Entscheidungsdatum: 04.04.2012
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 307 74 562.7
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 4. April 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie der Richter Reker und Hermann
beschlossen:
1. Dem Anmelder wird auf Antrag vom 19. Juni 2008 unter Aufhebung des Beschlusses der Markenstelle für Klasse 20 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 11. Oktober 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Erinnerung gewährt.
2. Die Sache wird zur Entscheidung über die Erinnerung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
I.
Der Anmelder begehrt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Erinnerung mit dem Vortrag, sein früherer Verfahrensbevollmächtigter habe die nicht zu den Akten gelangte Erinnerungseinlegungsschrift rechtzeitig am 6. Mai 2008 vor Fristablauf am 26. Mai 2008 zur Post gegeben.
Am 24. April 2008 ist seinem früheren Verfahrensbevollmächtigten der Beschluss der Markenstelle für Klasse 20 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 14. April 2008 zugestellt worden. Die Erinnerungsgebühr ist beim Deutschen Patent- und Markenamt am 7. Mai 2008 eingegangen. Mit Verfügung vom 12. Juni 2008 hat die Markenstelle darauf hingewiesen, dass die Erinnerung beim Deutschen Patent- und Markenamt nicht eingegangen sei und die Rückzahlung der Gebühr angekündigt. Daraufhin hat der Verfahrensbevollmächtigte des Anmelders mit Schreiben vom 19. Juni 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und einen Erinnerungsschriftsatz mit Datum des 6. Mai 2008 eingereicht.
Mit Beschluss vom 11. Oktober 2011 hat die Markenstelle für Klasse 20 des Deutschen Patent- und Markenamtes den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Der tatsächliche Vortrag zum Postversand und dessen Organisation im Anwaltsbüro des vormaligen Bevollmächtigten reiche nicht aus und sei nicht wie erforderlich glaubhaft gemacht.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Anmelder mit seiner Beschwerde, mit der er beantragt,
1. unter Aufhebung des Beschlusses des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 11. Oktober 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Einlegung der Erinnerung zu gewähren.
2. der Markenstelle nach erfolgter Wiedereinsetzung aufzugeben, die inhaltlich bislang nicht verbeschiedene Erinnerung des Anmelders vom 6. Mai 2008 auf ihre Begründetheit hin zu prüfen.
Ergänzend wird auf die Akte des Amtes 307 74 562.7 Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Antrag des Anmelders auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Einlegung der Erinnerung hat Erfolg, § 91 MarkenG.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig, insbesondere ist die Antragsfrist des § 91 Abs. 2 MarkenG eingehalten. Der Wegfall des Hindernisses tritt ein, sobald das Ereignis seine hindernde Wirkung auf den Säumigen oder dessen Vertreter verliert, also wenn der Säumige oder sein Vertreter bei Aufwendung der ihm zuzumutenden Sorgfalt nicht mehr gehindert ist, die versäumte Handlung vorzunehmen oder wenn das Fortbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl. 2008, § 123 Rn. 27).
Dass die Frist zur Einlegung der Erinnerung versäumt worden ist, weil der von ihm zur Post gegebene Schriftsatz im Deutschen Patent- und Markenamt nicht eingegangen ist, hat Rechtsanwalt E…, wie er im Sinne des § 91 Abs. 3 S. 2MarkenG zur Glaubhaftmachung zunächst anwaltlich versichert hat, erstmals mit Verfügung vom 12. Juni 2008 erfahren. Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2008, der am folgenden Tag beim Deutschen Patent- und Markenamt auch per Post eingegangen ist, hat er die versäumte Verfahrenshandlung nachgeholt und zusammen mit seinem Wiedereinsetzungsantrag die Erinnerungsschrift vom 6. Mai 2008 zur Akte gereicht. Zur weiteren Glaubhaftmachung hat Rechtsanwalt E… die eides-stattliche Versicherung vom 27. Oktober 10.2011 verfasst und mit der Beschwerdebegründung eingereicht. Die Glaubhaftmachung im Sinne des § 91 Abs. 3 S. 1 MarkenG unterliegt nicht den Antragsfristen des § 91 Abs. 2 und 5 MarkenG (Kober-Dehm, in: Stöbele/Hacker, MarkenR, 9. Aufl., Rn. 26 zu § 91), so dass die erstmals im Beschwerdeverfahren eingereichte Versicherung zu beachten ist.
Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 MarkenG kann Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn der Antragsteller glaubhaft darlegt, dass er ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten, deren Versäumnis nach den gesetzlichen Vorschriften einen Rechtsnachteil zur Folge hat.
Der Anmelder hat die einmonatige, mit Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 24. April 2008 beginnende Frist zur Einlegung der Erinnerung gemäß § 64 Abs. 2 MarkenG versäumt. Die Frist hat mit Ablauf des 26.5.2008 geendet, § 82 Abs. 1 MarkenG i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 ff. BGB. Der Schriftsatz zur Einlegung der Erinnerung vom 6. Mai 2008 ist erstmals am 19. Juni 2008 und damit verspätet zu den Akten gelangt. Aus diesem Grunde ist die Erinnerung des Markenanmelders als unzulässig verworfen worden.
