Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 28.07.2015


BVerwG 28.07.2015 - 20 F 3/15

Erforderlichkeit eines Beweisbeschlusses zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit eines Akteninhalts


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO
Entscheidungsdatum:
28.07.2015
Aktenzeichen:
20 F 3/15
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2015:280715B20F3.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Gründe

I

1

Der Kläger ist Journalist. Im Verfahren der Hauptsache begehrt er, ihm nach Maßgabe des Bundesarchivgesetzes die Nutzung des bei dem Bundesamt für Verfassungsschutz geführten Archivgutes betreffend die Person des Jan-Carl Raspe zu ermöglichen.

2

Das Verwaltungsgericht hat der Beklagten aufgegeben, das bei dem Bundesamt insoweit vorhandene vollständige Archivgut vorzulegen. Die Beklagte hat die Unterlagen in Teilen nur geschwärzt vorgelegt. Mit hierzu abgegebener Sperrerklärung vom 30. Oktober 2014 hat der Beigeladene eine vollständige Bekanntgabe der Unterlagen mit der Begründung verweigert, sie würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten, nämlich die künftige Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erschweren, oder, soweit die Unterlagen Namen dritter Personen enthielten, deren Persönlichkeitsrechte verletzen.

II

3

Der Antrag des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung des Beigeladenen festzustellen, hat keinen Erfolg. Der Antrag, über den gemäß § 99 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 VwGO der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts zu beschließen hat, ist zwar zulässig, aber nur in geringem Umfang begründet.

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1. Eine Sachentscheidung des Fachsenats setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit des zurückgehaltenen Vorgangs bejaht. Diesem Erfordernis ist hier allein mit dessen Anforderung durch den Vorsitzenden der Kammer Genüge getan.

5

Eines - grundsätzlich erforderlichen - Beweisbeschlusses oder einer vergleichbaren förmlichen Äußerung des Gerichts der Hauptsache zur Klärung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits bedarf es ausnahmsweise nicht, sofern die zurückgehaltenen oder geschwärzten Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind. Das ist immer dann der Fall, wenn die Pflicht, die Verwaltungsvorgänge vorzulegen, Streitgegenstand des Verfahrens in der Hauptsache ist und die in diesem Verfahren zu treffende Entscheidung von der - allein anhand des Inhalts der betreffenden Akten zu beantwortenden - Frage abhängt, ob die Vorgänge, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind (BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 4 m.w.N.).

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So verhält es sich hier. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Nutzung von Archivgut des Bundes nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 8 des Gesetzes über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz) vom 6. Januar 1988 (BGBl. I S. 62), zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 38 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) - BArchG -. Ob die Gründe, die der Beklagten Veranlassung geben, von der Vorlage der ungeschwärzten Vorgänge abzusehen, einem entsprechenden Nutzungsanspruch mit Erfolg entgegengehalten werden können, ist für das Gericht der Hauptsache nur in Kenntnis des Akteninhalts feststellbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 5).

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2. Die Weigerung, die Archivunterlagen ungeschwärzt vorzulegen, ist größtenteils rechtmäßig. Die geltend gemachten Weigerungsgründe liegen mit Ausnahme von Schwärzungen auf Blatt 2 und 33 der Akten für die nur geschwärzt vorgelegten Teile der Unterlagen vor. Die Geheimhaltungsgründe sind den verschiedenen Aktenbestandteilen nachvollziehbar zugeordnet und hinreichend belegt. Ohne Erfolg bemängelt der Kläger, dass die Sperrerklärung sich zu der Schwärzung auf Blatt 117 nicht verhalte. Denn diese Schwärzung findet sich bereits in den dem Fachsenat vorgelegten Originalakten, die insoweit eine Photokopie wiedergeben.

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Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern.

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a) Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, so ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls, das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 8 m.w.N.). Hiervon kann etwa auszugehen sein, wenn das Bekanntwerden des Inhalts von Akten von Sicherheitsbehörden Rückschlüsse auf deren (gegenwärtige) Organisation, die Art und Weise der Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder etwa die praktizierte Zusammenarbeit mit anderen Stellen zulässt. Aktenzeichen, Organisationskennzeichen, Arbeitstitel, Verfügungen, namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen, Querverweise, Hervorhebungen und Unterstreichungen in Vorgängen einer Verfassungsschutzbehörde können grundsätzlich solche Rückschlüsse zulassen und deshalb geheimhaltungsbedürftig sein.

