Entscheidungsdatum: 11.05.2011
Die mit dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) eingeführte Vorschrift des § 257c StPO und die sich aus einer danach getroffenen Verständigung ergebenden Bindungen des Gerichts haben nicht die Kraft, die Hinweispflichten des § 265 StPO zu relativeren oder gar zu verdrängen .
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juni 2010, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
soweit er wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen verurteilt wurde;
im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen und wegen unerlaubten Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat aufgrund einer Verfahrensrüge den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts bat der in den Niederlanden wohnhafte und vom Streckmittel- und Drogenhandel lebende, nicht revidierende Mitangeklagte A. den Angeklagten, einen Kurier für die Durchführung von Streckmittel- bzw. Drogentransporten aus den Niederlanden nach Deutschland zu finden. Um den Jahreswechsel 2008/2009 fragte der Angeklagte diesbezüglich bei dem gesondert verfolgten Speditionsfahrer H. an. Dieser erklärte sich einverstanden, solche Transporte im Rahmen der von ihm regelmäßig durchgeführten Fahrten von V. /Niederlande nach R. vorzunehmen.
1. Bereits wenige Tage später transportierte H. auf Anweisung des Angeklagten, der seinerseits von A. beauftragt worden war, 25 Kilogramm eines als "Streckmittel" für Betäubungsmittel vorgesehenen Phenacetingemischs mit einem Phenacetinanteil von mindestens 30% von V. /Niederlande nach R. . Der Angeklagte holte es dort ab und gab es an unbekannt gebliebene Abnehmer weiter (Fall II.2 der Urteilsgründe). Für die Fahrt erhielt H. von A. 500 Euro, wovon er 200 Euro als Vermittlungsprovision an den Angeklagten weitergab. Im März bzw. April 2009 führte H. zwei weitere Fahrten im Auftrag des Angeklagten durch, bei denen er jeweils wiederum 25 Kilogramm eines Phenacetingemischs von den Niederlanden nach Deutschland einführte. In einem Fall (Fall II.5 der Urteilsgründe) übergab H. das Phenacetin auf entsprechende telefonische Vorgabe des Angeklagten in D. einer unbekannt gebliebenen Person. Im anderen Fall (Fall II.6 der Urteilsgründe) wies der Angeklagte den Kurier H. an, das Phenacetin nach O. zu bringen, wo es A. entgegen nahm. Von seinem Kurierlohn gab H. einen Anteil von 700 Euro an den Angeklagten weiter. Jedenfalls in diesem Fall hatte der Angeklagte erneut im Auftrag des Mitangeklagten A. gehandelt.
2. Bei vier weiteren Fahrten verbrachte H. auf jeweilige Anweisung des Angeklagten, der wiederum im Auftrag A. s tätig geworden war, Kokain aus den Niederlanden in die Bundesrepublik. Bei zwei Fahrten Ende Januar und Ende Februar 2009 (Fälle II.3 und II.4 der Urteilsgründe) nahm H. in V. / Niederlande jeweils mindestens 500 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffanteil von 150 Gramm Kokainhydrochlorid entgegen. Nach telefonischer Rücksprache mit dem Angeklagten fuhr H. das Kokain jeweils nach K. , wo er es einem unbekannt gebliebenen Abnehmer aushändigte. In beiden Fällen zahlte H. von seinem Kurierlohn an den Angeklagten einen Betrag von 700 Euro als Vermittlungsprovision. Bei zwei weiteren Fahrten am 28. und 29. Mai 2009 (Fälle II.9 und II.10 der Urteilsgründe) transportierte H. rund 1.500 Gramm (Wirkstoffanteil 450 Gramm Kokainhydrochlorid) bzw. 2.125,6 Gramm (Wirkstoffanteil 636,0 Gramm Kokainhydrochlorid) Kokain von V. /Niederlande in das Bundesgebiet. Während ein vom Angeklagten vermittelter Kurier die Päckchen aus der Fahrt vom 28. Mai 2009 bei H. abholte, konnte das am 29. Mai 2009 eingeführte Kokain sichergestellt werden, als H. dieses auf Anweisung des Angeklagten zu einem Abnehmer nach F. transportierte.
II.
Soweit der Angeklagte wegen Verbrechen nach dem BtMG verurteilt wurde, dringt die Rüge einer Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO durch.
