Entscheidungsdatum: 08.02.2011
I.
Mit Urteil vom 25. August 2010 hat die 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord den früheren Soldaten wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers der Reserve herabgesetzt; der frühere Soldat war zur Hauptverhandlung am 25. August nicht erschienen. Das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsbelehrung - Berufung, Beschwerde gegen die Kostenentscheidung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Hauptverhandlung - versehene Urteil wurde dem früheren Soldaten am 10. September 2010 zugestellt.
Mit Schreiben vom 11. November 2010, eingegangen beim Truppendienstgericht am Folgetag, hat der frühere Soldat "Einspruch zu dem gerichtlichen Disziplinarverfahren vom 08.09.2010" (Datum der Übersendung der Urteilsausfertigung) erhoben und zur Begründung Folgendes vorgebracht:
"Ich befand mich beruflich im Ausland, so das ich diese Frist des Einspruches nicht wahren konnte. Ich hole das hiermit nach.
Die Degradierung vom Oberfeldwebel d.R. zum Staatsunteroffizier d.R., wiederspreche ich und lege hiermit Einspruch zu diesem Beschluss ein.
Die Wehrübungssperre, und die Ausplanung aus dem Unterstützungsdienst, ich für mich eine ohnehin harte Strafe. Mit einer entsprechenden zeitbeschränkten Sperre, wäre ich einverstanden.
Ich bin vom 12.11. bis einschließlich 15.1. beruflich in England. Nach meiner Rückkehr werde ich mich in meinem Disziplinarverfahren juristisch vertreten lassen.
Bitte bestätigen Sie den Posteingang durch eine Email."
Der Vorsitzende der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat dem früheren Soldaten am 17. November 2010 - auch per E-Mail - den Eingang seines Schreibens vom 11. November 2010 bestätigt und mitgeteilt, die Sache werde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt werden, weil es sich nach Auslegung des Schreibens um eine Berufung, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist, handele. Er bitte um Klarstellung, ob sich das Schreiben darin erschöpfen solle oder ob mit ihm weitere Ziele verfolgt würden.
Der frühere Soldat hat sich dazu nicht geäußert.
Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. November 2010, dem früheren Soldaten zugestellt am 3. Dezember 2010 und per E-Mail übersandt, ist diesem bis zum 15. Dezember 2010 Gelegenheit gegeben worden, sich u.a. zu den Gründen zu äußern, weshalb er nicht rechtzeitig Berufung eingelegt habe. Gegebenenfalls sei die Zeitdauer des Auslandsaufenthaltes glaubhaft zu machen und darzulegen, welche Vorkehrungen er getroffen habe, um sicherzustellen, dass er während seiner Abwesenheit über dringende, fristgebundene Gerichts- und Behördenschreiben rechtzeitig informiert werde.
Da der frühere Soldat auch zu diesem Schreiben keine Erklärung abgegeben hat, ist ihm zuletzt am 19. Januar 2011 unter Bezugnahme auf die gerichtliche Verfügung vom 29. November 2010 nochmals Gelegenheit gegeben worden, sich bis zum 28. Januar 2011 zu äußern. Eine solche Äußerung ist beim Senat bislang nicht eingegangen.
II.
Der Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung ("Einspruch") des früheren Soldaten bleiben ohne Erfolg.
Mangels anderslautender klarstellender Äußerung des früheren Soldaten geht der Senat mit dem Truppendienstgericht davon aus, dass es sich bei dem "Einspruch" vom 11. November 2010 in Wahrheit um eine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil vom 25. August 2010 handelt. Dies ergibt sich schon aus der Begründung des Rechtsmittels, wonach der frühere Soldat der Degradierung widerspricht und "hiermit zu diesem Beschluss Einspruch einlegt". Die Berufung ist das gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 WDO regelmäßig vorgesehene Rechtsmittel gegen Urteile der Truppendienstgerichte.
Soweit der frühere Soldat mit seinem "Einspruch" ergänzend geltend macht, er habe sich beruflich im Ausland befunden, sodass er die "Einspruchsfrist" nicht habe wahren können - dies hole er hiermit nach -, stellt er sinngemäß Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung. Davon ist zu Recht auch das Truppendienstgericht ausgegangen. Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 WDO hätte die Berufung ("Einspruch") spätestens am Montag, dem 11. Oktober 2010, beim Truppendienstgericht eingegangen sein müssen. Diese gesetzliche Monatsfrist hat der frühere Soldat um mehr als vier Wochen überschritten. Da sich der im "Einspruchs"-Schreiben vom 11. November 2010 erwähnte Auslandsaufenthalt unmittelbar auf die Nichteinhaltung der "Einspruchsfrist" bezieht, gibt es mangels anderslautender klarstellender Äußerung des früheren Soldaten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Wiedereinsetzungsantrag den bereits am 25. August 2010 stattgefundenen, aber vom früheren Soldaten nicht wahrgenommenen Hauptverhandlungstermin betrifft (vgl. dazu § 91 Abs. 1 WDO in Verbindung mit § 235 StPO).
