Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 15.12.2015


BPatG 15.12.2015 - 24 W (pat) 88/14

Markenbeschwerdeverfahren – "Mr. Multi® Lotusan (Wort-Bild-Marke)/ Lotusan (Gemeinschaftswortmarke)" – Warenidentität und –ähnlichkeit – zur Kennzeichnungskraft – keine unmittelbare Verwechslungsgefahr – selbständig kennzeichnende Stellung eines übereinstimmenden Wortbestandteils - Verwechslungsgefahr unter dem Aspekt des gedanklichen In-Verbindung-Bringens


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
24. Senat
Entscheidungsdatum:
15.12.2015
Aktenzeichen:
24 W (pat) 88/14
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2010 074 476

hat der 24. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Metternich sowie des Richters Schmid und der Richterin am Landgericht Lachenmayr-Nikolaou

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 6. Oktober 2014 wird aufgehoben. Wegen des Widerspruchs aus der Gemeinschaftsmarke EM 009 730 573 wird die Löschung der angegriffenen Marke 30 2010 074 476 angeordnet.

Gründe

I.

1

Die am 7. Juli 2001 angemeldete nachfolgend abgebildete Wort-/Bildmarke

Abbildung

2

(Farben: rot, blau, grün, pink)

3

ist am 1. August 2011 unter der Nummer 30 2010 074 476 für die Waren:

4

Klasse 3: Reinigungsmittel; mit einem Reinigungsmittel imprägnierte Putztücher

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in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Markenregister eingetragen worden.

6

Gegen die Eintragung dieser Marke ist am 2. September 2011 Widerspruch erhoben worden aus der am 11. Februar 2011 angemeldeten und am 14. Juli 2011 eingetragenen Wortmarke EM 009 730 573

7

Lotusan.

8

Die Widerspruchsmarke genießt Schutz für die nachfolgend genannten Waren:

9

Klasse 01: Chemische Erzeugnisse für gewerbliche oder wissenschaftliche Zwecke; Chemische Erzeugnisse zum Beschichten von Materialien aller Art; Kunstharze, Silicone, Wasserglas, alle diese Waren nicht zur Verwendung in Verbindung mit Automobilen.

10

Klasse 02: Farben, Firnisse, Lacke; Farbanstrichmittel, Grundiermittel, alle diese Waren mit Ausnahme flüssiger, unpigmentierter und ungefüllter Beschichtungsstoffe und nicht zur Verwendung in Verbindung mit Automobilen.

11

Klasse 03: Wasch- und Bleichmittel; Putz-, Polier-, Fettentfernungs- und Schleif-mittel; alle diese Waren nicht zur Verwendung in Verbindung mit Automobilen.

12

Klasse 17: Isolieranstrichmittel, Kunstharzdispersionen; alle diese Waren nicht zur Verwendung in Verbindung mit Automobilen.

13

Klasse 19: Baumaterialien (nicht aus Metall); Mörtel, Putze, Kalk, Zement; Spachtelmassen; alle diese Waren nicht zur Verwendung in Verbindung mit Automobilen.

14

Klasse 24: Webstoffe und Textilwaren, auch beschichtet, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; alle diese Waren nicht zur Verwendung in Verbindung mit Automobilen.

15

Klasse 27: Teppiche, Fußmatten, Matten, Linoleum und andere Bodenbeläge; Tapeten (ausgenommen aus textilem Material); alle diese Waren nicht zur Verwendung in Verbindung mit Automobilen.

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Der Widerspruch wurde eingelegt durch die … AG in S…. Diese wurde  nach Einlegung der Beschwerde mit Datum vom 26. März 2014 gem. § 190 f. UmwG in die S1… & Co. KGaA umgewandelt. Die S1 & Co. KGaA wurde als Inhaberin der Widerspruchsmarke eingetragen und führt das Beschwerdeverfahren auf Seiten der Widersprechenden fort.

