Entscheidungsdatum: 07.09.2018
1. Das generelle Verbot einer elektronischen Containersignatur in § 4 Abs. 2 ERVV begründet keine verfassungsrechtlich bedenkliche unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten.
2. Die Heilung eines Übermittlungsmangels ist nach § 55a Abs. 6 Satz 2 VwGO nicht möglich, weil sich dessen Anwendungsbereich auf die Bearbeitungsmöglichkeit des Dokuments beschränkt (wie BSG, Beschluss vom 9. Mai 2018 - B 12 KR 26/18 B - NJW 2018, 2222 <2223>).
3. Das Verschulden des Verteidigers an einer Fristversäumung ist dem Angeschuldigten im wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren nicht zuzurechnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2013 - 2 WDB 7.13 - juris Rn. 7). An einem eigenen Verschulden des Angeschuldigten fehlt es, wenn eine nicht den Vorgaben der ERVV entsprechende Übermittlung eines Berufungsschriftsatzes durch den Verteidiger in Rede steht.
Die Soldatin beantragt in Bezug auf die Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
1. Sie wurde vom Truppendienstgericht ... wegen eines Dienstvergehens mit Urteil vom 14. Dezember 2017 im Dienstgrad herabgesetzt. Die Entscheidung wurde ihr am 16. Januar 2018 zugestellt. Ihr Verteidiger legte am Freitag, den 16. Februar 2018, um 12:57 Uhr Berufung in elektronischer Form unter Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur ein. Dabei verwendete er für den Berufungsschriftsatz und dessen Anlagen nur eine gemeinsame Signatur (sogenannte Containersignatur). Nachdem die Geschäftsstelle des Bundesverwaltungsgerichts den Verteidiger auf diesbezügliche Gültigkeitsbedenken hingewiesen hatte, reichte er am selben Tag um 15:06 Uhr nochmals die Berufung und deren Anhänge einzeln signiert über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach ein. Allerdings hatten diese Eingänge nur eine fortgeschrittene elektronische Signatur, keine qualifizierte elektronische Signatur. Dieser Mangel wurde erst am Montag, den 19. Februar 2018 bemerkt.
2. Die Geschäftsstelle des Bundesverwaltungsgerichts wies den Verteidiger der Soldatin auf den Mangel hin und legte die Berufungsschrift mit einem entsprechenden Vermerk vom 20. Februar 2018 dem Truppendienstgericht ... zur Prüfung vor. Daraufhin beantragte der Verteidiger am 23. Februar 2018 vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führte im Wesentlichen aus, dass seine elektronische Berufung form- und fristgerecht eingegangen sei. Jedenfalls treffe ihn kein Verschulden daran, dass bei der zweiten Einlegung am Nachmittag keine qualifizierte elektronische Signatur bei Gericht festzustellen gewesen sei. Denn er habe eine von der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer erworbene Signaturkarte verwendet, die ansonsten uneingeschränkt funktioniere. Im Übrigen könne § 4 Abs. 2 ERVV angesichts technischer Schwierigkeiten, die der Gesetzgeber nicht vorhergesehen habe, nicht uneingeschränkt Anwendung finden.
3. Der Vorsitzende der 4. Kammer des Truppendienstgerichts ... hat mit "Berufungsverfügung" vom 5. März 2018 festgestellt, die Berufung sei aus den im Vermerk dargelegten Gründen unzulässig. Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand habe das Bundesverwaltungsgericht zu befinden.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat Erfolg. Zwar wurde die Berufungsfrist nicht gewahrt (1.). Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedoch zulässig (2.) und begründet (3.).
1. Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 WDO ist die Berufung bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung des Urteils des Truppendienstgerichts bei den in § 116 Abs. 1 WDO benannten Stellen und gemäß § 116 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 112 Satz 1 WDO schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Wehrdienstgerichts einzulegen. Dabei ist es gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 55a Abs. 1 Satz 1 VwGO auch zulässig, sie nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronisches Dokument einzureichen. Die nach § 55a Abs. 2 Satz 2 VwGO bestehende Ermächtigung an die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung die für die Übermittlung und Bearbeitung der elektronischen Dateien geeigneten technischen Rahmenbedingungen zu regeln, ist durch die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) vom 24. November 2017, BGBl. I, 3803, geändert durch Verordnung vom 9. Februar 2018 (BGBl. I, 200), in Anspruch genommen worden.
Gemessen daran hat der Verteidiger mit seinen am 16. Februar 2018 übermittelten elektronischen Schriftsätzen nicht fristgerecht in rechtswirksamer Form Berufung gegen das Urteil des Truppendienstgerichts eingelegt. An diesem Tag endete gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 43 Abs. 1 Halbs. 1 StPO die für die Berufung geltende Monatsfrist.
Denn die Übermittlung des Berufungsschriftsatzes um 12:57 Uhr erfolgte als sogenannte Containersignatur (Umschlagsignatur) und widersprach damit dem gemäß § 10 Abs. 1 ERVV seit 2018 geltenden § 4 Abs. 2 ERVV. Er verlangt eine jeweils gesonderte elektronische Signatur. Der Senat neigt nicht zu der Auffassung, dass § 4 Abs. 2 ERVV aus verfassungsrechtlichen Gründen dann einschränkend auszulegen ist, wenn ein Rechtsschutzsuchender elektronische Dokumente mit einer Containersignatur verbindet, die sämtlich ein Verfahren betreffen und nach dem Eingang bei Gericht zusammen mit den bei der Übermittlung angefallenen Informationen und mit dem Ergebnis der Signaturprüfung auf Papier ausgedruckt sowie zu den Gerichtsakten genommen werden (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 6. März 2018 - 13 WF 45/18 -, NJW 2018, 1482 <1483 ff.>). Die Befugnis des Gesetzgebers, Prozessordnungen so auszugestalten, dass sie neben dem Individualrechtsschutz zugleich auch der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit Rechnung tragen, wird in Frage gestellt, wenn Gerichte gestützt auf normtextlich nicht fixierte Motivlagen des Gesetzesgebers in eine jeweils einzelfallbezogene Prüfung der Anwendbarkeit von Rechtsnormen eintreten dürften. Rechtsnormen sind wegen ihres Rechtssatzcharakters typischerweise genereller Natur und erheben deshalb einen gerade einzelfallunabhängigen Geltungsanspruch (vgl. kritisch auch H. Müller, NJW 2018, 1485 f.; M. Plum, NJW 2018, 2224). Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die generelle Einhaltung einer allgemein formulierten Formvorschrift zu einer unzumutbaren Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten führen würde. Dies ist bei § 4 Abs. 2 ERVV - wie der Fall zeigt - nicht anzunehmen (ähnlich BSG, Beschluss vom 9. Mai 2018 - B 12 KR 26/18 B - NJW 2018, 2222 <2223 f.>).
Die Berufung ist nicht schon deshalb frist- und formgerecht eingelegt, weil die Soldatin am selben Tag jedenfalls um 15:06 Uhr erneut elektronisch einen Berufungsschriftsatz übermittelt hat. Denn er war ausweislich des Prüfprotokolls für signierte Anhänge vom 16.02.2018, 15:15:02, lediglich mit einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur und nicht mit einer qualifizierten Signatur versehen wie § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 55a Abs. 3 Halbs. 1 VwGO, § 4 Abs. 1 ERVV dies bei der Inanspruchnahme eines nicht sicheren Übermittlungsweges gebieten.
Eine Heilung dieses Mangels nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 55a Abs. 6 Satz 2 VwGO scheidet zudem deshalb aus, weil § 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO die Bearbeitungsmöglichkeit eines Dokuments betrifft, nicht aber dessen rechtswirksame Übermittlung, welche vorliegend allein in Frage steht (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Mai 2018 - B 12 KR 26/18 B - NJW 2018, 2222 <2223>).
