Entscheidungsdatum: 07.11.2016
Der nachgeburtliche Mutterschutz einer Richterin führt zu einem Dienstleistungsverbot, das ihrer Mitwirkung in der Hauptverhandlung entgegensteht. Deren Fortsetzung ohne Beachtung der Mutterschutzfrist führt zur gesetzwidrigen Besetzung des erkennenden Gerichts.
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 11. April 2014, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs in 16 Fällen, Betrugs in zwei Fällen und Beihilfe zum Betrug in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Den Angeklagten M. hat es wegen Betrugs in fünf Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen die Angeklagte K. hat es wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs in sieben Fällen sowie Betrugs unter Einbeziehung einer früheren Freiheitsstrafe aus einem Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 9. Januar 2013 eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verhängt. Außerdem hat es Entscheidungen nach § 111i StPO getroffen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten, die mit einer Verfahrensrüge Erfolg haben.
I.
Die Beschwerdeführer machen eine Verletzung von § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Verbindung mit § 2 HRiG, § 95 Nr. 1 HBG, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HMuSchEltZVO als Rechtsfehler bei der Besetzung des Gerichts geltend (§ 338 Nr. 1 StPO). Dem liegt Folgendes zu Grunde:
Die von der Strafkammer durchgeführte Hauptverhandlung begann am 24. August 2012 und endete am 11. April 2014. Die Strafkammer war mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt. Ein Ergänzungsrichter wurde nicht hinzugezogen. An der Hauptverhandlung und am Urteil wirkte eine Richterin als Berichterstatterin mit, die im Lauf der Hauptverhandlung schwanger wurde und dies im Hauptverhandlungstermin vom 20. Dezember 2013 erkennbar noch war.
Die Hauptverhandlung wurde am 20. Dezember 2013 bis zum 3. Januar 2014 unterbrochen. Im Fortsetzungstermin am 3. Januar 2014 war zu erkennen, dass die Richterin nicht mehr schwanger war, also entbunden hatte. Die Hauptverhandlung wurde an diesem Tag mit der Verkündung von Beschlüssen über die Zurückweisung von Beweisanträgen fortgesetzt; danach wurde die Verhandlung bis zum 31. Januar 2014 unterbrochen. Fragen der Verteidiger danach, ob und wann die Richterin entbunden habe, wurden in der Folgezeit weder von der Strafkammer noch vom Präsidenten des Landgerichts oder vom Justizministerium beantwortet.
Die Verteidiger erhoben in der Hauptverhandlung vom 31. Januar 2014 einen Besetzungseinwand, weil am 3. Januar 2014 eine Richterin mitgewirkt habe, die kraft Gesetzes hiervon ausgeschlossen gewesen sei. Die Strafkammer wies diesen Einwand durch Beschluss vom 20. Februar 2014 zurück. Sie erklärte, die Besetzung des Gerichts sei ordnungsgemäß. Dazu werde auf den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts und die Mitwirkungsgrundsätze der Strafkammer verwiesen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 6 Abs. 1 MuSchG in Verbindung mit § 2 HRiG, § 95 Nr. 1 HBG und § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HMuSchEltZVO. Hierbei handele es sich nicht um eine Regelung über die Besetzung des Gerichts. Einer Richterin stehe aufgrund ihrer sachlichen Unabhängigkeit die Ausübung des Richteramts auch in der Zeit des Mutterschutzes frei. Ihr könne ein überobligationsmäßiger Einsatz nicht untersagt werden. Die Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG würde dazu führen, dass eine bereits begonnene Hauptverhandlung auszusetzen sei; dies sei mit dem Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbaren und liege nicht im Interesse der Angeklagten. Der Rechtskreis des Angeklagten sei vom Schutzzweck des § 6 Abs. 1 MuSchG nicht berührt.
II.
Die Revisionen haben Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen sind zulässig.
Auf einen Besetzungseinwand im Sinne von § 222b StPO als Rügevoraussetzung (§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2 StPO) kommt es nicht an. Nach dieser Vorschrift kann ein Besetzungseinwand zwar nur bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung geltend gemacht werden. Tritt ein Fehler in der Besetzung des Gerichts aber erst später ein, gilt diese Regelung nicht.