Der für den Anmelder handelnde Verfahrensbevollmächtigte hat diese Frist allerdings nicht schuldhaft im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB versäumt mit der Folge, dass sich dieser das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen müsste, §§ 51 Abs. 2, 85 Abs. 2 ZPO, § 82 Abs. 1 MarkenG. Der Säumige war ohne Verschulden gehindert, die Frist einzuhalten, wenn er die für einen gewissenhaften, seine Belange sachgerecht wahrnehmenden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den konkreten Umständen zumutbare Sorgfalt beobachtet hat (BPatGE 24, 124, 129; 24, 140, 142; BPatG BlPMZ 1982, 160 f.). Die Anforderungen an das Maß der erforderlichen Sorgfalt dürfen dabei nicht überspannt werden (BVerfG NJW 1996, 2857; NJW 2001, 3473; NJW-RR 2002, 1006 m. w. N.; BGH NJW-RR 2005, 865, 866; Schulte a. a. O., § 123 Rn. 78 m. w. N.), sondern müssen sich in Grenzen halten, die den tatsächlich vorhandenen praktischen Möglichkeiten und der von einer verständigen, wirtschaftlich denkenden Person zu erwartenden Sorgfalt entsprechen (BPatGE 10, 307, 309).
In der Beschwerdebegründung hat der frühere Verfahrensbevollmächtigte des Anmelders an Eides Statt versichert und damit spätestens im Sinne des § 91 Abs. 3 S. 2 MarkenG glaubhaft gemacht, dass er am bis 6. Mai 2008 mit seinem Mandanten die Erinnerungsschrift abgestimmt und die Nachricht von dessen Einzahlung der Gebühr erhalten habe. Er habe ferner, so schon im Wiedereinsetzungsantrag anwaltlich versichert vorgetragen, einer zuverlässigen Mitarbeiterin den Auftrag erteilt, den Schriftsatz abzusenden und den Vollzug dieser Anweisung am Tag des Fristablaufs durch Inaugenscheinnahme des Aktenexemplars des Schriftsatzes kontrolliert, welches dort nach Absenden abgeheftet werde.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und der anderen Obersten Gerichtshöfe dürfen dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung oder der Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt werden. Hierauf hat der Bürger keinen Einfluss. Im Verantwortungsbereich einer Partei, die einen fristgebundenen Schriftsatz auf dem Postweg befördern lässt, liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann (BGH NJW 2007, 2778, NJW-RR 2004, 1217; BVerfG NJW 2001, 744; NJW 2003, 1516; 2001, 1566; 1995, 1210, 1211, jeweils m. w. N.). Dabei darf eine Partei grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden (BGH a. a. O.). Das gilt selbst dann, wenn - etwa vor Feiertagen - allgemein mit erhöhtem Postaufkommen zu rechnen ist (BGH a. a. O.; BVerfG NJW 2001 a. a. O.; 1995 a. a. O., jeweils m. w. N.). Daran hat sich durch den Erlass der Postuniversaldienstleistungsverordnung vom 15. Dezember 1999 (PUDLV) nichts geändert. Danach sind die regelmäßigen Postlaufzeiten sogar als Mindeststandards verbindlich vorgegeben. Nach § 2 Nr. 3 Satz 1 PUDLV müssen die Deutsche Post AG und andere Unternehmen, die Universaldienstleistungen im Briefverkehr anbieten, sicherstellen, dass sie an Werktagen aufgegebene Inlandsendungen im gesamten Bundesgebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80% am ersten und zu 95% am zweiten Tag nach der Einlieferung ausliefern. Diese Quoten lassen die Einhaltung der Postlaufzeiten erwarten. Ohne konkrete Anhaltspunkte muss ein Rechtsmittelführer deshalb nicht mit Postlaufzeiten rechnen, die die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH a. a. O.; BGH WM 2009, 416 - 418; OLG Hamm NJW 2009, 2230, 2231).
Vorliegend hat der frühere Vertreter des Anmelders den Schriftsatz vom 6. Mai 2008 - wie ausreichend glaubhaft gemacht - weit vor Fristablauf zur Post gegeben. Soweit der Beschluss der Markenstelle vom 11. Oktober 2011 hierzu Vortrag vermisst, weist die Beschwerdebegründung auf Seite fünf zutreffend darauf hin, dass dies die Anforderungen an den zu haltenden Vortrag überspannt. Denn in seiner Gesamtbetrachtung ist das Vorbringen zum Versenden des Erinnerungsschriftsatzes nicht anders verstehen, als dass der damalige Vertreter des Anmelders seiner zuverlässigen Mitarbeiterin das Abschicken des fraglichen Schriftsatzes in der büroüblichen Weise aufgetragen hat, diese den Auftrag umsetzte und büroüblich durch Einheften eines Aktenexemplars dokumentierte und diese Praxis bisher nicht zu Rückläufern und/oder Fristversäumnissen geführt hat. Danach ist dieses Verhalten nicht zu beanstanden und für die Fristversäumung nicht ursächlich (vgl. BGH NJW-RR 1997, 1289).
Der Umstand, dass die Erinnerungsgebühr am 7. Mai 2008 eingegangen ist, ist darüber hinaus ein Indiz für die Glaubhaftigkeit der Angaben zur rechtzeitigen Absendung der Erinnerungseinlegungsschrift.
Dem Anmelder war daher unter Aufhebung des Beschlusses des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 11. Oktober 2011 gem. § 91 Abs. 1 MarkenG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Zur weiteren Entscheidung über die Erinnerung war die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen, § 70 Abs. 3 MarkenG.