsvorgängerin der Widersprechenden aus ihrer unter der Nummer IR 632 838 am 14. März 1995 international registrierten Wortmarke
DESPERADOS
am 19. April 2007 Widerspruch erhoben. Die Widerspruchsmarke, die auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Schutz genießt und deren Schutzdauer im Jahr 2005 verlängert worden ist, ist unter anderem für die Waren der
Klasse 32: Beers; mineral and sparkling water and other non-alcoholic beverages; fruit drinks and fruit juices; syrups and other preparations for making beverages,
eingetragen; hierauf beschränkt sich der Widerspruch.
Am 22. Oktober 2007 hat die Inhaberin der angegriffenen Marke die Nichtbenutzungseinrede erhoben; die Widersprechende hat Unterlagen zur Glaubhaftmachung der rechtserhaltenden Benutzung ihrer Marke vorgelegt.
Die Markenstelle für Klasse 29 des DPMA hat mit Beschluss vom 19. August 2010 aufgrund des Widerspruchs die angegriffene Marke für die Waren der Klasse 29 und 31 gelöscht und den Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen. Im Umfang der Löschung sei mit der Gefahr unmittelbar klanglicher Verwechslungen zu rechnen. Hinsichtlich der nicht gelöschten Waren der Klasse 30 „Reiscracker, Schokoladennüsse und Popcorn“ sei dies jedoch nicht der Fall. Die Inhaberin der angegriffenen Marke habe die Benutzung der Widerspruchsmarke in zulässiger Weise nach § 43 Abs. 1 S. 1 und S. 2 MarkenG bestritten. Die von der Widersprechenden vorgelegten Unterlagen belegten in ausreichender Weise eine Benutzung des angegriffenen Wortzeichens für die Ware „Bier“ bis Oktober 2007. Die Warenähnlichkeit sei normal bis entfernt. Den Waren der angegriffenen Marke seien nach der „erweiterten Minimallösung“ des Bundesgerichtshofs nicht nur die Ware „Bier“, sondern auch „andere nichtalkoholische Getränke (other non alcoholic beverages)“ der Widerspruchsmarke gegenüberzustellen. Bei den Waren der Klasse 29 der angegriffenen Marke handele es sich der Sache nach um konservierte Früchte bzw. Fruchtkonserven, die den „alkoholfreien Getränken“ der Widerspruchsmarke ähnlich seien. Die Waren der Klasse 31 der angegriffenen Marke würden häufig zusammen mit den bearbeiteten Nüssen und Früchten verzehrt, weshalb diese deshalb ebenfalls im Bereich der Ähnlichkeit lägen. Für die Waren der Klasse 30 der angegriffenen Marke „Reiscracker; Schokoladennüsse; Popcorn" ergäben sich hingegen keine ähnlichkeitsrelevanten Merkmale. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei normal. Desperado sei das spanische Wort für „geh!". Für eine Anhebung oder Senkung der Kennzeichnungskraft gebe es keine Anhaltspunkte. Die nachgewiesene Benutzung der Widerspruchsmarke rechtfertige noch keinen erhöhten Schutzumfang. Den angesichts der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und der teilweise gegebenen normalen Warenähnlichkeit gebotenen deutlichen Abstand halte das angegriffene Zeichen nicht ein. Die Zeichen seien zwar nicht identisch, aber in ihrem ganzen Schriftzug, als Klang- und Silbenfolge überwiegend gleich.
