Entscheidungsdatum: 20.10.2010
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 11. November 2009 im Fall 2 der Urteilsgründe sowie im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht - Jugendkammer - hat den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten wegen schweren Raubs in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine isolierte Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von zwei Jahren festgesetzt. Die vom Generalbundesanwalt vertretene, auf die Verurteilung im Fall 2 und den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils im angefochtenen Umfang.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ließ sich der Angeklagte in der Absicht, Überfälle auf Taxifahrer zu begehen, am 24. Mai 2009 (Tat 1) von dem Nebenkläger M. und am 8. Juni 2009 (Tat 2) von dem Nebenkläger R. an einen unbelebten Ort in Köln fahren, nachdem er die Taxis der Nebenkläger zufällig an Taxiständen in der Innenstadt ausgewählt hatte. Zur Vorbereitung der geplanten Überfälle führte er jeweils einen Teleskopschlagstock sowie ein großes Gepäckstück mit sich, um hierdurch die Taxifahrer zum Aussteigen und Öffnen des Kofferraums am Zielort zu veranlassen.
Plangemäß schlug der Angeklagte im Fall 1, als der Nebenkläger M. den Koffer des Angeklagten aus dem Kofferraum hob, den Geschädigten zunächst überraschend mit dem Teleskopschläger heftig auf den Kopf; als M. zu Boden stürzte, versetzte er ihm weitere fünf heftige Schläge auf den Kopf und ins Gesicht. Sodann nahm er die in der Ablage der Fahrertür befindliche Geldbörse des Geschädigten mit etwa 250,00 € Bargeld an sich; die in der Geldbörse befindlichen Papiere und die Bankkarte entnahm er und ließ sie auf Bitte des Nebenklägers zurück. Das Mobiltelefon des Geschädigten nahm er an sich, um eine rasche Alarmierung der Polizei zu verhindern. Sodann fuhr er - ohne eine Fahrerlaubnis zu besitzen - mit dem Taxi etwa 400 m weit, bis er außer Sichtweite des Geschädigten war; dann stellte er das Fahrzeug ab, um nicht im Rahmen einer polizeilichen Fahndung oder von Kollegen des Geschädigten gestellt zu werden. Der Geschädigte M. erlitt durch die Schläge mehrere Frakturen der Gesichtsknochen mit geringgradiger Verschiebung sowie zahlreiche Platzwunden, Hämatome und massive Schwellungen. Konkrete Lebensgefahr bestand für ihn nicht. Die Verletzungen sind bis auf mehrere Narben im Gesicht folgenlos verheilt.
Im Fall 2 ging der Angeklagte entsprechend vor. Als der 67 Jahre alte Taxifahrer R., der an einer koronaren Herzkrankheit leidet und sich im Jahr 1998 einer Bypass-Operation unterzogen hatte, das Gepäckstück des Angeklagten aus dem Kofferraum hob, schlug der Angeklagte mit dem mitgeführten Teleskopschlagstock wiederum heftig auf Kopf und Gesicht des Geschädigten ein; dieser trug eine Schirmmütze, die er bei dem Tatgeschehen auch nicht verlor. Der Angeklagte nahm bei den Schlägen den Tod des Geschädigten billigend in Kauf. Dieser saß nach den Schlägen stöhnend auf dem Boden und versuchte aufzustehen. Der Angeklagte setzte sich, ohne weiter mit dem Tatopfer zu sprechen, in das Taxi und fuhr davon, da er zuvor gesehen hatte, dass der Geschädigte seine Geldbörse nicht einsteckte, als er ausstieg. Der Angeklagte fuhr mit dem Taxi ca. 13 km quer durch Köln und stellte es vor 4.20 Uhr auf einem Parkplatz ab. Aus dem Fahrzeug nahm er den Geldbeutel des Geschädigten mit ca. 100 € Bargeld an sich.
Das Landgericht hat festgestellt, der Angeklagte habe, als er sich entfernte, aufgrund der Lichtverhältnisse und der vom Nebenkläger getragenen Mütze die Schwere der Verletzungen des Geschädigten nicht erkannt und zu diesem Zeitpunkt den Tod des Geschädigten nicht mehr für möglich gehalten.
Der Geschädigte R. wurde durch die Schläge lebensgefährlich verletzt. Er erlitt mehrfache Mittelgesichtsbrüche mit offener Verbindung zum Schädelinnenraum, Schädelbasisbrüche unter Beteiligung der Augen- und Kiefernhöhlen sowie eine Aussprengung eines Knochenfragments im Stirnbereich. Der Geschädigte wurde etwa 30 Minuten nach der Tat von zwei Zeugen auf der Straße stehend in bewusstseinsgetrübtem Zustand angetroffen. Die Zeugen hielten ihn zunächst für einen Betrunkenen; erst bei näherer Untersuchung und Anleuchten des Gesichts erkannten sie seine Gesichtsverletzungen. Im Verlauf der intensivmedizinischen Behandlung erlitt der Nebenkläger einen Herzinfarkt, ein massives Lungenödem und einen kardiogenen Schock. Er ist bis heute von den Folgen der Verletzungen stark beeinträchtigt, kann nicht mehr Autofahren und nur kurze Strecken unsicher gehen, hat 60 % seiner Sehkraft verloren und kann eines seiner Augenlider nicht mehr komplett schließen.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich mit der Sachrüge gegen die Beweiswürdigung im Fall 2 wendet und insoweit eine Verurteilung auch wegen versuchten Mordes erstrebt, ist begründet, da die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom versuchten Tötungsdelikt der rechtlichen Prüfung nicht standhält.
