Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 27.01.2011


BVerwG 27.01.2011 - 2 WD 39/09

Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens; Unzulässigkeit von Disziplinarmaßnahmen; beschränkte Sachverhaltsaufklärung


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Wehrdienstsenat
Entscheidungsdatum:
27.01.2011
Aktenzeichen:
2 WD 39/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Truppendienstgericht Süd, 25. August 2009, Az: S 5 VL 12/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Das gerichtliche Disziplinarverfahren ist nach § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO (juris: WDO 2002) einzustellen, wenn gerichtliche Disziplinarmaßnahmen nach § 58 Abs. 2 und 3 WDO oder als Folge des Verschlechterungsverbotes nach § 123 Satz 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO unzulässig (geworden) sind.

2. Die Verpflichtung zur Verfahrenseinstellung reduziert die Verpflichtung des Gerichts, bei der Feststellung eines Dienstvergehens den Sachverhalt gemäß § 106 Abs. 1 WDO umfassend aufzuklären.

3. § 58 Abs. 2 WDO steht auch der Verhängung einfacher Disziplinarmaßnahmen entgegen.

Tatbestand

Das Truppendienstgericht hat gegen den früheren Soldaten eine Kürzung seiner Übergangsgebührnisse in Höhe von drei Zwanzigstel für die Dauer von zehn Monaten verhängt. Gegen das Urteil hat der frühere Soldat in vollem Umfang Berufung eingelegt. Übergangsgebührnisse wurden dem früheren Soldaten bis Ende August 2010 gewährt; die Übergangsbeihilfe war ihm bereits zuvor vollständig ausgezahlt worden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat das angefochtene Urteil im Januar 2011 aufgehoben und das Verfahren unter Feststellung eines Dienstvergehens eingestellt.

Entscheidungsgründe

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1. Die vom Truppendienstgericht verhängte Disziplinarmaßnahme ist nach der zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage nicht mehr zulässig und dessen Urteil folglich aufzuheben. Die verhängte Ruhegehaltskürzung in Form der Kürzung der Übergangsgebührnisse (vgl. § 67 Abs. 1 WDO) verstößt gegen § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WDO.

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Nach dieser Vorschrift kann zwar u.a. gegen frühere Soldaten, die als Soldaten im Ruhestand gelten (§ 1 Abs. 3 WDO), eine Kürzung des Ruhegehalts ausgesprochen werden. Der frühere Soldat gilt aber nicht mehr als Soldat im Ruhestand. Gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 WDO gelten frühere Soldaten, die keinen Anspruch auf Ruhegehalt, jedoch einen sonstigen Anspruch auf Dienstzeitversorgung oder Berufsförderung haben, bis zur Beendigung der Gewährung dieser Leistungen im Sinne der WDO als Soldaten im Ruhestand. Die Übergangsgebührnisse wurden dem früheren Soldaten jedoch nur bis Ende August 2010 gewährt und die Übergangsbeihilfe war ihm bereits zuvor vollständig ausgezahlt worden (vgl. dazu auch Urteil vom 14. November 2007 - BVerwG 2 WD 29.06 - insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 4), so dass er zwar noch zum Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Truppendienstgericht als Soldat im Ruhestand galt, nicht aber mehr zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung. Da bei einem früheren Soldaten auch die Verhängung einfacher Disziplinarmaßnahmen (§ 58 Abs. 6 i.V.m. § 22 Abs. 1 WDO) ausscheidet, dürften gemäß § 58 Abs. 3 WDO eigentlich nur noch eine Dienstgradherabsetzung oder die Aberkennung des Dienstgrades ausgesprochen werden.

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2. Über die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung hinaus ist das Verfahren jedoch nach § 123 Satz 3 i.V.m. § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO einzustellen, weil es angesichts der vorliegenden Fallgestaltung auch unzulässig wäre, die noch allein in Betracht kommenden Disziplinarmaßnahmen - Dienstgradherabsetzung oder Aberkennung des Dienstgrades - zu verhängen. Da allein der frühere Soldat Berufung eingelegt und das Truppendienstgericht gegen ihn lediglich eine Kürzung des Ruhegehalts ausgesprochen hat, stünde der Verhängung der genannten Disziplinarmaßnahmen von vornherein das Verschlechterungsverbot (§ 123 Satz 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO) entgegen (vgl. Urteil vom 19. Februar 2004 - BVerwG 2 WD 14.03 - BVerwGE 120, 166 <175>).

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3. Die Verfahrenseinstellung hat jedoch unter Feststellung eines Dienstvergehens zu erfolgen (Urteile vom 13. Februar 2008 - BVerwG 2 WD 5.07 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 3, vom 28. Januar 2004 - BVerwG 2 WD 13.03 - BVerwGE 120, 105 <106>, vom 19. Februar 2004 a.a.O. S. 167 und vom 17. Juni 2003 - BVerwG 2 WD 2.02 - NZWehrr 2004, 83 ff.), so dass nicht auf Freispruch erkannt werden kann.

