Entscheidungsdatum: 21.12.2011
I.
Der 30 Jahre alte frühere Soldat trat im November 2000 als Soldat auf Zeit in die Bundeswehr ein und wurde nach der Allgemeinen Grundausbildung, dem Bestehen des Unteroffizierslehrganges und einer erfolgreich abgelegten Ausbildung zum Kfz-Mechaniker auf unterschiedlichen Dienstposten, zuletzt bei der .../Instandsetzungsbataillon ..., eingesetzt. Er war 2005 und 2007 auch jeweils für mehrere Monate zum Einsatzkontingent KFOR nach Prizren kommandiert.
Der frühere Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt zum November 2002 zum Stabsunteroffizier. Seine mehrfach, zuletzt im März 2002 auf acht Jahre verlängerte Dienstzeit endete mit dem 31. Oktober 2008. Der ledige und kinderlose frühere Soldat erhielt bis Ende Juli 2010 Übergangsgebührnisse. Die Übergangsbeihilfe wird nach § 82 Abs. 2 WDO einbehalten.
Straf- und disziplinarrechtlich ist der frühere Soldat vor den den Gegenstand dieses Verfahrens bildenden Vorfällen nicht in Erscheinung getreten. Vielmehr hatte er eine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung und zwei Leistungsprämien erhalten. Seine planmäßige Beurteilung aus dem Jahr 2006 weist sehr gute fachliche und allgemeinmilitärische Fähigkeiten und Fertigkeiten und eine weit überdurchschnittliche Einsatzbereitschaft aus.
II.
Das gerichtliche Disziplinarverfahren wurde durch Verfügung des Kommandeurs der .... Panzergrenadierdivision vom 23. Oktober 2008 eingeleitet. In der dem Soldaten am selben Tag ausgehändigten Einleitungsverfügung war dem früheren Soldaten ein Verdacht der schuldhaften Verletzung von Dienstpflichten durch folgende Handlungen vorgeworfen worden:
"1. Durch Bescheid des Kreiswehrersatzamtes ... - Berufsförderungsdienst - wurde Ihnen eine Bildungsmaßnahme in der Zeit vom 18.02.08 bis zum 14.05.08 genehmigt. Bestandteil dieses Bescheids war die Belehrung, dass Sie sich unverzüglich bei Ihrem nächsten Disziplinarvorgesetzten zu melden haben, wenn Sie einer solchen Maßnahme ohne berechtigten Grund einen Tag oder länger fernbleiben bzw. dem zuständigen Berufsförderungsdienst eine Unterbrechung der Maßnahme anzeigen müssen. Entgegen dieser Belehrung haben Sie an folgenden Tagen nicht an der Maßnahme teilgenommen: 17.03., 18.03., 19.03., 20.03., 26.03., 27.03., 28.03., 31.03., 01.04., 02.04., 03.04., 04.04., 07.04., 08.04., 09.04., 10.04., 11.04., 14.04., 22.04., 24.04., 25.04., 28.04., 29.04., 30.04., 05.05., 06.05., 07.05., 08.05., 09.05., 13.05., 14.05.08.
2. Nach Abschluss der Maßnahme haben Sie am 15.05. bis zum 23.05.08 ihren Dienst nicht angetreten, sondern kehrten erst am 26.05.08 zu Ihrer Einheit zurück."
Der Anhörung der Vertrauensperson hatte der Soldat zuvor widersprochen. In seiner Anhörung vom 22. Oktober 2008 war er durch seinen Disziplinarvorgesetzten auch darauf hingewiesen worden, dass seine "erneute eigenmächtige Abwesenheit ebenfalls Bestandteil des gerichtlichen Disziplinarverfahrens wird". Der frühere Soldat war am 7. Januar 2009 unter Bezugnahme auf die Einleitungsverfügung vom 23. Oktober 2008 von der Wehrdisziplinaranwaltschaft zum Schlussgehör am 20. Januar 2009 geladen worden, erschien jedoch nicht.
