Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 22.06.2017


BVerwG 22.06.2017 - 2 WDB 2/17

Wiedereinsetzen wegen krankheitsbedingten Fernbleibens; Glaubhaftmachung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Wehrdienstsenat
Entscheidungsdatum:
22.06.2017
Aktenzeichen:
2 WDB 2/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2017:220617B2WDB2.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend BVerwG, 23. März 2017, Az: 2 WD 16/16, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Wird ein Soldat zur Berufungshauptverhandlung nach § 124 WDO mit dem Hinweis geladen, dass ohne ihn verhandelt werden kann, wird Wiedereinsetzung wegen krankheitsbedingten Fernbleibens nur gewährt, wenn überhaupt eine konkrete Absicht zur Teilnahme bestanden hat und dem Gericht in geeigneter Weise übermittelt worden ist.

Tatbestand

1

Der Soldat beantragt in Bezug auf die von ihm versäumte Berufungsverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sein Wiedereinsetzungsantrag wendet sich gegen das ihm am 4. Mai 2017 zugestellte Urteil vom 23. März 2017 (BVerwG 2 WD 16.16), mit dem seine Berufung zurückgewiesen worden ist. Zu der Berufungshauptverhandlung waren weder der Soldat noch sein Verteidiger erschienen. Der Soldat war am 2. Januar 2017 zu der Berufungshauptverhandlung vom 23. März 2017 geladen worden. In dieser Ladung wurde er auch darauf hingewiesen, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann.

2

Am 22. März 2017 teilte die Verteidigung dem Senat mit, dass der erste Wahlverteidiger S. erkrankt sei und zu der Berufungshauptverhandlung nicht erscheinen werde. Etwa eine halbe Stunde später zeigte der zweite Wahlverteidiger Dr. W. die Niederlegung seines Mandats an.

3

Am 23. März 2017 informierte der Soldat um 7.11 Uhr die Geschäftsstelle des Senates telefonisch darüber, dass er sich seit gestern nicht wohl fühle und heute zum Arzt gehe. Er melde sich krank. Daraufhin wurde er gebeten, ein entsprechendes Attest und eine Reiseunfähigkeitsbescheinigung wenn möglich noch vor 9.00 Uhr an das Gericht zu faxen. Eine Stunde später wurde er telefonisch ferner darüber informiert, dass eine Reise- bzw. Verhandlungsunfähigkeit durch einen Amtsarzt bestätigt werden müsse. Eine Bestätigung der Reiseunfähigkeit durch den Truppenarzt reiche nicht aus. Gegen 8.30 Uhr teilte der Truppenarzt Oberstabsarzt A. der Vorsitzenden fernmündlich mit, der Soldat habe sich um 7.22 Uhr bei ihm vorgestellt und angegeben, seit gestern an Übelkeit, Erbrechen und Durchfall zu leiden. Er könne diese Symptome nicht widerlegen, habe aber auch nichts Spezielles gefunden und werde den Soldaten "im Zweifel für den Patienten" für zwei Tage "KzH" schreiben. Es habe für ihn einen negativen Beigeschmack, dass sich der Soldat am Tage der Verhandlung so vorstelle. Er habe deshalb eine "fragliche Gastroenteritis" aufgeschrieben und den Soldaten informiert, dass ein Krankenschein "kzH" nicht zur Vorlage bei Gericht geeignet sei. Er werde im Laufe des Vormittags eine Bescheinigung an das Gericht faxen. Dies geschah nicht. Auch ein mit der Reise- oder Verhandlungsunfähigkeit des Soldaten oder seines Verteidigers begründeter Verlegungs- oder Vertagungsantrag wurde nicht gestellt.

4

Eine Vertagung von Amts wegen wurde mit in der Berufungshauptverhandlung verkündetem Beschluss abgelehnt. Die Gründe dafür wurden im Berufungsurteil näher erläutert.

