Entscheidungsdatum: 06.04.2016
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 23. März 2015 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts Köln vom 29. November 2013 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Von einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hatte das Landgericht abgesehen. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat mit Urteil vom 15. Oktober 2014 (2 StR 240/14, NStZ 2015, 510 ff.) das Urteil des Landgerichts mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist, sowie – zu Gunsten des Angeklagten – im Strafausspruch. Die Revision des Angeklagten hat der Senat verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr – erneut – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt und von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Sachrüge und mit mehreren Verfahrensbeanstandungen begründete Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Die Revision des Angeklagten ist erfolglos; das vom Generalbundesanwalt vertretene – wirksam beschränkte – Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat dagegen Erfolg.
I.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
II.
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. a) Die Staatsanwaltschaft hat zwar eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift keine Beschränkung erklärt und die (uneingeschränkte) Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Mit diesem umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil ausschließlich – und ersichtlich abschließend – deswegen für fehlerhaft hält, weil das Landgericht die Sicherungsverwahrung nicht angeordnet hat. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV (vgl. auch Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285 mwN) versteht der Senat daher das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass sich die Staatsanwaltschaft allein gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung wendet.
b) Diese Revisionsbeschränkung auf den Maßregelausspruch ist wirksam. Weder aus den Strafzumessungserwägungen noch aus den Erwägungen zur unterbliebenen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht zwischen beiden Rechtsfolgenentscheidungen einen Zusammenhang hergestellt hat, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 4 StR 275/15; Senat, Urteil vom 15. Oktober 2014 - 2 StR 240/14, insoweit in NStZ 2015, 510 ff. nicht abgedruckt).
Dass die Beschwerdeführerin mit ihrer Revision Feststellungen angreift, die nach den Erwägungen des Landgerichts sowohl – strafmildernd – für den Strafausspruch als auch für die Entscheidung über die Anordnung der Maßregel tragend, mithin doppelrelevant sind, führt hier ebenfalls nicht zu einer unwirksamen Revisionsbeschränkung. Denn neue und abweichende Feststellungen können keine Auswirkungen auf den Teil des Urteils haben, der nicht angegriffen werden soll. Zwar entzögen abweichende Feststellungen der strafmildernden Erwägung des Urteils die tatsächliche Grundlage. Indes schließt § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO die Verhängung einer höheren Strafe aus, da der Strafausspruch des ersten tatrichterlichen Urteils entsprechend § 301 StPO ausschließlich zu Gunsten des Angeklagten aufgehoben worden war (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 374/11, NStZ-RR 2012, 106 f.). Danach wäre selbst eine Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch zu Ungunsten des Angeklagten von vorneherein unbegründet, weil auf begünstigenden Strafzumessungsfehlern – egal welcher Art – nichts beruhen könnte.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrüge, mit der die Staatsanwaltschaft die Verletzung des § 261 StPO beanstandet, kommt es nicht an.
Die Erwägungen des Landgerichts zum Absehen von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung sind rechtsfehlerhaft.
a) Das Landgericht hat schon nicht tragfähig begründet, dass nicht auch die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorliegen.
aa) Wie schon der Senat in seinem in dieser Sache ergangenen Urteil vom 15. Oktober 2014 ausgeführt hat, erfüllt eine in einem früheren Verfahren ausgesprochene einheitliche Jugendstrafe nach § 31 JGG die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn zu erkennen ist, dass der Täter wenigstens bei einer der ihr zugrundeliegenden Straftaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre. Dies festzustellen, ist tatrichterliche Aufgabe, die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Dabei hat der Tatrichter festzustellen, wie der Richter des Vorverfahrens die einzelnen Taten bewertet hat; er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im Nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen. Entsprechende Feststellungen muss der Tatrichter so belegen, dass eine ausreichende revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist (vgl. Senat, Urteil vom 15. Oktober 2014 - 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511 mwN).
bb) Die Erwägungen des Landgerichts werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie beschränken sich im Ergebnis auf das, was sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Relevante Angaben zu (weiteren, hypothetischen) Strafzumessungserwägungen des Jugendschöffengerichts, die über dessen schriftliche Urteilsgründe hinausgehen, waren weder von der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft noch der Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts zu erwarten.
