Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 31.05.2011


BVerwG 31.05.2011 - 2 WD 4/10

Militärischer Vorgesetzter; wiederholte vorsätzliche Verstöße gegen die Wahrheitspflicht; Maßnahmebemessung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Wehrdienstsenat
Entscheidungsdatum:
31.05.2011
Aktenzeichen:
2 WD 4/10
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Truppendienstgericht Nord, 27. Oktober 2009, Az: N 2 VL 1/08
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat sich ein militärischer Vorgesetzter, der gegenüber seinen Vorgesetzten oder Dienststellen der Bundeswehr vorsätzlich unwahre Erklärungen abgegeben hat, in seinem Status disqualifiziert und deshalb grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung verwirkt; hat er sich durch die unwahren Angaben eine ungerechtfertigte berufliche oder finanzielle Besserstellung erschleichen wollen, ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Verhängung der disziplinarischen Höchstmaßnahme (so bereits die ständige Rechtsprechung des Bundesdisziplinarhofs, z.B. Urteil vom 6. Mai 1963 - WD 32/63 m.w.N.).

Tatbestand

Der frühere Berufssoldat mit dem letzten Dienstgrad Oberstleutnant war Anfang Oktober 1986, d.h. vor seiner Wehrdienstzeit, beim Bundesgrenzschutz (BGS) im Rahmen einer Einstellungsuntersuchung als "polizeiuntauglich" eingestuft worden. In den Bewerbungsbögen für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr verschwieg er als Kanonier bzw. Unteroffizier 1987/88 seine erfolglose Bewerbung beim BGS (Anschuldigungspunkt 1). Im März 2008 - der Soldat war als Oberleutnant von der Truppengattung Artillerie als Feldjägerstabsoffizier und Dezernatsleiter im Streitkräfteunterstützungskommando zur Vorbereitung für eine Verwendung als Bataillonskommandeur im Feldjägerwesen - gab er eine unwahre dienstliche Erklärung über Vordienstzeiten beim BGS ab (Anschuldigungspunkt 2). Anschließend stellte er einen verfälschten Einstellungsbescheid des Grenzschutzkommandos West her und legte diesen dem personalbearbeitenden Offizier vor (Anschuldigungspunkt 3). Das insoweit sachgleiche Strafverfahren wegen Urkundenfälschung wurde nach Zahlung von 250 € gemäß § 153a Abs. 1 StPO eingestellt.

Im anschließenden gerichtlichen Disziplinarverfahren - während des Verfahrens war der Soldat auf eigenes Verlangen aus der Bundeswehr entlassen worden - hat das Truppendienstgericht den früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Hauptmann der Reserve herabgesetzt. Seine dagegen beim Bundesverwaltungsgericht eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

...

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1. Die Abwesenheit des früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung am 31. Mai 2011 stand deren Durchführung sowie der Entscheidung des Senats über die Berufung nicht entgegen. Gemäß § 124 WDO findet - außer in den Fällen des § 104 Abs. 1 WDO - die Berufungshauptverhandlung auch dann ohne den Soldaten statt, wenn dieser ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann. Diese Vorschrift gilt auch für Verfahren gegen frühere Soldaten (Urteil vom 28. November 2007 - BVerwG 2 WD 28.06 - BVerwGE 130, 65 <68 ff.> = Buchholz 450.2 § 124 WDO 2002 Nr. 1). Ihre Voraussetzungen sind erfüllt. Der frühere Soldat war am 23. April 2011 zum Hauptverhandlungstermin am 31. Mai 2011 gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 103 WDO ordnungsgemäß geladen und im Ladungsschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann.

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Das Truppendienstgericht ist zu der für den Senat bindenden (Schuld-)Feststellung gelangt, dass der damals aktive Soldat durch das festgestellte Verhalten in den Anschuldigungspunkten 1, 2 und 3 jeweils vorsätzlich gegen seine Pflicht, in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG), und gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verstoßen hat und im Anschuldigungspunkt 3 zusätzlich seine Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) - Loyalität gegenüber der Rechtsordnung - vorsätzlich verletzt hat; der frühere Soldat hat damit ein einheitliches Dienstvergehen im Sinne des § 23 Abs. 1 SG begangen. Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei und damit für den Senat bindend.

