Entscheidungsdatum: 20.08.2014
Die Revisionen der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Marburg vom 26. August 2013 werden verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und ausgesprochen, dass er ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro nebst Zinsen an die Nebenkläger als Gesamtgläubiger zu zahlen habe. Hiergegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Nebenkläger, die den Adhäsionsausspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen haben. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schuldete der Angeklagte dem später getöteten P. S. einen Geldbetrag, vertröstete diesen aber wiederholt. Am 19. März 2013 hielt sich der Angeklagte bei Freunden auf und trank Bier und Jägermeister. Der nicht anwesende S. teilte dem Angeklagten über eine Internetplattform mit, dass er mit dessen Freundin geschlafen habe, was zu wechselseitigen Beleidigungen führte. Die Kommunikation im Internet mündete in der Abrede, "dass ein Faustkampf Mann gegen Mann um 22.10 Uhr am Spielplatz in N. stattfinden sollte". Kurz vor dem Aufbruch zum "Duell" schrieb der Angeklagte seiner Freundin eine Kurznachricht, in der er ihr mitteilte: "... Ich schlag den tot Sie antwortete, "dass er es lassen soll und sie nicht mit P. S. geschlafen habe". Er erwiderte: "Egal, ich geh jetzt zu dem…“
Gemeinsame Bekannte wollten als Zuschauer dem Geschehen beiwohnen, bei dem es sich aus ihrer Sicht um einen Kampf ohne Waffen handeln sollte. P. S. war größer als der Angeklagte und trainierte "Muay-Thai-Boxen". Der Angeklagte hatte Angst vor seinem Gegner, was aber seinen Entschluss zum Kampf nicht hinderte. Beim Verlassen der Wohnung steckte er ein Klappmesser mit einhändig feststellbarer Klinge ein. Einer seiner Freunde beobachtete dies und forderte ihn auf, das Messer zurückzulassen, kümmerte sich im Folgenden aber nicht mehr darum. Als der Angeklagte gegen 22.07 Uhr am Spielplatz eintraf, wollte er sich auch mit einem Plastikrohr bewaffnen, was ihm von einem Begleiter mit der Bemerkung, es solle ein fairer Kampf stattfinden, verwehrt wurde.
Während des nun folgenden Kampfgeschehens versetzte S. zuerst dem Angeklagten Faustschläge ins Gesicht und einen Tritt gegen den Oberkörper. "Der Angeklagte wehrte sich, indem er mit gleichsam rudernden Fäusten auf P. S. losging". Dabei hielt er das Messer in seiner Hand, jedoch so, dass nur drei bis vier Zentimeter der Klinge herausragten. Seine Schlagbewegungen wurden von dem Geschädigten pariert, der sich dabei - von ihm selbst unbemerkt - leichte Schnittverletzungen am Unterarm zuzog.
Aufgrund der Kampfhandlungen fiel der Angeklagte rückwärts zu Boden, worauf der Geschädigte einige Schritte zurücktrat und die Reaktion des Angeklagten abwartete. Dieser war erregt und wütend. Aufgrund einer Persönlichkeitsstörung und leichter Alkoholisierung sowie Drogeneinwirkung stand er unter besonderer Anspannung. Er sprang sofort wieder auf und ging zum Angriff über. Dabei holte er seitlich aus und führte das Messer in der rechten Hand. Er wollte sich für den raschen Niederschlag rächen und den Platz nicht als Verlierer verlassen. Mit einer sichelförmigen Bewegung stach er dem Geschädigten in den Bauch und sofort anschließend in die linke Seite des Brustkorbs. Dabei traf er die Herzkammer, was alsbald zum Tode führte. Dem Angeklagten war bei Ausführung der Stiche bewusst, dass er seinen Gegner tödlich treffen konnte, womit er sich aber abfand.
2. Das Landgericht hat die Handlung nur als Totschlag und nicht als Mord im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB bewertet.
Heimtücke sei nicht anzunehmen. Zwar sei der Getötete, der nur mit einem Faustkampf gerechnet habe, zurzeit der Stiche arg- und wehrlos gewesen. Aufgrund starker Wut- und Rachegefühle, seiner Persönlichkeitsstörung sowie seiner Alkoholisierung habe der Angeklagte aber nicht mit dem Bewusstsein der Ausnutzung der Arglosigkeit des Opfers gehandelt.
Im Übrigen sei bereits objektiv nicht notwendig von einem Handeln des Angeklagten aus niedrigen Beweggründen auszugehen; jedenfalls habe ihm zur Tatzeit die Fähigkeit der Beherrschung solcher Beweggründe gefehlt.
II.
Die Revisionen der Nebenkläger, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes erstreben, sind unbegründet.
1. Die Verneinung von Heimtücke ist rechtsfehlerfrei.
a) Dabei kann offen bleiben, ob das Landgericht den objektiven Tatbestand des Mordmerkmals der Heimtücke zu Recht bejaht hat.
