Entscheidungsdatum: 22.02.2017
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2012 047 204
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2017 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Reker und Schödel
beschlossen:
Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 21. Juli 2014 wird aufgehoben und das DPMA angewiesen, die Löschung der angegriffenen Marke 30 2012 047 204 wegen des Werktitels der Widersprechenden „Länder-Menschen-Abenteuer“ anzuordnen.
I.
Die Wortmarke
Länder, Menschen, Abenteuerreisen
ist am 1. September 2012 angemeldet und am 11. Januar 2013 unter der Nummer 30 2012 047 204 als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für folgende Dienstleistungen der
Klasse 39: Veranstaltung von Reisen und Ausflugsfahrten.
Gegen diese Marke, deren Eintragung am 15. Februar 2013 veröffentlicht worden ist, hat die Widersprechende aus ihrem Werktitel
Länder-Menschen-Abenteuer
Widerspruch erhoben mit der Begründung, der Werktitel werde für eine seit 1972 ausgestrahlte Fernsehserie verwendet, die sich mit Reisen in ferne Länder befasse sowie außergewöhnliche Reiseziele und Menschen vorstelle. Die Sendereihe habe mittlerweile Kultstatus erreicht, was nicht zuletzt durch die mehr als 40jährige Ausstrahlungszeit belegt sei.
Mit Beschluss vom 21. Juli 2014 hat die Markenstelle für Klasse 39 des DPMA eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Widersprechende habe den Beweis eines bundesweiten Unterlassungsanspruchs gegen die angegriffene Marke wegen einer Verwechslungsgefahr mit dem Werktitel nicht erbracht. Zwar habe die Widersprechende durch die von ihr vorgelegten Unterlagen über eine Vielzahl ausgestrahlter Sendungen unter dem Titel „Länder-Menschen-Abenteuer“ belegen können, dass dieser Werktitel 1972 wirksam entstanden sei und bis zum Entscheidungszeitpunkt ununterbrochen fortbestanden habe. Aber die von der angegriffenen Marke beanspruchte Dienstleistung „Veranstaltung von Reisen und Ausflugsfahrten“ weise keine Ähnlichkeit mit der Branche der Fernsehsendungen auf. Während Gegenstand und Zweck der angegriffenen Dienstleistung die Organisation von Reisen sei, beziehe sich der Werktitel auf Fernsehsendungen, die Informationen über bestimmte Themen vermittelten. Allein der Umstand, dass sich die Fernsehserie der Widersprechenden thematisch (auch) mit Reisen, Menschen und Abenteuern befasse, könne eine entscheidungserhebliche Ähnlichkeit nicht begründen. Es handele sich nur um eine bloß thematische Überschneidung zweier ansonsten sehr verschiedener Dienstleistungen. Es sei weder hinreichend substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sowohl die Veranstaltung von Reisen als auch entsprechende Sendungen von ein und demselben Dienstleister angeboten würden. Angesichts der Dienstleistungsunähnlichkeit könnten der Grad der Kennzeichnungskraft des Werktitels und der Grad der Zeichenähnlichkeit dahingestellt bleiben.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie ist der Ansicht, der von ihr genutzte Werktitel und die jüngere Marke seien hochgradig verwechselbar. Die angegriffenen Reisedienstleistungen führten nur das fort, was als Anregung in der Sendung beschrieben werde. Die angegriffene Marke enthalte den geschützten Werktitel vollständig und füge diesem lediglich die beschreibende Angabe „-reisen“ hinzu. Zudem sei es seit Jahren gängige Praxis, dass Rundfunkanstalten zu einzelnen Sendungen, wie z. B. „ARD-Buffet“, „Kaffee oder Tee“, „Wetten-Dass“ oder „Traumschiff“, auch Zuhörer- und Zuschauerreisen anböten. Der Bayerische Rundfunk biete aktuell 45 Auslandsreisen sowie Tagesfahrten, Reisen innerhalb Deutschlands sowie Advents- und Skireisen an. Dabei würden die Reisen von den Tochterunternehmen der Rundfunkanstalten, z. B. der SWR Media Services GmbH, nach § 16a Rundfunkstaatsvertrag in Zusammenarbeit mit Reiseveranstaltern angeboten, so dass die Rundfunkanstalten selbst keine Reiseveranstalter seien. Dass eine solche Kooperation nicht ungewöhnlich sei, zeigten mehrere Presseartikel aus der Zeit vor und nach der Anmeldung der Streitmarke. Solche Zuschauer- und Hörerreisen seien ein wichtiger, imagebildender Programmbestandteil geworden, der die Zuschauerbindung durch gemeinsame Erlebnisse fördere. Die beteiligten Verkehrskreise gingen daher zumindest von einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen den Rundfunk- bzw. Fernsehsendern und den Reiseanbietern aus, z. B. in Form einer Lizenzvereinbarung, die es ihnen gestatte, die zur Fernsehreihe passenden Reisen zu organisieren. Da der Inhaber der angegriffenen Marke seinen Geschäftssitz im Kernsendegebiet der Widersprechenden habe, sei eine geschäftliche Beziehung zwischen ihnen besonders naheliegend, was für eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne spreche.
