Entscheidungsdatum: 28.08.2013
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 307 20 274
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 28. August 2013 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie der Richter Reker und Hermann
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Markeninhaberin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 10. Mai 2011 aufgehoben, soweit auf den Widerspruch aus der Marke 399 01 867 die teilweise Löschung der Marke 307 20 274 angeordnet worden ist.
2. Der Widerspruch aus der Marke 399 01 867 wird auch insoweit zurückgewiesen.
I
Gegen die Eintragung der Marke 307 20 274
für die Dienstleistungen
„Klasse 35: Betrieb einer Im- und Exportagentur für Müll, Schrott, Metalle, Abfallstoffe und Recyclingstoffe;
Klasse 39: Transport und Lagerung von Müll, Schrott, Metallen, Abfallstoffen und Recyclingstoffen; Vermietung von Mulden (Lagerung);
Klasse 40: Müll- und Abfallrecycling; Sortieren von Müll, Schrott, Metallen, Abfallstoffen und Recyclingstoffen; Verbrennung von Müll und Abfall, Vernichtung von Müll und Abfall“
ist Widerspruch erhoben worden aus der für die Dienstleistungen
„Klasse 39: Dienstleistungen einer Spedition; Beratung auf dem Gebiet der Logistik; Auslieferung von Waren“
eingetragenen prioritätsälteren Marke 399 01 867
Die Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts hat am 10. Mai 2011 auf den Widerspruch hin die teilweise Löschung der angegriffenen Marke für die Dienstleistungen „Betrieb einer Im- und Exportagentur für Müll, Schrott, Metallen, Abfallstoffen und Recyclingstoffen; Transport von Müll, Schrott, Metallen, Abfallstoffen und Recyclingstoffen“ beschlossen und den Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen.
Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, die Widersprechende habe auf die gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 und S. 2 MarkenG zulässige Nichtbenutzungseinrede der Markeninhaberin hin die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für alle Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, glaubhaft gemacht. Zwischen „Dienstleistungen einer Spedition“ und der „Auslieferung von Waren“, für die die Widerspruchsmarke eingetragen ist, und den versagten Dienstleistungen der angegriffenen Marke bestehe markenrechtlich Identität bzw. Ähnlichkeit. „Dienstleistungen einer Spedition“ umfassten auch den „Transport von Müll, Schrott, Metallen, Abfallstoffen und Recyclingstoffen“. Es möge zwar sein, dass sich einzelne Speditionsunternehmen auf den Transport von Abfallstoffen spezialisiert hätten. Dies schließe aber nicht aus, dass sie auch andere Güter transportierten. Auch die Dienstleistung „Betrieb einer Im- und Exportagentur für Müll, Schrott, Metalle, Abfallstoffe und Recyclingstoffe“ beziehe sich zwar auf spezielle Waren, sei aber wegen der darin enthaltenen Dienstleistung des Transports dieser Waren nach Erbringungsart und Leistungszweck den „Dienstleistungen einer Spedition“ und der „Auslieferung von Waren“ auf Seiten der Widerspruchsmarke ähnlich. Die Dienstleistungen könnten sich auch gegenseitig ergänzen. Auf Grund dieser engen Berührungspunkte könnten die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein, dass die Dienstleistungen aus demselben Unternehmen stammten, sofern sie – was zu unterstellen sei – mit identischen Marken gekennzeichnet seien. Die angegriffene Marke stimme mit der Widerspruchsmarke in klanglicher Hinsicht überein. Bei beiden in der Marke enthaltenen Wortbestandteilen sei sowohl mit einer Aussprache als Buchstabenabfolge wie „A-Em“ bzw. „A-Em-Em“ als auch mit einer Aussprache als Wort wie „AM“ bzw. „amm“ zu rechnen. Im Falle der Aussprache beider Marken als Wörter seien die Marken klanglich identisch. Die bildhafte Ausgestaltung der Buchstaben, insbesondere in der angegriffenen Marke, könne die klangliche Verwechslungsgefahr nicht reduzieren. Soweit die Dienstleistungen der angegriffenen Marke mit den Dienstleistungen der Widerspruchsmarke identisch seien, bestehe Verwechslungsgefahr i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. In Bezug auf die übrigen, unähnlichen Dienstleistungen sei eine Verwechslungsgefahr hingegen zu verneinen.
