Entscheidungsdatum: 29.10.2013
Ein Urteil beruht nur dann auf einem falschen Beweismittel im Sinne des § 129 Abs. 1 Nr. 3 WDO (juris: WDO 2002), wenn sich das Gericht für seine Entscheidung über die Tat-, Schuld- oder Zumessungsfrage mit diesem Beweismittel auseinandergesetzt und es verwertet hat.
Der Soldat wurde durch Urteil der 1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 8. November 2007 (N 1 VL 16/07) wegen eines Dienstvergehens zu einem Beförderungsverbot für die Dauer von fünfzehn Monaten verurteilt. Der Soldat nahm seine dagegen eingelegte Berufung in der Berufungshauptverhandlung zurück, sodass das Urteil des Truppendienstgerichts am 7. April 2008 rechtskräftig wurde.
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hatte in der Hauptverhandlung erster Instanz am 7. November 2007 u.a. Leutnant d. G. als Zeuge ausgesagt. Dieser war als Personaloffizier und Leiter der S 1-Abteilung des Deutschen Anteils des Fernmeldebataillons I./Deutsch-Niederländisches Korps in E. für die Personalangelegenheiten der Angehörigen des Bataillons verantwortlich.
Mit Schreiben vom 9. September 2010 erstattete der Soldat gegen Leutnant d. G. Strafanzeige wegen falscher uneidlicher Aussage, Urkundenunterdrückung und Verleumdung und warf ihm vor, in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht am 7. November 2007 wahrheitswidrig bestritten zu haben, "Antragsunterlagen zu einem Antrag auf Übernahme zum Berufssoldaten bezüglich Oberfeldwebel Sch. erhalten und solche Antragsunterlagen mit mir besprochen" zu haben.
Unter dem 23. März 2011 legte der Soldat gemäß § 172 Abs. 1 StPO Beschwerde gegen einen Bescheid der Staatsanwaltschaft M. vom 10. März 2011 ein, mit dem die Staatsanwaltschaft nach Angabe des Soldaten das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO einstellen wollte. Mit Schreiben vom 30. November 2011 teilte die Staatsanwaltschaft M. dem Soldaten mit, dass sie das Ermittlungsverfahren gegen Herrn d. G. gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt habe. Der Beschuldigte sei bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten und es könne erwartet werden, dass er durch das bisherige Verfahren hinreichend beeindruckt und gewarnt sei. Unter diesen Umständen wäre das Verschulden als gering anzusehen. Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehe nicht. In der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 29. November 2011 sind in dem Formblatt zur Einstellung gemäß § 153 Abs. 1 StPO als weitere Gründe handschriftlich ergänzt: "Wegen des langen Zeitablaufs sind gesicherte Erkenntnisse nicht mehr zu erwarten."
Am 27. Februar 2012 beantragte der Soldat beim Truppendienstgericht Nord gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 129 Abs. 1 Nr. 3 WDO die Wiederaufnahme des gerichtlichen Disziplinarverfahrens. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, er habe erst mit der abschließenden Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft positiv erfahren, dass auch die Staatsanwaltschaft von einer uneidlichen Falschaussage des Zeugen d. G. ausgegangen sei, denn sonst hätte eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgen müssen. Das Urteil der 1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 8. November 2007 beruhe im Wesentlichen auf der Aussage des Zeugen d. G.
Mit Beschluss vom 11. September 2012 hat das Truppendienstgericht den Antrag als unzulässig verworfen. Die Voraussetzungen des § 129 Abs. 3 WDO seien nicht gegeben. Weder sei der Zeuge d. G. wegen einer Falschaussage rechtskräftig verurteilt worden, noch hätten andere Gründe als ein Mangel an Beweisen die Einleitung oder Durchführung des Strafverfahrens gehindert. Aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ergebe sich, dass gerade auch die durch den langen Zeitablauf ungünstige Beweissituation mit der Grund gewesen sei, das Verfahren gemäß § 153 StPO einzustellen. Da für § 153 StPO eine hypothetische Betrachtung ausreichend sei, sei nicht erwiesen, dass die Staatsanwaltschaft den Zeugen d. G. für einer uneidlichen Aussage überführt hielt.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Soldaten, mit der er sich gegen die Annahme des Truppendienstgerichts wendet, die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Zeugen d. G. seien ausschließlich wegen Mangels an Beweisen eingestellt worden. Vielmehr sei dies wegen der angenommenen geringen Schuld des Zeugen erfolgt. Die Einstellung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Mangels an Beweisen dürfe nicht nach § 153 StPO erfolgen, sondern hätte gemäß § 170 Abs. 2 StPO erfolgen müssen.