In dem mit den späteren Anschuldigungspunkten 2 und 3 sachgleichen Strafverfahren (Az. ...) verurteilte das Amtsgericht ... den früheren Soldaten am 26. Mai 2009 wegen eigenmächtiger Abwesenheit in zwei Fällen (§§ 53 StGB, 15 Abs. 1 WStG) zu einer Gesamtgeldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 10 €. Das Urteil wurde mit dem 3. Juni 2009 rechtskräftig.
Ein weiteres Strafverfahren (Az. ...) betraf die von den späteren Anschuldigungspunkten 3 und 4 erfassten Zeiträume und wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft ... vom 11. Februar 2009 mangels Strafbarkeit des Fernbleibens von einer Maßnahme der Berufsförderung nach dem Wehrstrafgesetz bzw. wegen des bereits anhängigen weiteren Strafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Nachdem das Urteil des Amtsgerichts ... vom 26. Mai 2006 im teilweise sachgleichen Strafverfahren rechtskräftig geworden war und nach Beiziehung und Auswertung der Strafakte, hat die zuständige Wehrdisziplinaranwaltschaft mit Anschuldigungsschrift vom 12. Oktober 2009 dem früheren Soldaten folgende schuldhafte Dienstpflichtverletzung als Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 i.V.m. §§ 7, 11, 17 Abs. 2 Satz 1 und 2 Alternative 2 SG unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SG zur Last gelegt:
"1. Der Soldat blieb der ihm mit Bescheid des Kreiswehrersatzamtes ... - Berufsförderungsdienst - vom 15. Februar 2008 genehmigten Bildungsmaßnahme mit dem Bildungsziel 'Staatlich geprüfter Techniker, Teile III und IV der Handwerksmeisterfortbildung' bei der Handwerkskammer ..., die vom 18. Februar 2008 bis zum 14. Mai 2008 dauern sollte, an folgenden Tagen unentschuldigt fern, obwohl er als Bestandteil des Bescheids belehrt worden war, dass er sich unverzüglich bei seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten zu melden habe bzw. dem Berufsförderungsdienst die Unterbrechung der Maßnahme anzeigen müsse, wenn er der Maßnahme ohne berechtigten Grund einen Tag oder länger fernbleibe: 17. März, 18. März, 19. März, 20. März, 26. März, 27. März, 28. März, 31. März, 01. April, 02. April, 03. April, 04. April, 07. April, 08. April, 09. April, 10. April, 11. April, 14. April, 22. April, 24. April, 25. April, 28. April, 29. April, 30. April, 05. Mai, 06. Mai, 07. Mai, 08. Mai, 09. Mai, 13. Mai, 14. Mai 2008.
2. Nach Abschluss der Maßnahme am 14. Mai 2008 hat der Soldat vom 15. Mai 2008 bis zum 23. Mai 2008 seinen Dienst nicht angetreten, sondern kehrte erst am 26. Mai 2008 zu seiner Einheit zurück.
3. Vom 25. August 2008 bis zum 04. September 2008 blieb der Soldat wiederum seiner Einheit unerlaubt fern, wobei er am 25. und 26. August 2008 trotz fehlender Genehmigung und Freistellung an einer weiteren Bildungsmaßnahme teilnahm, diese jedoch danach nicht mehr besuchte und sich auch nicht zum Dienst meldete. Erst am 08. September 2008 meldete er sich wieder in seiner Einheit.
4. Der Soldat blieb der ihm mit Bescheid des Kreiswehrersatzamtes ... - Berufsförderungsdienst - vom 15. September 2008 genehmigten weiteren Bildungsmaßnahme mit dem Bildungsziel 'Staatlich geprüfter Techniker für Kraftfahrzeugtechnik' bei der ... Ausbildungsgesellschaft ..., die vom 16. September 2008 bis zum 25. Juni 2010 dauern sollte, vom 16. September 2008 bis zum 21. Oktober 2008 unentschuldigt fern, obwohl dieselbe Belehrung wie unter Punkt 1 erteilt worden war und er zudem am 15. September 2008 eine dienstliche Erklärung dahingehend abgegeben hatte, dass er von nun an regelmäßig an der Maßnahme teilnehmen werde."
