Entscheidungsdatum: 01.09.2017
Die extreme Überlänge eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens kann ein Verfahrenshindernis nach § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO (juris: WDO 2002) begründen.
Die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft richtet sich gegen die Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens.
Der frühere Soldat war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahr 2000 beim ... eingesetzt und betreute dort ein ... Ihm waren auch Beschaffungsaufgaben und Kostenabrechnungen übertragen. Ab November 2002 wurde zunächst behördenintern wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit Zahlungs- und Beschaffungsvorgängen des früheren Soldaten ermittelt. Nach einer Strafanzeige im September 2004 ermittelte die Staatsanwaltschaft u.a. in Form von Durchsuchungen beim Beschuldigten und beim ... Im April 2006 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts ... vom 19. März 2008 wurde der frühere Soldat unter Freistellung von Betrugsvorwürfen wegen Urkundenfälschung in 132 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten zur Bewährung verurteilt.
Seit April 2004 führte die Wehrdisziplinaranwaltschaft sachgleiche Vorermittlungen. Das gerichtliche Disziplinarverfahren wurde im Juni 2006 eingeleitet und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt. Nach Einbeziehung weiterer Vorwürfe wegen nach der Dienstzeit begangener Betrugstaten und Gewährung von Schlussgehör wurde im Mai 2009 die Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht ... eingereicht. In der Hauptverhandlung vom 6. Oktober 2009 klammerte das Truppendienstgericht die Vorwürfe wegen der nach Dienstzeitende begangenen Betrugstaten nach § 107 Abs. 2 Satz 1 WDO aus, setzte das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage nach der Verfassungswidrigkeit von § 62 Abs. 1 Satz 3 WDO in Verbindung mit § 58 Abs. 2 Nr. 3 WDO vor. Im Dezember 2010 erhielt das Truppendienstgericht von ihm die Auskunft, ein Entscheidungszeitpunkt sei aufgrund der Vielzahl der anhängigen Verfahren nicht absehbar. Mit Beschluss vom 3. Juli 2014 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Vorlage wegen einer nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Begründung unzulässig ist. Nach Rücksendung der Akten an das Truppendienstgericht wurden auf rechtliche Hinweise des Vorsitzenden der ... Kammer des Truppendienstgerichts ... schriftsätzlich prozessuale Fragen unter anderem zu einer Verfahrenseinstellung erörtert.
Mit Beschluss vom 29. März 2017 hat der Vorsitzende der ... Kammer des Truppendienstgerichts ... das gerichtliche Disziplinarverfahren gemäß § 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1, Abs. 4 WDO eingestellt. Es bestehe das Verfahrenshindernis der überlangen Verfahrensdauer im Sinne von Art. 6 EMRK.
Es liege ein extremer Ausnahmefall vor, der wegen des außergewöhnlich großen Ausmaßes der Verzögerung unter Berücksichtigung der besonderen persönlichen Umstände des früheren Soldaten im Lichte des Rechtsstaatsprinzips eine sofortige Verfahrensbeendigung gebiete. Eine extreme Überlänge liege vor, weil seit den Vorfällen siebzehn Jahre, seit dem ersten Verdacht gegen den früheren Soldaten vierzehn Jahre, seit Aufnahme der Vorermittlungen mehr als dreizehn Jahre, seit Einleitung des Verfahrens fast elf Jahre und seit Einreichung der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht beinahe acht Jahre vergangen seien. Ein rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens durch Sachentscheidung sei auch für 2017 nicht mit Sicherheit vorherzusagen. Zwar würden die mit der Überlänge verbundenen Belastungen zum Teil dadurch kompensiert, dass der frühere Soldat länger höhere Bezüge erhalte, als ihm bei einer tat- und schuldangemessenen Dienstgradherabsetzung zustünden. Die persönlichen Umstände des schwerkranken Soldaten, nämlich schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen und eine desolate wirtschaftliche Lage, sprächen gegen die Verhältnismäßigkeit einer Verfahrensfortführung. Auch generalpräventive Verfahrenszwecke geböten sie nicht, weil schon wegen der strafrechtlichen Verfolgung und den finanziellen und persönlichen Folgen für den Soldaten eine negative Beispielswirkung nicht zu befürchten sei. Wegen der Verfahrensdauer und der persönlichen Situation des früheren Soldaten erreichten die Besonderheiten des Falles ein Ausmaß an Zuspitzung, dass eine weitere Belastung des früheren Soldaten mit dem Verfahren auch dann nicht mehr verhältnismäßig wäre, wenn sich die Vorwürfe bestätigten.
