Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 10.08.2010


BVerwG 10.08.2010 - 20 F 5/10

Zum Begriff des Geschäftsgeheimnisses


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO
Entscheidungsdatum:
10.08.2010
Aktenzeichen:
20 F 5/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze
IFG

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Verfahren auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG) Auskunft zu einem Investitionsvorrangverfahren, insbesondere Einblick in den Investitionsvorrangbescheid vom 8. Juni 1995, der die Veräußerung der Grundstücke ... u. a. in Berlin-Mitte an die Beigeladene zu 1 betrifft.

2

Die Antragsgegnerin legte dem Gericht der Hauptsache mit der Klageerwiderung den Verwaltungsvorgang zum Informationsbegehren des Antragstellers vor und wies darauf hin, dass sie der Akte eine interne Stellungnahme des Vertragsmanagements und die Kopie des Investitionsvorrangbescheids entnommen habe. Zur Begründung führte sie aus, dass nur die Aktenbestandteile vorzulegen seien, die keinen Rückschluss auf das eigentliche Informationsbegehren zuließen und damit eine Entscheidung in der Hauptsache durch das Akteneinsichtsrecht der Beteiligten überflüssig machten.

3

Im Rahmen eines Erörterungstermins am 13. November 2008 erörterte der Berichterstatter mit den Beteiligten den Inhalt des Verwaltungsvorgangs und hinsichtlich des entnommenen Investitionsvorrangbescheids das Verfahren nach § 99 VwGO. Mit Verfügung vom 20. November 2008 forderte der Berichterstatter unter Hinweis auf § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Antragsgegnerin auf, den vollständigen Verwaltungsvorgang betreffend den hier geltend gemachten IFG-Anspruch, d.h. insbesondere die entnommenen Seiten 26 und 43 bis 46 vorzulegen. Die Antragsgegnerin legte daraufhin eine mit Schwärzungen versehene Kopie des Investitionsvorrangbescheids vom 8. Juni 1995 (ehemals Bl. 43 - 46, nun paginiert mit den Blattzahlen 163 - 166) sowie ein ebenfalls mit Schwärzungen versehenes Blatt (paginiert mit der Blattzahl 162) vor, das eine interne Stellungnahme der mit dem Vertragsmanagement befassten Stelle zu dem streitgegenständlichen IFG-Antrag enthält. Mit Schreiben vom 9. Februar 2009 bat der Berichterstatter die Antragsgegnerin, die fehlenden Seiten des Verwaltungsvorgangs ungeschwärzt zu übersenden oder eine Entscheidung der obersten Aufsichtsbehörde herbei zu führen. Nach gerichtlicher Anfrage vom 3. April 2009, ob inzwischen eine Entscheidung nach § 99 Abs. 1 VwGO ergangen sei, gab der Beigeladene zu 2 unter dem 30. April 2009 eine Sperrerklärung ab.

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Der Antragsteller hat daraufhin einen Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO gestellt. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts, dem das Verfahren vorgelegt worden war, hat das Verfahren mit Beschluss vom 15. Januar 2010 an das Bundesverwaltungsgericht - Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO - verwiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, das Oberverwaltungsgericht sei sachlich unzuständig, weil das Bundesministerium der Finanzen, der Beigeladene zu 2, sich auf mit der Aktenvorlage verbundene Nachteile für das Wohl der Bundesrepublik Deutschland berufen habe.

II.

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1. Der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat über den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung zu entscheiden. Der Verweisungsbeschluss des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts vom 15. Januar 2010, der sich an der Rechtsprechung des Senats orientiert (vgl. Beschluss vom 9. Mai 2003 - BVerwG 20 F 12.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 32), entfaltet gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG analog Bindungswirkung.

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2. Der nach § 189 VwGO eingerichtete Fachsenat entscheidet gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur darüber, ob die Verweigerung der Aktenvorlage (Sperrerklärung) durch die oberste Aufsichtsbehörde rechtmäßig ist oder nicht. Im Zwischenverfahren gemäß § 99 Abs. 2 VwGO geht es allein um die Frage der Vorlage der Akten im Prozess.

