Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 31.01.2011


BVerwG 31.01.2011 - 20 F 18/10

Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung durch Offenlegung der Zusammenarbeitsmodalitäten


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO
Entscheidungsdatum:
31.01.2011
Aktenzeichen:
20 F 18/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend VG Berlin, kein Datum verfügbar, Az: 18 K 24.09 V
Zitierte Gesetze

Gründe

I.

1

Der Antragsteller, ein tunesischer Staatsbürger, begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht die Verpflichtung der Beklagten, ihm ein Visum zu erteilen.

2

Der Antragsteller war im April 2007 ausgewiesen worden wegen falscher Angaben zur Erlangung eines Aufenthaltstitels über das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die er im August 2006 geheiratet hatte. Er verließ daraufhin im Juli 2007 die Bundesrepublik Deutschland. Im August 2008 beantragte er bei der deutschen Botschaft in Tunis ein Visum zum Zweck der Familienzusammenführung und gab an, zu der in Bonn lebenden jetzigen deutschen Ehefrau ziehen zu wollen, die er im August 2007 in Tunesien geheiratet hatte. Die Beklagte lehnte den Antrag nach § 5 Abs. 4 in Verbindung mit § 54 Nr. 5 und 5a AufenthG ab. Zur Begründung hat sie auf Erkenntnisse anderer Behörden verwiesen, die die Schlussfolgerung rechtfertigten, dass der Kläger international operierende gewaltbereite Jihadisten bzw. deren Strukturen unterstütze und im Klageverfahren erläutert, dass es sich um Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz handele. Nachdem das Verwaltungsgericht mit Beweisbeschluss der Berichterstatterin vom 16. Juni 2010 - bestätigt durch Beschluss der Kammer vom 20. August 2010 - die Vorlage der Akten angeordnet hat, aus denen sich diese Erkenntnisse ergeben, hat der Beigeladene zu 2 unter dem 21. Juli 2010 eine Sperrerklärung abgegeben. Darin wird ausgeführt, dass die Vorlage von 13 näher bezeichneten Fallakten des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit den Antragsteller betreffenden Erkenntnissen zur Vermeidung von Nachteilen für das Wohl des Bundes verweigert werde.

II.

3

Der gegen die Sperrerklärung gerichtete Antrag des Antragstellers ist unbegründet. Die Weigerung des Beigeladenen zu 2, dem Verwaltungsgericht die von ihm als entscheidungserheblich angeforderten Akten vorzulegen, ist rechtmäßig. Ob bereits der Beschluss der Berichterstatterin vom 16. Juni 2010 als förmliche Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit genügt, kann dahinstehen (vgl. nur Beschluss vom 22. Januar 2009 - BVerwG 20 F 5.08 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 53 Rn. 2 m.w.N.). Denn die Kammer des Verwaltungsgerichts, die ungeachtet der Ankündigung in der Eingangsverfügung mangels Übertragung der Sache auf den Einzelrichter als gesetzlicher Richter zuständig ist, hat mit Beschluss vom 20. August 2010 ihrerseits die Entscheidungserheblichkeit der Akten bejaht und die Entscheidung der Berichterstatterin damit bestätigt. Unter diesen Umständen bestand kein Anlass, den Beigeladenen zu 2, der grundsätzlich erst nach Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit in die gesetzlich geforderte Ermessensabwägung eintreten kann (Beschluss vom 22. Januar 2009 a.a.O. Rn. 5), erneut zur Abgabe einer Sperrerklärung aufzufordern (Beschluss vom 8. März 2010 - BVerwG 20 F 11.09 - NJW 2010, 2295 - juris Rn. 7).

4

Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

5

1. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 3. März 2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 F 4.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8).

6

Derartige Geheimhaltungsgründe hat der Beigeladene zu 2 hier geltend gemacht. Er hat in der Sperrerklärung ausgeführt, dass die zurückgehaltenen Akten Informationen über die Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden sowie den Inhalt, die Art und den Zeitpunkt der Erlangung bestimmter Erkenntnisse enthalten. Im Falle einer Offenlegung könnten daraus Rückschlüsse gezogen werden auf die Methoden und den aktuellen Kenntnisstand des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie auf Zielpersonen aus dem Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus, von denen eine erhebliche Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Ferner bestehe die Gefahr, dass diese Personen durch eine Offenlegung gewarnt würden; dadurch würde deren weitere Beobachtung erschwert oder verhindert.