Dieser Beschluss ist der Inhaberin der angegriffenen Marke am 10. September 2010 und der Widersprechenden am 13. September 2010 zugestellt worden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 7. Oktober 2010 beim DPMA eingegangene Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke. Zur Begründung trägt sie vor, der Widerspruch sei nicht begründet, die Widersprechende habe bereits die bestrittene Benutzung der Widerspruchsmarke nicht glaubhaft gemacht. Die vorgelegten Benutzungsunterlagen belegten keine ernsthafte Benutzung im Inland, insbesondere keine Verwendung der Wortmarke „DESPERADOS“. Wenn überhaupt, sei ein graphisch gestalteter Schriftzug verwendet, der den kennzeichnenden Charakter der Widerspruchsmarke verändere. Die Widersprechende habe allenfalls eine Benutzung ihrer auch für die Ware „Bier“ am 10. Februar 1997 unter der Nummer IR 668 300 international registrierten Marke
bzw. ihrer - mit der Wortfolge Desperados versehenen - am 13. November 2003 unter der Nummer IR 815 100 international registrierten Marke
belegt. Im Hinblick auf die Bainbridge-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs müsse § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG europarechtskonform ausgelegt werden. Benutzt seien allenfalls die weiteren eingetragenen Marken, nicht benutzt sei jedoch die Marke, auf die der Widerspruch gestützt worden sei. Schon aus diesem Grund müsse der Widerspruch zurückgewiesen werden. Ein Anwendungsfall der „erweiterten Minimallösung“ sei ebenfalls nicht gegeben. „Alkoholfreie Getränke“ könnten nicht als Oberbegriff zu „Bieren“ angesehen werden, insoweit handele es sich um unterschiedliche Warenbereiche. Eine Benutzung der Widerspruchsmarke für die Ware „bierhaltige Getränke“ unterstellt, sei diese Ware den Waren der angegriffenen Marke absolut unähnlich. Der Umstand, dass Bier und Knabberwaren ab und zu nebeneinander beworben, präsentiert und gleichzeitig konsumiert würden, könne eine Warenähnlichkeit nicht begründen. Die originär durchschnittliche Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke werde durch die beschreibenden Anklänge für das vermeintlich vertriebene Biergetränk verringert. Der Begriff „desperados“ sei ein Synonym für „Banditen“ in Mexiko. Der Verbraucher stelle sich bei dem Begriff das Bild eines mexikanischen Banditen mit großem Sombrero vor, der in der heißen Sonne von Mexiko seinen Tequila genieße. Eine Erhöhung der Kennzeichnungskraft ergebe sich aus den vorgelegten Benutzungsunterlagen nicht. Die sich gegenüberstehenden Zeichen seien nicht identisch. Der letzte Buchstabe „s“ der Widerspruchsmarke, ein besonders klangstarker Laut, trage zum klanglichen und schriftbildlichen Eindruck bei und werde selbst am Wortende nicht überhört. Angesichts einer fehlenden Warenähnlichkeit und der geringen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei die Gefahr von Verwechslungen ausgeschlossen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts, Markenstelle für Klasse 29, vom 19. August 2010 aufzuheben und den Widerspruch insgesamt zurückzuweisen.
Die Widersprechende hat gegen den Beschluss vom 19. August 2010 am 12. Oktober 2010 Erinnerung und nach Zustellung der Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke, die am 15. November 2010 erfolgt ist, unter dem 6. Dezember 2010 ebenfalls Beschwerde eingelegt, mit der sie beantragt,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts, Markenstelle für Klasse 29, vom 19. August 2010 aufzuheben, soweit mit diesem der Widerspruch zurückgewiesen wurde und die angegriffene Marke DE 306 13 944.8 insgesamt zu löschen sowie die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke zurückzuweisen.
Die Widersprechende ist der Auffassung, dass die angegriffene Marke wegen Verwechslungsgefahr insgesamt zu löschen sei. Die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke sei durch die vorgelegten Unterlagen, die in der mündlichen Verhandlung noch ergänzt wurden, glaubhaft gemacht. Die sich gegenüberstehenden Waren seien hochgradig ähnlich. Die Waren ergänzten sich. Es bestehe ein funktioneller Zusammenhang. Knabberartikel würden üblicherweise mit alkoholhaltigen Getränken angeboten. In einer Bar oder im Club würden Nüsse oder Cracker unaufgefordert zu Bier gereicht, im Kino zusammen verkauft und verzehrt. Ein gemeinsamer Konsum von Bier und Knabberartikeln finde auch zu Hause auf dem Fernsehsessel statt. Dies gelte auch für „Reiscracker, Schokoladennüsse und Popcorn“. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei durch ihre umfangreiche Benutzung erhöht. Dies ergebe sich aus der in der mündlichen Verhandlungen vorgelegten aktuellen Studie des Instituts Nielsen. Die Widerspruchsmarke und das angegriffene Zeichen seien fast identisch. Der Verkehr nehme den letzten Buchstaben nicht wahr. Die fast identische Bezeichnung werde den Verbraucher dazu verleiten, wirtschaftliche Verbindungen zwischen dem Hersteller des bekannten „DESPERADOS“-Biers und einem Hersteller von z. B. „DESPERADO“- Popcorn zu sehen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache Erfolg. Die zulässige Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist unbegründet.