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Gegenstand der Sperrerklärung sind die geschwärzten Seiten des Verwaltungsvorgangs, auf die sich die Aktenanforderung des Gerichts der Hauptsache bezieht. Die Aktenanforderung des Hauptsachegerichts beschränkt sich auf die Aufforderung, den von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang durch Vorlage der ungeschwärzten Aktenseiten zu vervollständigen. Entscheidungserheblich ist nach Auffassung des Hauptsachegerichts damit nur der den IFG-Anspruch betreffende Verwaltungsvorgang, der aus Anlass des Informationsbegehrens des Antragstellers angelegt worden ist. Das ergibt sich mit der gebotenen Eindeutigkeit aus den Verfügungen des Berichterstatters und der Erörterung im Termin am 13. November 2008. Dass das Gericht der Hauptsache dabei auf eine förmliche Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit verzichtet und lediglich der Berichterstatter die Aktenaufforderung verfügt hat, ist jedenfalls dann unschädlich, wenn sich - wie hier - klar und unmissverständlich ergibt, welche Aktenbestandteile das Gericht für entscheidungserheblich erachtet. Ob die Entscheidung, welche Aktenbestandteile mit Blick auf den klägerischen Antrag vorzulegen sind, auf einer zutreffenden Auslegung seines Begehrens oder einem zutreffenden rechtlichen Verständnis der fachgesetzlichen Vorschriften beruht, hat der Fachsenat nicht zu beurteilen. Der Fachsenat ist grundsätzlich an die Rechtsauffassung des Hauptsachegerichts gebunden (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 21. Februar 2008 - BVerwG 20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 46, jeweils Rn. 13).

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3. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts der Akten dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Vorlage der Akten verweigern.

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3.1 Soweit sich der Beigeladene zu 2 weigert, die geschwärzten Passagen des Investitionsvorrangbescheids vom 8. Juni 1995 auf Seite 2 und 3 (vorgelegt als Bl. 163 und Bl. 164) und die als Blatt 162 vorgelegte interne Stellungnahme ungeschwärzt offenzulegen, ist ein Geheimhaltungsgrund i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gegeben.

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Bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen handelt es sich um Vorgänge, die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ihrem Wesen nach geheim zu halten sind (Beschlüsse vom 12. Oktober 2009 - BVerwG 20 F 1.09 - juris Rn. 7 und vom 11. Juni 2010 - BVerwG 20 F 12.09 - juris Rn. 7). Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig sind. Ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis setzt neben dem Mangel an Offenkundigkeit der zugrunde liegenden Informationen ein berechtigtes Interesse des Unternehmens an deren Nichtverbreitung voraus. Ein solches Interesse besteht, wenn die Offenlegung der Informationen geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen (Beschlüsse vom 19. Januar 2009 - BVerwG 20 F 23.07 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 52 Rn. 11 und vom 28. Mai 2009 - BVerwG 7 C 18.08 - Buchholz 406.252 § 9 UIG Nr. 1 Rn. 12, 18 UIG und IFG>; BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087, 2111/03 - BVerfGE 115, 205 <230 f.>). Geschäftsgeheimnisse zielen auf den Schutz kaufmännischen Wissens; sie betreffen alle Konditionen, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens maßgeblich bestimmt werden können. Dazu gehören unter anderem Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten oder Bezugsquellen, aber auch Fristen zur Umsetzung von Projekten und Investitionsverpflichtungen oder auch Vertragsstrafenbestimmungen.

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Der Senat hat sich durch Einsicht in die ungeschwärzt und im Original vorgelegten Aktenseiten vergewissert, dass sich die vorgenommenen Schwärzungen auf Seite 2 und 3 des Investitionsvorrangbescheids vom 8. Juni 1995 und die geschwärzten Passagen auf Blatt 162 auf Angaben beschränken, die gemessen an dem dargelegten Maßstab als Geschäftsgeheimnis anzusehen sind.