Sie beantragt,
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 21. Juli 2014 aufzuheben und das DPMA anzuweisen, die Löschung der angegriffenen Marke 30 2012 047 204 wegen des Werktitels der Widersprechenden „Länder-Menschen-Abenteuer“ anzuordnen.
Der Inhaber der angegriffenen Marke ist in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Er beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss und vertritt die Auffassung, Rundfunkanstalten seien nicht berechtigt, Reisen zu veranstalten. Aber auch die Reisevermittlung sei ihnen laut Mediengesetz und nach den Compliance Regeln des SWR untersagt. Außerdem wäre die Reiseveranstaltung durch Rundfunkanstalten wettbewerbswidrig. Aus den vorgenannten Gründen werde der Verkehr keine gemeinsame betriebliche Herkunft der beiderseitigen Dienstleistungen annehmen. Die von der Widersprechenden vorgelegten Unterlagen bezögen sich zudem auf andere Sendungen und nicht auf den Werktitel „Länder-Menschen-Abenteuer“.
Der Senat hat den Verfahrensbeteiligten mit Schreiben vom 30. November 2016 seine vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mitgeteilt.
Nachdem der Inhaber der Streitmarke das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 27. Februar 2017 erhalten hat, hat er mit einem am 17. März 2017 eingegangenen Schriftsatz vom 15. März 2017 Widerspruch gegen den Beschluss eingelegt und die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt mit der Begründung, er sei zu diesem Zeitpunkt krank gewesen, wie die in Kopie beigefügte ärztliche Bescheinigung vom 22. Februar 2017 belege, wonach er vom 20. Februar 2017 bis zum 24. Februar 2017 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Seine Marke sei ein anderes Gewerk, die Widersprechende dürfe keine Reisen veranstalten und ihre Sendungen hätten nichts mit Reiseveranstaltungen zu tun.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Voraussetzungen für eine Löschung der angegriffenen Marke wegen des älteren Werktitels der Widersprechenden gemäß §§ 43 Abs. 2 Satz 1, 42 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG i. V. m. §§ 5 Abs. 1 und 3, 12, 15 Abs. 2 und 4 MarkenG sind gegeben.
1. Die Eintragung einer Marke kann gelöscht werden, wenn ein anderer prioritätsältere Rechte an einem Werktitel erworben hat, und dieser ihn berechtigt, die Benutzung der eingetragenen Marke im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wegen Verwechslungsgefahr zu untersagen.
Ungeachtet des im patentgerichtlichen Verfahren geltenden Amtsermittlungs-grundsatzes hat die widersprechende Person die Voraussetzungen für das Entstehen des älteren Rechts, seinen Zeitrang, ggfls. seine Bekanntheit und ihre Inhaberschaft an diesem Werktitel darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen (vgl. für Unternehmenskennzeichen: BPatG 29 W (pat) 25/13 – ned tax/NeD Tax m. w. N.).
a) Werktitel sind nach § 5 Abs. 3 MarkenG die Namen oder besonderen Bezeichnungen von Druckschriften, Filmwerken, Tonwerken, Bühnenwerken oder sonstigen vergleichbaren Werken. Dabei gilt ein gegenüber dem Urheberrecht eigenständiger kennzeichenrechtlicher Werkbegriff. Werke im kennzeichenrechtlichen Sinne sind alle immateriellen Arbeitsergebnisse, die als Gegenstand des Rechts- und Geschäftsverkehrs nach der Verkehrsanschauung bezeichnungsfähig sind (BGH GRUR 2016, 1301 Rdnr. 17 – Kinderstube).