Heimtücke ist gegeben, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Ausführung des tödlichen Angriffs ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 29. April 2014 - 3 StR 21/14 mwN). Hat das Opfer in der Tatsituation mit ernsthaften Angriffen auf seine körperliche Unversehrtheit gerechnet, scheidet Arglosigkeit im Allgemeinen aus (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2002 - 5 StR 5/02, NStZ-RR 2002, 233, 234). Ob die Arglosigkeit auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Kontrahenten ausdrücklich oder zumindest konkludent einen Faustkampf ohne Waffen verabredet haben, aber der Täter abredewidrig und überraschend mit Tötungsvorsatz eine Waffe einsetzt (vgl. Hofmann NStZ 2011, 66 f.; NK/Neumann, StGB, 4. Aufl., § 211 Rn. 60; Matt/Renzikowski/Safferling, StGB, 2013, § 211 Rn. 42), muss der Senat nicht entscheiden, weil das Landgericht jedenfalls ohne Rechtsfehler das Bewusstsein des Angeklagten zur Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten gegenüber dem auf sein Leben zielenden Angriff ausgeschlossen hat.
b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist nämlich auch, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1957 - GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 144; Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Er muss die Lage nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst haben und ihm muss bewusst gewesen sein, einen durch Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. Senat, Urteil vom 29. April 2009 - 2 StR 470/08, NStZ 2009, 569, 570); das kann allerdings "mit einem Blick" geschehen (BGH, Urteil vom 8. Oktober 1969 - 3 StR 90/69, BGHSt 23, 119, 121).
Dabei kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte. Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 117/14); dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233 mwN). Insoweit können auch psychische Ausnahmezustände unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der Annahme des Ausnutzungsbewusstseins entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2014 - 3 StR 154/14 mwN).
Das Landgericht ist hinsichtlich der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung von einer "Augenblickstat" ausgegangen. Es hat die starken Wut-und Rachegefühle des Angeklagten berücksichtigt, die "in ihm hochgekommen" sind, als er vom Geschädigten zu Boden geschlagen wurde; seine Persönlichkeitsstörung vom emotional-instabilen Typ hat die Anspannung verstärkt und die Alkoholisierung ist als enthemmender Faktor hinzugekommen. Zwar erscheint jeder dieser Faktoren für sich genommen nicht notwendigerweise geeignet, das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten hinsichtlich der Arglosigkeit des Geschädigten gegenüber einem tödlichen Angriff auszuschließen. Das Landgericht hat die Umstände aber in ihrem Zusammenwirken bewertet. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
c) Auch die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerfrei.
Die Ankündigung des Angeklagten gegenüber seiner Freundin: "Ich schlag den tot", liefert keinen aussagekräftigen Hinweis darauf, dass er vorausgeplant hatte, den Gegner beim Kampf zu erstechen. Dass der tödliche Messereinsatz erst erfolgte, nachdem der Angeklagte niedergeschlagen worden war, spricht ebenso gegen eine vorausgeplante Tat, wie die Feststellung, dass er beim Eintreffen am Kampfplatz ein Plastikrohr mitnehmen wollte, das ihm zwar einen Vorteil verschafft hätte, zu einer - zudem heimlichen - Tötung jedoch eher ungeeignet war. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Landgerichts, der Tatentschluss zu einem mit Tötungsvorsatz geführten Messerangriff sei erst während des Kampfes gefasst worden, rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Ein Handeln des Angeklagten aus niedrigen Beweggründen hat das Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei verneint.
Bei Motiven wie Wut und Erregung kommt es darauf an, ob diese Gefühlsregungen jedes nachvollziehbaren Grundes entbehren und das Handlungsmotiv wegen eines krassen Missverhältnisses zum Anlass in deutlich weiter reichendem Maß als bei einem Totschlag verachtenswert erscheint (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Dies ist mit Blick auf die Provokation des Angeklagten durch den Getöteten vor dem Kampf und die Reaktion des Angeklagten auf die Wirkung der Schläge und Tritte des Geschädigten bereits zweifelhaft.
Jedenfalls hat das Landgericht die subjektive Seite des Mordmerkmals rechtsfehlerfrei verneint. So muss zur objektiven Bewertung der Handlungsantriebe als "niedrige Beweggründe" hinzukommen, dass sich der Täter bei der Begehung der Tat auch der Umstände bewusst ist, die seine Beweggründe für die Rechtsgemeinschaft als niedrig erscheinen lassen (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober 2001 - 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 133). Er muss diese Beweggründe gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern können (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2012 - 3 StR 425/11, NStZ 2012, 691, 692). Das kann bei einer affektiven Anspannung auch aufgrund einer Persönlichkeitsstörung ausgeschlossen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2007 - 5 StR 548/06, NStZ 2007, 525), erst recht, wenn weitere Faktoren, wie eine Alkoholisierung, hinzukommen. Die entsprechende Würdigung der hier relevanten Umstände hat das Landgericht rechtsfehlerfrei vorgenommen.
Appl Schmitt Krehl
Eschelbach Zeng