Zwischen der angegriffenen Wortmarke „DESPERADO“ und der Widerspruchsmarke „DESPERADOS" besteht Verwechslungsgefahr im Sinne von §§ 107 Abs. 1, 116 Abs. 1, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG, so dass die angegriffene Marke auf die Beschwerde der Widersprechenden auch für die übrigen Waren und damit insgesamt zu löschen ist.
Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (EuGH GRUR 2006, 237, 238 – PICARO/PICASSO; BGH GRUR 2011, 826-828, Rdnr. 11 - Enzymax/Enzymix; GRUR 2011, 824 Rdnr. 19 – Kappa; GRUR 2010, 833, Rdnr. 12 - Malteserkreuz II; GRUR 2010, 235, Rdnr. 15 - AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, 486 Rdnr. 23 – Metrobus; GRUR 2008, 906 - Pantohexal; GRUR 2008, 258, 260 Rdnr. 20 – INTERCONNECT/T-InterConnect; GRUR 2008, 903, Rdnr. 10 - SIERRA ANTIGUO). Eine absolute Warenunähnlichkeit kann dabei selbst bei Identität der Zeichen nicht durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke ausgeglichen werden (EuGH GRUR 1998, 922 Rdnr. 15 - Canon; BGH GRUR 2009, 484, 486, Rdnr. 25 - Metrobus; GRUR 2007, 321 - COHIBA; GRUR 2006, 941 Rdnr. 13 - TOSCA BLU).
Nach diesen Grundsätzen kann eine markenrechtlich relevante Gefahr von Verwechslungen nicht verneint werden.
1. Da die Widersprechende eine Benutzung der Widerspruchsmarke für die Ware „Bier“ glaubhaft gemacht hat, ist gemäß § 43 Abs. 1 S. 3 MarkenG für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf Seiten der Widerspruchsmarke ausschließlich die Ware „Bier“ zugrundezulegen.
a) Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat die Benutzung der Widerspruchsmarke in zulässiger Weise nach den §§ 116 Abs. 1 i. V. m. 43 Abs. 1 MarkenG bestritten; denn für die Widerspruchsmarke ist die Frist zur Mitteilung etwaiger Schutzverweigerungsgründe nach Art. 5 Abs. 2 des Madrider Abkommens über die internationale Registrierung von Marken hinsichtlich der am 14. März 1995 erfolgten internationalen Registrierung im März 1996 abgelaufen (§§ 116 Abs. 1 i. V. m. 115 Abs. 2 Ziffer 2 MarkenG). Mithin war die Widerspruchsmarke zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke seit mindestens fünf Jahren eingetragen (§ 43 Abs. 1 S. 1 MarkenG) Die Benutzung war damit nachzuweisen für den Zeitraum 20. Juni 2012 bis 20. Juni 2007 sowie 19. Januar 2007 bis 19. Januar 2002.
b) Für beide Zeiträume ist von einer rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke für die Ware „Bier" auszugehen. Die Benutzung der Widerspruchsmarke ist gerichtsbekannt und im Übrigen glaubhaft gemacht.
