Entscheidungsdatum: 19.10.2018
1. Der frühere Soldat wendet sich mit seiner fristgerecht eingelegten Berufung gegen das Urteil der 4. Kammer des Truppendienstgerichts ... vom 12. März 2018. Mit ihm wurde er aufgrund der im Juli 2016 vorgelegten Anschuldigungsschrift wegen eines Dienstvergehens im Jahre 2015 in den Dienstgrad eines Oberstabsarztes a.D. herabgesetzt. Zur Begründung der Berufung führt der frühere Soldat unter anderem aus, das Verfahren leide an einem schweren Verfahrensmangel, weil er Angehöriger der Teilstreitkraft Luftwaffe gewesen sei, an der Entscheidungsfindung jedoch ehrenamtliche Richter der Teilstreitkraft Heer mitgewirkt hätten.
An der mündlichen Verhandlung und dem Urteil des Truppendienstgerichts vom 12. März 2018 nahmen als ehrenamtliche Richter Oberst ... sowie Oberstleutnant ... teil. Beide ehrenamtliche Richter gehören der Teilstreitkraft Heer an. Der frühere Soldat gehörte vom Januar 1999 bis zu seinem Dienstzeitende am 30. April ... der Teilstreitkraft Luftwaffe an.
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat erklärt, dass er einer Zurückverweisung nicht entgegentrete; desgleichen hat sich der frühere Soldat eingelassen.
Die zulässige Berufung führt gem. § 120 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 WDO zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts ... zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung, weil ein schwerer Mangel des Verfahrens vorliegt.
1. Die Truppendienstkammer ist in ihrer Hauptverhandlung am 12. März 2018 unrichtig besetzt gewesen.
Nach § 75 Abs. 3 Satz 1 WDO sollen in Verfahren vor der Truppendienstkammer die ehrenamtlichen Richter der Teilstreitkraft des Soldaten angehören. Das Truppendienstgericht hat dagegen verstoßen, indem es ehrenamtliche Richter an der Entscheidung hat mitwirken lassen, die nicht der Teilstreitkraft des früheren Soldaten angehört haben.
Bereits im Zusammenhang mit § 75 Abs. 3 Satz 3 WDO hat der Senat festgestellt, dass diese Besetzungsregelung trotz der im Gesetzeswortlaut gewählten Formulierung ("soll") nicht als bloße Ordnungsvorschrift zu verstehen ist, deren Verletzung grundsätzlich ohne Folgen für den Bestand der Entscheidung bliebe. In Anbetracht des Verfassungsgebots des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei sie vielmehr zwingendes Recht und im Berufungsverfahren von Amts wegen zu prüfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 2006 - 2 WD 25.05 - Buchholz 11 Art. 101 GG Nr. 22 Rn. 7). Da keine Gründe vorliegen, die bei § 75 Abs. 3 Satz 1 WDO zu einer anderen rechtlichen Würdigung führen, gilt für ihn Entsprechendes (BVerwG, Urteil vom 4. September 2009 - 2 WD 17.08 - BVerwGE 134, 379 Rn. 14).
2. Der frühere Soldat ist auch berechtigt, die unrichtige Besetzung zu rügen. Zwar ist nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO die Rügepräklusion der §§ 222a, 222b StPO entsprechend anwendbar (Dau/Schütz, WDO, Kommentar, 7. Aufl. 2017, § 91 Rn. 12); allerdings hat der Vorsitzende die Besetzung des Gerichts nicht - wie von § 222a Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO gefordert - in ausreichender Form dem Verteidiger des früheren Soldaten mitgeteilt. Der Aushang der Gerichtsbesetzung vor dem Sitzungssaal genügt nicht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1979 - 4 StR 632/79 - BGHSt 29, 162). Daher ist der Soldat mit der Geltendmachung der Rüge auch nicht nach § 222b Abs. 1 StPO ausgeschlossen.
3. Der Verfahrensmangel ist auch ein schwerer im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2, Alt. 2 WDO. Denn er besteht in einer Verletzung der den gesetzlichen Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG konkretisierenden Regelung nach § 75 Abs. 3 Satz 1 WDO.
Einem Soldaten steht nach der Wehrdisziplinarordnung das Recht zu, dass seine Sache in zwei ordnungsgemäß besetzten Instanzen verhandelt und entschieden wird (BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 2006 - 2 WD 25.05 - Buchholz 11 Art. 101 GG Nr. 22 Rn. 13). Ein schwerer Verfahrensmangel ist jedoch nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung zu sehen. Ein Verfassungsverstoß liegt erst dann vor, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (BVerwG, Beschluss vom 19. März 2013 - 2 WD 13.12 - Rn. 17 f.). Die Handhabung des § 75 Abs. 3 Satz 1 WDO ist vorliegend deshalb offensichtlich unhaltbar, weil beide ehrenamtlichen Richter nicht der Teilstreitkraft angehörten, der der frühere Soldat bis zu seiner Zurruhesetzung angehört hat.