Gegen die von der Markenstelle beschlossene Teillöschung der angegriffenen Marke wendet sich die Markeninhaberin mit der Beschwerde. Sie wendet sich zum einen gegen die Beurteilung der Dienstleistungsähnlichkeit durch die Markenstelle, soweit eine Identität bzw. Ähnlichkeit dieser Dienstleistungen angenommen worden ist, und verweist darauf, dass es sich bei Abfalltransportunternehmen um Entsorgungsfachbetriebe handele, die nach der Verordnung über Entsorgungsfachbetriebe (EfbV) besondere Anforderungen an die Betriebsorganisation und die personelle Ausstattung zu erfüllen hätten, die eine normale Spedition üblicherweise nicht erfülle. Eine Subsumtion der Begriffe „Schrott und Abfall“ unter den Oberbegriff „Ware“ verbiete sich deshalb. Zum anderen wendet sich die Markeninhaberin gegen die Beurteilung der beiderseitigen Marken als klanglich verwechselbare Zeichen und vertritt die Ansicht, jedenfalls die angegriffene Marke werde nicht als Wort, sondern als Buchstabenabfolge wie „A-EM“ ausgesprochen, weil es sich bei ihr um die Initialen des Inhabers des Entsorgungsfachbetriebs „M…“ handele. Der Verbraucher sei durch Abkürzungen wie „AEG“, „ICE“ und „AOK“ daran gewöhnt, solche Buchstabenfolgen trotz ihrer Aussprechbarkeit als Wort als Buchstabenabfolgen zu benennen. Die Aussprache als Einzelbuchstaben werde dem Verkehr auch durch die grafische Gestaltung der Buchstaben nahegelegt.
Die Markeninhaberin beantragt sinngemäß,
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 10. Mai 2011 aufzuheben, soweit wegen des Widerspruchs aus der Marke 399 01 867 die teilweise Löschung der Marke 307 20 274 angeordnet worden ist, und den Widerspruch auch insoweit zurückzuweisen.
Die Widersprechende beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass die Widerspruchsmarke von Haus aus eine normale Kennzeichnungskraft aufweise, für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr jedoch von einer gesteigerten Kennzeichnungskraft auszugehen sei, weil unter der Widerspruchsmarke jährliche Umsätze von … Euro erwirtschaftet würden. Ferner macht sie geltend, dass für die Beurteilung der Dienstleistungsähnlichkeit von den Dienstleistungen auszugehen sei, wie sie im Register eingetragen seien. Dem Durchschnittsverbraucher sei bekannt, dass nicht nur Entsorgungsfachbetriebe Müll, Schrott, Metalle, Abfallstoffe und Recyclingstoffe transportierten, sondern auch andere Transportunternehmen. Selbst Handwerker nähmen bei ihren Arbeiten alte Einrichtungsgegenstände mit und entsorgten diese. Die Beurteilung der Dienstleistungsähnlichkeit durch die Markenstelle sei deshalb zutreffend. Zutreffend sei auch die Beurteilung der Marken als klanglich ähnlich. Die von der Markeninhaberin demgegenüber angeführten Buchstabenmarken, die als Buchstabenfolgen gesprochen würden, seien nicht geeignet, die im angegriffenen Beschluss vertretene Ansicht in Frage zu stellen, weil es sich bei den Buchstabenfolgen “AEG“, „ICE“ und „AOK“ um im Verkehr bekannte Marken handele, die jeweils Abkürzungen längerer, zusammengesetzter und im Verkehr bekannter Firmen oder Begriffe darstellten, was auf die verfahrensgegenständlichen Marken nicht zutreffe. Es gebe zudem Gegenbeispiele, wie die im Computerbereich gebräuchliche Kurzform „RAM“ für „Random Access Memory“, die wie ein Wort und nicht als Abfolge von Einzelbuchstaben ausgesprochen werde. Es könne deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass ein wesentlicher Teil des Verkehrs die Marken wie „Am“ und „Amm“ artikuliere.