(1) Die ernsthafte Benutzung der Widerspruchsmarke „DESPERADOS“ ist glaubhaft gemacht worden für ein „Bier“ mit Tequilageschmack für den Zeitraum 2003 bis 2011 durch die zahlreichen von der Widersprechenden vorgelegten Unterlagen sowie die eidesstattlichen Versicherungen der Herren S… vom 24. Juni 2008 (Anlage 20 zu Bl. 80-86 der Verwaltungsakte [VA]), Y… und G… vom 14. Februar 2008 (Anlage 3 zu Bl. 63-68 VA), B… vom 14. Juni 2011 (Bl. 147 der Gerichtsakte [GA]) sowie F… vom 20. Juni 2012 (Bl. 220 GA). Aus diesen ergeben sich folgende Umsätze, die die Widersprechende bzw. ihre Lizenznehmerin in Deutschland unter Verwendung der Widerspruchsmarke in Deutschland getätigt hat:
Jahresumsatz |
Bierabsatz in Hektolitern |
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… |
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Dass sich das Bierabsatzvolumen im Jahr 2007 nach den eidesstattlichen Versicherungen der Herrn B… einerseits (114.242,22 Hektoliter) und der Herren Y… und G… andererseits (113.896 Hektoliter) um 346,22 Hektoliter unterscheidet, begründet zwar Zweifel an der Sorgfalt bei Abfassung der eidesstattlichen Versicherungen, stellt jedoch die Tatsache eines Bierabsatzes in nennenswertem Umfang nicht in Frage; denn ein solcher wird durch weitere Indizien bestätigt. Dies sind zum einen die von der Widersprechenden in Auswahl vorgelegten Rechnungskopien (Anlagen 4-6 zu Bl. 63-68 VA, Bl. 110-130 VA), die entgegen der Auffassung der Inhaberin der angegriffenen Marke einen Hinweis auf tatsächlich erzielte Umsätze geben und eine ernsthafte - im Gegensatz zu einer nicht ausreichenden nur symbolischen (vgl. EuGH GRUR 2008, 343, Rdnr. 72 - Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]) - Benutzung nahelegen. Zum anderen ist dies die von der Widersprechenden im Termin vorgelegte aktuelle Studie des Instituts Nielsen, derzufolge „DESPERADOS“ im Zeitraum Januar bis April 2012 an 76 % (im gleichen Vorjahreszeitraum an 70 %) aller Verkaufsstätten im Lebensmitteleinzelhandel, in Getränkeabholmärkten sowie an Tankstellen gelistet war (vgl. S. 14 der Studie, Bl. 220 GA).
Die Form der Benutzung der Widerspruchsmarke ergibt sich aus den von der Widersprechenden vorgelegten Verpackungskartons (Anlage 7 zu Bl. 63-68 VA) und der vorgelegten Auswahl von Werbemedien (Anlagen 8-15 zu Bl. 63-68 VA, Bl. 56/57 VA und Bl. 62-109). Aus den in der mündlichen Verhandlung an beide Verfahrensbeteiligte übergebenen Recherchebelegen des Senats (Bl. 211-219 GA) ist ersichtlich, dass die von der Widersprechenden vertriebene Ware „Bier“ in Online-Shops oder auf Internetseiten von Einzelhandelsunternehmen in Preislisten (z. B. www.my-food-online.de, www.wir-liefern-getraenke.de, www.gbz-net.de oder www.tankstelle-koeln.de) oder in der Gastronomie in Getränkekarten (z. B. www.oldschool-cocktailbar.de oder www.pappasitos.de/Muenchen) vielfach mit einer graphisch nicht ausgestalteten Wortfolge der Widerspruchsmarke „DESPERADOS“ - überwiegend auch unter Verweis auf den Internetauftritt der Widersprechenden - angeboten wird. Da die Widerspruchsmarke somit in der eingetragenen Form verwendet wird, kann offenbleiben, wie es sich auswirken würde, wenn die Widersprechende - wie von der Inhaberin der angegriffenen Marke argumentiert - als Zeichen ausschließlich die unter der Nummer IR 668 300 international registrierte Marke
oder die unter der Nummer IR 815 100 international registrierte mit dem Aufdruck der Wortfolge „Desperados“ versehene Bildmarke
verwendet hätte. Die dem Europäischen Gerichtshof vom Bundesgerichtshof vorgelegten und noch vorliegenden Fragen zur Gemeinschaftskonformität des § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG (vgl. BGH GRUR 2011, 1142-1147 - PROTI) - im Hinblick auf die entsprechenden Ausführungen des EuGH in seiner Bainbridge-Entscheidung (EuGH a. a. O., Rdnr. 82 bis 86 - Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]) - stellen sich vorliegend deshalb nicht.
