Entscheidungsdatum: 09.06.2015
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts plante der vielfach vorbestrafte und betäubungsmittelabhängige Angeklagte, der über langjährige Kampfsporterfahrung verfügt, die 73 Jahre alte, schmächtige Nebenklägerin, die er zufällig in einer Spielothek kennengelernt hatte und die ihm als ein "leichtes Opfer” erschien, zu überfallen und auszurauben, um seinen Drogenkonsum finanzieren und weitere Betäubungsmittel erwerben zu können. Nachdem die Nebenklägerin sein Angebot, sie nach Hause zu begleiten, abgelehnt hatte, versteckte er sich vor der Spielothek und wartete auf die Nebenklägerin. Er folgte der mit mehreren Taschen beladenen Frau bis vor ihre Wohnung und schlug dort mit einem rund einem Kilogramm schweren Fäustel insgesamt vier Mal wuchtig auf den Kopf der arg- und wehrlosen Nebenklägerin ein, um sie "außer Gefecht" zu setzen und sich in den Besitz ihrer Handtasche und des darin vermuteten Bargelds zu bringen. Ein fünfter Schlag traf die Nebenklägerin an der Schulter. Sie kam infolge der Schläge zu Fall, stand - entgegen der Erwartung des Angeklagten - jedoch wieder auf und setzte sich heftig zur Wehr; sie schlug auf den Angeklagten ein, packte ihn an der Nase, zog fest daran und schrie laut um Hilfe. Nachdem der in seiner Sehfähigkeit eingeschränkte Angeklagte in dem Handgemenge seine Brille verloren und sich in der Nachbarschaft ein Fenster geöffnet hatte, fürchtete der Angeklagte das Eingreifen Dritter, gab sein Vorhaben auf, ergriff eine der Taschen der Nebenklägerin und floh. Von einem aufmerksamen Zeugen verfolgt konnte er rasch festgenommen werden.
Die Nebenklägerin erlitt durch die Schläge eine atypische Jochbeinfraktur, drei oberflächliche Verletzungen an Kopf und Stirn, die jeweils genäht werden mussten, sowie multiple Prellmarken und Weichteilverletzungen an Kopf, Knie, Hüfte und Schulter. Die Nebenklägerin, die sich einer Operation zur Jochbeinreposition unterziehen musste, befand sich mehrere Tage in stationärer Behandlung.
2. Der Angeklagte, der den äußeren Tathergang im Wesentlichen eingeräumt und sich im Übrigen auf Erinnerungslücken berufen hatte, hat bestritten, dass er die Nebenklägerin durch die Schläge mit dem Fäustel habe töten wollen. Er habe den Fäustel eigens mit Klebeband umwickelt, damit er "nicht zu gefährlich sei". Seine Überzeugung, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, hat das Schwurgericht auf die Lebensgefährlichkeit der konkreten Verletzungshandlungen gestützt und daraus auf das Vorliegen bedingten Tötungsvorsatzes geschlossen.
II.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg. Das Landgericht hat die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes nicht tragfähig begründet.
1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Beide Elemente der inneren Tatseite müssen in jedem Einzelfall gesondert geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; Senat, Urteil vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Annahme oder Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes können nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 - 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534). Bei der Würdigung des Willenselements ist neben der konkreten Angriffsweise jedoch regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche Gesamtbetrachtung einzubeziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07, NStZ- RR 2007, 267, 268).
2. Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht. An der erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände fehlt es vorliegend gänzlich. Das Landgericht hält lediglich fest, dass die Handlungen des Angeklagten "konkret lebensgefährlich” und "jeder einzelne Schlag [...] geeignet” gewesen sei, "die Nebenklägerin zu töten". Dies genügt - wie bereits der Blick auf § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zeigt - für die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes nicht. Seine Überzeugung, dass der Angeklagte die Lebensgefährlichkeit der Schläge erkannte und den Eintritt des ihm unerwünschten Erfolgs jedenfalls billigend in Kauf nahm, begründet das Landgericht nicht näher. Es setzt sich weder mit dem konkreten subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten, der die Nebenklägerin lediglich "außer Gefecht" setzen wollte, noch mit dem Umstand auseinander, dass die Gefährlichkeit der mit dem Fäustel geführten Schläge entscheidend von ihrer Intensität abhing. Unerörtert bleibt auch, ob das Ausbleiben knöcherner Verletzungen dafür sprechen könnte, dass der Angeklagte die Schläge jedenfalls nicht mit Wucht geführt hat.
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Fischer Krehl Eschelbach
Zeng Bartel