1. Dem Angeklagten war in der insoweit unverändert zugelassenen Anklage bezüglich der Kokaintransporte (Fälle II.3, II.4, II.9 und II.10 der Urteilsgründe) vorgeworfen worden, jeweils als Gehilfe des Mitangeklagten A. gehandelt zu haben. Auf Grundlage seiner geständigen Einlassung, der eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen war, hat ihn das Landgericht demgegenüber jeweils als Mittäter A. s verurteilt.
2. Die Revision rügt zu Recht, dass der Angeklagte entgegen der Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO auf diesen Wechsel in der Beteiligungsform nicht hingewiesen und ihm insoweit nicht Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden war (vgl. BGH NJW 1985, 2488; Engelhard in KK 6. Aufl. § 265 Rn. 10; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 265 Rn. 12; ebenso bei Wechsel von Täterschaft zur Teilnahme: BGH MDR 1977, 63 sowie bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983, 358 Nr. 34).
a) Ein entsprechender gerichtlicher Hinweis wurde weder im Eröffnungsbeschluss noch in der Hauptverhandlung erteilt. Das Gericht hat dem Angeklagten eine entsprechende Kenntnis auch nicht in sonstiger Weise durch den Gang der Verhandlung vermittelt; eine Revisionsgegenerklärung oder dienstliche Äußerungen, aus denen sich Gegenteiliges ergeben könnte, sind nicht vorgelegt worden (vgl. BGHSt 28, 196, 199; BGHR StPO § 265 Abs. 4, Hinweispflicht 4; BGH NJW 2011, 1301, 1303).
b) Ein Hinweis war auch nicht entbehrlich, weil dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen war und das Gericht die Strafe dem Verständigungsstrafrahmen entnommen hat.
Die mit dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) eingeführte Vorschrift des § 257c StPO und die sich aus einer danach getroffenen Verständigung ergebenden Bindungen des Gerichts haben nicht die Kraft, die Hinweispflichten des § 265 StPO zu relativeren oder gar zu verdrängen. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gilt vielmehr uneingeschränkt auch für den Angeklagten, der einem Verständigungsvorschlag des Gerichts zugestimmt hat. Anders als bei der Hinweispflicht des § 257c Abs. 4 S. 4 StPO, die nur dann eingreift, wenn sich das Gericht von einer getroffenen Verständigung lösen will, weil "rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben" und das Gericht deswegen den zugesagten Strafrahmen nicht mehr als angemessen erachtet (vgl. § 257c Abs. 4 S. 1 StPO), ist das Gericht der sich aus § 265 StPO ergebenden Pflichten auch dann nicht enthoben, wenn es sich auch unter geänderten Bedingungen von seiner Strafrahmenzusage nicht lösen will.
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruht.
Ein Urteil beruht auf einem Rechtsfehler, wenn es möglich erscheint oder jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass es ohne ihn anders ausgefallen wäre. An einem Beruhen fehlt es nur, wenn die Möglichkeit, dass der Verstoß das Urteil beeinflusst hat, ausgeschlossen oder nur theoretischer Natur ist (BGHSt 14, 265, 268; 22, 278, 280; Kuckein in KK 6. Aufl. § 337 Rn. 33; Meyer-Goßner aaO § 337 Rn. 37 jew. mwN). Die Bewertung des Beruhens hängt, gerade bei Verfahrensverstößen, stark von den Umständen des Einzelfalls ab (BGH StV 2011, 76, 77; Meyer-Goßner aaO § 337 Rn. 38). Danach ist nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte bei prozessordnungsgemäßen Verfahren mit Erfolg anders als geschehen gegen den Vorwurf, die festgestellten Taten mittäterschaftlich begangen zu haben, hätte verteidigen können (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 1, Hinweispflicht 5).