Gegen den ihr am 7. April 2017 zugestellten Beschluss hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft am 5. Mai 2017 Beschwerde eingelegt. Ein Verfahrenshindernis im Sinne von § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO liege nur bei einem gesetzlichen Befassungsverbot vor.
Die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes sei kein einer Sachentscheidung entgegenstehendes Befassungsverbot. Der Gesetzgeber habe dem Vorsitzenden nur ausnahmsweise und nicht für Fragen, über die die Kammer entscheiden müsse eine Einzelrichterzuständigkeit übertragen. Bei einer Einstellung wegen einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes seien aber anders als bei Verfahrenshindernissen in die Kompetenz der Kammer fallende Fragen der materiell-rechtlichen Bewertung des Vorwurfes als Dienstvergehens und seiner Schwere betroffen, über die die Kammer als gesetzlicher Richter entscheiden müsse. Eine Einstellung aus prozessrechtlichen Gründen erlaube bei Wegfall der Hindernisse die Neueinleitung eines Verfahrens. Bei einer Einstellung aus materiell-rechtlichen Gründen, also auch bei einer unverhältnismäßigen Verfahrensdauer, sei dies aber nicht möglich.
Selbst wenn man in einer Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes ein Verfahrenshindernis sehe, liege ein solches hier nicht vor. Denn zum einen hätten die Ermittlungsbehörden und Gerichte das Verfahren hier nicht schuldhaft verzögert. Es sei bereits zweifelhaft, ob der Zeitraum der disziplinaren Ermittlungen in die Prüfung der Überlänge einzubeziehen sei. Die Aussetzung wegen des anhängigen Strafverfahrens dürfe nicht berücksichtigt werden. Auch die Zeit des Vorlageverfahrens dürfe nicht gänzlich eingestellt werden. Der nachfolgende Schriftsatzwechsel zeige, dass das Verfahren danach kontinuierlich betrieben worden sei. Selbst wenn man von einer Überlänge ausgehe, sei die Belastung mit dem weiteren Verfahren nicht ohne weiteres unangemessen. Die Verfahrensdauer sei für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des früheren Soldaten nicht kausal. Die Erwägungen des Truppendienstgerichts zu den finanziellen Belastungen des früheren Soldaten und zu generalpräventiven Verfahrenszwecken überzeugten nicht. Die für die Einstellung vom Beschluss angeführten Erwägungen sprächen zwar gegen eine Disziplinarmaßnahme. Von dieser sei aber in Anwendung von § 108 Abs. 3 Satz 2 WDO abzusehen.
Die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist zulässig und begründet.
1. Die Beschwerde ist statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben. Für die Beschwerde gibt es ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl die Wehrdisziplinaranwaltschaft sich nicht gegen die Einstellung als solche wendet und ihre gesetzlich notwendige Zustimmung zu einer Einstellung aus Opportunitätsgründen nicht verweigern will. Denn die von ihr angestrebte Einstellung nach § 108 Abs. 3 Satz 2 WDO verlangt die Feststellung eines Dienstvergehens und ist damit geeignet, die generalpräventiven Verfahrenszwecke zu erreichen, deren Verfolgung auch der Wehrdisziplinaranwaltschaft übertragen ist.