(3) Entgegen der Auffassung der Markenstelle ist nur eine Benutzung der Widerspruchsmarke für die Ware „Bier“ glaubhaft gemacht und nur diese den von der angegriffenen Marke beanspruchten Waren gegenüberzustellen. Nach der sogenannten „erweiterten Minimallösung“ (vgl. BGH WRP 2001, 1447, 1449 - Ichthyol) ist maßgeblich, inwieweit es unter Berücksichtigung der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise und des berechtigten Interesses der Widersprechenden, nicht in ihrer geschäftlichen Bewegungsfreiheit ungebührlich eingeengt zu werden, gerechtfertigt ist, den Kreis der zu berücksichtigenden Waren über das konkrete Produkt hinaus auch auf solche Waren auszudehnen, die der Verkehr gemeinhin als zum gleichen Warenbereich gehörend ansieht. Hier enthält das Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke neben der Ware „Bier“ lediglich nicht alkoholische Getränke. „Bier“ und „nicht alkoholische Getränke“ stimmen nach der Verkehrsauffassung weder in ihren Eigenschaften noch nach ihrer Zweckbestimmung überein. Sie gehören nicht zum gleichen Warenbereich.
2. Ausgehend hiervon werden die Vergleichsmarken zur Kennzeichnung entfernt ähnlicher Waren verwendet.
Eine Ähnlichkeit sich gegenüberstehenden Waren ist grundsätzlich anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder Leistungen oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlichen Gründe so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH MarkenR 2009, 47, 53, Rdnr. 65 – Edition Albert René; BGH GRUR 2004, 601 - d-c-fix/CD-FIX; GRUR 2001, 507, 508 –EVIAN/REVIAN).
Nach den vorgenannten Grundsätzen ist eine absolute Warenunähnlichkeit zu verneinen. Vielmehr kann der Ware „Bier“ eine entfernte Ähnlichkeit zu den von der angegriffenen Marke beanspruchten Snackartikeln, also zu den Waren der Klasse 29, d. h. zu den „verarbeiteten Nüssen; überzogenen Nüssen; Snackprodukten auf der Basis von Nüssen; verarbeiteten Samen; getrockneten subtropischen Früchten und Trockenfrüchten“, der Klasse 30, d. h. zu den „Reiscrackern; Schokoladennüssen; Popcorn“ sowie der Klasse 31, d. h. zu den „unverarbeiteten Nüssen, unverarbeiteten Sämereien“, nicht abgesprochen werden.
Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, das unter der Widerspruchsmarke „Desperados“ vertriebene „Bier“ und die von der angegriffenen Wortmarke „Desperados“ beanspruchten Snackartikel stammten aus denselben oder gegebenenfalls wirtschaftlich verbundenen Unternehmen.
Diese Annahme ergibt sich zwar nicht aus der Beschaffenheit oder der regelmäßigen betrieblichen Herkunft dieser Waren. Bei der üblichen Herstellung der Ware „Bier“ aus den Grundzutaten Wasser, Malz und Hopfen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Bier) werden keine „Nüsse, Sämereien, getrocknete Früchte, Reiscracker, Schokoladennüsse oder Popcorn“ eingesetzt. Es ist auch nicht ersichtlich oder allgemein bekannt, dass Brauereien tatsächlich auch Snackartikel herstellen. Insoweit bestehen - entgegen der Auffassung der Widersprechenden - auch keine Anhaltspunkte für eine Lizensierungspraxis zwischen Bier- und Snackartikelherstellern. Durch die Erteilung von Vermarktungsrechten bleibt der Warenähnlichkeitsbereich unberührt (vgl. BGH GRUR 2007, 321, Rdnr. 27 - Cohiba; GRUR 2006, 941, Rdnr. 14 - TOSCA BLU; GRUR 2004, 594 [596] - Ferrari-Pferd), denn Gegenstand der Vermarktung kann auch die Bekanntheit der Marke für Waren außerhalb des Ähnlichkeitsbereichs sein.
