Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 24.07.2012


BGH 24.07.2012 - 2 StR 82/12

Schuldunfähigkeit zum Zeitpunkt eines Tötungsdelikts: Indizwert des äußeren Verhaltens bei hirnorganischem Psychosyndrom


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
24.07.2012
Aktenzeichen:
2 StR 82/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Mühlhausen, 10. November 2011, Az: 142 Js 45257/11 - 1 Ks
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Mühlhausen vom 10. November 2011 aufgehoben. Die Feststellungen zum äußeren Tathergang bleiben aufrechterhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechts-mittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Seine Revision führt mit der Sachrüge zur weitgehenden Aufhebung.

2

1. Die Erwägungen, aus denen das Landgericht einen Zustand der Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tötung seiner Lebensgefährtin ausgeschlossen hat, sind unzureichend. Auf UA. S. 6 hat es zunächst festgestellt, die Einsichts-Fähigkeit des Angeklagten sei erheblich vermindert gewesen. Dies wird im weiteren Verlauf der Urteilsgründe dahin korrigiert, dass durch das vorhandene hirnorganische Psychosyndrom in Verbindung mit der Alkoholisierung zur Tatzeit die Steuerungs-Fähigkeit des Angeklagten erheblich eingeschränkt gewesen sei, da er in einem Zustand der Bewusstseinseinengung durch einen schwerwiegenden Affekt "quasi haften geblieben" sei. Zum Ausschluss einer vollständigen Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ist nur ausgeführt: "Dies sei nach Erläuterung des Sachverständigen unschwer daran zu erkennen, dass das Handeln des Angeklagten - vom Holen und Laden der Waffe, dem Hinaufgehen in den ersten Stock bis hin zum Entladen und wieder Wegschließen der Waffe - nur aus gesteuertem Verhalten heraus zu erklären ist" (UA S. 21). Diese Ausführung legt nahe, dass das Landgericht sich ohne eigene Beurteilung einer Ansicht des Sachverständigen angeschlossen hat, die ihrerseits auf einer unzutreffenden und eingeengten Vorstellung vom Inhalt des Begriffs der Steuerungsunfähigkeit beruht.

3

Die Fähigkeit, sich entsprechend der vorhandenen Einsicht in das Unrecht des Tuns zu verhalten (§ 20 StGB), ist auf die Tathandlung bezogen zu prüfen. Äußeres Verhalten, insbesondere auch der Ablauf von Tatvorbereitung, Tatausführung und Nachtatverhalten, kann zwar indiziell für die innere Fähigkeit des Täters sein, den Tatimpuls mit anderen Gesichtspunkten abzuwägen und sich ihm zu widersetzen. Gerade in Fällen wie dem vorliegenden drängt sich eine solche Indizwirkung aber nicht auf und wäre jedenfalls vom Tatrichter im Einzelnen darzulegen. Denn für das spezifische Zustandsbild eines hirnorganischen Psychosyndroms mit abnormer Reaktion schon auf geringe Mengen von Alkohol, einem charakteristischen "Haften am Affekt" und anschließender Amnesie ist der Umstand, dass der Täter äußerlich ruhig und zielstrebig vorgeht, allenfalls von geringem Indizwert für das tatsächlich gegebene Bild des inneren Hemmungsvermögens. Dass der Angeklagte "gesteuert" seinen Revolver geholt und geladen, das Tatopfer ohne erkennbare emotionale Regung zunächst angeschossen und dann mit einem - von ihm als "Fangschuss" bezeichneten - zweiten Schuss vor zwei Zeugen erschossen und die Waffe danach sorgfältig wieder verwahrt hat, hat in seinem äußeren Ablauf, gerade auch aufgrund dieser sehr ungewöhnlichen Umstände, keinen ohne weiteres erkennbaren Erklärungswert für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Die Sache bedarf daher erneuter und weitergehender Aufklärung.

4

2. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Maßregelanordnung gemäß § 63 StGB abgelehnt hat, rechtlicher Überprüfung nicht standhalten. Die Feststellung, von dem Angeklagten gehe keine Gefahr zukünftiger erheblicher rechtswidriger Taten aus, weil es sich um eine "Beziehungstat" gehandelt und der Angeklagte inzwischen "gelernt" habe, alkoholabstinent zu leben, ist mit sonstigen Feststellungen des Urteils nicht zu vereinbaren.

5

Dass die Gewalttätigkeit des Angeklagten sich gegen Personen seines engen sozialen Nahraums richtet, ist gerade ein Spezifikum seines Zustands und schließt seine Gefährlichkeit nicht aus. In der Vergangenheit ist es vielfach zu Gewalttätigkeiten und Bedrohungen bis hin zu Todesdrohungen gekommen. Im Hinblick auf den allgemeinen Zustand des Angeklagten, von dessen unangenehmen Auswirkungen auch Dritte betroffen waren, erscheint es jedenfalls nicht ohne nähere Erläuterung gerechtfertigt, die Tat unter dem Etikett der "Beziehungstat" als einmaliges Ereignis zu behandeln. Schließlich fehlt auch ein Anhaltspunkt dafür, dass der Angeklagte "Alkoholabstinenz gelernt" habe. Er kennt seine regelmäßig nach Alkoholgenuss auftretenden Gewalttätigkeiten und Absenzen seit Jahrzehnten, hat aber trotz vielfacher Mahnungen und Hinweise den Alkoholkonsum nicht eingestellt.

6

Auch über die Anordnung der Maßregel wird der neue Tatrichter daher gegebenenfalls auf breiterer Grundlage neu zu entscheiden haben.

Becker                        Fischer                                Schmitt

                Berger                         Eschelbach