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Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der frühere Soldat jedenfalls die unter Anschuldigungspunkt 5 beschriebene Pflichtverletzung fahrlässig begangen und damit gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) und zu einem Verhalten, das dem Ansehen sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein Dienst als Soldat erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG), verstoßen hat. Ob er auch hinsichtlich des darüber hinaus angeschuldigten Verhaltens Pflichtverletzungen begangen hat, kann dahingestellt bleiben und braucht auch nicht mehr weiter aufgeklärt zu werden, weil dies der Wertung des Gesetzgebers widerspräche, Verfahren zur Einstellung zu bringen, wenn eine Disziplinarmaßnahme unzulässig ist (vgl. zum Strafverfahren BGH, Beschlüsse vom 29. Oktober 1998 - 5 StR 288/98 - BGHSt 44, 209 <219> sowie vom 25. April 1996 - 5 StR 54/96 - NStZ-RR 1996, 299 f.).

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a) Der frühere Soldat ist dem Dienst am 12. (Donnerstag) und 13. Juni 2008 (Freitag) unerlaubt ferngeblieben. Der von ihm am 10. Juni 2008 - einem Dienstag - beantragte Dienstzeitausgleich ist am 12. Juni 2008 abgelehnt worden. Soweit der frühere Soldat dies bestreitet, steht dem bereits die aktenkundig dokumentierte Ablehnung entgegen. Hinzu kommt, dass der frühere Soldat erstmals in der Berufungshauptverhandlung eine Genehmigung durch Oberstleutnant R. und den Disziplinarvorgesetzten Major A. behauptet hat. Dieser Vortrag ist nicht nur neu, sondern steht auch in Widerspruch dazu, dass sich in den Verwaltungsvorgängen kein Hinweis des Majors A. oder des Oberstleutnants R. auf eine von ihnen erteilte Genehmigung findet. Da sich der frühere Soldat auch in seiner ersten - tatzeitnahen - Stellungnahme vom 30. September 2008 nicht auf eine Genehmigung konkret durch diese Offiziere berufen hat, bestand kein Anlass, an der Richtigkeit der dokumentierten Antragsablehnung zu zweifeln.

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b) Der frühere Soldat handelte zumindest fahrlässig, als er den Antrag auf Dienstzeitausgleich zusammen mit zahlreichen Belegen, die den Nachweis über die Berechtigung des Ausgleichsanspruchs erbringen sollten, abgab und sich nicht einer Genehmigung vergewisserte.

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Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich der frühere Soldat mit seinem Verhalten nicht bereits im Bereich vorsätzlichen Handelns bewegte, wenn die Aussage des Stabsfeldwebels K. (anlässlich seiner Vernehmung vor dem Truppendienstgericht) und die des Oberfeldwebels S. (anlässlich seiner außergerichtlichen Vernehmung am 24. April 2008) als wahr zugrunde gelegt werden. Jedenfalls handelte der frühere Soldat - immerhin im Rang eines Hauptmanns - fahrlässig.

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Schon nach seiner eigenen Berechnung standen ihm nur für eineinhalb, nicht aber - wie von ihm beantragt - für zwei Tage Dienstzeitausgleich zu, so dass er schon deshalb nicht von einer reibungslosen Genehmigung ausgehen durfte. Hinzu kam, dass er von einer Prüfung der zum Nachweis des Ausgleichsanspruchs von ihm umfangreich beigefügten Unterlagen ausgehen musste. Da der frühere Soldat zudem der Auffassung war, dass die Genehmigung durch seinen nicht vor Ort ansässigen Disziplinarvorgesetzten Major A. erteilt werden würde, hätte sich ihm zusätzlich aufdrängen müssen, dass eine Genehmigung innerhalb von eineinhalb Tagen nicht möglich sein würde. Mit diesem Zeitraum unterschritt der frühere Soldat auch den Zeitraum von drei Tagen, der in der Einheit gemeinhin als erforderliche Vorlaufzeit für eine etwaige Ablehnung angesehen wurde. Dabei kann zugunsten des früheren Soldaten dahingestellt bleiben, ob er auf diese Dreitagesfrist schon deshalb nicht hätte vertrauen dürfen, weil nicht regulärer Erholungsurlaub, sondern Dienstzeitausgleich in Rede stand, der komplexere Überlegungen abverlangte. Abgerundet wird das Bild schließlich dadurch, dass die Dienstgeschäfte des früheren Soldaten nicht (mit Billigung seiner Vorgesetzten) bereits an seinen Nachfolger übergeben worden waren, so dass er auch deshalb nicht davon ausgehen durfte, gerade zum Abschluss des von ihm begleiteten Lehrgangs Dienstzeitausgleich genehmigt zu bekommen; dies gilt umso mehr, als er zahlreiche Prüfungsarbeiten unkorrigiert zurückließ. Im Übrigen haben die Einlassungen des früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung den Eindruck entstehen lassen, dass er in der Annahme, einen (vermeintlichen) Anspruch auf Zeitausgleich zu haben, die Notwendigkeit einer Genehmigung durch seine Vorgesetzten zu Unrecht als schlichte Formalie betrachtet hat.