7

Der Senat hat sich bei Durchsicht der von dem Beigeladenen zu 2 vorgelegten Aktenstücke des Bundesamtes für Verfassungsschutz davon überzeugt, dass die mit der Sperrerklärung geltend gemachten Geheimhaltungsgründe vorliegen. Die zurückgehaltenen Unterlagen enthalten interne Vermerke des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Korrespondenz mit anderen Behörden, nachrichtendienstlich gewonnenes Erkenntnismaterial des Bundesamtes bzw. anderer Stellen sowie zahlreiche sonstige Hinweise auf den Kenntnisstand und die Vorgehensweise der Sicherheitsbehörden gegenüber Personen, die im Verdacht stehen, gewaltbereite islamistische Gruppen zu unterstützen oder ihnen selbst anzugehören, sowie schließlich Angaben über konkret bezeichnete Zielpersonen. Solche Informationen sind geeignet, Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand und die Vorgehensweise der Sicherheitsbehörden zu ermöglichen und ihnen so die künftige Erfüllung ihrer Aufgaben im Bereich der Abwehr von Gefahren durch die in Rede stehenden Personengruppen zu erschweren. Die Geheimhaltungsgründe erstrecken sich auf den gesamten Akteninhalt. Durch bloße Schwärzungen von Teilen der Akten hätte der Beigeladene zu 2 den Geheimhaltungsinteressen nicht Rechnung tragen können. Von einer weiteren Begründung muss der Senat insoweit gemäß § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO absehen.

8

Die Vermutung des Antragstellers, dass die Akten auch Informationen anderer, etwa ausländischer Sicherheitsdienste enthalten könnten, deren Bekanntgabe nicht geeignet sei, das Wohl des Bundes zu beeinträchtigen, greift unbeschadet der Frage, ob die Vermutung zutrifft, nicht durch. Auch die Offenlegung der Art und Weise einer Zusammenarbeit mit anderen Behörden und der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse ist geeignet, die künftige Aufgabenerfüllung einer Sicherheitsbehörde zu beeinträchtigen. Der weitere Einwand des Antragstellers, die Gefahr einer Kenntniserlangung von Zielpersonen des Bundesamtes für Verfassungsschutz rechtfertige nur die Anonymisierung der Namen der Mitarbeiter des Bundesamtes, beruht offenbar auf einem Fehlverständnis. Mit Zielpersonen sind die von der Sicherheitsbehörde beobachteten Personen gemeint. Allein eine Schwärzung der Namen dieser Personen ließe die vorliegenden Geheimhaltungsgründe nicht entfallen.

9

2. Die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorlage bei Geheimhaltungsbedarf erfordert grundsätzlich eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Durch die Ermessenseinräumung wird der obersten Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO regelt die Auskunftserteilung und Aktenvorlage im Verhältnis der mit geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen befassten Behörde zum Verwaltungsgericht, das in einem schwebenden Prozess für eine sachgerechte Entscheidung auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist. In diesem Verhältnis stellt das Gesetz die Auskunftserteilung und Aktenvorlage in das Ermessen der Behörde, lässt dieser also die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Dementsprechend ist ihr auch in den Fällen Ermessen zugebilligt, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris Rn. 5 und vom 21. Februar 2008 - BVerwG 20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 46 Rn. 19). Die oberste Aufsichtsbehörde muss in ihrer Sperrerklärung in nachvollziehbarer Weise erkennen lassen, dass sie gemessen an diesem Maßstab die Folgen der Verweigerung mit Blick auf den Prozessausgang gewichtet hat.

10

Die Sperrerklärung vom 21. Juli 2010 genügt diesen Anforderungen. Der Beigeladene zu 2 hat das ihm durch § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräumte Ermessen erkannt und die Interessen des Bundes an der Geheimhaltung mit den geläufigen privaten und öffentlichen Interessen an effektivem Rechtsschutz und umfassender Aufklärung des Sachverhalts abgewogen. Dabei hat er insbesondere das Recht des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und den durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie in den Blick genommen, im Ergebnis seiner Abwägung aber den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik einen höheren Stellenwert eingeräumt. Das lässt unter den Bedingungen dieses Falles keine Ermessensfehler erkennen. Das Fehlen von (ausdrücklichen) Ermessenserwägungen zu einer eventuellen Vorlage wenigstens von Teilen der Akten ist unschädlich. Der Beigeladene zu 2 durfte nach der Beschaffenheit der Unterlagen davon ausgehen, dass auch hinsichtlich einer nur teilweisen Offenlegung die Geheimhaltungsgründe überwiegen.

11

Ob die Zurückhaltung der Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Hauptsacheverfahren überhaupt zu einer Erschwerung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Antragstellers führen wird, muss das Gericht der Hauptsache unter Berücksichtigung der Regeln der Beweislast und der in der Rechtsprechung insoweit entwickelten Kriterien (vgl. Beschluss vom 1. Februar 1996 - BVerwG 1 B 37.95 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 24 S. 8) entscheiden. Dabei wird es auch zu prüfen haben, inwieweit anstelle der als Erkenntnisquelle nicht zur Verfügung stehenden Aktenstücke des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine zusätzliche, über das bereits vorliegende Behördenzeugnis vom 11. Mai 2009 hinausgehende Konkretisierung möglich und ausreichend ist, um den von der Beklagten angeführten Grund für die Versagung des Visums hinreichend bewerten zu können.

12

Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht (vgl. dazu Beschluss vom 16. Dezember 2010 - BVerwG 20 F 15.10).

13

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es ebenfalls nicht, da Gerichtsgebühren mangels Gebührentatbestand im Verfahren vor dem Fachsenat nicht anfallen.