2. Die Verfahrensrügen sind auch begründet. Die Strafkammer war jedenfalls in der Sitzung vom 3. Januar 2014 nicht gesetzeskonform besetzt.
a) Der Senat hat keinen Anlass, im Freibeweisverfahren weitere Maßnahmen zur Aufklärung des prozessualen Sachverhalts zu ergreifen. Der Senat ist davon überzeugt, dass die schwanger gewordene Richterin in der Zeit zwischen dem 20. Dezember 2013 und dem 3. Januar 2014 entbunden und ein lebendes Kind zur Welt gebracht hat. Dies folgt schon aus dem entsprechenden Revisionsvorbringen, das weder von der Staatsanwaltschaft in einer Revisionsgegenerklärung noch von den Berufsrichtern der Strafkammer in ihren dienstlichen Erklärungen, die in einem gegen sie gerichteten Ablehnungsverfahren abgegeben wurden, oder in der Begründung des Beschlusses der Strafkammer vom 20. Februar 2014 in Abrede gestellt wurde.
b) Die Strafkammer hat den auch ihrem Beschluss vom 20. Februar 2014 zu Grunde gelegten Sachverhalt rechtsfehlerhaft bewertet. Sie war jedenfalls am 3. Januar 2014 falsch besetzt, weil die Berichterstatterin infolge des absoluten Dienstleistungsverbots aus § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Verbindung mit § 2 HRiG, § 95 Nr. 1 HBG und § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HMuSchEltZVO an der Mitwirkung in der Hauptverhandlung verhindert war.
aa) Es stand nicht im Belieben der von dem Dienstleistungsverbot betroffenen Richterin, ob sie in der Mutterschutzfrist an der Hauptverhandlung teilnehmen oder den Mutterschutz in Anspruch nehmen wollte. Auch der Spruchkörper konnte darüber nicht disponieren.
Das absolute Dienstleistungsverbot gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Verbindung mit § 2 HRiG, § 95 Nr. 1 HBG und § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HMuSchEltZVO ist zwingendes Recht (vgl. BAG, Urteil vom 28. August 1960 – 1 AZR 202/59, BAGE 10, 7 ff.; LG Bremen, Beschluss vom 28. April 2010 – 22 Ks 210 Js 2251/09 in juris; Ambs in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 207. Lfg., MuSchG Vorbem. Rn. 1; Buchner/Becker, Mutterschutz und Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, 8. Aufl., § 6 MuSchG Rn. 12; BeckOK-ArbR/Schrader, 40. Ed., MuSchG § 6 Rn. 1, 7). Es steht weder zur Disposition des Dienstherrn noch konnte die Richterin darauf verzichten. Dem steht nicht entgegen, dass es der dienstleistenden Richterin anheim gegeben ist, ihrem Dienstherrn die Tatsachen der Schwangerschaft sowie der Entbindung bekannt zu geben. Die Schutzwirkung des § 6 MuSchG und das daraus folgende Beschäftigungsverbot setzen nicht eine Mitteilung der Mutter, sondern allein Kenntnis des Arbeitgebers beziehungsweise Dienstherrn voraus; ihm ist eine Beschäftigung der Mutter auch dann untersagt, wenn diese einer Dienstleistung zustimmt oder sie gar verlangt.
Die beisitzende Richterin durfte sich danach nicht freiwillig zur Dienstleistung in der Hauptverhandlung bereit erklären. Das Gesetz will durch die zwingende Anordnung eines Dienstleistungsverbots einen Entscheidungsdruck von der Mutter nehmen, ob sie freiwillig überobligatorischen Einsatz zeigen oder den gesetzlichen Mutterschutz in Anspruch nehmen will. Der nachgeburtliche Mutterschutz kommt deshalb in seinen Auswirkungen auf die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung einer Verhinderung wegen Dienstunfähigkeit gleich (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16. Februar 2016 – III-3 RBs 385/15). Kann der Verhinderungsfall nicht durch Unterbrechung der Hauptverhandlung oder Eintritt eines Ergänzungsfalls überbrückt werden, ist das Gericht in der strafprozessualen Hauptverhandlung, für die – anders als in anderen Prozessordnungen – das Gebot der Kontinuität des Quorums und Anwesenheit der für das Urteil zuständigen Richter gemäß § 226 StPO gilt, nicht vorschriftsgemäß besetzt (vgl. SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 192 GVG Rn. 10).