4. Der Senat übt das ihm nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO zustehende Ermessen zugunsten einer Zurückverweisung aus.
a) Abzuwägen ist auf der einen Seite die Wahrung der Rechtsverpflichtung, dass über Rechtsstreitigkeiten der gesetzlich dafür bestimmte Richter entscheidet. Sie unterliegt schon wegen ihres verfassungsrechtlichen Hintergrundes im gerichtlichen Disziplinarverfahren keiner Disposition der Verfahrensbeteiligten und hat hohes Gewicht. Auf der anderen Seite ist die Dauer des disziplinargerichtlichen Verfahrens auch bei einem Verstoß gegen gerichtliche Zuständigkeitsregelungen grundsätzlich geeignet, die gerichtliche Abwägungsentscheidung dahingehend zu beeinflussen, von einer Zurückverweisung abzusehen. Das Beschleunigungsgebot ist nicht nur in § 17 Abs. 1 WDO einfachgesetzlich verankert. Der Gesetzgeber hat dort sowohl dem Interesse des Dienstherrn an einer möglichst zeitnahen und damit wirkungsvollen disziplinarischen Ahndung von Dienstvergehen als auch dem Interesse des Soldaten an einer zügigen und ihn somit möglichst schonenden Klärung der gegen ihn erhobenen Anschuldigung Rechnung getragen und damit das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG und aus dem objektiv-rechtlichen Rechtsstaatsgebot konkretisiert. Auch dieser abwägungsrelevante Aspekt ist damit verfassungsrechtlich verankert und von hoher Bedeutung (BVerwG, Beschluss vom 19. März 2013 - 2 WD 13.12 - juris Rn. 25).
b) Im konkreten Fall gibt der Senat dem Interesse an einem ordnungsgemäßen Verfahren Vorrang vor dem Beschleunigungsgebot.
Jedenfalls dann, wenn der betroffene Soldat - wie vorliegend - unbeschränkt Berufung eingelegt hat, hat der Senat das in unrichtiger Besetzung gefällte Urteil regelmäßig aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 2006 - 2 WD 25.05 - Buchholz 11 Art. 101 GG Nr. 22 Rn. 15). Denn zum einen bestimmt der Umstand, dass der Senat bei einer uneingeschränkt eingelegten Berufung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen hat, dessen Ermessensausübung nicht dahingehend, von einer Zurückverweisung regelmäßig abzusehen. Dies widerspricht der in § 120 Abs. 1, § 121 Abs. 2 WDO zum Ausdruck kommenden legislativen Wertung, dass das erstinstanzliche Verfahren im Rechtsmittelverfahren auch auf Verfahrensfehler zu überprüfen ist und diese von solchem Gewicht sein können, dass eine Zurückverweisung angezeigt ist (BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 2013 - 2 WD 34.12 - juris Rn. 15). Zum anderen hat der Berufungsführer mit der unbeschränkt eingelegten Berufung - und so auch hier - zum Ausdruck gebracht, dass er die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die rechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts und die Grundlagen der Zumessungsentscheidungen für fehlerhaft hält. In diesen Fällen ist die Möglichkeit jedenfalls nicht auszuschließen, dass die unrichtige Besetzung der Truppendienstkammer zu den - nach Meinung des Berufungsführers - unrichtigen Entscheidungsgrundlagen geführt hat (BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 2006 - 2 WD 25.05 - Buchholz 11 Art. 101 GG Nr. 22 Rn. 15 m.w.N.).
Ermessensleitend ist zudem neben der konkret im Raum stehenden Disziplinarmaßnahme das Gewicht des Gesetzesverstoßes, wie es sich nicht abstrakt, sondern konkret darstellt, einzustellen. Dabei kommt der Stellungnahme der Beteiligten eine indizielle Bedeutung für die Einschätzung der mit einer Zurückverweisung für sie verbundenen Nachteile zu (BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 - 2 WD 23.12 - juris Rn. 36). Für die Zurückverweisung spricht damit auch, dass mit der Herabsetzung im Dienstgrad die zweitschwerste Disziplinarmaßnahme im Raum steht und der angeschuldigte Gesetzesverstoß im konkreten Fall gravierend ist. Zudem hat der Bundeswehrdisziplinaranwalt sich nicht gegen eine Zurückverweisung ausgesprochen; auch der frühere Soldat hat sich dahingehend eingelassen, einer Zurückverweisung nicht entgegen zu treten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. August 2015 - 2 WD 9.15 - juris Rn. 17).
Die Verlängerung der Verfahrensdauer wirkt sich für den früheren Soldaten in seinem beruflichen Fortkommen auch nicht mehr nachteilig aus, weil er sich nicht mehr im Dienst befindet; auch finanziell ist sie für ihn nicht von Nachteil, weil sich seine Versorgungsbezüge jedenfalls bis zur rechtskräftigen Entscheidung weiterhin nach dem aktuellen Dienstgrad richten.
Das Truppendienstgericht ist zudem gehalten, die zurückverwiesene Sache vordringlich zum Abschluss zu bringen und sie nicht wie einen Neueingang zu behandeln, dessen Bearbeitung zugunsten anderer jüngerer Fälle über einen längeren Zeitraum zurückgestellt werden dürfte (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2017 - 2 WD 1.17 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 55 Rn. 95, sowie Beschluss vom 28. August 2015 - 2 WD 10.15 - Buchholz 450.2 § 91 WDO 2002 Nr. 7 Rn. 18).
5. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die Erstattung der dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen bleibt der endgültigen Entscheidung in dieser Sache vorbehalten (§ 141 Abs. 1 und 2 WDO), wobei das Truppendienstgericht dem Obsiegen des früheren Soldaten im Rechtsmittelverfahren Rechnung zu tragen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 2013 - 2 WD 34.12 - juris Rn. 19).