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Beziehen sich die Schwärzungen aber auf den Inhalt weiter zurückliegender abgeschlossener Vorgänge, die zwar von zeitgeschichtlichem und historischem Interesse sind, deren mögliche Auswirkungen im Falle einer Offenlegung ihres Inhaltes auf die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden und damit das Wohl des Bundes sich indes nicht gleichsam sofort erschließen, so bedarf es einer Erläuterung, weshalb die Bekanntgabe des Inhalts der betreffenden Daten eine Erschwerung gerade der künftigen Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden zur Folge hätte. Rechtsstaatliche Belange erfordern auch insoweit ein Mindestmaß an Plausibilität (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 12, 14 und 19).

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Der Beigeladene hat die Schwärzungen von Akten- und Organisationskennzeichen verschiedener Sicherheitsbehörden (Bl. 67, 73, 97, 98, 126, 136, 139 und 140 der Akte) damit begründet, dass auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich verstrichenen Zeit anderenfalls Rückschlüsse auf die Aufgabenverteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dessen noch heute gültige, wenn auch zum Teil technisch weiterentwickelte Arbeitsweise und dessen Methoden der Erkenntnisgewinnung gezogen werden könnten. Das Zurückhalten der Akten- und Organisationskennzeichen schmälere den Anspruch des Klägers auf Nutzung der dort befindlichen Unterlagen zu der Person Jan-Carl Raspe nicht in einem erkennbar entscheidenden Maße, da sich weitergehende Erkenntnis zu dieser Person nicht finden ließen. Ebenso wenig werde die Sachverhaltsaufklärung in relevanter Weise beschnitten (S. 7 der Sperrerklärung).

12

Der Senat hat sich durch Einsichtnahme in den Originalvorgang davon überzeugt, dass diese Ausführungen zutreffen und die geschwärzten Akten- und Organisationskennzeichen zu Recht einer Offenlegung entzogen wurden.

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Dasselbe gilt, soweit der Beigeladene die Schwärzungen auf Bl. 1 und 30 der Akte damit begründet, dass die Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden noch heute in entsprechender Weise praktiziert werde und durch eine Offenlegung die Vertrauensbasis, auf der jeder Informationsaustausch zwischen Sicherheitsbehörden beruhe, nachhaltig erschüttert werden würde (S. 8 und 9 der Sperrerklärung).

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b) Sind Behörden - wie dies namentlich auf das Bundesamt für Verfassungsschutz zutrifft - bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben auf Angaben Dritter angewiesen, dürfen sie zum Schutz des Informanten dessen Identität geheim halten. Entsprechendes gilt für Informationen, die ihnen von anderen Stellen vertraulich übermittelt wurden. Dem Wohl des Bundes würden Nachteile bereitet, wenn diese Daten unter Missachtung einer zugesagten oder vorausgesetzten Vertraulichkeit an Dritte bekanntgegeben würden (BVerwG, Beschluss vom 7. August 2013 - 20 F 9.12 - juris Rn. 15 m.w.N.).

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So verhält es sich hinsichtlich der Schwärzungen auf Bl. 5 und 6 der Akte. Die zwischenzeitlich verstrichene Zeit ändert nichts daran, dass eine Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden bedingt, dass Partnerdienste darauf vertrauen können, dass die Herkunft vertraulich übermittelter Informationen auch Jahre später nicht ohne ihre Mitwirkung preisgegeben wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. August 2013 - 20 F 9.12 - juris Rn. 15).

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c) Ihrem Wesen nach geheim zu halten im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind die persönlichen Daten dritter Personen, die in den Unterlagen aus verschiedenen Gründen und in unterschiedlichen Zusammenhängen erwähnt werden. Ein grundrechtlich abgesichertes Interesse betroffener Dritter an einer Geheimhaltung bestimmter persönlicher Daten ist ein tragfähiger Grund, um die Vorlage von Akten in einem gerichtlichen Verfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verweigern (BVerwG, Beschluss vom 23. November 2011 - 20 F 22.10 - juris Rn. 36).