Konnte die Hauptverhandlung nicht im Rahmen der gesetzlichen Unterbrechungsfristen gemäß § 229 StPO mit der Richterin fortgesetzt werden und wurde eine die Mutterschutzfrist beachtende Unterbrechung nicht angeordnet, war von einer Verhinderung der Richterin an der weiteren Mitwirkung in der Hauptverhandlung auszugehen. Da diese Folge auf einer gesetzlichen Regelung beruht, wurde zugleich in den Schutzbereich des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG eingegriffen (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2016 – 3 StR 544/15, NStZ 2016, 557 mit Anm. Ventzke; Norouzi in Festschrift für von Heintschel-Heinegg, 2015, S. 349, 352 f.).
bb) Hiervon wurden die Angeklagten in ihrem Rechtskreis betroffen. Der Schutzzweck des Mutterschutzgesetzes, der die Gesundheit von Mutter und Kind im Auge hat, ändert nichts an diesen prozessualen Folgen des Dienstleistungsverbots. Ebenso wenig kann aus der Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in welcher Frauen heute häufiger als zum Zeitpunkt des Gesetzes-Erlasses Tätigkeiten nachgehen, die eine Gesundheitsgefährdung von Mutter und Kind nicht (mehr) ohne weiteres besorgen lassen, eine Einschränkung des zwingenden Gesetzesbefehls hergeleitet werden. Dasselbe gilt für den Umstand, dass bei freiberuflich tätigen Frauen – also etwa auch bei Rechtsanwältinnen in demselben Strafverfahren – die Vorschriften des MuSchG gar nicht anwendbar sind, eine mögliche Schutzfrist hier also allein im Belieben der Betroffenen steht.
Nach dem Gesetzlichkeitsprinzip aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf es, soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 MuSchG gegeben sind, angesichts der zwingenden gesetzlichen Regelung nicht vom Willen der Richterin abhängig sein, ob sie weiter an der Hauptverhandlung mitwirkt oder das Dienstleistungsverbot befolgt. Andernfalls wäre auch in einer Hauptverhandlung, in der ein Ergänzungsrichter im Sinne von § 192 Abs. 2 GVG zur Verfügung steht, dessen Eintritt in das Quorum vom willkürlichen Bejahen oder Fehlen der Bereitschaft der Richterin zum überobligationsmäßigen Einsatz abhängig. Das wäre mit dem Gebot der Bestimmtheit der gesetzlichen Mitwirkungszuständigkeit gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.
cc) Aus der sachlichen Unabhängigkeit der Richterin gemäß Art. 97 Abs. 1 GG ergibt sich nichts anderes. Die Schutzbereiche des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und des Art. 97 Abs. 1 GG sind voneinander zu unterscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2012 – 2 BvR 610, 625/12, NJW 2012, 2334, 2335). Kein Richter hat aufgrund von Art. 97 Abs. 1 GG einen Anspruch darauf, an einer Sachentscheidung durch Strafurteil mitzuwirken, wenn er – obwohl durch gesetzliche Vorausbestimmung zur Mitwirkung berufen – durch zwingende gesetzliche Vorschriften an der Mitwirkung verhindert ist. Durch Art. 97 Abs. 1 GG wird allein die sachliche Unabhängigkeit des Richters im Fall der Begründung seiner Entscheidungszuständigkeit gewährleistet, nicht aber eine Unabhängigkeit dahin, über die Entscheidungszuständigkeit selbst zu disponieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, 1849, 2808/11, BVerfGE 139, 145, 174).
dd) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht auch der Möglichkeit entgegen, die Besetzungsfrage im Rahmen einer Interessenabwägung von den Umständen des Einzelfalls, etwa dem Umfang und der Eilbedürftigkeit der Sache abhängig zu machen. Andernfalls wäre eine „bewegliche“ Mitwirkungszuständigkeit ohne nachprüfbare normative Kriterien für die Entscheidung im Einzelfall eröffnet. Der Strafkammer stand hinsichtlich der auch von Amts wegen durchzuführenden Prüfung der Richtigkeit der Besetzung wegen des absoluten Dienstleistungsverbots für die Berichterstatterin, das im Gegensatz zu Fällen eines relativen Dienstleistungshindernisses vor der Geburt nach § 3 MuSchG auch nicht von einer medizinischen Prognose abhängig war, insoweit kein Ermessen zu.
Da das Dienstleistungsverbot nach § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Verbindung mit § 2 HRiG, § 95 Nr. 1 HBG und § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HMuSchEltZVO nach der Entbindung unmittelbar kraft Gesetzes entsteht und es einer Umsetzung durch eine gerichtliche Entscheidung nicht bedarf, kommt es auf den für Gerichtsentscheidungen über Mitwirkungszuständigkeiten geltenden Willkürmaßstab aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht an (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Mai 1986 – 2 StR 854/84, StV 1986, 369, 370).
c) Das Urteil beruht nach der gesetzlichen Vermutung aus § 338 Nr. 1 Halbsatz 1 StPO auf dem Besetzungsfehler.
3. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, gemäß § 354 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 StPO die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen.
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