17

Die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit Erstbeschluss vom 17. Juni 2013 die Löschung der angegriffenen Marke auf den Widerspruch aus der Marke EM 009 730 573 hin verfügt, da zwischen den Vergleichsmarken in klanglicher Hinsicht Verwechslungsgefahr bestehe gem. §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Auf die Erinnerung der Markeninhaberin hin hat die Markenstelle mit weiterem Beschluss vom 6. Oktober 2014 den Erstbeschluss aufgehoben und den Widerspruch zurückgewiesen.

18

Die Erinnerungsprüferin hat zur Begründung ausgeführt, dass sich die Marken zwar auf identischen Waren begegnen könnten bzw. die Vergleichswaren zumindest in einem sehr engen Ähnlichkeitsbereich lägen und weiter von durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen werden könne. Die angegriffene Marke halte aber den gebotenen Zeichenabstand ein. Bei der jüngeren Wort-/Bildmarke messe der Verkehr dem Wortbestandteil „Mr. Multi Lotusan“ als einfachster und kürzester Bezeichnungsform eine prägende Bedeutung zu. Die dementsprechend gegenüberzustellenden Bezeichnungen „Mr. Multi Lotusan“ und „LOTUSAN“ würden sich beim klanglichen Vergleich bereits durch ihre Wortlänge und die sich hieraus ergebenden Abweichungen bei der Silbenzahl, der Vokalfolge und dem Sprech- und Betonungsrhythmus ausreichend unterscheiden. Der vorgenannte Wortbestandteil der jüngeren Marke werde als Gesamtmarke aufgefasst und nicht seinerseits durch einzelne Elemente – insbesondere nicht durch das Element „Lotusan“ – geprägt. In schriftbildlicher Hinsicht scheide eine Verwechslungsgefahr ebenfalls aufgrund der unterschiedlichen Wortlänge sowie der typischen Umrisscharakteristik des Bestandteils „Mr. Multi“ der angegriffenen Marke, der der Widerspruchsmarke fehle, aus. Zudem seien beim schriftbildlichen Vergleich die graphischen Bestandteile der jüngeren Marke zu berücksichtigen.

19

Hiergegen wendet sich die Widersprechende mit ihrer Beschwerde.

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Sie ist der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der Identität bzw. hochgradigen Ähnlichkeit der Vergleichswaren, einer originär durchschnittlichen, durch langjährige bundesweite Benutzung für Fassadenfarben und Fassadenputze aus Sicht der Widersprechenden gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und einer hochgradigen Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen Verwechslungsgefahr zu bejahen sei.

21

Beim Zeichenvergleich seien die beiden graphischen Elemente der angegriffenen Marke in Bezug auf den klanglichen Gesamteindruck nicht von Bedeutung, in Bezug auf den schriftbildlichen Gesamteindruck würden sie eine nur untergeordnete Rolle spielen, so dass der Gesamteindruck der angegriffenen Marke sowohl in visueller als auch in klanglicher Hinsicht durch die Wortzeichenbestandteile „Mr. Multi“ einerseits und „Lotusan“ andererseits geprägt werde. Dabei trete in der Wahrnehmung der angesprochenen Verkehrskreise der Zeichenbestandteil „Mr. Multi“ hinter den Bestandteil „Lotusan“ zurück, weil es sich bei „Mr. Multi“ um eine erkennbare Herstellerangabe handele. Diese trete innerhalb der Widerspruchsmarke als Gesamtzeichen in den Hintergrund, da der Verkehr die Waren zumeist nicht nach dem Namen des Herstellers unterscheide, sondern seine Aufmerksamkeit auf die sonstigen Zeichenbestandteile richte. Die Angabe „Mr. Multi“ werde vom Markeninhaber zur Kennzeichnung verschiedener Produkte in einer Art und Weise benutzt, dass ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise in diesem Zeichenbestandteil einen wiederkehrenden Hinweis auf einen bestimmten Hersteller unterschiedlicher Reinigungsmittel erkenne oder ihn als Stamm einer Serienmarke auffasse.