Eine Fernsehsendung oder Fernsehserie stellt ein Filmwerk im Sinne dieser Bestimmung dar (BGH GRUR 1977, 543, 545 – Der 7. Sinn; GRUR 2001, 1054, 1055 – Tagesreport). Dazu gehört damit auch die seit dem Jahre 1975 und seither kontinuierlich bis zum Entscheidungszeitpunkt von der Widersprechenden ausgestrahlte und bundesweit zu empfangende Fernsehserie „Länder-Menschen-Abenteuer“.
b) Voraussetzung dafür, dass ein Werktitelschutz entsteht, ist seine hinreichende Unterscheidungskraft bereits bei der Benutzungsaufnahme im geschäftlichen Verkehr.
aa) Unterscheidungskraft in diesem Sinne ist die Eignung, das Werk als solches zu individualisieren, d. h. das Werk von anderen Werken (gedanklichen Inhalten) unterscheidbar zu machen (BGH a. a. O. Rdnr. 22 – Kinderstube; GRUR 2012, 1265 Rdnr. 19 – Stimmt´s; GRUR 1999, 581 Rdnr. 22 – Max; BGHZ 120, 228, 230 – Guldenburg m. w. N.; BGH WRP 1999, 186, 188 – Wheels Magazine). Hierbei werden nur sehr geringe Anforderungen an die Unterscheidungskraft gestellt (BGH GRUR 2010, 640 Rdnr. 15 – hey!; 1993, 769, 770 – Radio Stuttgart), weil nicht verlangt wird, dass der Werktitel einen betrieblichen Herkunftshinweis enthalten muss.
bb) Insofern ist es unschädlich, dass dem Titel „Länder-Menschen-Abenteuer“ der Charakter der Sendung ohne weiteres entnommen werden kann. Der Werktitel „Länder-Menschen-Abenteuer“ der Widersprechenden weist hinreichende Unterscheidungskraft auf, da er bereits im Zeitpunkt der Benutzungsaufnahme geeignet gewesen ist, die Fernsehreihe der Widersprechenden von anderen Fernsehsendungen zu unterscheiden.
c) Der Werktitel „Länder-Menschen-Abenteuer“ weist einen älteren Zeitrang als die am 1. September 2012 angemeldete angegriffene Marke auf, weil diese Fernsehreihe bereits seit 1975 ausgestrahlt wird.
d) Da Berechtigter jeder ist, der den Titel für das betreffende Werk rechtmäßig nutzt (BGH GRUR 2003, 440 – Winnetous Rückkehr), also nicht nur der Regisseur, sondern auch der Produzent, ist die widersprechende Landesrundfunkanstalt auch Inhaberin des Titelrechts.
e) Werktitel sind in der Regel nur gegen die Gefahr einer unmittelbaren Verwechslung im engeren Sinne geschützt.
aa) Dabei ist als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal von einer fiktiven Benutzung der eingetragenen angegriffenen Marke auszugehen (Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 12 Rdnr. 4; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., § 12 Rdnr. 4).
bb) Die Beurteilung, ob eine Verwechslungsgefahr vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Ähnlichkeitsgrad der einander gegenüberstehenden Bezeichnungen, der Kennzeichnungskraft des Widerspruchskennzeichens und der Nähe der Unternehmensbereiche (BGH GRUR 2010, 738 Rdnr. 22 – Peek & Cloppenburg; GRUR 2008, 1104 Rdnr. 21 – Haus & Grund II; BPatG 30 W (pat) 26/12 – eSPIRIT/E-SPIRIT), so dass ein Weniger in einem Bereich durch ein Mehr in einem anderen Bereich kompensiert werden kann und umgekehrt (BGH GRUR 2012, 635 Rdnr. 12 – METRO/ROLLER's Metro; BPatG 30 W (pat) 26/12 – eSPIRIT/E-SPIRIT; OLG Köln WRP 2015, 630).