Die Erwägungen der Widersprechenden, nach denen sich eine - nach Überzeugung des Senats: zumindest entfernte - Warenähnlichkeit aus dem regelmäßigen gemeinsamen Verkauf und Konsum von „Bier“ und den genannten Snackartikeln ergibt, sind jedoch durchgreifend. Der Senat hat dabei insbesondere bedacht, dass der Verkehr grundsätzlich, was für eine gänzliche Unähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Waren sprechen könnte, zwischen Essen und Trinken unterscheidet (vgl. BGH GRUR 1999, 158, 159 f., Rdnr. 21 - GARIBALDI; HABM R 0251/00-3 Rdnr. 38 f. - Mixery./.MYSTERY - Abdruck Bl. 98-109 VA). Auch unter Berücksichtigung dieser Erwägung entspricht es jedoch der Lebenserfahrung, dass zu einem „Bier“, ob zu Hause auf dem Fernsehsessel, in einer Bar oder im Kino, regelmäßig auch Knabberartikel konsumiert werden und in einem gewerblichen Rahmen auch zusammen angeboten werden. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die angesprochenen Verbraucher in Deutschland durch langjährige Übung daran gewöhnt wurden, dass es zum „Bier“ „etwas zu knabbern“ gibt. Es ist allgemein bekannt, dass im Einzelhandel, in der Gastronomie, an Kinokassen oder Tankstellen „Bier“ und Snackartikel in unmittelbarer räumlicher Nähe angeboten werden, wobei dies nicht lediglich auf ein geringes Platzangebot zurückzuführen ist, sondern ganz bewusst erfolgt, um sowohl den Konsum des „Bieres“ als auch der Snackartikel weiter anzuregen: „Bier“ regt den Appetit an und Knabberartikel machen Durst. Insoweit ist die eine Ware für die Verwendung der anderen durchaus von Bedeutung (vgl. Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Auflage, 2012, § 9 Rdnr. 91).
Werden diese Komplementärartikel nun mit fast identischen Marken gekennzeichnet und bewusst gemeinsam angeboten, veranlasst dies den Käufer nach der Überzeugung des Senats durchaus zu der Annahme, die Waren würden, wenn nicht sogar von denselben Unternehmen, so doch wenigstens unter ihrer Kontrolle hergestellt, importiert oder vertrieben. Entgegen BGH a. a. O. - GARIBALDI und auch BGH GRUR 1999, 164, 166 - JOHN LOBB, nach der aus einem gemeinsamen Vertrieb in Geschäften nicht auf eine Warenähnlichkeit geschlossen werden dürfe, kann eine entfernte Ähnlichkeit von „Bier“ und Knabberartikeln nicht verneint werden a.A. 32. Marken-Beschwerdesenat vom 12. Februar 2033 (BPatG 32. W (pat) 144/02 - OPUS ONE). Diese Rechtsauffassung des Senats wird bestätigt durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 8. Oktober 1998, in der dieser die Waren „Wein, Schaumwein" einerseits und „Boonekamp", einem sog. „Magenbitter“, andererseits nicht als (absolut) unähnlich beurteilt hat, weil „erfahrungsgemäß ... ein Boonekamp gelegentlich etwa während oder zum Abschluss eines größeren Essens, bei dem auch Wein und/oder Schaumwein genossen werden, getrunken“ werde (BGH GRUR 1999, 245, 246, Rdnr. 39 - Libero).
3. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist erhöht.
Das Wort „DESPERADOS“ ist die Pluralform des deutschen Wortes „Desperado“ und bezeichnet „jemanden, der zu jeder Verzweiflungstat fähig ist“ bzw. einen „Banditen“ oder „Umstürzler“, abgeleitet von dem spanischen Adjektiv für „verzweifelt“ (vgl. BROCKHAUS WAHRIG, Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden, 1981). Einen beschreibenden Anklang hat das Wort für die Ware „Bier“, wie von der Inhaberin der angegriffenen Marke argumentiert, nicht. Infolge ihrer gerichtsbekannt intensiven Benutzung hat die Widerspruchsmarke eine erhöhte Kennzeichnungskraft erworben, was durch die von der Widersprechenden im Termin vorgelegte aktuelle Studie des Instituts Nielsen bestätigt wird: Danach hatte „DESPERADOS“ im Lebensmitteleinzelhandel, in Getränkeabholmärkten sowie an Tankstellen im Zeitraum Januar bis April 2012 in der Kategorie Importbier einen führenden Marktanteil von 18,6 % (im gleichen Vorjahreszeitraum von 17,0 %), dies vor den bekannten Biermarken Budweiser mit einem Marktanteil von 15,5 % oder Heineken mit einem Marktanteil von 7,5 % (vgl. S. 13 der Studie, Bl. 220 GA). Darüber hinaus war das unter der Widerspruchsmarke vertriebene „Bier“ - wiederum führend - an 76 % aller Verkaufsstätten im Lebensmitteleinzelhandel, in Getränkeabholmärkten und an Tankstellen gelistet, dies vor den bekannten Marken Budweiser mit einem Anteil von 67 %, Guiness mit einem Anteil von 65 % oder Heineken mit einem Anteil von 56 %(vgl. S. 14 der Studie, Bl. 220 GA).