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt tritt der Beschwerde entgegen. Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft stelle inhaltlich keine Feststellung im Sinne des § 129 Abs. 1 Nr. 3 WDO dar, dass die Entscheidung des Truppendienstgerichts im gerichtlichen Disziplinarverfahren gegen den Soldaten auf einer uneidlichen falschen Aussage beruhe. Eine solche Feststellung könne der Einstellung nach § 153 StPO nicht beigemessen werden. Im Übrigen sei der Antrag auf Wiederaufnahme des gerichtlichen Disziplinarverfahrens unzulässig, weil der Soldat dieses Gestaltungsmittel missbräuchlich in Anspruch nehme. Im Übrigen seien auch die materiellrechtlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten, die Akten des Truppendienstgerichts Nord - N 1 WL 1/12 - und die Akten des gerichtlichen Disziplinarverfahrens - Truppendienstgericht Nord N 1 VL 16/07 und BVerwG 2 WD 6.08 - Bezug genommen.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Truppendienstgericht hat den Wiederaufnahmeantrag des Soldaten zu Recht als unzulässig verworfen.
Die Tatbestandsmerkmale des allein als Wiederaufnahmegrund in Betracht kommenden § 129 Abs. 1 Nr. 3 WDO liegen schon nicht vor. Danach ist Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Antrags auf Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen gerichtlichen Disziplinarverfahrens, dass das Urteil auf dem Inhalt einer unechten oder verfälschten Urkunde oder - hier nach Ansicht des Soldaten einschlägig - auf einem vorsätzlich oder fahrlässig falsch abgegebenen Zeugnis oder Gutachten beruht. Ein Urteil beruht nur dann auf dem falschen Beweismittel, wenn das Gericht sich für seine Entscheidung über die Tat-, Schuld- oder Zumessungsfrage mit diesem Beweismittel auseinandergesetzt und es verwertet hat (vgl. Dau, WDO, 6. Aufl. 2013, § 129 Rn 13). Das ist mit der vom Soldaten für falsch gehaltenen Aussage des Zeugen d. G. nicht der Fall.
Der Soldat geht davon aus, der damalige Leutnant d. G. habe als Zeuge ausgesagt, dass er zu keinem Zeitpunkt Antragsunterlagen zu einem Antrag auf Übernahme zum Berufssoldaten bezüglich Herrn Oberfeldwebel Sch. durch den Soldaten erhalten habe. Er habe solche Antragsunterlagen auch nicht mit dem Soldaten besprochen. Diese Aussage habe das Gericht davon überzeugt, dass er den formlosen Antrag des Oberfeldwebels Sch. vernichtet haben müsste.
Dieser Vortrag gibt die Entscheidungsgründe des rechtskräftigen truppendienstgerichtlichen Urteils im Disziplinarverfahren gegen den Soldaten unzutreffend wieder. Die Frage, ob und welche Anträge oder Unterlagen der Zeuge d. G. erhalten hatte - was Gegenstand des vom Soldaten initiierten und von der Staatsanwaltschaft eingestellten Ermittlungsverfahrens war - hat in den Urteilsgründen keinen Niederschlag gefunden und für die Entscheidung der Kammer offenkundig keine Rolle gespielt. Vielmehr hat das Truppendienstgericht die Aussage des Zeugen d. G. nur für die Feststellung verwendet, dass sich der Soldat bei diesem Zeugen als damaligen S 1-Offizier des Fernmeldebataillons erkundigt hatte, wie zu verfahren sei, wenn ein Soldat einen Antrag auf Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten stelle und die Voraussetzungen nicht erfülle. Der Zeuge hätte ihn insoweit auf die Mitteilung der Stammdienststelle des Heeres hingewiesen.
Die Feststellung, dass der Soldat den Antrag des Oberfeldwebels Sch. vom 11. Oktober 2006 vernichtet habe, hat das Truppendienstgericht auf die entsprechende Einlassung des Soldaten selbst sowie auf die Zeugenaussage des Oberfeldwebels Sch. gestützt, derzufolge der Soldat dem Oberfeldwebel Sch. am 6. November 2006 mitgeteilt hatte, dass er den Antrag vernichtet habe. Der Soldat selbst hatte in seiner Vernehmung am 7. November 2007 vor dem Truppendienstgericht mehrfach ausgesagt, dass er den ursprünglichen Antrag des Oberfeldwebels Sch. zerrissen, in den VS-Müll geworfen und dadurch vernichtet habe (vgl. Niederschrift über die Hauptverhandlung S. 15, 16, 25). Insoweit war allenfalls streitig, welcher von den nach Angaben des Soldaten mehreren Anträgen vom Soldaten vernichtet wurde und ob dies mit oder ohne Einverständnis des Oberfeldwebels Sch. geschah. Aufgrund der Aussage des Zeugen Oberfeldwebel Sch. ist das Truppendienstgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Soldat einen Antrag des Oberfeldwebels ohne dessen Einverständnis vernichtet hatte. Auf die Aussage des Zeugen d. G. hat das Truppendienstgericht bei der Feststellung, dass der Soldat seine Dienstpflichten verletzte, indem er den Antrag vernichtete, nicht abgestellt und sie in diesem Zusammenhang auch nicht verwertet.
Auf die Frage, ob die Voraussetzungen des § 129 Abs. 3 WDO vorliegen, kommt es deshalb nicht an.