cc) Zwar kann davon ausgegangen werden, dass der für die Dienstleistungen „Veranstaltung von Reisen und Ausflugsfahrten“ glatt beschreibende Begriff „-reisen“ im Gesamteindruck der angegriffenen Marke „Länder, Menschen, Abenteuerreisen“ zurücktritt, so dass der Markenbestandteil „Länder, Menschen, Abenteuer“ mit dem Werktitel „Länder–Menschen–Abenteuer“ klanglich und begrifflich identisch sowie schriftbildlich weit überdurchschnittlich ähnlich ist.
dd) Aber für eine unmittelbare Verwechslungsgefahr fehlt es an der erforderlichen Nähe der Unternehmensbereiche, wie die Markenstelle bereits zutreffend ausgeführt hat. Die von der angegriffenen Marke beanspruchte Dienstleistung „Veranstaltung von Reisen und Ausflugsfahrten“ weist nach Gegenstand und Zweck keine Ähnlichkeit mit der Branche der Produktion und Ausstrahlung von Fernsehsendungen auf.
e) Diese Frage kann aber letztlich dahingestellt bleiben, weil eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne vorliegt.
aa) Diese setzt voraus, dass der Verkehr in dem betreffenden Werktitel nicht nur ein auf den gedanklichen Werkinhalt bezogenes Individualisierungszeichen sieht, sondern mit ihm ausnahmsweise zugleich die Vorstellung einer bestimmten betrieblichen Herkunft verbindet.
aaa) Bejaht worden ist das für bekannte Titel regelmäßig erscheinender Druckschriften wie Zeitungen, Zeitschriften und auch regelmäßig aktualisierte Standardwerke (BGH a. a. O. – Kinderstube; GRUR 2014, 483 Rdnr. 29 – test; GRUR 2000, 504, 505 f. – FACTS; GRUR 2000, 70, 71 – SZENE; a. a. O. – Wheels Magazine) sowie für bekannte Titel von Fernseh- und Hörfunksendungen, insbesondere für bekannte Reihentitel (BGH GRUR 2001, 1050, 1052 – Tagesschau; a. a. O. – Tagesreport; EuG GRUR Int 2010, 50 Rdnr. 25 – Dr. No). Denn die Bekanntheit eines solchen Titels und das regelmäßige Erscheinen im selben Verlag bzw. die regelmäßige Ausstrahlung im Hörfunk oder Fernsehen legen die Schlussfolgerung nahe, dass der Werktitel im Verkehr, jedenfalls teilweise, auch als Hinweis auf die betriebliche Herkunft verstanden wird.
bbb) Bei der seit dem Jahre 1975 und seither kontinuierlich bis zum Entscheidungszeitpunkt von der Widersprechenden ausgestrahlten und bundesweit zu empfangenden Fernsehreihe „Länder-Menschen-Abenteuer“ handelt es sich im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung des BGH um einen solchen bekannten Werktitel, der auch unter dem Gesichtspunkt einer Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne gegen markenmäßige Benutzungen kollidierender Bezeichnungen verteidigt werden kann (BGH GRUR 2010, 642 Rdnr. 37 – WM-Marken).
(1) Die zum Anmeldezeitpunkt der angegriffenen Marke am 1. September 2012 fast 40 Jahre bundesweit von verschiedenen, in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten ausgestrahlte Fernsehreihe war und ist dem normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen inländischen Durchschnittsverbraucher bekannt. Die Sendereihe ist auch in die Online-Enzyklopädie Wikipedia aufgenommen worden (https://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%A4nder_%E2%80%93_Menschen_%E2%80%93_Abenteuer).
(2) Zudem war die über fast vier Jahrzehnte bis zum Entscheidungszeitpunkt präsente Fernsehserie der Widersprechenden dem Senat, dessen Mitglieder zu den von dieser Sendung ebenfalls angesprochenen Verkehrskreisen gehören, schon im Jahre 2012 aus eigener Erfahrung bekannt.
ccc) Der Werktitel „Länder–Menschen–Abenteuer“ weist daher auch auf die betriebliche Herkunft des Werkes, nämlich das öffentlich-rechtliche Unternehmen der Widersprechenden hin, so dass es auch über die erforderliche markenrechtliche Unterscheidungskraft verfügt.