5

Am 24. März 2017 ging per Fax beim Senat ein am 23. März 2017 durch Oberstabsarzt A. erstelltes "Ärztliches Attest zur Vorlage beim BVerwG Leipzig, 2. Wehrdienstsenat" ein. In diesem heißt es auszugsweise:

"Herr ... schilderte mir gegenüber typische Beschwerden eines Magen-Darm-Infektes. Seit gestern Nachmittag, 22.03.2017, bestünde neben einem nahezu stündlich auftretenden Durchfall eine ausgeprägte Übelkeit. Erbrechen oder Fieber wurden seitens des Patienten dagegen verneint. Zusätzlich bestünde lediglich noch ein diskreter Rückenschmerz im Lendenwirbelbereich.

(...)

Nach Erhebung einer ausführlichen Anamnese, gründlicher körperlicher Untersuchung inklusive Materialgewinnung zur weiteren mikrobiologischen Untersuchung und Sichtung der militärischen Gesundheitsakte (G-Akte) des Patienten komme ich zu dem Schluss, dass Herr OMT ... aus medizinischen Gründen momentan nicht reisefähig ist. Eine Anreise nach Leipzig mit dem eigenen PKW (als Fahrer oder Mitfahrer), mit einem Taxi oder einem anderen Beförderungsmittel des ÖPNV ist aus ärztlicher Sicht vorübergehend nicht zumutbar.

Weiter scheint es derzeit zweifelhaft, ob Herr OMT ..., bedingt durch das nunmehrige Krankheitsgeschehen, dem Geschehen einer Verhandlung in ausreichendem Maße gerecht werden kann.

Der Patient wurde von mir bis einschließlich 24.03.2017 krankgeschrieben ('kzH')."

6

Am 24. April 2017 hat der Verteidiger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Soldat sei durch ein wehrmedizinisches Gutachten über die Reiseunfähigkeit ordnungsgemäß entschuldigt gewesen. Auch die Verteidigung sei nachgewiesen durch eine mit der parallel ebenfalls erhobenen Anhörungsrüge nachgereichte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und ein ärztliches Attest entschuldigt gewesen. Die Entscheidung des Senats, in Abwesenheit zu verhandeln, sei nicht ermessensgerecht.

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Der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwaltes ist dem Antrag entgegen getreten.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag ist zulässig, insbesondere nach § 91 Abs. 1 WDO in Verbindung mit §§ 235, 44, 45 StPO statthaft. Es kann dahin stehen, ob der Antrag bereits vor der den Fristanlauf begründenden Zustellung wirksam gestellt werden kann, da er jedenfalls nach der Zustellung des Urteils an den Soldaten fristgerecht erneut gestellt und begründet wurde.

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Der Antrag ist aber unbegründet. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 91 Abs. 1 WDO in Verbindung mit §§ 235, 44 StPO voraus, dass der Soldat ohne sein Verschulden verhindert war, an der Berufungshauptverhandlung teilzunehmen. Der Wiedereinsetzungsantrag soll nachträglich dem Recht eines Soldaten auf Teilnahme an einer Berufungshauptverhandlung Geltung verschaffen, das er unverschuldet nicht wahrnehmen konnte. Er setzt daher voraus, dass eine solche Absicht tatsächlich bestand und zum Ausdruck gebracht wird. Denn § 124 WDO erlaubt dem Senat, die Berufungshauptverhandlung auch dann ohne den Soldaten durchzuführen, wenn dieser ordnungsgemäß zum Termin geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann. Diese Norm ist in die Wehrdisziplinarordnung eingefügt worden, um einem Soldaten, dessen Erscheinen das Gericht durch Verhaftung oder zwangsweise Vorführung nicht erzwingen kann, die Möglichkeit zu nehmen, allein durch sein Nichterscheinen trotz ordnungsgemäßer Ladung eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung hinauszuzögern (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 - 2 WD 28.06 - BVerwGE 130, 65 Rn. 28 sowie BT-Drs. 14/4660 S. 37). Daher setzt die Aufhebung eines Hauptverhandlungstermins wegen einer vorübergehenden Verhinderung an der Teilnahme voraus, dass überhaupt eine konkrete Absicht zur Teilnahme an der Berufungshauptverhandlung dem Senat angekündigt oder sonst in geeigneter Weise übermittelt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 - 2 WD 28.06 - BVerwGE 130, 65 Rn. 41). Nach § 91 Abs. 1 WDO in Verbindung mit §§ 235, 45 Abs. 2 StPO sind die Tatsachen zur Begründung des Antrages bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen.