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3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wieder herzustellen und/oder aufrecht zu erhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr", vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - § 38 WDO 2002 Nr. 26> m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen.

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a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen des früheren Soldaten sehr schwer.

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Ein Schwerpunkt der Verfehlungen liegt zunächst im Anschuldigungspunkt 3 in der Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG). Sie gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten. Ihre Verletzung ist in der Regel schon deshalb von erheblicher Bedeutung.

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Die Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG fordert allgemein von jedem Soldaten, im Dienst und außerhalb des Dienstes durch gewissenhafte, sorgfältige und loyale Pflichterfüllung zur Funktionsfähigkeit der Bundeswehr beizutragen und alles zu unterlassen, was diese in ihrem durch das Grundgesetz festgelegten Auftrag schwächen würde. § 7 SG setzt sich zusammen aus einer Vielzahl soldatischer Einzelpflichten. Zu ihnen zählt auch die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung, vor allem der Beachtung der Strafgesetze (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteil vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD 7.08 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 29 m.w.N.). Dieser Verpflichtung ist der frühere Soldat nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz nicht nachgekommen und hat kriminelles Unrecht (Urkundenfälschung, § 267 StGB) zum Nachteil seines Dienstherrn begangen. Dass das sachgleiche Strafverfahren gemäß § 153a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt wurde, steht dem nicht entgegen (Urteil vom 6. Oktober 2010 - BVerwG 2 WD 35.09 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 5 Rn. 33 = NZWehrr 2011, 72 <75>). Das vorsätzliche strafbare Fehlverhalten weckt durchgreifende Zweifel an der Rechtstreue, der persönlichen Integrität und der dienstlichen Zuverlässigkeit des früheren Soldaten. Die allgemeine Gesetzestreue eines Beamten oder Soldaten ist eine wesentliche Grundlage des öffentlichen Dienstes, dessen Angehörigen nach Art. 33 Abs. 4 GG die Ausübung hoheitlicher Befugnisse obliegt (vgl. dazu auch Urteil vom 31. Juli 1996 - BVerwG 2 WD 21.96 - BVerwGE 103, 361 <367> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 9 S. 22 f. = NZWehrr 1997, 117 <120>).

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Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sind vor allem aber durch die wiederholten Verletzungen der dienstlichen Wahrheitspflicht in den Anschuldigungspunkten 1 bis 3 gekennzeichnet. Ein Soldat, der gegenüber Vorgesetzten und Dienststellen der Bundeswehr in dienstlichen Angelegenheiten unwahre Erklärungen abgibt, büßt hierdurch allgemein seine Glaubwürdigkeit ein. Die Bedeutung der Wahrheitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) kommt schon darin zum Ausdruck, dass diese - anders als z.B. bei Beamten - für Soldaten gesetzlich ausdrücklich geregelt ist. Eine militärische Einheit kann nicht ordnungsgemäß geführt werden, wenn sich die Führung und die Vorgesetzten nicht auf die Richtigkeit abgegebener Meldungen, Erklärungen und Aussagen Untergebener verlassen können. Denn auf ihrer Grundlage müssen im Frieden und erst recht im Einsatzfall gegebenenfalls Entschlüsse von erheblicher Tragweite gefasst werden (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - m.w.N. § 38 WDO 2002 Nr. 26). Wer als Stabsoffizier im Generalstabsdienst in dienstlichen Äußerungen und Erklärungen vorsätzlich unrichtige Angaben macht, lässt unmissverständlich erkennen, dass seine Bereitschaft zur Erfüllung der Wahrheitspflicht nicht im gebotenen Umfang vorhanden ist. Eine solche Dienstpflichtverletzung und die daraus folgende Beschädigung seiner persönlichen Integrität haben damit erhebliche Bedeutung für die militärische Verwendungsfähigkeit des Soldaten (vgl. dazu Urteil vom 25. Juni 2009 a.a.O. m.w.N.).

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Die Pflicht des Soldaten zur Wahrhaftigkeit in dienstlichen Angelegenheiten ist gerade bei solchen Vorgängen, die - wie behauptete Vordienstzeiten außerhalb des Wehrdienstes - von der Bundeswehr erfahrungsgemäß nur schwer kontrolliert werden können, von besonderer Bedeutung. Die Bundeswehr ist in diesem Zusammenhang in hohem Maße auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Soldaten angewiesen. Erfüllt ein Soldat in strafbarer Weise - wie hier - diese dienstlichen Erwartungen nicht, so stört er das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn nachhaltig und begründet ernsthafte Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und Integrität.