bb) Für die Feststellung einer bei einem bekannten Werktitel ausnahmsweise möglichen Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne bedarf es jedoch darüber hinaus zusätzlicher, besonderer Umstände, die geeignet sind, beim Verkehr die – gegebenenfalls auch unzutreffende – Vorstellung einer wirtschaftlichen oder organisatorischen Verbindung, zu der auch ein Lizenzzusammenhang zu rechnen ist, entstehen zu lassen. Angesichts der Flüchtigkeit, mit der der Verkehr erfahrungsgemäß Kennzeichnungen im täglichen Geschäftsleben in der Regel zu begegnen pflegt (BGH a. a. O. – Guldenburg), erfordert die Annahme einer Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne gewisse Anstöße und/oder erkennbare gedankliche Brücken zwischen der Wahrnehmung und der daraus gezogenen Folgerung (BGH a. a. O. Rdnr. 25 – Max). Solche hat die Rechtsprechung bisher angenommen, wenn ein gewisser sachlicher Zusammenhang zwischen den gekennzeichneten Waren und/oder Dienstleistungen und dem unter dem in Frage stehenden Titel veröffentlichten Werk erkennbar war (BGH a. a. O. – Der 7. Sinn; GRUR 1982, 431, 432 f. – POINT).
aaa) Ein solcher sachlicher Zusammenhang, der im vorliegenden Fall eine (Fehl-) Vorstellung des Verkehrs in Bezug auf eine wirtschaftliche und/oder organisatorische Verbindung zwischen der Verwenderin des älteren Werktitels und dem Inhaber der angegriffenen Marke hervorzurufen vermag, ist von der Widersprechenden mit den als Anlagen zur Beschwerdebegründung und zum Schriftsatz vom 1. Juni 2015 vorgelegten Unterlagen ausführlich dargelegt und in ausreichendem Umfang nachgewiesen worden.
Die vorgelegten Unterlagen lassen erkennen, dass die Widersprechende selbst, aber auch andere in Deutschland empfangbare Fernsehsender nicht nur Reisereportagen ausstrahlen, in denen Reiseziele vorgestellt werden, sondern darüber hinaus ihren Zuhörern oder Zuschauern auch, zumeist im Anschluss an die gesendeten Reportagen, Reisen anbieten, z. B. „ARD-Buffet“, „Kaffee oder Tee“. Dabei führen die Sendeanstalten diese Reisen nicht selbst als Reiseveranstalter durch, sondern ihre Tochterunternehmen vermitteln diese Reisen nur oder bieten sie in Zusammenarbeit mit Reiseveranstaltern an. Nach § 16a Rundfunkstaatsvertrag sind die Rundfunkanstalten auch berechtigt, durch rechtlich selbständige Tochtergesellschaften kommerzielle Tätigkeiten auszuüben, bei denen Leistungen auch für Dritte im Wettbewerb angeboten werden. Dazu gehört auch die kommerzielle Reiseveranstaltung oder -vermittlung.
Dass solche Kooperationen zwischen Fernsehsendern und Reiseveranstaltern schon zum Anmeldezeitpunkt 2012 üblich gewesen sind, zeigen die von der Widersprechenden vorgelegten Belege für die ZDF-Fernsehreihe „Traumschiff“ aus dem Jahr 2000 und die Fernsehshow im ZDF „Wetten-Dass“ aus dem Jahre 2010 sowie die von ihr eingereichten Presseartikel aus Zeit Online vom 7. Februar 1997 „Feriensender als Ferienverkäufer“, aus dem Berliner Kurier vom 16. Oktober 1995 „Sender bietet Zuschauer-Reisen: Lust auf einen Trip mit ´nem Promi?“ und aus dem Spiegel Heft 34 von 1996, S. 90 f. „Urlaub mit Frau Dr. – Privatsender haben den Kreuzfahrt-Unternehmen einen Reisetrend abgeschaut: Ferien mit Prominenten“. Eine Internetrecherche des Senats hat dieses Ergebnis bestätigt:
- „Kaffee oder Tee“ ist ein Verbrauchermagazin, das seit 2000 einmal jährlich eine Zuschauerreise veranstaltet (Online-Enzyklopädie Wikipedia unter dem Suchbegriff „Kaffee oder Tee“);
- Reiseprospekt – SWR-Shop „Traumurlaub unter weißen Segeln mit der Royal Clipper Westliches Mittelmeer – 8-tägige Kreuzfahrt vom 07. bis 14. Mai 2011“ (www.yumpu.com);
- Zuschauerreise zu ZDF Wetten, dass ...? nach Mallorca, angeboten am 27. Dezember 2010 (www.kfz-auskunft.de);
- ARD-Buffet zum Ski-Opening in Zürs am Arlberg in Österreich bietet eine Zuschauerreise vom 8. bis 11. Dezember 2010 an (www.vorarlberg-netz.de);
- www.swr.de/buffet: Angebot einer Zuschauerreise vom 14. bis 31. März 2012 nach Singapur und Bali mit Sternekoch Otto Koch und Moderator Florian Weber;
- BR-Zuschauerreise nach Bali zu Drehorten der Reisereportage „Fernweh“, angeboten im Januar 2011 (www.touristikpresse.net);
- hr- bzw. hr2-Zuschauerreisen nach Rom, China und Persien, angeboten im hr-journal, Januar/Februar 2005.