2. Sie ist auch begründet. Die Einstellungsvoraussetzungen nach § 108 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 WDO liegen nicht vor.
a) Zwar kann die extreme Überlänge eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens ein Verfahrenshindernis begründen. Unter dem Begriff eines Verfahrenshindernisses im Sinne von § 108 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 WDO fallen alle Umstände, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen, also diese verhindern. Dazu zählen fehlende allgemeine Verfahrensvoraussetzungen (z.B. die Verfolgbarkeit von Täter und Tat), sowie schwere Mängel des Verfahrens, die nicht auf andere Weise geheilt werden können (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2004 - 2 WDB 4.03 - Buchholz 235.01 § 93 WDO 2002 Nr. 3, vom 4. September 2013 - 2 WDB 4.12 - juris Rn. 14 und vom 30. September 2013 - 2 WDB 5.12 - juris Rn. 11). Wird ein gerichtliches Disziplinarverfahren entgegen § 17 Abs. 1 WDO nicht mit der gebotenen Beschleunigung betrieben und dadurch unter Verletzung des grundgesetzlichen Rechtsschutzanspruchs (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - Vz 1/16 - juris Rn. 17) und von Art. 6 Abs. 1 EMRK überlang, liegt ein Verfahrensfehler vor. Dieser wiegt umso schwerer, je länger die sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung andauert. Es ist auch nicht möglich, einen derartigen Fehler nachträglich zu heilen.
Daher entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass in extrem gelagerten Fällen einer Überlänge eine Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - Rn. 40). Diese erfolgt auf der Grundlage von § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO. Sind Ausmaß und Folgen der Überlänge des Verfahrens hingegen nicht derart gravierend, kann eine Einstellung entsprechend § 108 Abs. 3 Satz 2 WDO erwogen werden, wenn wegen des Dienstvergehens eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme im Raum steht (BVerwG, Urteil vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - Rn. 39). Nach der Gesetzessystematik sind vorrangig die zwingenden Einstellungsgründe nach § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO und erst wenn diese nicht vorliegen, ist die im Ermessen des Gerichts stehende Einstellung aus Opportunitätsgründen nach § 108 Abs. 3 Satz 2 WDO zu prüfen. Scheidet auch nach dieser Norm eine Einstellung des Verfahrens aus, ist zu prüfen, ob der Überlänge des Verfahrens bei der Verhängung pflichtenmahnender Maßnahmen im Rahmen der Bemessungsentscheidung Rechnung zu tragen ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. September 2006 - 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <32>; vom 13. März 2008 - 2 WD 6.07 - Rn. 116; vom 22. Oktober 2008 - 2 WD 1.08 - Rn. 122; vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 47 sowie vom 29. November 2012 - 2 WD 10.12 - juris Rn. 62).
b) Die Überlänge eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens verdichtet sich allerdings nur dann zu einem Verfahrenshindernis, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen und des noch zu erwartenden Verfahrensverlaufs, des noch im Raum stehenden Vorwurfs und gegebenenfalls besonderer persönlicher Umstände des Beschuldigten dessen weitere Belastung mit dem Verfahren selbst unter der Voraussetzung, dass sich die Tatvorwürfe später bestätigen, nicht mehr verhältnismäßig wäre. Verlangt werden hierfür ein außergewöhnlich großes Ausmaß an Verfahrensverzögerung und damit verbundene besonders schwere Belastungen des (früheren) Soldaten (BVerwG, Urteil vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - Rn. 40 m.w.N.).
Hieran fehlt es, sodass dahingestellt bleiben kann, ob das dem Vorsitzenden durch § 108 Abs. 4 WDO eingeräumte Ermessen, selbst wegen eines Verfahrenshindernisses durch Beschluss außerhalb der Hauptverhandlung einzustellen oder darüber den Spruchkörper entscheiden zu lassen, fehlerfrei ausgeübt worden ist.
aa) Die Überlänge des Verfahrens ist mit maximal sieben Jahren zu bemessen und erreicht damit jedenfalls noch kein extremes Ausmaß.
Ob die Dauer eines konkreten Verfahrens noch angemessen ist, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Falls und folgender Kriterien zu beurteilen: die Schwierigkeit des Falls, das Verhalten des Betroffenen und das der zuständigen Behörden und Gerichte sowie die Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017> m.w.N., BVerwG, Urteil vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - Rn. 36). Hier ist eine Einzelfallprüfung erforderlich und es ist nicht auf feste Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungs- bzw. Anhaltswerte abzustellen, unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 29). Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 6 EMRK zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 42). Bei der Verfahrensgestaltung kommt dem Gericht ein Gestaltungsspielraum zu. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind.