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist zulässig. Zwar hätte der Kammervorsitzende wegen der Fristversäumnis nach § 117 Satz 1 WDO die Berufung durch Beschluss als unzulässig verwerfen müssen und nicht lediglich die Sache durch Verfügung dem Bundesverwaltungsgericht vorlegen dürfen. Aus prozessökonomischen Gründen und wegen des Beschleunigungsgebots (§ 17 Abs. 1 WDO) ist das Fehlen einer solchen formalisierten Entscheidung nach § 117 Satz 1 i.V.m. § 91 Abs. 1 WDO, § 46 Abs. 1 StPO jedoch unschädlich (BVerwG, Beschlüsse vom 15. Juli 2005 - 2 WDB 2.05 - S. 3 f. und vom 11. Dezember 2013 - 2 WDB 7.13 -, juris Rn. 6) und die sachliche Zuständigkeit des Senats nach § 120 Abs. 1 Nr. 1 WDO gegeben.
Die Soldatin hat auch die gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 91 Abs. 1 Satz 2 WDO maßgebliche Frist von zwei Wochen, innerhalb derer der Antrag auf Wiedereinsetzung unter Glaubhaftmachung der Gründe zu stellen und die versäumte Handlung nach Wegfall des Hindernisses nachzuholen ist, gewahrt. Mit am 23. Februar 2018 eingegangenen Schriftsatz ihres Verteidigers hat sie Wiedereinsetzung beantragt und die Gründe dafür unter Abgabe einer anwaltlichen Versicherung glaubhaft gemacht. Zuvor hatte die Leiterin der Geschäftsstelle des 2. Wehrdienstsenats den Verteidiger am 19. Februar 2018 auf die Zweifel an der rechtswirksamen Einlegung der Berufung hingewiesen, wodurch das Hindernis der Unkenntnis über die unwirksame Berufungseinlegung erst an diesem Tag entfallen war. Zugleich hat der Verteidiger mit am 23. Februar 2018 übermittelten Schriftsatz desselben Tages Berufung eingelegt, so dass auch § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO gewahrt wurde.
3. Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet.
Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 44 StPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Bei der Prüfung der Frage, ob den Angeschuldigten an einer Fristversäumung gemäß § 44 Satz 1 StPO ein Verschulden trifft, ist es den Gerichten in wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren regelmäßig verwehrt, ihm die Versäumnisse seiner Verteidiger zuzurechnen, sofern er nicht durch eigenes Verschulden zur Fristversäumung beigetragen hat (BVerwG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2013 - 2 WDB 7.13 -, juris Rn. 7, vom 15. Juli 2005 - 2 WDB 2.05 -, S. 4, vom 24. Juni 2002 - 2 WDB 5.02 - NZWehrr 2003, 35 <36 f.> und vom 18. März 1991 - 1 DB 1.91 - BVerwGE 93, 45 <48 ff.>; BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1972 - 1 StR 267/72 - BGHSt 25, 89 <92 f.>; BVerfG, Beschluss vom 13. April 1994 - 2 BvR 2107/93 -, NJW 1994, 1856 <1857>).
Nach Maßgabe dessen kann dahingestellt bleiben, ob dem Verteidiger bei der Verwendung der Containersignatur im ersten Übermittlungsversuch ein Schuldvorwurf gemacht werden kann und ob die unzureichende elektronische Signatur im zweiten Übermittlungsversuch auf einem technischen oder einem menschlichen Versagen beruhte. Denn selbst wenn dem so wäre, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Soldatin daran ein Mitverschulden träfe. Vielmehr hatte sie - wie auch vom Bundeswehrdisziplinaranwalt in seinem Schriftsatz vom 7. Mai 2018 betont - keinen Anlass zur Annahme, ihr Verteidiger werde bei der elektronischen Übermittlung des Berufungsschriftsatzes fehlerhaft verfahren.