Zwar hat das Landgericht den ersichtlich relevanten Teil der schriftlichen Urteilsgründe des Jugendschöffengerichts mitgeteilt, sich damit jedoch nicht erkennbar auseinandergesetzt. Dies wäre aber in jedem Fall erforderlich gewesen, zumal hier besonderer Anlass dazu bestanden hätte, weil sowohl die Begründungen zur Erforderlichkeit und Bemessung der Jugendstrafe als auch die Ausführungen zur Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung es zumindest nahelegen, dass das Jugendschöffengericht allein wegen der versuchten Vergewaltigung eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verhängt hätte.
cc) Die unzureichend begründete Annahme, dass nicht auch die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorliegen, kann sich auf die Überzeugungsbildung zum Vorliegen eines Hangs ausgewirkt haben. Die darin zum Ausdruck kommende gesetzliche Bewertung würde das indizielle Gewicht der vom Angeklagten begangenen Taten – insbesondere der Vorverurteilung – erhöhen.
b) Der Generalbundesanwalt hat im Einzelnen zutreffend ausgeführt, dass die Erwägungen des Landgerichts, gegen einen Hang des Angeklagten spreche der deutlich zurückgegangene Gewalteinsatz bei den letzten Taten, Wertungsfehler beinhalten, lückenhaft sind und teilweise nicht von den Feststellungen getragen werden. Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht von unterschiedlicher Motivation des Angeklagten bei der Begehung der jeweiligen Taten ausgegangen ist.
Die fehlende Steigerung oder die Abnahme von Gewalt spricht nicht gegen eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen. Einen Hang kann auch haben, wer auf gleichbleibendem Niveau oder sogar mit abnehmender Intensität Straftaten begeht. Das Landgericht hätte die Tatumstände in Beziehung zu der in den Urteilsgründen beschriebenen Devianz des Angeklagten setzen müssen. Das sexuelle Interesse des Angeklagten an Kindern hat seinen Grund in deren Hilf- und Wehrlosigkeit. Es korrespondiert mit dem in der Familie des Angeklagten dominanten Bild der schwachen, sich im Hintergrund haltenden Frau. Vor diesem Hintergrund können – was das Vorliegen eines Hangs betrifft – aus dem Vergleich der bei den Taten angewendeten Gewalt keine relevanten Schlüsse gezogen werden. Vielmehr drängt sich auf, dass auch die zuletzt begangenen Taten typischer Ausdruck der beim Angeklagten vorhandenen Devianz sind.
Auch die jeweilige Tatmotivation des Angeklagten spricht – bei vergleichender Betrachtung – erheblich für eine Steigerung oder zumindest Verfestigung der Devianz des Angeklagten.
c) Schließlich hat das Landgericht dem Gesichtspunkt der "Nachreifung" des Angeklagten ein unvertretbar hohes Gewicht beigemessen. Die in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung, wonach der Angeklagte außerhalb des Einflussbereichs seines Vaters für sich in einem 'sanktionsfreien Raum' lebte, wird von den Feststellungen nicht getragen. Im Übrigen beschränken sich die in diesem Zusammenhang geschilderten Aktivitäten des Angeklagten auf reine Ankündigungen. Die zukünftig möglichen Auswirkungen von Therapien sind in diesem Zusammenhang unerheblich, da das Vorliegen eines Hangs zum Urteilszeitpunkt entscheidend ist. Behandlungsaussichten können (erst) im Rahmen der Ermessensausübung oder bei der Frage der Aussetzung der Maßregel berücksichtigt werden.
3. Die – nicht ausgeführte – Kostenbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist gegenstandslos, da die Teilaufhebung des Urteils auch die Kostenentscheidung erfasst.
III.
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Fischer |
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Krehl |
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Eschelbach |
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Frau RinBGH Dr. Ott |
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Fischer |
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