Es kann offenbleiben, ob die Verfahrensdauer eines Disziplinarverfahrens ab der förmlichen Einleitung zu berücksichtigen ist (so EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 LS), mithin hier ab April 2006, oder aber wegen der Regelung des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 WDO erst ab Einreichung der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht im Mai 2009. Denn selbst unter Einbeziehung des sich an die förmliche Einleitung anschließenden Verfahrenszeitraums ergibt sich noch keine extreme Überlänge, auch wenn das Verfahren nicht sachlich gerechtfertigte Verzögerungen aufweist.
Gegenstand des Verfahrens sind gravierende Vorwürfe, die die Fehlverwendung von Haushaltsmitteln in Höhe von mehreren Hunderttausend DM betreffen. Das Verfahren hat daher nicht nur für den früheren Soldaten, sondern auch für den Dienstherrn hohe Bedeutung. Die Aufklärung war wegen der Vielzahl der in Rede stehenden Einzelvorgänge, der zur Verschleierung der Zahlungen eingesetzten Fälschungen, der Betroffenheit von Vorgängen eines ... und der Komplexität der Akten nicht leicht. Es waren zahlreiche Zeugen zu vernehmen. Der frühere Soldat hat von der Gründlichkeit der Aufklärung im Strafverfahren auch profitiert, weil im Ergebnis eine Teilfreistellung von Betrugsvorwürfen erfolgt ist. Die mit der Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens verbundene Aussetzung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des sachgleichen Strafverfahrens war im Hinblick auf § 83 Abs. 1, Satz 1, § 84 Abs. 1 WDO sachgerecht und geboten und hat daher nicht zu einer unangemessenen Verlängerung des Disziplinarverfahrens geführt. Es ist auch nach Eingang des Strafurteils mit Rechtskraftvermerk weiter kontinuierlich gefördert worden. Insbesondere sind Einzahlungen des früheren Soldaten aus nicht in vom Strafverfahren erfassten Zeiträumen vor 1999 und Bewegungen auf Konten des früheren Soldaten bei verschiedenen Geldinstituten zur Feststellung der Höhe des Schadens des Bundes überprüft worden. Erwogen worden war, über die im Strafverfahren angeschuldigten 132 Fälle hinaus 228 weitere Einzahlungsvorgänge anzuschuldigen. Hiervon wurde aus Opportunitätserwägungen abgesehen. Nach Einbeziehung von Vorwürfen wegen nach Dienstzeitende begangener Betrugstaten, wegen derer ein seit 2005 rechtskräftiger Strafbefehl vorlag, wurde dem früheren Soldaten zum Entwurf einer Anschuldigungsschrift im Februar und März 2009 Schlussgehör und antragsgemäß eine Fristverlängerung bis April 2009 gewährt und die Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht eingereicht. Dieses hat innerhalb von fünf Monaten nach Eingang der Anschuldigungsschrift die Hauptverhandlung durchgeführt, womit es sich innerhalb des ihm einzuräumenden mehrmonatigen Gestaltungsspielraumes bewegte. Zu dem von der richterlichen Unabhängigkeit erfassten Gestaltungsspielraum gehört auch die Entscheidung des Truppendienstgerichts, das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, weil es gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG vorlegen muss, wenn es von der Verfassungswidrigkeit eines formellen nachkonstitutionellen Gesetzes überzeugt ist.
Eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung trat hingegen dadurch ein, dass das Bundesverfassungsgericht über die ihm seit November 2009 vorliegende Vorlagefrage erst im Juli 2014 entschieden hat. Auch unter Berücksichtigung des wegen der Aufgaben und der Stellung des Verfassungsgerichts in größerem Umfang anerkannten Gestaltungsspielraums (vgl. § 97a Abs. 1 Satz 2, § 97b Abs. 1 Satz 4 BVerfGG) ist die Dauer des gerichtlichen Zwischenverfahrens jedenfalls angesichts der gemäß § 81a Satz 1 BVerfGG bereits als unzulässig festgestellten Richtervorlage mit annähernd fünf Jahren nicht mehr angemessen. Da die Überlastung des Verfassungsgerichts gerichtsbekannt strukturell bedingt ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - Vz 1/16 - juris Rn. 28), ist sie verschuldensunabhängig dem Staat zuzurechnen.
Der Zeitraum dieser sachlich nicht gerechtfertigten Verzögerung verlängert sich dadurch, dass das Verfahren beim Truppendienstgericht ... anschließend nicht weiter gefördert wurde, bis der neue Vorsitzende die Bearbeitung aufnahm und mit den Beteiligten mehrfach schriftsätzlich Verfahrensfragen erörterte, bis Ende März 2017 die Einstellung durch Beschluss erfolgte. Selbst wenn man den Zeitraum, in dem schriftsätzlich Verfahrensfragen erörtert worden sind, nicht in vollem Umfange als sachlich gebotene Förderung des Verfahrens anerkennt, ergibt sich insgesamt ein Zeitraum von maximal sieben Jahren, in denen verfahrensfördernde Aktivitäten aus in die staatliche Verantwortung fallenden Gründen nicht erfolgten. Dies ist noch kein Zeitraum, der auch unter Berücksichtigung von finanziellen Kompensationen durch die Verzögerung im Rahmen einer pflichtenmahnenden Maßnahme nicht mehr angemessen durch eine Maßnahmemilderung aufgefangen werden könnte.
bb) Gleichwohl führt diese unangemessene Verfahrensdauer selbst bei Einbeziehung des seit der Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens verstrichenen Zeitraums nicht zu einem Verfahrenshindernis, weil damit noch keine extrem schwere Belastung des früheren Soldaten verbunden war (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2016 - 2 WD 13.15 - juris Rn. 24 m.w.N.).
Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, steht ein sehr schweres Dienstvergehen in Rede, dessen Gewicht wesentlich durch eine gravierende Verletzung der Vermögensinteressen des Dienstherrn aus einer Vertrauensstellung heraus und unter strafrechtlich relevanter Verletzung der soldatischen Wahrheitspflicht bestimmt wird. Auch wenn der frühere Soldat hierbei nicht aus finanziellem Eigennutz gehandelt hat, steht damit zumindest eine mehrstufige Dienstgradherabsetzung im Raum. Aus diesem Gewicht des Dienstvergehens folgt eine hohe Bedeutung auch der generalpräventiven Verfahrenszwecke. Wegen der unterschiedlichen Zwecksetzungen von Straf- und Disziplinarverfahren tut diesen Zwecken nicht bereits die vom Landgericht ... verhängte Bewährungsstrafe Genüge.
Den aus der Dauer des Verfahrens erwachsenden psychischen Belastungen stehen zugleich zumindest zum Teil wirtschaftlich kompensierende Vorteile durch die Fortzahlung der höheren Ruhestandsbezüge aus dem höher besoldeten Amt gegenüber (BVerwG, Urteil vom 19. März 2016 - 2 WD 13.15 - Rn. 25).
Anders als ein im aktiven Dienst befindlicher Soldat erwachsen dem früheren Soldaten auch keine dienstlichen Nachteile durch die Dauer des Disziplinarverfahrens. Er ist dadurch nicht in seinem dienstlichen Fortkommen behindert und von einem faktischen Beförderungsverbot betroffen und er muss sich auch nicht im täglichen Dienstbetrieb mit etwaigen, sich aus Bedenken an seiner Zuverlässigkeit ergebenden Schwierigkeiten auseinander setzen.
