Entscheidungsdatum: 10.11.2010
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 24. Februar 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer vorangegangenen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vollzog der Angeklagte im Jahr 1999 in drei Fällen mit seiner damals 10jährigen Tochter, der Nebenklägerin A. , vaginalen ungeschützten Geschlechtsverkehr. Anfang 1999 legte er sich auf die Nebenklägerin, die in Abwesenheit der Mutter im elterlichen Bett schlief, drang in sie ein und führte behutsam den Geschlechtsverkehr durch. Der jungfräulichen Nebenklägerin erklärte er, dass sie mit seinem Sperma nunmehr zur Frau geworden sei (Fall II. 1.). Im Sommer 1999 befanden sich der Angeklagte und die Nebenklägerin im Keller der häuslichen Wohnung. Der Angeklagte stand hinter der Nebenklägerin, die sich nach vorne beugen musste. Er drang in sie ein und führte den Geschlechtsverkehr durch (Fall II. 2.). Am 18. September 1999, dem Geburtstag der Mutter, besorgten der Angeklagte und die Nebenklägerin noch ein Geschenk. Gegen Abend hielt der Angeklagte mit dem Pkw unter einer Brücke an, kurbelte den Beifahrersitz herunter, legte sich auf die Nebenklägerin und führte den Geschlechtsverkehr durch.
In drei weiteren angeklagten Fällen, in denen Geschlechtsverkehr im Schlafzimmer erfolgt sein soll, hat die Kammer den Angeklagten freigesprochen, weil sie keine hinreichenden Feststellungen zur Konkretisierung der Taten treffen konnte.
Der Angeklagte hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Die Strafkammer hat die Verurteilung im Wesentlichen auf die Angaben der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 21 Jahre alten Nebenklägerin gestützt, die Ende 2008 aus der Haft heraus einen Brief an den Angeklagten geschrieben hatte, in dem sie ihn des sexuellen Missbrauchs bezichtigte. Der Brief war im Rahmen der Briefkontrolle angehalten worden.
2. Die Beweiswürdigung der Kammer hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Wertung der Kammer, die Angaben der Nebenklägerin deckten sich in "wesentlichen Punkten" mit ihren Angaben gegenüber den Zeuginnen K. und M. sowie mit ihren Angaben in der polizeilichen Vernehmung (UA S. 11), findet in den Urteilsfeststellungen keine Stütze.
Nach den Feststellungen hat die Nebenklägerin den Zeuginnen M. und K. den sexuellen Missbrauch ohne Nennung jeglicher Einzelheiten berichtet. Gegenüber dem vernehmenden Polizeibeamten hat die Nebenklägerin sechs Fälle des sexuellen Missbrauchs geschildert, wovon einer im Elternschlafzimmer, einer im Keller am Geburtstag der Mutter und einer im Pkw unter einer Brücke stattgefunden habe. Weitere Einzelheiten hat sie nicht beschrieben. Diese Feststellungen tragen indes nicht die Wertung, die Angaben der Nebenklägerin seien in den wesentlichen Punkten konstant. So hat die Nebenklägerin ihre überhaupt nur gegenüber dem Polizeibeamten erfolgten und für sich genommen sehr dürftigen Angaben in der Hauptverhandlung noch dahingehend korrigiert, dass nicht der Vorfall im Keller, sondern der Vorfall unter der Brücke am Geburtstag der Mutter stattgefunden habe.
b) Die beweiswürdigenden Erwägungen setzen sich auch nicht mit allen Umständen, die geeignet sind, die Entscheidung zu beeinflussen, in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise auseinander. In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr. vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13 und 14). Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie vorliegend - der einzige Belastungszeuge nur ausgesprochen detailarm berichtet.
Insoweit begegnet es schon Bedenken, dass das Landgericht ersichtlich nicht bedacht hat, dass die Detailarmut der Angaben der Nebenklägerin Auswirkungen auf die Aussagekraft des Konstanzkriteriums für die Bewertung der Glaubhaftigkeit einer Aussage haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1999 - 4 StR 370/99). Die Kammer begründet die Konstanz der Angaben der Nebenklägerin letztlich damit, dass sie in Übereinstimmung mit ihrer polizeilichen Aussage auch im Rahmen der Hauptverhandlung keine näheren Details zu berichten wusste (UA S. 15).
Jedenfalls wäre eine umfassende Würdigung von Anlass und Motiv des Briefes für die Würdigung der Aussagegenese und -entwicklung von Bedeutung gewesen. Insoweit hat die Kammer schon bei der Beurteilung der Frage, ob die Nebenklägerin den Angeklagten zu Unrecht belastet haben könnte, erkennbar nicht alle erheblichen Umstände in ihre Überlegungen miteinbezogen. Nach den Feststellungen wollte die Nebenklägerin mit ihrem Brief den Vater "wütend machen" bzw. beeindrucken und verängstigen, weil sie ihre seit 2001 vom Angeklagten getrennt lebende Mutter vor "eventuellen Angriffen" des Angeklagten schützen wollte. Wenn die Kammer daraus schließt, dass nur ein wahrer Vorwurf geeignet sei, den Angeklagten zu verängstigen, überzeugt dies ohne nähere Begründung nicht, denn grundsätzlich kann auch der wahrheitswidrige Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs eine Person verängstigen und in Wut versetzen. Zudem hat die Kammer bei ihrer Würdigung rechtsfehlerhaft außer Acht gelassen, dass die Nebenklägerin den Angeklagten in demselben Brief auch wahrheitswidrig des sexuellen Missbrauchs anderer Kinder bezichtigt hatte und dies mit dem gleichen Ziel, ihn "wütend zu machen" (UA S. 12).
Vor diesem Hintergrund lässt die Würdigung der Kammer auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem von der Nebenklägerin genannten Motiv, die Mutter vor eventuellen, nicht näher bezeichneten Angriffen des Angeklagten schützen zu wollen, vermissen. Insbesondere die nahe liegende Möglichkeit, dass die Nebenklägerin dem Angeklagten zugleich drohen wollte, wird nicht erörtert. In die Wertung der Kammer wird insoweit auch nicht mit einbezogen, dass der Brief als solcher an die Freundin des Angeklagten adressiert war, während der Angeklagte nur "c/o" genannt wurde, und dass auch in einigen Textpassagen des Briefes mehrere Personen angesprochen wurden ("Ihr wollt sie töten, ihr wollt meine Mutter tot haben! Lasst die Finger von ihr, lasst sie endlich in Ruhe!!!" - UA S. 7). Letztlich hätte auch die Möglichkeit erörtert werden müssen, ob nicht der aus der Haft abgeschickte Brief, der den Angeklagten verängstigen und in Wut versetzen sollte, eine Eigendynamik dergestalt entwickelt hat, dass die Nebenklägerin von den darin aufgestellten Behauptungen nicht mehr abrücken konnte.
3. Der Senat kann danach insgesamt nicht ausschließen, dass das Tatgericht ohne die genannten Rechtsfehler zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin gelangt wäre.
Rissing-van Saan Schmitt Krehl
Eschelbach Ott