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Aber auch die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) in allen drei Anschuldigungspunkten wiegt schwer. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere ein Vorgesetzter - wie hier -, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestellte Verhalten dazu geeignet war (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteil vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris m.w.N.). Das war hier der Fall.

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Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden hier schließlich auch durch die Tatumstände bestimmt. Es handelt sich um ein mehrmaliges Fehlverhalten des früheren Soldaten. Zwar misst der Senat den festgestellten Pflichtverletzungen im Anschuldigungspunkt 1, die der frühere Soldat 1987 als Kanonier und 1988 als Unteroffizier begangen hatte, für sich gesehen keine besondere Bedeutung mehr zu. Schwer wiegt jedoch, dass er bei seinem Fehlverhalten im Jahr 2008 (Anschuldigungspunkte 2 und 3) als Oberstleutnant in einem Vorgesetztenverhältnis stand (vgl. § 1 Abs. 3 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine erhöhte Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl. dazu Urteil vom 13. Januar 2011 a.a.O. m.w.N.).

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Besonders ins Gewicht fällt in diesem Zusammenhang der Umstand, dass der frühere Soldat im Jahr 2008 in der herausgehobenen Stellung als Stabsoffizier im Generalstabsdienst - damals im Feldjägerwesen eingesetzt - zweimal schwer versagt hat. Je höher ein Soldat in den Dienstgradgruppen steigt, umso mehr Achtung und Vertrauen genießt er; umso größer sind dann auch die Anforderungen, die an seine Zuverlässigkeit, sein Pflichtgefühl und sein Verantwortungsbewusstsein gestellt werden müssen, und umso schwerer wiegt eine Pflichtverletzung, die er sich zuschulden kommen lässt. Vom früheren Soldaten als Stabsoffizier konnte und musste aufgrund seiner erhöhten Verantwortung als Offizier erwartet werden, dass er auch im Umgang mit seinem Dienstherrn mit gutem Beispiel voranging (vgl. dazu insgesamt Urteil vom 17. Februar 2004 - BVerwG 2 WD 15.03 - NVwZ-RR 2006, 553 m.w.N.). Zudem musste von ihm als damaligem Angehörigen der Feldjägertruppe und damit des militärischen Polizei- und Ordnungsdienstes allein schon deshalb besonders vorbildliches Verhalten hinsichtlich Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit verlangt werden (vgl. dazu auch Urteil vom 21. Februar 1986 - BVerwG 2 WD 9.85 - juris). Dementsprechend hatte auch Oberstleutnant G., damals Untergebener des früheren Soldaten, als Zeuge ausgesagt, er habe gerade im Feldjägerwesen vorausgesetzt, dass man offen und ehrlich miteinander umgehe; für ihn habe der Vorfall schon einen erheblichen Vertrauensverlust dargestellt.

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b) Das Dienstvergehen hatte für die Personalplanung und -führung erhebliche negative Auswirkungen. Die seit dem Personalgespräch vom 3. Mai 2006 bestehende Planungsabsicht, den früheren Soldaten für eine Verwendung als Bataillonskommandeur in der Feldjägertruppe aufzubauen, wurde zunichte gemacht. Hätte dieser den wahren Sachverhalt hinsichtlich einer früheren Diensttätigkeit beim Bundesgrenzschutz rechtzeitig klargestellt, hätte erheblicher - letztlich nutzloser - Aufwand der Bundeswehr in personeller und sächlicher Hinsicht eingespart werden können.

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c) Die Beweggründe des früheren Soldaten für sein Fehlverhalten sind insgesamt von Eigennutz geprägt. Bereits das Verschweigen der Nichteinstellung in den Polizeidienst des Bundesgrenzschutzes mangels Tauglichkeit (Anschuldigungspunkt 1) geschah in der Absicht, die Übernahme in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit in der Laufbahn der Unteroffiziere und später der Offiziere des Truppendienstes nicht zu gefährden. Die Pflichtverletzungen in den Anschuldigungspunkten 2 und 3 dienten der Aufrechterhaltung der "Legende" einer Polizeiausbildung und -tätigkeit und damit letztlich der Absicherung der erhofften Karriere auf der Grundlage des Personalgesprächs vom 3. Mai 2006.