22

Daher sei davon auszugehen, dass die angesprochenen Verkehrskreise dem Zeichenbestandteil „Lotusan“ der angegriffenen Marke eine prägende Bedeutung für deren Gesamteindruck zumessen würden. Zumindest aber sei eine selbstständig kennzeichnende Stellung des Bestandteils „Lotusan“ anzunehmen.

23

Die Widersprechende beantragt sinngemäß,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 3 des DPMA vom 6. Oktober 2014 aufzuheben und wegen des Widerspruchs aus der Gemeinschaftsmarke EM 009 730 573 die Löschung der Marke 30 2010 074 476 anzuordnen.

25

Der Inhaber der angegriffenen Marke beantragt,

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die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen.

27

Er ist der Ansicht, dass „Hauptbestandteil“ der angegriffenen Marke die graphischen Elemente sowie der Begriff „Mr. Multi“ seien. Die von der Widersprechenden vertriebenen Produkte für Fassadenfarben und Fassadenputze stünden in keinem Zusammenhang mit den Reinigungsprodukten, für die die angegriffene Marke verwendet werde. Die mit den sich gegenüberstehenden Marken gekennzeichneten Waren seien daher in Verkaufsstätten „nicht einmal in näherer Umgebung zu finden“, eine Verwechslungsgefahr sei aus diesem Grunde nicht gegeben.

28

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle, die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

II.

29

Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden, § 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 MarkenG. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

30

Zwischen den Vergleichsmarken besteht Verwechslungsgefahr gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG i. V. m. § 125 b Nr. 1 MarkenG, so dass der Beschluss der Markenstelle aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen war, §§ 43 Abs. 2 Satz 1, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

31

Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. hierzu z. B. EuGH GRUR 2010, 933, Tz. 32 – BARBARA BECKER; GRUR 2010, 1098, Tz. 44 – Calvin Klein/HABM; BGH GRUR 2012, 64, Tz. 9 – Maalox/Melox–GRY; BGH GRUR 2012, 1040, Tz. 25 – pjur/pure; BGH GRUR 2013, 833, Tz. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; Beschl. vom 9. Juli 2015 - I ZB 16/14 –, Tz. 7, BSA/DSA DEUTSCHE SPORTMANAGEMENTAKADEMIE). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der Waren, die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr (vgl. dazu EuGH GRUR 2008, 343, Tz. 48 - Il Ponte Finanziaria Spa/HABM; BGH GRUR 2012, 64, Tz. 9 - Maalox/Melox–GRY; BGH GRUR 2012, 1040, Tz. 25 – pjur/pure; siehe auch Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 41 ff. m. w. N.). Darüber hinaus können für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren relevant sein, wie u. a. etwa die Art der Ware, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen.

32

1. Die Vergleichszeichen können sich auf identischen bzw. weit überdurchschnittlich ähnlichen Waren begegnen.

33

a) Beim Warenvergleich ist auf die Registerlage abzustellen. Ob die Ausführungen des Markeninhabers in seinen Schriftsätzen vom 25. Juli 2013 (Bl. 114 Amtsakte), 25. November 2013 (Bl. 122 Amtsakte) und 19. Februar 2015 (Bl. 32 Gerichtsakte) als Einrede der Nichtbenutzung aufzufassen sind, kann dahinstehen, da die Nichtbenutzungseinrede zu diesen Zeitpunkten noch nicht wirksam erhoben werden konnte. Die Widerspruchsmarke wurde am 14. Juli 2011 eingetragen wurde, so dass die Benutzungsschonfrist gem. § 43 Abs. 1 S. 1, 2 MarkenG i. V. m. § 125 b Nr. 4 MarkenG bislang nicht abgelaufen ist.