Mit Urteil vom 17. März 2010 hat die 7. Kammer des Truppendienstgerichts Süd den im truppendienstgerichtlichen Verfahren nicht anwaltlich vertretenen, früheren Soldaten wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines Obergefreiten der Reserve herabgesetzt und ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Zu den Anschuldigungspunkten 1 und 4 hat es in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass der frühere Soldat vorsätzlich in den dort jeweils genannten Zeiträumen nicht an der jeweiligen Bildungsmaßnahme teilgenommen, sich aber entgegen der Verpflichtung nach den Nebenbestimmungen der Bewilligungsbescheide für diese Zeiträume auch nicht zum Truppendienst gemeldet habe. Vor der Genehmigung der im Anschuldigungspunkt 4 genannten Bildungsmaßnahme habe der frühere Soldat dienstlich versichert, nunmehr regelmäßig an der Bildungsmaßnahme teilzunehmen und die straf- und disziplinarrechtlichen Konsequenzen eines Fernbleibens zu kennen. Gleichwohl sei er von Anfang an nicht zu dieser Maßnahme erschienen. Die tatsächlichen Feststellungen zu den Anschuldigungspunkten 2 und 3 entnimmt das Truppendienstgericht dem Urteil des Amtsgerichts ... vom 26. Mai 2009, an die es nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO gebunden sei.
Damit habe der frühere Soldat ein vorsätzliches Dienstvergehen in der Form mehrerer Verletzungen der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) und der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) begangen, während eine Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht, der Gehorsamspflicht und der Wahrheitspflicht nicht vorliege.
Der Soldat sei ordnungsgemäß abschließend gehört worden. Er habe die Möglichkeit zum Schlussgehör nicht wahrgenommen. Zwar sei dies vor dem Ergehen des teilweise sachgleichen Strafurteils erfolgt und er habe vor Einreichung der Anschuldigungsschrift nicht unter Hinweis auf dieses Urteil erneut Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten; jedoch liege hierin kein Verfahrensfehler. Der frühere Soldat habe im Strafverfahren die Vorwürfe eingeräumt. Die Anhörung solle lediglich gewährleisten, dass ein Soldat erfahre, welche Vorwürfe gegen ihn erhoben werden sollten und dass er sich dazu abschließend äußern könne.
Zwar sei nach den Kriterien des § 58 Abs. 7 WDO i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO bei länger dauernder oder wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit vom Truppendienst in der Regel die Höchstmaßnahme zu verhängen. Zum Nachteil des Soldaten gereichten hier die Dauer der Abwesenheitszeiten, die Vielzahl der Tathandlungen, die zugrunde liegenden Entschlüsse und der Umstand, dass der frühere Soldat nach den ersten Fehlzeiten erst nach einer Versicherung, nunmehr regelmäßig an der Berufsförderungsmaßnahme teilnehmen zu wollen, die Genehmigung zu einer neuerlichen Fördermaßnahme erhalten hätte, an der er dann aber auch nicht teilgenommen habe. Angesichts dessen falle nicht mehr ins Gewicht, dass der Abbruch einer Fachausbildung grundsätzlich weniger schwer wiege als das Fernbleiben vom Truppendienst. Auch habe der frühere Soldat sich nicht in einer Situation befunden, in der von ihm ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr habe erwartet werden können, sodass ein Milderungsgrund insbesondere in der Form des Handelns in einer psychischen Ausnahmesituation nicht vorliege. Jedoch habe er sich in einer negativen Lebensphase befunden, die ebenfalls zu einer Milderung der Maßnahme Anlass gebe. Da der frühere Soldat aus der Bundeswehr ausgeschieden sei, gelte dies auch dann, wenn die Lebensphase noch nicht überwunden sei. Auch Gründe in der Person eines Soldaten könnten ein Absehen von der Verhängung der Höchstmaßnahme rechtfertigen. Das Persönlichkeitsbild des früheren Soldaten lasse wegen seiner überdurchschnittlichen Leistungen in der Vergangenheit ein Absehen von der Verhängung der Höchstmaßnahme zu. Außerdem habe er auf Nachfrage des Gerichts die nicht in der Personalakte enthaltene Urkunde, mit der er in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit ernannt worden sei, zu den Gerichtsakten gereicht. Es würde dem Grundsatz der Fairness im Gerichtsverfahren widersprechen, wenn dieses Entgegenkommen des früheren Soldaten nicht honoriert und er durch Verhängung der Höchstmaßnahme bestraft würde.