II
Die Beschwerde der Markeninhaberin ist zulässig und auch begründet. Sie ist schon deshalb begründet, weil es zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde an einer Glaubhaftmachung der Benutzung der Widerspruchsmarke für den Zeitraum von fünf Jahren vor der Entscheidung über den Widerspruch fehlt (§ 43 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 26 MarkenG). Sie ist aber auch deshalb begründet, weil zwischen den beiderseitigen Marken entgegen der im angegriffenen Beschluss der Markenstelle vertretenen Auffassung nicht die Gefahr von Verwechslungen i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.
1. Die von der Markeninhaberin erhobene Einrede der Nichtbenutzung der Widerspruchsmarke ist nach § 43 Abs. 1 S. 1 und S. 2 MarkenG zulässig, weil die Widerspruchsmarke zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke bereits mehr als fünf Jahre im Register eingetragen war. Die Widersprechende trifft damit die Obliegenheit, die Benutzung der Widerspruchsmarke gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 MarkenG im Zeitraum vom 7. September 2002 bis zum 6. September 2007 und gemäß § 43 Abs. 1 S. 2 MarkenG im Zeitraum von fünf Jahren vor der Entscheidung des Senats über den Widerspruch, also im Zeitraum vom 28. August 2008 bis 27. August 2013 glaubhaft zu machen.
Nachdem in der von der Widersprechenden im Widerspruchsverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherung vom 9. April 2008 nur Umsatzzahlen für die Jahre 2005 bis 2007 aufgeführt sind und die letzten vorgelegten Rechnungen aus dem Mai 2008 datieren, fehlt es an einer Glaubhaftmachung der Benutzung der Widerspruchsmarke für den wandernden Zeitraum gemäß § 43 Abs. 1 S. 2 MarkenG. Der im Rahmen des Benutzungszwangs geltende Beibringungsgrundsatz sowie die Neutralitätspflicht verbietet es dem Senat in einem solchen Fall, den Widersprechenden zu einer notwendigen ergänzenden Glaubhaftmachung der bestrittenen Markenbenutzung anzuhalten und ihm insoweit eine Äußerungsfrist zu setzen (BGH GRUR 1997, 223, 224 – Ceco); denn dass § 43 Abs. 1 S. 2 MarkenG einen sich ständig verändernden Benutzungszeitraum betrifft, ist eine allgemein bekannte Rechtstatsache, welche der zur Glaubhaftmachung Verpflichtete zu berücksichtigen hat. Für Hinweise auf möglicherweise überholtes Vorbringen besteht ebenso wenig Raum wie bei sonstigen offenkundigen Mängeln der Glaubhaftmachung (ständige Rechtsprechung der Senate des BPatG, vgl. z. B. PAVIS PROMA 26 W (pat) 74/05 – Crystal/cristal). Der Widerspruch ist im vorliegenden Verfahren daher nunmehr bereits wegen fehlender Glaubhaftmachung der Benutzung der Widerspruchsmarke gemäß § 43 Abs. 1 S. 2 MarkenG unbegründet, so dass der Beschwerde der Markeninhaberin schon deshalb stattzugeben ist.
2. Die Beschwerde der Markeninhaberin ist aber auch deshalb begründet, weil zwischen den beiderseitigen Marken entgegen der Ansicht der Markenstelle keine Verwechslungsgefahr i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.
Bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne dieser Bestimmung ist von dem allgemeinen kennzeichenrechtlichen Grundsatz einer Wechselwirkung zwischen allen in Betracht zu ziehenden Faktoren, insbesondere der Identität oder Ähnlichkeit der Marken, der Identität oder Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke auszugehen, wobei ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (EuGH GRUR 1998, 387, 389 – Sabèl/Puma; GRUR 2008, 343, 345 – Il Ponte Finanziaria Spa/HABM; BGH GRUR 2004, 594, 596 – Ferrari-Pferd; GRUR 2010, 729, 731 - MIXI). Der Schutz der älteren Marke ist dabei aber auf die Fälle zu beschränken, in denen die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens durch einen Dritten die Funktionen der älteren Marke, insbesondere ihre Hauptfunktion zur Gewährleistung der Herkunft der Waren oder Dienstleistungen gegenüber den Verbrauchern, beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte (EuGH GRUR 2003, 55, 57 ff., Nr. 51 – Arsenal Football Club plc; GRUR 2005, 153, 155, Nr. 59 – Anheuser-Busch/Budvar: GRUR 2007, 318, 319, Nr. 21 – Adam Opel/Autec).