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung hat keinen Erfolg. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 44 StPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist - hier die Berufungsfrist von einem Monat gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 WDO - einzuhalten. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 45 StPO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre; die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen.
Es ist bereits zweifelhaft, ob der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig gestellt worden ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der frühere Soldat erst Ende Oktober 2010 von seinem Auslandsaufenthalt zurückgekehrt wäre und die Urteilsausfertigung vorgefunden hätte. Das konnte nicht geklärt werden, weil die Anfrage des Senats zur Zeitdauer des Auslandsaufenthalts unbeantwortet geblieben ist. Im Übrigen ist das Vorbringen des früheren Soldaten auch nicht glaubhaft gemacht worden.
Jedenfalls ist nichts dafür ersichtlich - und wird vom früheren Soldaten auch nicht vorgebracht und glaubhaft gemacht -, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten. Seine Unkenntnis von der am 10. September 2010 erfolgten Urteilszustellung hat sich der frühere Soldat selbst zuzurechnen.
Zwar dürfen bei der Anwendung und Auslegung der die Wiedereinsetzung betreffenden Vorschriften die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung nicht überspannt werden und darf der Zugang zum Gericht nicht in unzumutbarer, sachlich nicht gerechtfertigter Weise erschwert werden. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass derjenige, der eine ständige Wohnung hat und diese nur vorübergehend nicht benutzt, für die Zeit seiner Abwesenheit keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen zu treffen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1992 - 2 BvR 805/91 - NJW 1993, 847 betreffend eine einwöchige Ortsabwesenheit). Das gilt allerdings nicht, wenn ihm ein Verschulden aufgrund einer erhöhten Sorgfaltspflicht, die sich aus seinen prozessualen Mitwirkungspflichten als Beschuldigter in einem gerichtlichen Disziplinarverfahren ergibt, zur Last gelegt werden kann; denn Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG schützen nicht denjenigen, der der Wahrnehmung seiner Rechte mit vermeidbarer Gleichgültigkeit gegenübersteht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 7. April 1976 - 2 BvR 728/75 - BVerfGE 42, 120 <126 f.> und vom 6. Oktober 1992 a.a.O.). So liegt es hier. Der frühere Soldat hat sich nicht zureichend um die Verfolgung seiner Interessen gekümmert, obwohl er nach Lage des Falles hierzu Anlass hatte. Er wusste, dass seit März 2010 ein gerichtliches Disziplinarverfahren bei der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord gegen ihn anhängig war. Danach musste der frühere Soldat jederzeit mit fristauslösenden Zustellungsschreiben des Gerichts (z.B. Terminsladung, Übersendung einer gerichtlichen Entscheidung) rechnen. Da er keinen Verteidiger hatte, musste er auch selbst auf entsprechende Schreiben reagieren.
Zwar ist es einem disziplinargerichtlich Beschuldigten nicht verwehrt, während des Verfahrens eine berufliche Auslandsreise anzutreten. Er verletzt aber dann regelmäßig seine Sorgfaltspflicht, wenn er nicht durch vorsorgliche Maßnahmen sicherstellt, dass er vom Inhalt zugestellter Schriftstücke des Gerichts auch während eines längeren Auslandsaufenthaltes Kenntnis erlangt (vgl. dazu z.B. Beschlüsse vom 23. Juni 1999 - BVerwG 1 DB 32.98 - juris und vom 30. März 1995 - BVerwG 11 B 29.95 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 196; Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage 2010, § 44 Rn. 14 jeweils m.w.N.). Das ist hier der Fall. Dem früheren Soldaten war es als Portepee-Unteroffizier der Reserve und Geschäftsmann (Medizinisch geprüfter Personal Coach/Kletterlehrer der Firma C...) möglich und zumutbar, während seines nicht nur vorübergehenden Auslandsaufenthaltes - nach Einlegung seines "Einspruchs" befand er sich eigenen Angaben zufolge wiederum mindestens zwei Monate beruflich im Ausland (England) - entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Dies hat der frühere Soldat schuldhaft versäumt. Weder hatte er das Truppendienstgericht über seine Abwesenheitszeit unterrichtet, noch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass er sichergestellt hatte, dass er während längerer Abwesenheit über dringende, fristauslösende Gerichts- und Behördenschreiben rechtzeitig informiert wurde. Trotz entsprechender Nachfrage seitens des Senats hat der frühere Soldat nichts dergleichen dargelegt und glaubhaft gemacht.
2. Da der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung nach alledem keinen Erfolg hat, ist die Berufung gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 1, § 117 WDO als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist (§ 115 Abs. 1 Satz 1 WDO) eingelegt worden ist.