Hinzu kommt für den Publikumseindruck, dass den Reiseangeboten nicht immer sofort zu entnehmen ist, dass diese Reisen nicht von dem Hörfunk- oder Fernsehsender selbst organisiert und veranstaltet werden. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass dem normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher als Reiseinteressenten, Radiohörer und Fernsehzuschauer und erst recht den Fachverkehrskreisen aus den Bereichen Tourismus und Medien zum Kollisionszeitpunkt bekannt gewesen ist, dass Hörfunk- und Fernsehsender ihren Zuhörern und Zuschauern auch Reisen anbieten, unabhängig davon, aufgrund welcher rechtlichen Strukturen und Beziehungen diese Reisedienstleistungen dann tatsächlich erbracht werden.
bbb) Der dargestellte sachliche Zusammenhang zwischen den hier beiderseits maßgeblichen Dienstleistungen der Ausstrahlung von Reisereportagen einerseits und der Reiseveranstaltung und -vermittlung andererseits begründet die für das Bestehen einer Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne erforderliche Branchennähe.
Diese setzt weder Identität noch Ähnlichkeit der beiderseitigen Dienstleistungen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG voraus (BGH GRUR 2006, 937 Rdnr 38 – Ichthyol II), noch ist sie abhängig vom Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses (BGH GRUR 1985, 461, 463 – Gefa/Gewa), sondern eine solche Branchennähe kommt auch zwischen Tätigkeitsfeldern in Betracht, die sich von Hause aus zunächst eher fern stehen, sofern und soweit eine potentielle Ausweitung der geschäftlichen Tätigkeit des Werktitelinhabers auf das Tätigkeitsgebiet des Inhabers der angegriffenen, jüngeren Kennzeichnung nicht nur eine theoretische Möglichkeit darstellt, sondern hierfür reale und konkrete Anhaltspunkte vorliegen, was hier der Fall ist.
ccc) Der Werktitel „Länder-Menschen-Abenteuer“ der Widersprechenden weist, wie bereits dargelegt, eine normale Kennzeichnungskraft auf.
Aber auch wenn zu Gunsten des Inhabers der angegriffenen Marke wegen der den Inhalt einer Reisereportage andeutenden Bedeutung von einer ursprünglich nur unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft des Werktitels ausgegangen würde, käme ihm aufgrund seiner gerichtsbekannten jahrzehntelangen kontinuierlichen Benutzung als Reihentitel nunmehr mindestens eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zu.
ddd) Da der für die Dienstleistungen „Veranstaltung von Reisen und Ausflugsfahrten“ glatt beschreibende Begriff „-reisen“ im Gesamteindruck der angegriffenen Marke „Länder, Menschen, Abenteuerreisen“ zurücktritt, stehen sich, wie bereits erörtert, der Markenbestandteil „Länder, Menschen, Abenteuer“ und der Werktitel „Länder–Menschen–Abenteuer“ gegenüber, die klanglich und begrifflich identisch sowie schriftbildlich weit überdurchschnittlich ähnlich sind.
eee) Angesichts der aus seiner Bekanntheit resultierenden mindestens durchschnittlichen Kennzeichnungskraft des prioritätsälteren Werktitels, der sehr hohen Ähnlichkeit der beiderseitigen Kennzeichen und einer ausreichenden Nähe der beiderseitigen Tätigkeitsgebiete steht zu erwarten, dass der angesprochene Verkehr – auch bei zu Gunsten des Inhabers der angegriffenen Marke unterstellter eher überdurchschnittlicher Aufmerksamkeit bei der Auswahl und Buchung einer Reise – der Fehlvorstellung erliegen wird, dass zwischen den Unternehmen der Widersprechenden und des Inhabers der angegriffenen Marke Beziehungen geschäftlicher, wirtschaftlicher oder organisatorischer Art bestehen, und mithin eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne vorliegt.