Bei Zugrundlegung dieser rechtlichen Grundsätze hält die angegriffene Marke gegenüber der Widerspruchsmarke den gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG markenrechtlich gebotenen Abstand in jeder Richtung ein.
Die von der Markenstelle vorgenommene Beurteilung der Dienstleistungsähnlichkeit begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Auch die von der Markeninhaberin mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Tatsachen und Argumente rechtfertigen es nicht, die von der Markenstelle als mit den Dienstleistungen der Widerspruchsmarke für identisch bzw. ähnlich erachteten Dienstleistungen der angegriffenen Marke als unähnlich zu bewerten. „Dienstleistungen einer Spedition“, für die die Widerspruchsmarke eingetragen ist, umfassen sämtliche denkbaren Beförderungsleistungen, die eine Spedition, also ein Transportunternehmen, gewöhnlich erbringt. Speditionen befördern im Allgemeinen eine Vielzahl von Waren. Sie lagern solche Waren bis zur Auslieferung auch ein. Die Dienstleistung „Transport und Lagerung von Müll, Schrott, Metallen, Abfallstoffen und Recyclingstoffen“, für die die angegriffene Marke eingetragen ist, bezeichnet einen Ausschnitt aus der Transport- und Lagertätigkeit größerer Speditionen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den im Verzeichnis der angegriffenen Marke aufgeführten Transport- und Lagerwaren nicht nur um solche handelt, die in eine Mülldeponie oder Müllverbrennungsanlage verbracht werden, sondern dass Abfallstoffe zugleich häufig auch zur Wiederaufbereitung bestimmte Wertstoffe sind, die als solche als Ware gehandelt werden. Es spricht zudem nichts dagegen, dass eine Spedition zugleich eine Qualifikation als Entsorgungsfachbetrieb im Sinne der Verordnung über Entsorgungsfachbetriebe erwirbt und in diesem Rahmen auch Problemabfälle befördert. Auch dies umfasst der weite, im Dienstleistungsverzeichnis der Widerspruchsmarke enthaltene Begriff „Dienstleistungen einer Spedition“. Zumindest besteht zwischen beiden Transportdienstleistungen aber eine große Nähe. Auch die im Warenverzeichnis der angegriffenen Marke enthaltene Dienstleistung der Klasse 35 „Betrieb einer Im- und Exportagentur für Müll, Schrott, Metallen, Abfallstoffen und Recyclingstoffen“ ist den „Dienstleistungen einer Spedition“ zumindest ähnlich, weil Import- und Exportunternehmen die von ihnen importierten oder exportierten Waren häufig selbst transportieren. Für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist daher von einer teilweisen Identität und im Übrigen mindestens durchschnittlichen Ähnlichkeit der maßgeblichen beiderseitigen Dienstleistungen auszugehen.
Der Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist ferner eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zugrunde zu legen. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist von Haus aus durchschnittlich. Sie weist insbesondere keinen beschreibenden Begriffsgehalt für die Dienstleistungen der Widerspruchmarke auf. Die von der Widersprechenden behauptete nachträgliche Steigerung der Kennzeichnungskraft ihrer Marke durch umfangreiche Benutzung vermögen die einzig vorgetragenen und glaubhaft gemachten Umsatzzahlen für sich allein nicht nachzuweisen. Zur Feststellung einer gesteigerten Kennzeichnungskraft sind alle relevanten Umstände heranzuziehen, insbesondere der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, geografische Verbreitung und Dauer der Markenverwendung, die dafür aufgewendeten Werbemittel und die dadurch erreichte Bekanntheit in den beteiligten Verkehrskreisen (BGH GRUR 2003, 1040, 1044 – Kinder; GRUR 2009, 672, 674 – OSTSEE-POST). Diese Bekanntheit vermag nicht ohne Weiteres allein aus den erzielten Umsätzen hergeleitet zu werden (OLG Köln MarkenR 2007, 126 – Schlaufuchs und Lernfuchs; BPatG PAVIS PROMA 26 W (pat) 23/06, Beschluss vom 23. April 2008 – Grüne Bierflasche), denn selbst umsatzstarke Marken können wenig bekannt sein, während andererseits Marken mit geringen Umsätzen weithin bekannt sein können. Weitere für die Beurteilung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke maßgebliche Tatsachen, wie den Marktanteil der Widersprechenden sowie den geografischen Tätigkeitsumfang der Widersprechenden, hat die Widersprechende aber nicht glaubhaft gemacht.