34

b) Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der im vorliegenden Fall maßgeblichen Waren kommt es darauf an, ob diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen - insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte und Leistungen und anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlicher Gründe – so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus denselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (vgl. z. B. EuGH GRUR 2006, 582, Tz. 85 – VITAFRUIT; BGH GRUR 2009, 484, Tz. 25 - Metrobus; BGH GRUR 2015, 16, Tz. 16 – ZOOM; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 59 m. w. N.).

35

Die für die angegriffene Marke in Klasse 3 eingetragenen „Reinigungsmittel“ können mit den für die Widerspruchsmarke ebenfalls in Klasse 3 eingetragenen „Putzmitteln“ identisch sein.

36

Bei dem Vergleich der weiter für die angegriffene Marke in Klasse 3 eingetragenen „mit einem Reinigungsmittel imprägnierte(n) Putztücher“ mit den für die Widerspruchsmarke in Klasse 24 eingetragenen „Textilwaren, auch beschichtet“ ist zu berücksichtigen, dass die Waren Überein-stimmungen in ihrer Beschaffenheit und den verwendeten Stoffen aufweisen sowie demselben Verwendungszweck dienen können. Insbesondere kann die Beschichtung der Textilwaren deren besondere Eignung zu Reinigungs- und Putzzwecken begründen.

37

Ebenso ist im Rahmen des Vergleichs der für die jüngere Marke in Klasse 3 eingetragenen „mit einem Reinigungsmittel imprägnierte(n) Putztücher“ mit den für die ältere Marke ebenfalls in Klasse 3 eingetragenen „Putzmitteln“ zu berücksichtigen, dass sich die Vergleichswaren an dieselben Abnehmerkreise richten und demselben Verwendungszweck dienen können. Die Imprägnierung eines Putztuchs mit einem Reinigungsmittel stellt gleichsam eine besondere Darreichungsform des Reinigungs- bzw. Putzmittels dar.

38

Vor diesem Hintergrund ist zwischen den „mit einem Reinigungsmittel imprägnierte(n) Putztücher(n)“ auf der einen Seite und den „Textilwaren, auch beschichtet“ sowie den „Putzmitteln“ auf der anderen Seite eine weit überdurchschnittliche Ähnlichkeit anzunehmen.

39

2. Die Widerspruchsmarke verfügt über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft.

40

a) Das Zeichen „Lotusan“ weist als in der deutschen Sprache nicht vorhandener Gesamtbegriff einen eigenschöpferischen Gehalt auf (vgl. BGH GRUR GRUR 2008, 258, Tz. 24 – INTERCONNECT/T-InterConnect). Der Umstand, dass die Bezeichnung „LOTUSAN“ auf einen „Lotuseffekt“, mit dem die Selbstreinigungsfähigkeit wasserabweisender Oberflächen zum Ausdruck gebracht wird, anspielen könnte, führt nicht zu einer originären Kennzeichnungsschwäche. Ein beschreibender Anklang an den Begriff „Lotus“ erschließt sich den angesprochenen Verkehrskreisen nicht ohne mehrere gedankliche Zwischenschritte, da die sprachübliche Silbenbildung „Lo-tu-san“ und die Betonung der Endsilbe „san“ den Wortbestandteil „Lotus“ nur noch begrenzt erkennen lassen. Aufgrund der ausreichenden Verfremdung des Begriffes „Lotus“ in dem phantasievollen Gesamtbegriff „Lotusan“ werden die angesprochenen Verkehrskreise die Widerspruchsmarke dementsprechend als Kunstwort mit originär durchschnittlicher Kennzeichnungskraft auffassen. Auch im Übrigen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die angesprochenen Verkehrskreise dem Zeichen „Lotusan“ im konkreten Warenzusammenhang einen beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen, der zu einer relevanten Schwächung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke führen könnte.