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d) Das Maß der Schuld des früheren Soldaten wird vor allem dadurch bestimmt, dass er vorsätzlich gehandelt hat.

31

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass er zur Tatzeit 1987/88 (Anschuldigungspunkt 1) und März 2008 (Anschuldigungspunkte 2 und 3) im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähig gewesen sein könnte, sind nicht ersichtlich; sie werden im Hinblick auf die Anschuldigungspunkte 2 und 3 auch nicht mit Erfolg geltend gemacht:

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Der frühere Soldat befand sich allerdings ab dem 14. März 2008 - nach Aufdeckung seiner Verfehlungen und der Erkenntnis des Scheiterns seiner Karrierepläne sowie eines nun drohenden Disziplinar- und Strafverfahrens - beim Diplompsychologen St. im Bundeswehrzentralkrankenhaus Ko. vorübergehend in psychologischer Behandlung. Der psychologische Untersuchungsbefund vom 18. April 2008, der allein auf drei Gesprächskontakten mit dem Patienten beruht, deutet das Fehlverhalten des als sehr ehrgeizig und leistungsmotiviert eingestuften früheren Soldaten aus fachlich-psychologischer Sicht im Wesentlichen als stressbedingte "Kurzschlussreaktion". In der "zusammenfassenden Beurteilung" ist ausdrücklich vermerkt, dass auf die "Schuldfrage" nicht eingegangen werde.

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Eine medizinisch-psychiatrische Untersuchung des früheren Soldaten im Hinblick auf eine möglicherweise eingeschränkte Schuldfähigkeit zur Tatzeit 2008 fand zu keinem Zeitpunkt statt. Sie war weder vom Diplompsychologen St., dem Verteidiger des früheren Soldaten noch von diesem selbst angeregt worden; auch in der Berufungshauptverhandlung ist kein entsprechender Beweisantrag gestellt worden. Mangels ausreichender Anhaltspunkte für Defizite hinsichtlich der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit wegen "seelischer Störungen" im Sinne der §§ 20, 21 StGB im März 2008 hat auch der Senat keine Notwendigkeit gesehen, insoweit von Gerichts wegen Beweis zu erheben.

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Der Untersuchungsbefund des Diplompsychologen St. ("Kurzschlussreaktion") und das Berufungsvorbringen des früheren Soldaten ("psychologische Krise und Ausnahmesituation") geben dem Senat lediglich Anlass zu prüfen, ob dem früheren Soldaten im Hinblick auf die Anschuldigungspunkte 2 und 3 Tatmilderungsgründe zugebilligt werden könnten. Solche Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des früheren Soldaten mindern könnten, sind jedoch nicht erkennbar. Sie wären nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Urteil vom 10. September 2009 - BVerwG 2 WD 28.08 - m.w.N.) nur dann gegeben, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen eines solchen Milderungsgrundes zur Tatzeit März 2008 vorgelegen haben, sind nicht ersichtlich.

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Insbesondere kommt dem früheren Soldaten nicht der Tatmilderungsgrund einer einmaligen persönlichkeitsfremden Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten zugute (vgl. dazu z.B. Urteil vom 13. Januar 2011 a.a.O. m.w.N.). Eine solche einmalige Augenblickstat ist hier schon deshalb nicht gegeben, da der frühere Soldat innerhalb weniger Tage wiederholt versagt hat.