4. Bei einer Benutzung für entfernt ähnliche Waren und unter Berücksichtigung einer erhöhten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke hält das angegriffene Zeichen den zur Verneinung der Verwechslungsgefahr erforderlichen Abstand nicht ein.
Maßgebend für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken, wobei von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428, 431, Rdnr. 53 - Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; MarkenR 2000, 420, 421 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION). Der Grad der Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen ist dabei im Klang, im (Schrift)Bild und im Bedeutungs-(Sinn-)Gehalt zu ermitteln. Für die Annahme einer Verwechslungsgefahr reicht dabei regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Hinsicht aus (BGHZ 139, 340, 347 - Lions; BGH MarkenR 2008, 393, 395, Rdnr. 21 - HEITEC). Zudem ist bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr grundsätzlich mehr auf die gegebenen Übereinstimmungen der zu vergleichenden Marken abzuheben als auf die Abweichungen, weil erstere stärker im Erinnerungsbild zu haften pflegen. Für den Gesamteindruck eines Zeichens ist insbesondere der Wortanfang von Bedeutung, weil der Verkehr diesem regelmäßig größere Beachtung schenkt als Endsilben (BGH GRUR 2004, 783, 784 – NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).
Die sich gegenüberstehenden Zeichen sind nicht nur klanglich, schriftbildlich, sondern auch begrifflich hochgradig ähnlich. Die Silbenanzahl („DES-PE-RA-DO“ und „DES-PE-RA-DOS“) ist gleich. Der letzte Buchstabe „s“ der Widerspruchsmarke kann zwar zum klanglichen Eindruck beitragen. Bei einer spanischen Ausspracheweise würde das Wortende der Widerspruchsmarke („-os“) zwar besonders klangstark ausgesprochen werden (Aussprache:„-oß“). Jedoch ist eine spanische Aussprache im Inland kaum zu erwarten, so dass dieser Buchstabe am Wortende nicht unbedingt beachtet wird. Auch ist bei der Bestellung in Bars, Clubs oder Discos mit einer hohen Geräuschkulisse zu rechnen, bei der Endsilben häufig akustisch untergehen. Wegen der Stellung des einzigen Unterscheidungsmerkmals „s“ am Wortende fällt die unterschiedliche Schreibweise - gerade in der undeutlichen Erinnerung (vgl. Hacker, in Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdnr. 220) - auch visuell nicht besonders auf. Schließlich unterscheiden sich die Widerspruchsmarke „DESPERADOS“ und das angegriffene Zeichen „DESPERADO“ auch begrifflich fast nicht, da das angegriffene Zeichen lediglich die Einzahl des in der Widerspruchsmarke in der Mehrzahl verwendeten deutschen Fremdworts „Desperado“ bildet.
5. Die Rechtsbeschwerde war zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 83 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG). Im Hinblick darauf, dass die Frage, welche rechtlichen Anforderungen an die Ähnlichkeit von Waren zu stellen sind, bei denen die Ähnlichkeit im Wesentlichen aus dem gelegentlich oder regelmäßig erfolgenden gemeinsamen Konsum abgeleitet wird, von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ganz einheitlich beantwortet wurde (vgl. BGH a. a. O. - Libero) einerseits, wonach der gelegentlich gemeinsame Konsum - allerdings von Getränken - ähnlichkeitsbegründend sein kann und (BGH a. a. O. - GARIBALDI) andererseits, wonach der Verkehr zwischen Essen und Trinken unterscheidet, was für eine Unähnlichkeit spricht), erscheint die Zulassung der Rechtsbeschwerde gerechtfertigt.