41

b) Die Frage einer durch Benutzung bewirkten Steigerung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, wie sie von der Widersprechenden geltend gemacht wurde, kann dahingestellt bleiben, da auch bei Zugrundelegung durchschnittlicher Kennzeichnungskraft Verwechslungsgefahr zu bejahen ist (s. u. Ziff. 4.).

42

3. Im Rahmen der bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr erforderlichen Gesamtabwägung hält die angegriffene Marke mit Blick auf die vorgenannten Umstände den gebotenen Abstand zur Widerspruchsmarke nicht ein.

43

a) Eine für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr relevante Markenähnlichkeit kann in klanglicher, schriftbildlicher oder begrifflicher Hinsicht bestehen, wobei es für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig ausreicht, wenn zwischen den jeweiligen Vergleichsmarken nur in einer dieser Kategorien ausreichende Übereinstimmungen festzustellen sind (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 254 m. w. N.). Dabei sind grundsätzlich die Vergleichsmarken als Ganzes gegenüberzustellen, da der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden und zergliedernden Betrachtungsweise zu unterziehen (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 237 m. w. N.).

44

Dies schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042 – THOMSON LIFE; BGH GRUR 2006, 859, Tz. 18 – Malteserkreuz).

45

Des Weiteren kann ein Zeichen, das als Bestandteil in eine zusammengesetzte Marke oder eine komplexe Kennzeichnung aufgenommen wird, eine selbstständig kennzeichnende Stellung haben, ohne dass es das Erscheinungsbild der zusammengesetzten Marke oder komplexen Kennzeichnung im vorgenannten Sinne dominiert oder prägt (vgl. EuGH, GRUR 2005, 1042, Tz. 30 – THOMSON LIFE; BGH GRUR 2009, 772, Tz. 57 – Augsburger Puppenkiste m. w. N.). Bei Identität oder relevanter Ähnlichkeit dieses selbstständig kennzeichnenden Bestandteils mit einer angemeldeten oder eingetragenen Marke mit älterem Zeitrang kann das Vorliegen von Verwechslungsgefahr zu bejahen sein, weil dadurch bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck hervorgerufen werden kann, dass die fraglichen Waren oder Dienstleistungen zumindest aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (vgl. EuGH, GRUR 2005, 1042, Tz. 30 - THOMSON LIFE; BGH GRUR 2009, 772, Tz. 57 – Augsburger Puppenkiste m. w. N.).

46

b) Vorliegend stellt sich die prioritätsjüngere Wort-/Bildmarke dem angesprochenen Verkehr als ein aus zwei Teilen zusammengesetztes Zeichen dar, mit einem oberen, rot(-blau) gestalteten Bereich (mit dem Wortelement „Mr. Multi®“ und dem Bildelement eines Mannes in einem gezackten Halbkreis) und dem unteren grün(-blau-pink/violett) gestalteten Bereich (mit dem Wortelement „Lotusan“ und dem Bildelement eines Kreises mit einer Blüte).

47

Die Vergleichszeichen weichen in ihrem Gesamteindruck bildlich, begrifflich und klanglich deutlich voneinander ab, so dass eine unmittelbare Verwechslungsgefahr bei Berücksichtigung aller Markenbestandteile zu verneinen ist. In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob die angegriffene Marke durch den Bestandteil „Lotusan“ geprägt wird, da dieser innerhalb der angegriffenen Marke jedenfalls eine selbständige kollisionsbegründende Stellung einnimmt (s. nachfolgend c)).

48

c) Im vorliegenden Fall ist Verwechslungsgefahr unter dem Aspekt des gedanklichen In-Verbindung-Bringens der Vergleichszeichen anzunehmen. Denn dem Wortbestandteil „Lotusan“ kommt innerhalb der jüngeren Marke eine selbstständig kennzeichnende Stellung zu.