Gegen das ihr am 6. April 2010 zugestellte Urteil hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft beim Truppendienstgericht Süd am 6. Mai 2010 zuungunsten des früheren Soldaten beschränkt auf das Disziplinarmaß Berufung eingelegt. Sie wendet sich im Einzelnen gegen die Annahme von Milderungsgründen, die ein Absehen von der Verhängung der Höchstmaßnahme erlauben würden.
Mit Beschluss vom 6. September 2011 ist dem früheren Soldaten für das Berufungsverfahren ein Pflichtverteidiger bestellt worden.
Den Beteiligten ist durch gerichtliche Verfügung vom 14. Dezember 2011 und durch Erörterung der insoweit aufgeworfenen Rechtsfragen vor dem aufgehobenen Termin für die Hauptverhandlung vom 21. Dezember 2011 gemäß § 120 Abs. 2 WDO Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Überlegung des Senats gegeben worden, die Sache wegen eines Verfahrensfehlers zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Truppendienstgericht zurückzuverweisen. Die Beteiligten gehen übereinstimmend vom Vorliegen von Verfahrensfehlern aus, die eine nochmalige erstinstanzliche Würdigung nach sich ziehen sollten.
III
Die zulässige Berufung (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO) führt zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung, weil schwere Mängel des Verfahrens vorliegen (§ 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO). Die Entscheidung ergeht nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung (§ 120 Abs. 1 WDO) in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 WDO).
1. Ein schwerer Mangel des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO liegt bereits darin, dass das Truppendienstgericht dem früheren Soldaten, der im gerichtlichen Disziplinarverfahren einschließlich der Hauptverhandlung nicht durch einen Wahlverteidiger vertreten war, entgegen § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO keinen Pflichtverteidiger bestellt hat und dies für den Ausgang des Verfahrens erheblich sein kann (vgl. hierzu Urteil vom 7. November 2007 - BVerwG 2 WD 1.07 - BVerwGE 130, 12 <14> Rn. 16 m.w.N.).
a. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers war schon deshalb geboten, weil im Hinblick auf die Anschuldigungsschrift die Verhängung der Höchstmaßnahme im Raume stand. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob auch die Schwierigkeit der Rechtsfragen, ob das Schlussgehör ordnungsgemäß durchgeführt wurde und welche Folgen ein Verstoß gegen § 97 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbs. WDO hat, die Bestellung geboten hätten.
Nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO bestellt der Vorsitzende der Truppendienstkammer dem Soldaten, der noch keinen Verteidiger gewählt hat, auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn die Mitwirkung eines solchen geboten erscheint. Ob die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist, beurteilt sich nach der Schwierigkeit der Rechts- und Sachlage (Urteil vom 7. November 2007 - a.a.O. - BVerwGE 130, 12, <14> Rn. 17 m.w.N.). Von einer hinreichenden Schwierigkeit der Rechts- und Sachlage ist insbesondere dann auszugehen, wenn die Verhängung der Höchstmaßnahme wahrscheinlich ist (vgl. Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 90 Rn. 13).