Ausgehend von einer Dienstleistungsidentität und einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist ein leicht überdurchschnittlicher Abstand der Marken erforderlich, den die angegriffene Marke gegenüber der Widerspruchsmarke entgegen der im angegriffenen Beschluss geäußerten Rechtsauffassung in allen Richtungen einhält.
In bildlicher Hinsicht sind die Marken wegen der auffälligen bildlichen Gestaltung der angegriffenen Marke zweifelsfrei so unterschiedlich, dass Verwechslungen als vollkommen ausgeschlossen erscheinen. Für die Gefahr begrifflicher Verwechslungen bieten die beiden Marken keinen tatsächlichen Anhalt.
Aber auch klangliche Verwechslungen sind entgegen der Ansicht der Markenstelle nicht zu erwarten. Die aus dem Vokal „a“ und den Konsonanten „mm“ bestehende Widerspruchsmarke wird durchweg als Wort angesehen und entsprechend auch als Wort ausgesprochen werden. Bei der nur aus zwei nicht auf den ersten Blick sofort als Buchstaben erkennbaren Bildbestandteilen bestehenden angegriffenen Marke ist dagegen eine Aussprache als Wort in einem rechtserheblichen Umfang nicht zu erwarten. Auch wenn es im Deutschen das aus der Präposition „an“ und dem Artikel „dem“ gebildete Wort „am“ gibt, legt die Abfolge zweier Großbuchstaben in starker bildhafter Verfremdung eine Aussprache als Wort nicht nahe. Obwohl es für die Beurteilung der klanglichen Markenähnlichkeit nur auf das Klangbild als eigenständige Wahrnehmungsrichtung ankommt, kann die klangliche Wiedergabe doch auch durch die grafische Gestaltung einer Marke beeinflusst werden, und maßgeblich für den phonetischen Markenvergleich sind die Marken, wie sie von den Verkehrsbeteiligten mündlich wiedergegeben werden, wenn sie die Marke in ihrer registrierten Form vor sich haben (BPatG GRUR 2010, 441, 444 pn printnet/PRINECT). Auch in Bezug auf grafisch ausgestaltete Einzelbuchstaben ist anerkannt, dass diese regelmäßig nicht nur mit ihrem Lautwert wiedergegeben, sondern irgendwie näher spezifiziert werden, sei es anhand einer vorhandenen grafischen Gestaltung oder zumindest danach, ob Groß- oder Kleinschreibung vorliegt (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Auflage, § 9 Rdn 233). Deshalb ist davon auszugehen, dass die angegriffene Marke, sofern darin überhaupt vom Verkehr sofort und ohne gedankliche Analyse die Buchstaben „A“ und „M“ erkannt werden, was angesichts der starken bildhaften Verfremdung dieser Buchstaben bereits sehr fraglich ist, die Buchstaben nicht als das Wort „am“, sondern als Buchstabenfolge „A, M“ oder als „A+M-Bild“ ausgesprochen werden, wodurch ein ausreichend großer Abstand zu der Widerspruchsmarke gewahrt ist, selbst wenn diese – ganz vereinzelt – auch als Buchstabenfolge „am“ ausgesprochen würde. Bei dieser Sachlage ist auch die Gefahr klanglicher Verwechslungen selbst bei einem Einsatz der Marken für identische Dienstleistungen zu verneinen.
Tatsachen, die die Gefahr von Verwechslungen der Marken durch gedankliche Verbindung begründen könnten, sind weder von der Widersprechenden vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Der Widerspruch ist daher unbegründet, weshalb der Beschwerde der Markeninhaberin stattzugeben und der Widerspruch vollumfänglich zurückzuweisen war.
Tatsachen, die die Auferlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens auf eine der Verfahrensbeteiligten aus Billigkeitsgründen erfordern würden (§ 71 Abs. 1 S. 1 MarkenG), liegen nicht vor, so dass nach § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG jede Beteiligte die ihr erwachsenen Kosten selbst trägt.