49

Es müssen besondere Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, in einem zusammengesetzten Zeichen einzelne oder mehrere Bestandteile als selbstständig kennzeichnend anzusehen (BGH GRUR 2013, 833, Tz. 50 – Culinaria/Villa Culinaria). Dabei spricht für eine selbstständig kennzeichnende Stellung, wenn der der übernommenen Marke hinzugesetzte andere Bestandteil des jüngeren Zeichens durch das bekannte oder als solches erkennbare Unternehmenskennzeichen des jüngeren Markeninhabers gebildet wird (BGH GRUR 2013, 833, Tz. 51 - Culinaria/Villa Culinaria) oder es sich bei dem anderen Bestandteil um eine bekannte Marke bzw. um den bekannten Stammbestandteil eines Serienzeichens des Jüngeren handelt (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 463). Daneben kann dem Verkehr auch durch die äußere Gestaltung der jüngeren Marke, insbesondere die deutlich abgesetzte Darstellung des betreffenden Bestandteils, eine selbstständig kennzeichnende Stellung nahegebracht werden (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 469).

50

Letzteres ist hier zu bejahen. Denn im vorliegenden Fall sind besonderen Umstände gegeben, die für eine selbstständig kennzeichnende Stellung des Wortbestandteils „LOTUSAN“ der jüngeren Marke sprechen. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu beachten, dass der Zeichenbestandteil „Mr. Multi“ gesondert als registrierte Marke mit dem Symbol ® gekennzeichnet ist. Dies weist darauf hin, dass es sich insoweit um eine gesondert eingetragene (Stamm-)Marke handeln kann. Unstreitig wird „Mr. Multi“ vom Markeninhaber auch markenmäßig in Verbindung mit weiteren Wortelementen verwendet (Bl. 25 VA: „Mr. Multi® Edelstahlpflege-Spray“, „Mr. Multi® Backofen & Grillreiniger“ etc.). Auch wenn der Bestandteil „Mr. Multi®“ dem angesprochenen Verkehr nicht bereits als Stammbestandteil eines Serienzeichens bekannt ist, so lässt die konkrete Gestaltung – insbesondere die gesonderte Kennzeichnung des Bestandteils „Mr. Multi“ mit dem Symbol ® (vgl. zum Hinweischarakter des Symbols „R im Kreis“ auf eine eingetragene Marke: BGH GRUR 2014, 376, Tz. 24 – Grillmeister) – darauf schließen, dass es sich um eine Kombination aus Erst- und Zweitmarke handelt und dass der Bestandteil „Mr. Multi“ auf einen bestimmten Hersteller hinweisen soll. Der angesprochene Verkehr, insbesondere der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher, wird deswegen die eigentliche Produktkennzeichnung in dem Bestandteil „Lotusan“ sehen. Auch die konkrete graphische Ausgestaltung der angegriffenen Marke ruft ein solches Verständnis hervor: Die Bestandteile des Gesamtzeichens sind nicht ineinander verwoben oder eng miteinander verbunden, vielmehr ist der Zeichenbestandteil „Mr. Multi®“ räumlich abgesetzt – getrennt von dem Wort „Lotusan“ und oberhalb desselben angeordnet – sowie in einer deutlich abweichenden und auffälligen Schrift sowie in einer anderen Farbe als der Bestandteil „Lotusan“ gehalten. Je deutlicher aber die einzelnen Markenteile voneinander abgesetzt sind, umso näher liegt die Annahme einer selbstständigen Kennzeichnungsfunktion eines Einzelelements (BGH GRUR 2002, 171 - Malboro-Dach; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 469).

51

4. Unter Berücksichtigung der Identität bzw. weit überdurchschnittlichen Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Waren, einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und der klanglichen Übereinstimmung des Wortbestandteils „Lotusan“, der innerhalb der jüngeren Marke eine selbstständig kennzeichnende Stellung einnimmt, mit der älteren Marke ist Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG zu bejahen.

52

5. Eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen auf einen der Beteiligten ist nicht veranlasst, § 71 Abs. 1 MarkenG.