Die Verhängung der Höchstmaßnahme war hier in Anbetracht der vom Truppendienstgericht zutreffend im Rahmen seiner Bemessungsentscheidung herangezogenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den disziplinarrechtlichen Folgen eines eigenmächtigen Fernbleibens von der Truppe bzw. einer unterbliebenen Rückmeldung zum Truppendienst beim Fernbleiben von einer genehmigten und mit einer Freistellung vom Truppendienst verbundenen Bildungsmaßnahme (vgl. insbesondere Urteil vom 4. September 2009 - BVerwG 2 WD 17.08 - juris Rn. 110
b. Die unterbliebene Bestellung eines Pflichtverteidigers konnte für den Ausgang des Verfahrens auch erheblich sein. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass ein zu Beginn des erstinstanzlichen Verfahrens bestellter Verteidiger den juristisch nicht vorgebildeten, früheren Soldaten zu für die Schuldfeststellungen oder die Maßnahmebemessung erheblichem, ergänzendem Vortrag motiviert oder er Einfluss auf den Vortrag des früheren Soldaten zum Vorliegen der Prozessvoraussetzungen genommen hätte. Er hätte auch auf Mängel des vorgerichtlichen Verfahrens hinweisen und Gründe für ein Vorgehen des Gerichts nach § 99 Abs. 3 WDO anführen können. Ein Verteidiger hätte des Weiteren auch auf eine Berufung des früheren Soldaten hinwirken und damit eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch den Senat in vollem Umfang ermöglichen können.
c. Dieser Mangel ist auch im Rahmen einer maßnahmebeschränkten Berufung für den Senat beachtlich (Urteil vom 7. November 2007 - a.a.O.).
Verfahrensmängel werden bei einer beschränkten Berufung zwar regelmäßig gegenstandslos, soweit sie nicht das gesamte disziplinargerichtliche Verfahren oder den gerichtlichen Verfahrensabschnitt unzulässig machen (so Urteil vom 4. Mai 1988 - BVerwG 2 WD 64/87 - S. 10 des Urteilsabdrucks). Beachtlich sind allerdings Aufklärungs- und Verfahrensmängel von solcher Schwere, dass sie die Grundlage der vom Senat zu treffenden Entscheidung über die Maßnahmebemessung - die tatsächlichen und disziplinarrechtlichen Feststellungen zur Schuld des früheren Soldaten - erschüttern (vgl. Urteile vom 19. August 2009 - BVerwG 2 WD 31.08 - Rn. 12, 17 und vom 24. März 2010 - BVerwG 2 WD 10.09 - Rn. 12, 15, 17).
Dies ist hier der Fall. Denn der Pflichtverteidiger nimmt mit seiner Tätigkeit unmittelbar Einfluss auf die Ermittlungen des Gerichts zu dem für die Schuldfeststellungen erheblichen Sachverhalt, auch wenn es in erster Linie Aufgabe des Gerichts ist, alle prozessual zulässigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Wahrheit zu erforschen (§ 106 Abs. 1 WDO). Aus den Gründen, aus denen die unterbliebene Pflichtverteidigerbestellung für den Ausgang des Verfahrens erheblich sein konnte, hat § 90 Abs. 1 Satz 1 WDO einen besonderen Bezug zum Zustandekommen der gerichtlichen Feststellungen, die Grundlage der Bemessungsentscheidung sind. Schuldfeststellungen, die mit dem Makel behaftet sind, unter Außerachtlassung der Grundsätze prozessualer Fairness zustande gekommen zu sein, können nicht Grundlage einer Bemessungsentscheidung des Senats sein. Daher ist die Einhaltung der prozessualen Rechte des Soldaten, die der Gewährleistung eines auf eine "richtige" Entscheidung hin angelegten Verfahrens dienen, trotz der Beschränkung der Berufung durch den Senat zu überprüfen.
2. Ein weiterer schwerer Mangel des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO liegt darin, dass der Vorsitzende der Truppendienstkammer es unterlassen hat, den Wehrdisziplinaranwalt nach § 99 Abs. 3 Satz 1 1. Alt WDO aufzufordern, dem früheren Soldaten rechtliches Gehör nach § 97 Abs. 3 WDO zu gewähren (vgl. Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 97 Rn. 13).