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Der Antrag bleibt hiernach aus mehreren, je für sich die Entscheidung tragenden Gründen ohne Erfolg.

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a) Zum einen hat der Soldat nicht glaubhaft gemacht, dass er überhaupt die Absicht der Teilnahme an der Berufungshauptverhandlung vom 23. März 2017 gehabt und dies dem Senat auch zur Kenntnis gebracht hat.

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Diese Absicht lässt sich nicht bereits aus dem Umstand entnehmen, dass er sich am Morgen des Terminstages telefonisch beim Gericht krank gemeldet hatte. Denn der Soldat wird zu der Berufungshauptverhandlung dienstlich gestellt (§ 123 Satz 3, § 89 Satz 1 WDO). Daher wird ihm von seinem Vorgesetzten der Befehl erteilt, zu der Berufungshauptverhandlung zu erscheinen. Wenn ein Soldat aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht in der Lage ist, diesem Befehl nachzukommen, kann gleichwohl nach § 124 WDO ohne ihn verhandelt werden. Der Nachweis einer Erkrankung dient in diesem Fall der Rechtfertigung der Nichtbefolgung des mit der Gestellung verbundenen Befehls. Der Wunsch, an einer Berufungshauptverhandlung persönlich teilzunehmen, muss daher neben der Entschuldigung für die Nichtbefolgung des Befehls zum Ausdruck gebracht werden. Dies ist hier nicht geschehen. Insbesondere hat der Soldat weder selbst noch durch seinen Verteidiger auch nur sinngemäß einen mit seiner Erkrankung begründeten Terminsverlegungsantrag gestellt.

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Auch das Verhalten des Soldaten lässt darauf schließen, dass er gar nicht die Absicht gehabt hat, an der Berufungshauptverhandlung teilzunehmen. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung vom 23. März 2017 hat der Soldat nach eigenen Angaben bereits am Nachmittag des 22. März 2017 unter Übelkeit und Durchfall gelitten. Er hat aber erst am 23. März 2017 morgens einen Arzt aufgesucht. Hätte der in Z. stationierte Soldat am 23. März 2017 um 9.15 Uhr in Leipzig an der Berufungshauptverhandlung teilnehmen wollen, hätte er die Anreise bereits am Vortage antreten müssen. Auch für einen juristischen Laien muss sich die Notwendigkeit aufdrängen, sich unverzüglich bei Auftreten von gravierenden Krankheitssymptomen um ärztlichen Beistand zu bemühen, wenn die Absicht besteht, am Folgetag an einem Gerichtstermin teilzunehmen, zu dem man bereits am Vortag des Termins anreisen muss. Denn dann kann entweder durch therapeutische Intervention die Teilnahme am Termin noch ermöglicht werden oder der Arzt kann die akuten Symptome aus eigener Beobachtung bescheinigen und so die Glaubhaftmachung des Verhinderungsgrundes gewährleisten. Hätte der Soldat seine Teilnahme an einer Berufungshauptverhandlung sichern wollen, hätte er nicht nur noch am 22. März 2017 einen Arzt aufgesucht, sondern hätte auch früher selbst oder über einen Verteidiger mit dem Gericht zum Zwecke der Terminsverlegung Kontakt aufgenommen.

14

b) Der Soldat hat des Weiteren nicht glaubhaft gemacht, dass er tatsächlich reise- und verhandlungsunfähig war.

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Das truppenärztliche Attest vom 23. März 2017 macht die Gründe nicht plausibel, aus denen ihm die Anreise zum oder die Teilnahme an der Berufungshauptverhandlung durch eine Erkrankung nicht zumutbar war.