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Der frühere Soldat kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine schockartig ausgelöste psychische Zwangslage berufen (vgl. dazu z.B. Urteil vom 18. Februar 2004 - BVerwG 2 WD 11.03 - juris § 38 WDO 2002 Nr. 15>). Eine solche von außen auf den früheren Soldaten einwirkende Zwangssituation war schon deshalb nicht gegeben, weil der frühere Soldat seine Problemlage im März 2008 wesentlich mitverursacht und mitverschuldet hatte. Er wusste, dass nicht nur der Zeuge von Bu. im Jahr 2006 bei der Entscheidung für seine Förderung in der Feldjägertruppe, sondern auch der Zeuge E. bei Fachgesprächen im täglichen Dienstbetrieb von einer längeren Ausbildung und/oder Verwendung des früheren Soldaten im Polizeidienst als Verwendungsvoraussetzung für einen Bataillonskommandeur-Dienstposten im Feldjägerdienst ausgingen. Hätte der frühere Soldat diese falsche Annahme der Zeugen rechtzeitig durch Offenbarung des wahren Sachverhalts klargestellt, wäre er im März 2008 nicht in das selbstverschuldete Dilemma geraten, aus dem er sich dann durch sein Fehlverhalten in den Anschuldigungspunkten 2 und 3 zu befreien versuchte.

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Soweit sich der frühere Soldat durch seinen Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung in diesem Zusammenhang auf "Personalführungsfehler", d.h. auf ein Mitverschulden von Vorgesetzten im Sinne des Versagens der Dienstaufsicht beruft, kann ihm auch dieser Milderungsgrund nicht zugebilligt werden. Er steht einem Soldaten nur dann zur Seite, wenn er der Dienstaufsicht bedarf, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht (vgl. dazu z.B. Urteil vom 13. Januar 2011 a.a.O. m.w.N.). Ein solcher Fall lag hier aber nicht vor. Unabhängig davon, ob die Personalverantwortlichen vielleicht zu einem früheren Zeitpunkt die Personalakten des früheren Soldaten auf Vordienstzeiten bei der Polizei hätten durchsehen müssen, wusste der frühere Soldat, dass er wahrheitsgemäße dienstliche Angaben machen musste und keine Urkundenfälschung begehen durfte. Im Übrigen offenbart ein aufgrund seiner Vertrauensstellung eigenverantwortlich handelnder Feldjägerstabsoffizier und Dezernatsleiter einen nicht unerheblichen Charaktermangel, wenn er die vorübergehende Aktenunkenntnis Personalverantwortlicher ausnutzt; auch dies spricht dagegen, das Fehlverhalten des früheren Soldaten milder zu beurteilen (vgl. dazu Urteil vom 18. Juni 2003 - BVerwG 2 WD 50.02 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 6).

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Die von ihm geltend gemachte berufliche Belastungssituation während seiner (letzten) Verwendung als Feldjägerstabsoffizier und Dezernatsleiter im ...kommando kann ebenfalls nicht entlastend berücksichtigt werden. Dem "hohen Leistungsdruck als Nicht-Feldjäger" hatte sich der frühere Soldat als Artillerist freiwillig ausgesetzt, um sein ehrgeiziges Ziel, Bataillonskommandeur in der Feldjägertruppe zu werden, zu erreichen. Einsatz und Ziel standen in angemessenem Verhältnis zueinander.

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Schließlich kommt dem früheren Soldaten auch nicht der Milderungsgrund einer freiwilligen, vollständigen und vorbehaltlosen Offenbarung seines Fehlverhaltens vor Tatentdeckung zugute (vgl. zum Beamtendisziplinarrecht z.B. Urteil vom 6. Juni 2007 - BVerwG 1 D 8.06 - juris m.w.N.); dies hat bereits die Vorinstanz (Urteilsabdruck S. 24 f.) zutreffend dargelegt. Im Anschuldigungspunkt 2 stellt der Widerruf vom 5. März 2008 keine vollständige und vorbehaltlose Offenbarung dar. Der frühere Soldat hatte seine nachträgliche Erklärung ("meine Dienstzeit beim Bundesgrenzschutz", "Dienstzeitbescheinigung" usw.) so formuliert, dass bei der Bundeswehr weiter der falsche Eindruck aufrechterhalten bleiben konnte, er habe zumindest wenige Monate im Bundesgrenzschutz Polizeidienst geleistet. Als der frühere Soldat ab dem 11. März 2008 versucht hatte, den Zeugen E. wegen der Vorlage des verfälschten Einstellungsbescheides (Anschuldigungspunkt 3) zu erreichen, um sich ihm anzuvertrauen, war sein Fehlverhalten durch Oberstleutnant W. schon im Wesentlichen aufgedeckt; bereits seit dem 7. März 2008 waren im Stab ...kommando Widersprüche hinsichtlich der "privaten Vitae" des früheren Soldaten bekannt.