Das Unterbleiben einer Aufforderung nach § 99 Abs. 3 Satz 1 2. Alt WDO zur Beseitigung eines vorgerichtlichen Verfahrensmangels in der Form einer unterbliebenen Beteiligung der Vertrauensperson nach § 27 SBG begründet einen schweren Mangel des gerichtlichen Verfahrens, der in Ermangelung einer Aufforderungsmöglichkeit durch den Senat gemäß § 121 Abs. 2 WDO bzw. § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO zwingend zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts führt (Urteil vom 8. Dezember 2010 - BVerwG 2 WD 24.09 - BVerwGE 138, 263 <268> Rn. 20). Nichts anderes gilt für eine unterbliebene Aufforderung zur Nachholung eines vorgerichtlich unterbliebenen, abschließenden Gehörs nach § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO.
Eine unterbliebene Schlussanhörung durch den Wehrdisziplinaranwalt stellt nach Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens einen nicht mehr heilbaren Verfahrensfehler dar, der der Feststellung eines Dienstvergehens entgegen steht (Beschluss vom 12. April 2006 - BVerwG 2 WDB 3.05 - Buchholz 450.2 § 97 WDO 2002 Nr. 1). Kommt es aber nicht zu einer Verfahrenseinstellung, so schließt die Möglichkeit der Nachholung des Schlussgehörs im Wege des § 99 Abs. 3 WDO allerdings die Annahme eines Verfahrenshindernisses aus. Gleichwohl handelt es sich um einen schweren Mangel des vorgerichtlichen Verfahrens in der Form der Nichtbeachtung einer vom Gesetzgeber als zwingend ausgestalteten Verfahrensvorschrift. Die in § 97 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbs. WDO zwingend vorgesehene Gewährung des Schlussgehörs dient der Sicherstellung eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, in dem der Soldat nicht bloßes Objekt des Verfahrens ist, sondern aktiv eigene Rechte einschließlich desjenigen, weitere Ermittlungen zu beantragen (§ 97 Abs. 3 Satz 2 WDO), geltend machen kann. Die Norm ist deshalb keine bloße Ordnungsvorschrift.
Die Verfahrensgrundrechte des früheren Soldaten reduzieren das dem Vorsitzenden der Truppendienstkammer gemäß § 99 Abs. 3 WDO eingeräumte Ermessen. Dieser hätte von der hiernach bestehenden Möglichkeit der Aufforderung zur Mängelbeseitigung Gebrauch machen müssen, weil die Ladung zum Schlussgehör durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft vom 7. Januar 2009 den Anforderungen des § 97 Abs. 3 WDO nicht genügte.
a. Nimmt der Wehrdisziplinaranwalt nach einer als Schlussanhörung i.S.d. § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO vorgesehenen Vernehmung erneut Ermittlungen auf, so hat er den Soldaten nach dem (endgültigen) Abschluss dieser Ermittlungen erneut - nunmehr abschließend - zu hören (so Beschluss vom 12. April 2006 - BVerwG 2 WDB 3.05 - Buchholz 450.2 § 97 WDO 2002 Nr. 1; ebenso Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 97 Rn. 15): Das ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, der in § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO die Pflicht zur Schlussanhörung zeitlich an den Abschluss der Ermittlungen knüpft. Nur dann ist sichergestellt, dass der Soldat vor der abschließenden Entscheidung der Einleitungsbehörde auch zu allen vorherigen (wesentlichen) Ermittlungshandlungen Stellung nehmen und sein Recht nach § 97 Abs. 3 Satz 2 WDO, weitere Ermittlungen zu beantragen, effektiv ausüben kann. Durch § 97 Abs. 3 WDO soll sichergestellt werden, dass der Soldat unmittelbar vor der abschließenden Ermessensentscheidung der Einleitungsbehörde, die entweder zur Verfahrenseinstellung (§ 98 Abs. 2 WDO) oder zur Anschuldigung (§ 99 Abs. 1 Satz 1 WDO) führt, zu dem ihm bekannt zu gebenden wesentlichen Ermittlungsergebnis abschließend Stellung nehmen und dabei auch alles das vorbringen kann, wozu er bisher wegen der andauernden Ermittlungen noch nichts sagen konnte oder aus taktischen Erwägungen nichts sagen wollte. Damit und mit dem daran anknüpfenden Recht, weitere Ermittlungen beantragen zu dürfen (§ 97 Abs. 3 Satz 2 WDO), soll der Soldat auf die nachfolgende Entscheidung der Einleitungsbehörde effektiv Einfluss nehmen können. Das stellt eine Ausprägung des Grundsatzes dar, dass der Soldat nicht zum bloßen Objekt des gerichtlichen Disziplinarverfahrens gemacht werden darf. Die Möglichkeit der Einflussnahme würde ihm genommen, wenn der Wehrdisziplinaranwalt von einer Schlussanhörung mit der Begründung absehen könnte, die Anschuldigungsschrift folge der geständigen Einlassung des Soldaten im Strafverfahren.