Zum einen handelt es sich nicht um ein von ihm zum Nachweis eines Verhinderungsgrundes verlangtes amtsärztliches Attest. Ein amtsärztliches Attest hat wegen der Neutralität eines Fachkundigen, der nicht wie auch ein Truppenarzt zugleich behandelnder Arzt des Soldaten ist, eine höhere Gewähr der Verlässlichkeit für sich und macht einen Verhinderungsgrund daher selbst dann glaubhaft, wenn wie hier aufgrund der Abläufe - Krankmeldung erst am Terminstag und bereits vorangegangene, erfolglose Bemühungen, den Termin zu verzögern - Zweifel am Wahrheitsgehalt behaupteter Krankheitssymptome bestehen. Derartige Zweifel hat auch der Truppenarzt im Telefonat mit der Vorsitzenden zum Ausdruck gebracht. Der Soldat hat keine Anstrengungen unternommen, ein amtsärztliches Attest beim zuständigen Gesundheitsamt einzuholen. Er hat auch nicht dargetan, warum ihm dies nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen wäre.

Zum anderen ist aber auch unabhängig davon das Attest vom 23. März 2017 seinem Inhalt nach nicht ausreichend, die Reise- oder Verhandlungsunfähigkeit des Berufungsführers nachvollziehbar zu machen. Die Berufungshauptverhandlung war für den 23. März 2017, 9.15 Uhr, angesetzt. Dies hätte es erforderlich gemacht, dass der Soldat bereits am Vortag aus Z. nach Leipzig anreist. Zu seiner Reisefähigkeit für diesen Tag enthält das truppenärztliche Attest aber gar keine Aussage. Es macht auch eine Verhandlungsunfähigkeit für den Folgetag nicht glaubhaft. Denn es gibt zwar die Behauptungen des Soldaten wieder, unter welchen Krankheitssymptomen er gelitten habe, enthält aber gar keine Erläuterung dazu, wieso diese Behauptungen aus medizinischer Sicht plausibel seien. Vor allem fehlen tatsächliche Feststellungen zur genauen Art der Erkrankung und zum Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigung, auf deren Grundlage hinreichend sicher auf das Vorliegen einer Verhandlungsunfähigkeit geschlossen werden könnte (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. Januar 2014 - 1 Ws 380/13 - juris Rn. 7). Es enthält auch keine entsprechende Diagnose. Es gibt zwar wieder, welche Untersuchungen Oberstabsarzt A. durchgeführt hat, führt aber die Ergebnisse der Untersuchung nicht an. Das Attest führt selbst zutreffend aus, dass die Frage einer Verhandlungsfähigkeit eines Verfahrensbeteiligten durch das Gericht auf der Grundlage einer aussagekräftigen medizinischen Empfehlung festzustellen ist. Dieser Aussagekraft entbehrt es allerdings und ist daher nicht geeignet, dem Senat die medizinische Einschätzung plausibel zu machen.

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c) An den Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fehlt es schließlich deshalb, weil der Soldat nicht glaubhaft gemacht hat, alles ihm Zumutbare unternommen zu haben, um seine Teilnahme an einer Berufungshauptverhandlung zu erreichen. Wie oben bereits ausgeführt hat er weder seinen Wunsch, an der Berufungshauptverhandlung persönlich teilzunehmen, zum Ausdruck gebracht oder bringen lassen, noch dargelegt, dass er sich rechtzeitig um einen zur Glaubhaftmachung ausreichenden Nachweis seiner Reise- bzw. Verhandlungsunfähigkeit bemüht hat. Es ist kein Grund erkennbar, warum dem anwaltlich vertretenen Soldaten dies nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre.

17

Wegen der auf die Entscheidung in Abwesenheit des Verteidigers und auf die Ermessensentscheidung des Senates über eine Vertagung von Amts wegen bezogenen Argumentation wird auf den Beschluss über die Anhörungsrüge (BVerwG 2 WD 6.17) verwiesen.