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e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige Führung" sprechen für den disziplinar- und strafrechtlich nicht vorbelasteten früheren Soldaten zunächst seine überdurchschnittlichen dienstlichen Leistungen, die sich insbesondere in den beiden letzten planmäßigen Beurteilungen ("6,38" bei Höchstnote 7 und - abfallend - "5,57" bei Höchstnote 9) widerspiegeln, die ihm verliehenen Auszeichnungen, förmlichen Anerkennungen und die Leistungsprämie. Die insgesamt beeindruckende positive berufliche Entwicklung des vom Diplompsychologen St. nachvollziehbar als sehr ehrgeizig und leistungsmotiviert beschriebenen früheren Soldaten vom Haupt- und Realschüler zum Stabsoffizier im Generalstabsdienst wird jedoch von einem durchaus zwiespältigen Charakterbild des früheren Soldaten begleitet. Zwar war dieser von Anfang an im Wesentlichen geständig und hat durch seine - wenn auch fehlgeschlagenen - Offenbarungsversuche in den Anschuldigungspunkten 2 und 3 Ansätze von Einsicht und Reue in sein Fehlverhalten gezeigt. Dem Senat blieb es jedoch versagt, sich einen eigenen Eindruck von der Persönlichkeit des früheren Soldaten und damit der Glaubhaftigkeit seiner "Umkehrversuche" zu verschaffen, da er zur Berufungshauptverhandlung nicht erschienen war.

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Den früheren Soldaten belasten erheblich seine gezeigten Charakterschwächen. Schon 1987/88 (Anschuldigungspunkt 1) hatte er sich gegenüber seinem Dienstherrn unaufrichtig gezeigt, indem er - trotz ausdrücklicher Belehrung - unwahre Angaben gemacht hatte. Sein erneutes Fehlverhalten im März 2008 - etwa zwanzig Jahre später - war dann nicht nur von übertriebenem Ehrgeiz geprägt, sondern auch von dem Willen, die eigene Karriere unter Täuschung des Dienstherrn voranzubringen. Dieses Mal hat er sich gerade denjenigen gegenüber unaufrichtig verhalten und - wie dargelegt - ihre vorübergehende Aktenunkenntnis ausgenutzt, die sich für sein berufliches Fortkommen eingesetzt hatten. Insgesamt hat er dadurch ein sehr negatives Charakterbild offenbart.

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f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannter be- und entlastender Umstände ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts die von der Vorinstanz ausgesprochene Dienstgradherabsetzung zum Hauptmann der Reserve, die gemäß § 58 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 62 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO zulässig ist, nicht zu beanstanden. Die Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme, wie mit der Berufung beantragt, kommt nicht in Betracht.

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Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil vom 13. Januar 2011 a.a.O.) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:

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aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen".

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Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Urteil vom 14. November 2001 - BVerwG 2 WD 30.01 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 44 m.w.N.) hat sich ein Vorgesetzter, der gegenüber seinen Vorgesetzten oder Dienststellen der Bundeswehr unwahre Erklärungen abgegeben hat, in seinem Status disqualifiziert und deshalb grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung verwirkt; hat er sich durch die unwahren Angaben eine ungerechtfertigte berufliche oder finanzielle Besserstellung erschleichen wollen, ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Verhängung der disziplinarischen Höchstmaßnahme (so bereits die ständige Rechtsprechung des Bundesdisziplinarhofs, z.B. Urteil vom 6. Mai 1963 - WD 32/63 m.w.N.; vgl. auch Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 38 Rn. 26). Diese Ersteinstufung eines solchen Dienstvergehens entspricht der Disziplinarrechtsprechung in den Fällen, in denen ein Soldat durch arglistige Täuschung über Einstellungsvoraussetzungen (insbesondere frühere Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit) z.B. seine Berufung in das Dienstverhältnis eines Zeit- oder Berufssoldaten oder eine Dienstzeitverlängerung erschleichen wollte (vgl. z.B. Urteile vom 3. September 1997 - BVerwG 2 WD 54.96 - BVerwGE 113, 131 <137> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 14 und vom 24. August 1999 - BVerwG 2 WD 8.99 - BVerwGE 113, 376 <381> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr.31). Dementsprechend bestimmt auch § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SG, dass ein Berufssoldat zu entlassen "ist", wenn er seine Ernennung durch arglistige Täuschung herbeigeführt hat.