b. Diesen Anforderungen genügte die Ladung vom 7. Januar 2009 zum Schlussgehör am 20. Januar 2009 aus zwei Gründen nicht.
Zum Zeitpunkt des vorgesehenen Schlussgehörs waren die Ermittlungen der Wehrdisziplinaranwaltschaft zum einen noch nicht abgeschlossen. Die Anschuldigungsschrift wurde nämlich erst unter dem 12. Oktober 2009 gezeichnet und ging am 19. Oktober 2009 beim Truppendienstgericht ein. Zwischen Schlussgehör und Einreichung der Anschuldigungsschrift ist das zu den Anschuldigungspunkten 2 und 3 sachgleiche Strafurteil des Amtsgerichts ... vom 26. Mai 2009 ergangen und am 3. Juni 2009 rechtskräftig geworden. Hierzu ist zwischenzeitlich ergänzend ermittelt worden. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat nämlich im März 2009 die Strafakten eingesehen und ausgewertet. Deren Inhalte sind in das wesentliche Ermittlungsergebnis, das Gegenstand des Schlussgehörs sein muss, eingeflossen. Erst nach diesen ergänzenden Ermittlungen ist die Anschuldigungsschrift, die auf die Strafakten Bezug nimmt, erstellt worden.
Zum anderen nahm die Ladung zum Schlussgehör Bezug auf die Einleitungsverfügung vom 23. Oktober 2008, die die Anschuldigungspunkte 3 und 4 noch nicht enthielt. Dass zum Gegenstand des Verfahrens auch weitere Vorwürfe gemacht werden würden, ist dem früheren Soldaten zwar durch seinen Disziplinarvorgesetzten mündlich in Aussicht gestellt worden. Konkretisierungen der Vorwürfe sind aber weder durch den Disziplinarvorgesetzten noch durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft aktenkundig erfolgt. Da die Ladung weitere Vorwürfe gar nicht erwähnte, bestand für den früheren Soldaten auch keine Gelegenheit, sich zu diesen zu äußern.
c. Auch dieser Mangel ist trotz der Beschränkung des Rechtsmittels auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme entscheidungserheblich, weil er die Grundlage der Bemessungsentscheidung erschüttert.