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3.2 Dagegen enthalten die geschwärzten Passagen auf Seite 4 und 5 des Investitionsvorrangbescheids vom 8. Juni 1995 keine Geschäftsgeheimnisse. Allein der Umstand, dass in diesen Passagen auf die Bonität der Beigeladenen zu 1 Bezug genommen wird, genügt nicht. Bereits der Erlass des Investitionsvorrangbescheids indiziert, dass die Bonität des Vorhabenträgers positiv beurteilt wurde. Denn die Erteilung eines Investitionsvorrangbescheids setzt nach § 4 Abs. 1 InVorG unter anderem voraus, dass ein Vorhabenträger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hinreichende Gewähr für die Verwirklichung des Vorhabens bietet. Sofern bei dieser Prüfung auf konkrete wirtschaftliche Umstände oder Zahlen zur Finanzlage Bezug genommen wird, handelt es sich um Geschäftsgeheimnisse, an deren Geheimhaltung ein Unternehmen berechtigtes Interesse hat. Die geschwärzten Passagen enthalten indes keine konkreten Angaben zur Bonität der Beigeladenen zu 1. Sie erschöpfen sich auf Seite 4 vielmehr in einer abstrakt gehaltenen Subsumtion unter die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 InVorG. Auch auf Seite 5 bleiben die Angaben, mit denen unter Bezugnahme auf Rechtsprechung die Erforderlichkeit des Kaufs begründet wird, ungeachtet dessen, dass sie sich auf die Beigeladene zu 1 beziehen, allgemein und enthalten keine konkreten Informationen, die Rückschlüsse auf ihre damalige finanzielle Lage erlauben.

13

4. Die Sperrerklärung vom 30. April 2009 genügt zwar nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Denn der Beigeladene zu 2 hat auf der Grundlage seiner Annahme, die Tatbestandsvoraussetzungen der einschlägigen fachgesetzlichen Verweigerungsgründe zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen seien mangels Einwilligung der Beigeladenen zu 1 erfüllt, das ihm eingeräumte Ermessen undifferenziert und damit in einer der Eigenart der zu treffenden Entscheidung nicht genügenden Weise ausgeübt. Er hat zwar erkannt, dass er eine Abwägung vorzunehmen hat und hat auch auf die Rechtsprechung des Senats Bezug genommen. Die Erwägungen sind aber erkennbar auf die fachgesetzlichen Verweigerungsgründe und die prozessualen Folgen des § 100 VwGO und die Probleme ausgerichtet, die sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, im Fall der Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs im Hauptsacheverfahren die Möglichkeit eines "in-camera"-Verfahrens vor dem Hauptsachegericht zu eröffnen (vgl. dazu nur Beschluss vom 21. Februar 2008 a.a.O. Rn. 11 f., 22).

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Soweit - wie unter 3.1 ausgeführt - ein Geheimhaltungsgrund vorliegt, wirkt sich der Fehler jedoch nicht aus. Bezogen auf diese Aktenseiten war eine selbstständige Ermessensentscheidung der obersten Aufsichtsbehörde ausnahmsweise entbehrlich. Denn das Ergebnis der Ermessensausübung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtlich zwingend vorgezeichnet. Dies kommt namentlich dann in Betracht, wenn ein privates Interesse an der Geheimhaltung besteht, das grundrechtlich geschützt ist. Denn Beeinträchtigungen von Grundrechten sind nur dann zulässig, wenn sie durch hinreichende, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügende Gründe gerechtfertigt werden (vgl. nur Beschlüsse vom 21. Februar 2008 a.a.O. Rn. 20, vom 19. Januar 2009 a.a.O. Rn. 9 und vom 22. Juli 2010 - BVerwG 20 F 11.10 - Rn. 18, vorgesehen zur Veröffentlichung in BVerwGE). Besondere Umstände, aus denen sich ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse ergeben könnte, das ausnahmsweise eine Offenbarung geschützter Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen zu 1 zu rechtfertigen vermag, sind nicht zu erkennen (vgl. im Fall eines Betriebsgeheimnisses Beschluss vom 19. Januar 2009 a.a.O. Rn. 12 ff.).