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Allerdings erfasst dieser Schutzzweck grundsätzlich nur die Daten als solche und nicht die gesamten Vorgänge, in denen sie erwähnt werden, und zudem nur diejenigen Daten, die tatsächlich (noch) schutzwürdig sind. An Letzterem kann es namentlich dann fehlen, wenn es sich um Personen der Zeitgeschichte handelt, die in den Unterlagen nur in ohnehin bereits bekannten Zusammenhängen angeführt werden, oder wenn persönliche Daten betroffen sind, die in allgemein zugänglichen Quellen erwähnt worden sind, und diese Quellen, etwa Zeitungsberichte oder sonstige Publikationen, in den Unterlagen lediglich wiedergegeben sind, ohne dass dadurch weiterführende Rückschlüsse ermöglicht werden (BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 22 m.w.N.). Sind diese Daten in einen Zusammenhang gestellt, dem Hinweise auf eine gleichwohl bestehende Schutzwürdigkeit zu entnehmen sind, so kann auch ihre Schwärzung gerechtfertigt sein (BVerwG, Beschluss vom 19. Juni 2013 - 20 F 10.12 - ZIP 2014, Rn. 11).

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aa) Gemessen daran begegnet die Schwärzung weiterer personenbezogener Daten einer Frau M. (Bl. 1 der Akte) keinen Bedenken. Der Senat hat sich durch Einsichtnahme in die Originalakte davon überzeugt, dass diese Daten bislang nicht allgemein bekannt oder zumindest zugänglich und daher weiterhin schutzwürdig sind. Rechtswidrig ist indessen die Schwärzung dieses Namens auf Blatt 2 der Akte; denn aus dem Sinnzusammenhang ergibt sich ohne weiteres, dass es sich dabei wiederum um den auf der vorherigen Seite bereits offengelegten Namen der Frau M. handelt.

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bb) Schutzwürdig und folglich zu Recht geschwärzt sind gleichfalls personenbezogene Daten mehrerer, bei Erstellung der Dokumente minderjähriger Personen (Bl. 76 und 84 der Akte) sowie weiterer dritter Personen (Bl. 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 34, 35, 36, 37, 39, 40, 41, 46, 49, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 72, 73, 74, 76, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 88, 89, 90, 91, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 106, 108, 111, 113, 119 und 139 der Akte), darunter die Namen von Mitarbeitern verschiedener Sicherheitsbehörden, in einem Fall zudem Daten im Sinne des § 3 Abs. 9 BDSG (Bl. 79 der Akte). Die Schwärzung des Namens des Autors bzw. Herausgebers der Veröffentlichung "Erziehung und Klassenkampf" (Blatt 33 der Akte) ist demgegenüber nicht gerechtfertigt, da er für die Öffentlichkeit bestimmt war und ohne großen Aufwand zu ermitteln ist.

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d) Der Beigeladene hat das ihm eingeräumte Ermessen in der Sperrerklärung erkannt. Zu Recht hat er ausgeführt, dass unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalles das öffentliche Interesse an der Geheimhaltung des Inhalts der Dokumente gegen das öffentliche Interesse an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht der Hauptsache wie auch das private Interesse des Klägers an der begehrten Auskunft abzuwägen sei. Dieser Abwägung ist der Beigeladene dadurch gerecht geworden, dass er in Bezug auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte und der sonstigen Belange Dritter sowie hinsichtlich von Aktenzeichen und Organisationskennzeichen jeweils unter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten des Einzelfalls nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip verfahren ist (S. 5 bis 7 der Sperrerklärung vom 30. Oktober 2014) und hiervon ausgehend, die Unterlagen weithin offengelegt hat.

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3. Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht, da es sich bei diesem im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbstständigen Zwischenstreit handelt (BVerwG, Beschluss vom 1. Februar 2011 - 20 F 17.10 - juris Rn. 6 m.w.N.).