Da der Soldat im Rahmen eines ordnungsgemäßen Schlussgehörs nach § 97 Abs. 3 Satz 2 WDO das Recht hat, weitere Ermittlungen zu beantragen, hat die ordnungsgemäße Gewährung des Schlussgehörs unmittelbar Bedeutung für die Aufklärung der für die Schuldfeststellungen relevanten Tatsachen. Der Soldat kann durch seinen Vortrag im Rahmen des Schlussgehörs Einfluss auf die Entscheidung der Einleitungsbehörde über die Einreichung einer Anschuldigungsschrift und ihren Inhalt nehmen und damit auch auf den rechtlichen Rahmen der Tatsachenfeststellungen des Truppendienstgerichts. Damit wirkt sich der Verfahrensmangel auch auf den Teil der Feststellungen aus, die für den Senat verbindliche Grundlage seiner Bemessungsentscheidung sind. Dies war vorliegend schon deshalb der Fall, weil nicht auszuschließen ist, dass ergänzender Vortrag des früheren Soldaten die Einleitungsbehörde - gegebenenfalls nach weiteren Ermittlungen - zu einer Beschränkung der Vorwürfe veranlasst hätte. Auszuschließen ist dies deshalb nicht, weil bislang unklar geblieben ist, welche Gründe den Soldaten zu dem Fehlverhalten veranlassten, das jedenfalls seinem damaligen Disziplinarvorgesetzten als überraschender Einbruch eines bisher zuverlässigen Leistungsträgers erschien. Gewichtige Milderungsgründe könnten geeignet sein, das gerichtliche Disziplinarverfahren nach § 98 Abs. 2 WDO aus Opportunitätsgründen - ggf. teilweise - einzustellen.
3. Angesichts dieser schwerwiegenden Mängel macht der Senat von der Möglichkeit nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO Gebrauch, die Sache unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd zurückzuverweisen. Für eine Zurückverweisung an ein anderes Truppendienstgericht besteht keine Veranlassung.
Allerdings steht die Entscheidung darüber, ob der Senat bei Vorliegen eines Aufklärungsmangels oder eines schweren Verfahrensmangels ungeachtet dessen in der Sache selbst entscheidet oder ob er das Urteil der Truppendienstkammer aufhebt und die Sache an eine andere Kammer desselben Truppendienstgerichts oder eines anderen Truppendienstgerichts zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverweist, nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO in seinem Ermessen. Bei der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens kommt dem Normzweck regelmäßig eine entscheidende Bedeutung zu.
Das Beschleunigungsgebot (§ 17 Abs. 1 WDO) steht einer Zurückverweisung hier schon deshalb nicht entgegen, weil diese zur Sicherstellung des Anspruchs auf ein faires rechtsstaatliches Disziplinarverfahren (speziell zum gerichtlichen Wehrdisziplinarverfahren BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Juni 2000 - 2 BvR 993/94 - ZBR 2001, 208) unvermeidbar ist und sich vor allem die Verfahrensbeteiligten, deren Interessen das Beschleunigungsgebot dient, für eine Zurückverweisung ausgesprochen haben.
Für eine Zurückverweisung spricht bereits, dass der Senat selbst keine Möglichkeit hat, auf die Nachholung des unterbliebenen Schlussgehörs hinzuwirken. Da eine Mängelbeseitigung von Gesetzes wegen nur im ersten Rechtszug vorgesehen ist, ist die Sache zurückzuverweisen, damit der Vorsitzende der nun zuständigen Truppendienstkammer gemäß § 99 Abs. 3 WDO verfährt (vgl. Urteil vom 8. Dezember 2010 - a.a.O. Rn. 22).
Vor allem aber litt das Verfahren vor der Truppendienstkammer an einem gravierenden strukturellen Defizit, weil dem beschuldigten Soldaten durch die Verletzung von § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO die Möglichkeit sachgerechter Verteidigung genommen war (vgl. Urteil vom 7. November 2007 - a.a.O - BVerwGE 130, 12 <19> Rn. 27 f.). Wie bereits dargelegt, haben sowohl die verfahrensfehlerhaft unterbliebene Pflichtverteidigerbestellung als auch die Nichtgewährung eines ordnungsgemäßen Schlussgehörs unmittelbar Auswirkungen auf die Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts. Solcherart zustande gekommene Feststellungen können nicht Grundlage einer Bemessungsentscheidung des Senats sein. Vor diesem Hintergrund ist der nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO bestehende Ermessensspielraum des Senats auch dadurch eingeschränkt, dass aufgrund der Berufungsbeschränkung die für eine sachgerechte Entscheidung über das Rechtsmittel erforderlichen tatsächlichen Feststellungen vom Senat nicht getroffen werden konnten.