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat nur zu prüfen, ob ein Rechtsfehler vorliegt; es kann aber nicht eine eigene Würdigung an die Stelle der tatrichterlichen setzen. Rechtsfehler der Beweiswürdigung liegen unter anderem vor, wenn das Gewicht oder die Beweisrichtung von Beweisergebnissen verkannt worden sind, wenn Schlussfolgerungen des Tatgerichts widersprüchlich oder sonst denkfehlerhaft sind oder wenn der rechtliche Maßstab für die erforderliche richterliche Gewissheit unzutreffend bestimmt ist.
b) Solche Rechtsfehler sind hier gegeben.
Das Landgericht hat zunächst, ohne dies näher zu begründen, im Fall 2 der Urteilsgründe bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten angenommen. Da es an anderer Stelle darauf hinweist, die Gewalteinwirkung sei in beiden Fällen gleich gewesen, mangelt es der Differenzierung hinsichtlich des Vorsatzes an hinreichender Begründung.
Wenn das Landgericht die Feststellung bedingten Tötungsvorsatzes auf die Form und Intensität der massiven Gewalteinwirkung gegen den Kopf des Tatopfers gestützt hat, was nach den Umständen nahe lag, so bedurfte es, um zur Annahme eines unbeendeten Versuchs aus der Perspektive des so genannten Rücktrittshorizonts zu gelangen, der Feststellung tatsächlicher Umstände, aufgrund derer der Angeklagte nach Abschluss der plangemäß durchgeführten Gewalteinwirkungen und zum Zeitpunkt seiner Flucht vom Tatort zu der Annahme gelangt sein soll, der Tod des Nebenklägers R. sei - entgegen seiner bisherigen Annahme - nicht mehr möglich. Soweit sich das Landgericht, ohne dies freilich im Einzelnen auszuführen, auf eine Gleichsetzung der Nachtatsituation in beiden Fällen stützt, geht dies schon aus tatsächlichen Gründen fehl, denn im Fall 2 lagen Umstände, die im Fall 1 gegen eine (fortbestehende) Todesgefahr sprachen, gerade nicht vor: Nach den Feststellungen des Landgerichts fand weder ein Gespräch des Angeklagten mit dem Nebenkläger R. statt noch zeigte dieser ein Verhalten, das Anlass zu der Annahme geben konnte, die zuvor für möglich gehaltenen Gefahren der Gewalteinwirkung könnten nicht eintreten. Dies ergab sich insbesondere nicht schon daraus, dass der Nebenkläger stöhnend auf der Straße saß und (vergeblich) versuchte aufzustehen (UA S. 10).
Auf die Frage, ob die von der Revision und auch vom Generalbundesanwalt vorgetragenen sonstigen Indizien vom Tatrichter im einzelnen zutreffend gesehen und gewürdigt worden sind, kommt es nicht an. Insoweit hat das Revisionsgericht mögliche und nicht fern liegende Schlussfolgerungen des Tatgerichts in der Regel hinzunehmen und kann sie nicht durch eine eigene, abweichende Beweiswürdigung ersetzen.
Ein durchgreifender Beweiswürdigungsfehler liegt hier aber darin, dass es an widerspruchsfreien, durch objektive Beweisanzeichen hinreichend gestützte Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten fehlt. Die Erwägung, es sei von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit, "seinen Angaben in der Hauptverhandlung", auszugehen gewesen (UA S. 31), lässt eine hinreichend kritische Prüfung der - auch in sich nicht widerspruchsfreien und teilweise widerlegten - Einlassungen vermissen, stützt sich aber letztlich auf nicht mehr als die Behauptung des Angeklagten, er habe den Tod des Nebenklägers nicht (mehr) für möglich gehalten, weil dieser nicht bewusstlos gewesen sei. Dies wird unter den hier gegebenen Voraussetzungen den Anforderungen an die Feststellung eines unbeendeten Versuchs nicht gerecht.
3. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt im Übrigen darauf hingewiesen, dass die Taten jeweils als besonders schwerer Raub zu bezeichnen waren. Rechtsfehlerhaft war auch die tateinheitliche Verurteilung nur wegen (einfacher) Körperverletzung. Es war vielmehr eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegeben, da die Verletzungen mit der Waffe von der Verwirklichung des § 250 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 Buchst. a und b StGB nicht umfasst werden. Der neue Tatrichter wird, wenn er zur Annahme eines versuchten Tötungsdelikts gelangt, auch die Frage heimtückischer Begehungsweise zu prüfen haben, im Übrigen auch die Qualifikation der Hinterlist gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB.
Rissing-van Saan Fischer Schmitt
Krehl Eschelbach