3. Es gibt auch keine Veranlassung, die vom Beschwerdegegner beantragte Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuordnen.
a) Die Wiedereröffnung wegen Verletzung einer Hinweis- oder Aufklärungspflicht nach § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i. V. m. § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist nicht geboten, weil der Senat bereits lange vor der mündlichen Verhandlung, nämlich mit Schreiben vom 30. November 2016, seine vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage, die der endgültigen entspricht, mitgeteilt hat.
Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ist ebenfalls nicht gegeben. Der Beschwerdegegner ist mit Zustellungsurkunde am 9. Dezember 2016 ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2017 geladen worden. Die Vorsitzende hat sogar nach Feststellung seines Nichterscheinens zu Beginn der anberaumten Sitzung telefonisch Kontakt mit dem Beschwerdegegner aufgenommen, um sich zu erkundigen, ob er sich möglicherweise verspäten werde. Er war jedoch nicht zum Termin unterwegs, sondern befand sich in seinem Büro und bestätigte, dass derjenige, der die Ladung für ihn im Geschäftslokal am 9. Dezember 2016 entgegengenommen habe, bei ihm beschäftigt sei. Wie dem Protokoll zu entnehmen ist, ist ihm daraufhin mitgeteilt worden, dass der Termin ohne ihn stattfinden werde. Nach § 75 Abs. 2 MarkenG kann beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden, ohne dass eine Versäumnisentscheidung erlassen werden kann (vgl. BPatG 25 W (pat) 145/01 – LEO/Leo). Denn nach der Vorschrift des § 73 Abs. 1 MarkenG ermittelt das Patentgericht den Sachverhalt von Amts wegen und ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten grundsätzlich nicht gebunden. Auf diese Folgen im Falle seines Nichterscheinens ist der Beschwerdegegner schon in der Ladung hingewiesen worden. Mit keinem Wort hat er beim Telefonat mit der Vorsitzenden eine Erkrankung erwähnt oder als Grund für sein Nichterscheinen angegeben. Obwohl ihm das Protokoll mit den Recherchebelegen bereits am 27. Februar 2017 zugestellt worden ist, hat er erst am 17. März 2017 mit seinem Schriftsatz vom 15. März 2017 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit dem Datum des Terminstages, dem 22. Februar 2017, vorgelegt, die nur schwach leserlich ist, eine Erkrankung schon seit dem 20. Februar 2017 angibt und keine Unterschrift unter dem Arztstempel erkennen lässt. Von einer tatsächlichen Verhinderung an der Sitzungsteilnahme aufgrund einer Erkrankung kann der Senat daher nicht ausgehen. Aber selbst wenn der Beschwerdegegner entsprechend dieser Bescheinigung tatsächlich erkrankt gewesen sein sollte, bestand diese Krankheit schon am 20. Februar 2017, also zwei Tage vor dem Verhandlungstermin, so dass er entweder auf seine Verhinderung hätte hinweisen müssen und können, um eine Terminsverlegung zu erreichen, oder einen Vertreter zum Termin hätte schicken können.
b) Auch sonst hat der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens nach § 76 Abs. 6 Satz 2 MarkenG keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Der am 17. März 2017 eingegangene Schriftsatz des Beschwerdegegners vom 15. März 2017 enthält kein neues Vorbringen. Mit seinem dort enthaltenen Vortrag, eine Marke sei ein anderes Gewerk, die Widersprechende dürfe keine Reisen veranstalten und ihre Sendungen hätten nichts mit Reiseveranstaltungen zu tun, wiederholt er nur sein bisheriges der Beschwerdeführerin und dem Gericht bekanntes Vorbringen, das in der vorliegenden Entscheidung berücksichtigt worden ist.
III.
Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind nicht gegeben.