Der den früheren Soldaten aus der Dauer des Verfahrens treffende Nachteil besteht in der seine Psyche belastenden Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens und aus der Beschäftigung mit gegen ihn gerichteten Vorwürfen. Die Intensität dieser Belastung wird durch das Alter und den Gesundheitszustand des früheren Soldaten beeinflusst. Durch ein im sachgleichen Strafverfahren zu seiner Verhandlungsfähigkeit eingeholtes Gutachten der Zentralklinik ... aus dem August 2007 ist aktenkundig nachgewiesen, dass der frühere Soldat unter einer schweren koronaren Herzerkrankung und Bluthochdruck leidet, fünf Herzinfarkte und einen Schlaganfall erlitten hatte. Nach diesem Gutachten war er allerdings dennoch zunächst uneingeschränkt verhandlungsfähig. Die ab Mitte 2010 im gerichtlichen Disziplinarverfahren aufgetretenen unangemessenen Verzögerungen können für den im Gutachten ausgewiesenen Gesundheitszustand des früheren Soldaten somit nicht kausal sein. Zu Verschlechterungen seines Gesundheitszustandes während des vorliegenden Verfahrens ist nur vage und ohne einen Nachweis etwa durch Atteste behandelnder Ärzte vorgetragen worden. Die verbleibenden Belastungen werden allerdings dadurch gemindert, dass dem früheren Soldaten ein Verteidiger beigeordnet worden ist, der seine Interessen innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung wahrnimmt. Die Hauptverhandlung kann nach § 104 Abs. 1 Nr. 3 WDO auch in Abwesenheit des früheren Soldaten stattfinden.
Hinzu kommt, dass die Durchführung einer Hauptverhandlung prognostisch nicht zu einer gravierenden Verlängerung des Verfahrens führen wird. Bei bereits überlangen Verfahren ist ein Wehrdienstgericht zu besondere Beschleunigung und damit hier zu vorrangiger Terminierung verpflichtet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. August 2015 - 2 WD 10.15 - Rn. 18). Zu den Vorwürfen, die noch Gegenstand des Verfahrens sind, liegen nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindende Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils vor, was die im Rahmen der Amtsermittlung ergänzend notwendigen Beweiserhebungen des Truppendienstgerichts reduziert. Auch der Prüfung eines Lösungsbeschlusses nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO begründet keine besonderen Schwierigkeiten. Zwar kann grundsätzlich der hier behauptete unzulässige Deal einen Lösungsbeschluss notwendig machen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 2007 - 2 WD 3.06 - BVerwG 128, 189 Rn. 26). Da die Wehrdienstgerichte keine "Nachprüfungsinstanz" der Strafgerichte sind, kommt ein Lösungsbeschluss nur in Betracht, wenn sich die Zweifel an der Richtigkeit aus dem Urteil selbst oder in Verbindung mit dem Protokoll der Hauptverhandlung ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 1981 - 2 WD 16.81 - S. 12 und Beschluss vom 28. September 2011 - 2 WD 18.10 - Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 5 Rn. 38; Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl., § 84 Rn. 9 m.w.N.). Das Strafurteil vom 19. März 2008 ist vor den durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. 2009, I S. 2358) eingefügten § 257c, § 273 Abs. 1a StPO ergangen, sodass sich die Frage nach dem Fehlen eines "Negativattestes" und der Einhaltung der nunmehr gesetzlich geltenden Voraussetzungen nicht stellt. Dass die Beweiswürdigung zur Verurteilung sich in dem Hinweis auf das glaubhafte Geständnis und die Ergebnisse der Beweisaufnahme erschöpft, ist dem Umstand geschuldet, dass es sich um ein verkürztes Urteil nach § 267 Abs. 4 StPO handelt und kein Indiz für eine Verfahrensabsprache. Da hier in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung mehrere Tage lang zahlreiche Zeugen vernommen wurden, Verteidiger und Staatsanwaltschaft nicht denselben Antrag stellten und keine Seite auf Rechtsmittel verzichtet hatte, spricht nach Urteil und Protokoll nichts für einen - geschweige denn einen unzulässigen - "Deal".
Hiernach ist in Abwägung der noch zu erwartenden Verfahrensdauer, der den früheren Soldaten treffenden Belastungen mit der hohen Bedeutung des Verfahrens die Fortsetzung noch nicht unzumutbar.