46

Unter diesen Voraussetzungen ist auch hier die disziplinarische Höchstmaßnahme - vorliegend gemäß § 58 Abs. 3 Nr. 2 WDO die Aberkennung des Dienstgrades - Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Der frühere Soldat wollte sich mit seinem wiederholten Fehlverhalten im März 2008 bewusst eine ungerechtfertigte berufliche Besserstellung - Verwendungsoption als Bataillonskommandeur in der Feldjägertruppe ohne die erforderliche polizeiliche Vordienstzeit und Ausbildung mit entsprechenden Beförderungsaussichten für Dienstposten der Besoldungsgruppe A 16 bis B 3 und höher - erschleichen.

47

bb) Auf der zweiten Stufe ist dann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen.

48

Der Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme unterhalb der Aberkennung des Dienstgrades ist hier schon aus Rechtsgründen - wegen der Geltung des Verschlechterungsverbotes - vorzunehmen. Da es aber im Rahmen der Gesamtwürdigung an durchgreifenden mildernden oder entlastenden Umständen mangelt, verbleibt es bei der erstinstanzlichen Degradierung des früheren Soldaten zum Hauptmann der Reserve. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

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Der straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastete frühere Soldat kann sich lediglich mit Erfolg auf sein insgesamt überdurchschnittliches Leistungsbild, seine Auszeichnungen, förmlichen Anerkennungen und die Leistungsprämie berufen; Einsicht und Reue können ihm - wie erwähnt - nur eingeschränkt zugebilligt werden. Weitere durchgreifende Milderungs- oder Entlastungsgründe stehen ihm, wie im Einzelnen dargelegt, nicht zur Seite.

50

Die genannten und für den früheren Soldaten sprechenden Umstände sind - insgesamt gesehen - nicht geeignet, anstelle der an sich verwirkten Höchstmaßnahme den Ausspruch einer milderen Disziplinarmaßnahme - insbesondere nicht die Verhängung einer solchen unterhalb einer Degradierung zum Hauptmann der Reserve - zu rechtfertigen. Die Anforderungen, die an entlastende Umstände zu stellen sind, werden durch die Schwere des Dienstvergehens bestimmt. Daran gemessen werden diese Anforderungen hier nicht erfüllt. Denn im Grunde kann von jedem Stabsoffizier erwartet werden, dass er sich inner- wie außerdienstlich gesetzestreu verhält und nicht nur beanstandungsfreie, sondern individuell optimale dienstliche Leistungen erbringt (vgl. zu den Leistungsanforderungen an Beamte in verantwortungsvollen Positionen, in die man nur aufgrund erwiesener Tüchtigkeit und Leistung gelangt ist, Urteil vom 3. Dezember 1980 - BVerwG 1 D 86.79 - BVerwGE 73, 97 <104>). Im Übrigen sind der Charakter eines Menschen und die Wertung seiner Festigkeit und Lauterkeit unteilbar. Ein im Charakter deutlich werdender Persönlichkeitsmangel, der hier zuletzt in der Vorlage des verfälschten Bundesgrenzschutz-Einstellungsbescheids zum Ausdruck kommt, kann nicht dadurch relativiert oder sogar kompensiert werden, dass der Soldat sonst im dienstlichen Bereich die erforderliche Disziplin wahrt, sich tadelfrei führt und in seinen dienstlichen Leistungen die Erwartungen des Dienstherrn erfüllt oder sogar übertrifft (Urteil vom 16. März 2011 - BVerwG 2 WD 40.09 - juris m.w.N.).

51

Auch wenn aufgrund der Tatsache, dass der frühere Soldat auf eigenes Verlangen inzwischen aus der Bundeswehr ausgeschieden ist, bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme spezialpräventive Gesichtspunkte hinter generalpräventiven Erwägungen zurücktreten, stellt sich das Dienstvergehen in seinen drei Anschuldigungspunkten im Ergebnis als so schwerwiegend dar, dass sich der frühere Soldat insgesamt und damit auch als Stabsoffizier untragbar gemacht hat; schon deshalb kann er nicht mehr in der Dienstgradgruppe der Stabsoffiziere verbleiben.