Entscheidungsdatum: 21.04.2010
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen; das gilt bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht sich selbst seiner Entscheidung entäußert.
Die fristgerecht eingelegte und mit einer Begründung versehene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Truppendienstgerichts ... vom 6. August 2009 ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Truppendienstgericht.
Nach § 42 Satz 1 WDO i.V.m. § 22b Abs. 1 Satz 1 WBO steht dem Beschwerdeführer bei Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Truppendienstgericht die Nichtzulassungsbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu. Die Rechtsbeschwerde ist unter anderem dann zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die - angefochtene - Entscheidung beruhen kann (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO).
Die Beschwerde wendet sich vorrangig mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs dagegen, dass das Truppendienstgericht ... in seinem Beschluss vom 6. August 2009, der am 7. Oktober 2009 zur Geschäftsstelle gelangte, insbesondere die am 24. und 27. August 2009 eingegangenen Schriftsätze des Verteidigers des Soldaten nicht mehr berücksichtigt hat. Die Beschwerde trägt dazu vor, der Bevollmächtigte habe mit seiner weiteren Beschwerde vom 14. April 2009 um Akteneinsicht gebeten und eine Beschwerdebegründung in einem späteren Schriftsatz angekündigt. Nachdem die Akteneinsicht durchgeführt worden sei, habe das Truppendienstgericht ..., ohne diese ergänzende Antragsbegründung abzuwarten, am 6. August 2009 abschließend entschieden.
Mit diesem Vorbringen macht die Beschwerde einen Verfahrensmangel im Sinne des § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO geltend.
Ein Verfahrensmangel liegt vor, wenn der Anspruch eines Antragstellers oder Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt wird. Dieser in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz gilt auch im wehrbeschwerderechtlichen Antragsverfahren und erstreckt sich - über den Wortlaut des § 18 Abs. 2 Satz 4 WBO hinaus - auf alle für die Entscheidung maßgeblichen Sachfragen sowie auf die Beweisergebnisse (vgl. auch die gemäß § 42 Satz 1 WDO i.V.m. § 23a Abs. 2 WBO auf das Disziplinarbeschwerdeverfahren entsprechend anwendbare Vorschrift des § 108 Abs. 2 VwGO), ferner auf entscheidungsrelevante Rechtsfragen, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt (Dau, WBO, 5. Aufl. 2009, § 18 Rn. 56, 57). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen (stRspr, vgl. z.B. Urteile vom 29. November 1985 - BVerwG 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 S. 65 und vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 22.88 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 29 S. 6).
Gegen diesen Grundsatz hat das Truppendienstgericht ... in dem angefochtenen Beschluss verstoßen, weil es Schriftsätze des Verteidigers des Soldaten vom 24. und 27. August 2009 in seiner Entscheidung nicht mehr berücksichtigt hat. In Abschnitt I der Entscheidungsgründe weist das Truppendienstgericht insoweit ausdrücklich darauf hin, dass "die anwaltlichen Schriftsätze vom 10.08.2009, 11.08.2009, 24.08.2009 und 27.08.2009 selbstverständlich keine Berücksichtigung finden" konnten. Vor dem Entscheidungstermin hat das Truppendienstgericht nicht die Möglichkeit wahrgenommen, dem Verteidiger gem. § 18 Abs. 2 Satz 1 und § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 86 Abs. 4 Satz 2 VwGO eine Frist zur Vorlage der Begründung zu setzen.
Die Schriftsätze des Bevollmächtigten vom 24. und 27. August 2009 sind nicht verspätet beim Truppendienstgericht ... eingegangen.
Zwar hatte das Gericht seine Entscheidung am 6. August 2009 getroffen, diese jedoch mit Gründen erst am 7. Oktober 2009 zur Geschäftsstelle gegeben und dem Verteidiger am 9. Oktober 2009 zugestellt. Die Zustellung an den Soldaten selbst erfolgte am 4. November 2009. Äußerungen der Beteiligten müssen nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung noch bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht sich selbst seiner Entscheidung entäußert, zur Kenntnis genommen und gewürdigt werden. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob für Fälle, in denen - wie hier - keine mündliche Verhandlung oder nach mündlicher Verhandlung keine Verkündung der Entscheidung im Verhandlungstermin stattgefunden hat, der Zeitpunkt der Entäußerung erst mit der Absendung zumindest des Tenors der Entscheidung an die Beteiligten erreicht ist (BVerfG, Beschlüsse vom 7. Dezember 1982 - 2 BvR 1118/82 - BVerfGE 62, 347 <353> und vom 4. August 1992 - 2 BvR 1129/92 - NJW 1993, 51, juris Rn. 22; BGH, Beschluss vom 2. Oktober 1967 - III ZB 24/67 - NJW 1968, 49, juris Rn. 3; vgl. ferner Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 104 Rn. 14, § 108 Rn. 27a), oder ob eine verbindliche Entäußerung möglicherweise schon in einer dokumentierten Übergabe der Entscheidung an die Geschäftsstelle liegt (Urteil vom 14. April 1989 a.a.O.; BFH, Beschluss vom 24. November 1994 - X B 146 bis 149/94 - juris Rn. 10). Denn die Schriftsätze vom 24. und 27. August 2009 gingen erheblich vor diesen beiden Zeitpunkten beim Truppendienstgericht Süd ein; wann der vom Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern unterzeichnete Tenor der Geschäftsstelle übergeben wurde, ist in der Akte nicht dokumentiert, allerdings ist der Tenor (Bl. 125 d.A.) erst hinter den Schriftsätzen vom 24. und 27. August 2009 (Bl. 109 bis 117 d.A.) abgeheftet worden.
Der festgestellte Verfahrensfehler stellt im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO einen absoluten Revisionsgrund dar, bei dem stets davon auszugehen ist, dass die Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Die Vorschrift des § 138 Nr. 3 VwGO ist gem. § 23a Abs. 2 WBO in den Verfahren nach §§ 22a und 22b WBO entsprechend anwendbar (Dau, WBO, a.a.O. § 23a Rn. 13).
In den Verfahren nach §§ 22a und 22b WBO gilt gem. § 23a Abs. 2 WBO auch die Vorschrift des § 133 Abs. 6 VwGO entsprechend, die es dem Bundesverwaltungsgericht in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde ermöglicht, den Rechtsstreit bei einem festgestellten Verfahrensmangel unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (Beschlüsse vom 30. November 2009 - BVerwG 1 WNB 2.09 - juris Rn. 9, 10
Davon macht der Senat hier im Interesse der Verfahrensbeschleunigung Gebrauch.