Das Beruhen kann entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht bereits im Hinblick auf das Geständnis des Angeklagten ausgeschlossen werden. Zwar hat er nach den Urteilsgründen die Taten und die von ihm entfalteten Tatbeiträge umfassend und in Übereinstimmung mit den Angaben sowohl des Mitangeklagten A. als auch des gesondert verfolgten Zeugen H. geschildert (UA S. 22 und 24). Gleichwohl bestand die Möglichkeit, dass er diese Angaben, wäre ihm ihre Bedeutung für die Bewertung der Beteiligungsform mittels Erteilung des rechtlich gebotenen Hinweises verdeutlicht worden, ergänzt und insbesondere hinsichtlich seines Verhältnisses zu dem Mitangeklagten A. präzisiert hätte. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Angeklagte in rechtlicher Sicht anders als geschehen verteidigt hätte. Angesichts des dem Tatrichter bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme in Grenzfällen eröffneten Beurteilungsspielraums (BGH NJW 1997, 3385, 3387; Urteil vom 10. November 2004 - 5 StR 403/04 = NStZ-RR 2005, 71 (Leitsatz); NStZ 2006, 44, 45; Fischer, StGB 58. Aufl. vor § 25 Rn. 4, § 25 Rn. 12 mwN) wäre auch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen eine andere Gewichtung der für und gegen die Annahme täterschaftlicher Begehung sprechenden Gesichtspunkte nicht rechtfehlerhaft gewesen.
III.
Die Verurteilung wegen unerlaubten Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in drei Fällen hält demgegenüber rechtlicher Prüfung stand.
1. Die hiergegen gerichteten Verfahrensrügen sind nicht begründet.
a) Die Rüge einer Verletzung des § 261 StPO bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 10. Januar 2011 dargelegten Gründen ohne Erfolg. Die Urteilsfeststellungen zur Bedenklichkeit des Stoffes Phenacetin stehen nicht in Widerspruch zu dem Inhalt der hierzu verlesenen Urkunden; eine Aufklärungsrüge ist nicht erhoben.
b) Letztlich hat es sich auch nicht ausgewirkt, dass das Landgericht dem Angeklagten das Schreiben des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 27. Mai 2010, das der Strafkammer spätestens zum Hauptverhandlungstermin vom 01. Juni 2010 vorgelegen hatte, nicht bekannt gemacht hat. Dem Tatgericht, das während, aber außerhalb der Hauptverhandlung verfahrensbezogene Ermittlungen anstellt, erwächst zwar aus dem Gebot der Verfahrensfairness (Art. 6 MRK, § 147 StPO) grundsätzlich die Pflicht, dem Angeklagten und der Verteidigung durch eine entsprechende Unterrichtung Gelegenheit zu geben, sich Kenntnis von den Ergebnissen dieser Ermittlungen zu verschaffen (BGHSt 36, 305, 308; BGHR StPO vor § 1/faires Verfahren, Hinweispflicht 5).
Auf einem möglichen Verfahrensverstoß kann das Urteil indes nicht beruhen. Weder der in dem Schreiben enthaltene Hinweis auf den 1986 erfolgten Widerruf der Zulassung von phenacetin-haltigen Schmerzmitteln noch die letztlich offen gelassenen Überlegungen des Verfassers dazu, ob die gesundheitsschädlichen Wirkungen von Cocain oder Phenacetin in einem entsprechenden Gemisch überwiegen, hätten Zweifel daran begründen können, dass es sich bei dem zum "Strecken" von Drogen bestimmten Phenacetin um ein bedenkliches Arzneimittel im Sinne von §§ 2, 5 AMG handelt und insoweit erfolgversprechende Verteidigungsmöglichkeiten eröffnen können.
Da das Bundesgesundheitsamt im Jahr 1986 den Verkehr mit allen phenacetin-haltigen Arzneimitteln wegen schädlicher Wirkungen von Phenacetin untersagt hat (vgl. Körner BtMG 6. Aufl. Anhang D I AMG Rn. 19) und auch die vom Landgericht in Bezug genommene veröffentliche Liste der Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker Phenacetin als einen für Arzneimittelrezepturen bedenklichen Grundstoff ausweist (Pharm.Ztg 2010, 201 f. mit Verweis auf Pharm.Ztg 1997, 1882), war der Wirkstoff Phenacetin aufgrund seiner Zweckbestimmung als pharmakologisch wirksamer Bestandteil einer Drogenzubereitung (vgl. Körner aaO; BGH NStZ 2008, 530; vgl. auch BGH Beschluss vom 12. April 2011 - 5 StR 463/10) als bedenkliches Arzneimittel im Sinne der §§ 2 Abs. 1, 5 Abs. 2 AMG zu werten.
2. Die Sachrüge ist aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen ebenfalls nicht begründet.
IV.
Wegen Wegfalls der Einzelstrafen in den Fällen II.3, 4, 9 und 10 der Urteilsgründe hat auch die Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand.
Fischer Schmitt Berger
Eschelbach Ott