Entscheidungsdatum: 29.09.2010
1. Ein Protokoll, in dem weder vermerkt ist, dass eine Verständigung stattgefunden, noch dass eine solche nicht stattgefunden hat, ist widersprüchlich bzw. lückenhaft und verliert insoweit seine Beweiskraft .
2. Beruft sich ein Angeklagter auf die Unwirksamkeit eines von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts wegen einer vorausgegangenen Verständigung und schweigt das Protokoll dazu, so muss der Beschwerdeführer, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung im Freibeweisverfahren zu ermöglichen, im einzelnen darlegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt die von ihm behauptete Verständigung zustande gekommen ist .
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 10. Februar 2010 wird als unzulässig verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
1. Das Landgericht hat den geständigen Angeklagten am 10. Februar 2010 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, von der drei Monate als vollstreckt gelten. Darüber hinaus hat es einen Geldbetrag in Höhe von 63.500 € für verfallen erklärt.
Im Anschluss an die Urteilsverkündung haben der Angeklagte, sein Verteidiger und der Vertreter der Staatsanwaltschaft ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung auf Rechtsmittel verzichtet. Gleichwohl hat der Angeklagte mit Schriftsatz eines neuen Verteidigers am 16. Februar 2010 fristgerecht Revision eingelegt und zu deren Zulässigkeit ausgeführt, der am 10. Februar 2010 erklärte Rechtsmittelverzicht sei gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam, weil dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen sei; dies werde er - was später aber nicht geschehen ist - noch im einzelnen erläutern.
2. Die innerhalb der Wochenfrist eingelegte Revision ist unzulässig, weil der Angeklagte wirksam auf Rechtsmittel verzichtet hat. Zwar ist ein Verzicht nach § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO ausgeschlossen, wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist. Eine solche ist hier jedoch nicht erwiesen:
a) Weder in der Urteilsurkunde (dazu BGH NStZ-RR 2010, 151) noch im Hauptverhandlungsprotokoll findet sich gemäß den §§ 267 Abs. 3 Satz 5, 273 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1a Satz 1 und 2 StPO die Feststellung, dass eine Verständigung im Laufe des Verfahrens stattgefunden habe. Andererseits fehlt im Hauptverhandlungsprotokoll auch das sogenannte Negativattest des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, dass eine Verständigung nicht stattgefunden habe. Entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts ist durch das völlige Schweigen des Protokolls das Fehlen einer Verständigung daher nicht bewiesen. Der nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO zwingend vorgeschriebene Vermerk, dass eine Verständigung nicht stattgefunden habe, gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 274 Satz 1 StPO (BGH NStZ-RR 2010, 213; a.M. Meyer-Goßner, StPO 53 Aufl. § 273 Rn. 12c). Ausweislich der Gesetzesmaterialien dient das sogenannte Negativattest dazu, mit höchst möglicher Gewissheit und auch in der Revision überprüfbar die Geschehnisse in der Hauptverhandlung zu dokumentieren und auszuschließen, dass "stillschweigend" ohne Beachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten solche Verhaltensweisen stattgefunden haben (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/12310 S. 15; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/11736 S. 13; vgl. auch Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 2630). Diesem gesetzgeberischen Anliegen würde es widersprechen, § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO entgegen seinem klaren Wortlaut als überflüssige systemwidrige Ordnungsvorschrift ohne jeglichen Anwendungsbereich zu begreifen (so aber Meyer-Goßner aaO; dagegen Brand/Petermann NJW 2010, 268, 269).
Enthält nach alledem das Protokoll weder den nach § 273 Abs. 1, Satz 2, Abs. 1a Satz 1 und 2 StPO zwingend vorgeschriebenen Vermerk, dass eine Verständigung gegebenenfalls tatsächlich stattgefunden habe, noch den ebenso zwingend vorgeschriebenen Vermerk nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, dass eine Verständigung gegebenenfalls nicht stattgefunden habe, ist das Protokoll in diesem Punkt widersprüchlich bzw. lückenhaft und verliert insoweit seine Beweiskraft (so auch Peglau in Beck OK StPO, § 273 Rn. 21). Das Revisionsgericht kann dann im Wege des Freibeweisverfahrens zum Beispiel durch die Einholung dienstlicher Erklärungen der Prozessbeteiligten klären, ob dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, die zur Unwirksamkeit des nachfolgend erklärten Rechtsmittelverzichts führen würde (vgl. Niemöller in Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren 2010 § 273 Rn. 30).
b) Wenn ein Angeklagter sich - wie hier - bei Schweigen des Protokolls und der Urteilsurkunde zu einer Verständigung auf die Unwirksamkeit des von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO beruft, ist er gehalten konkret darzulegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt die von ihm behauptete Verständigung zustande gekommen ist. Nur dann kann das Revisionsgericht beurteilen und gegebenenfalls im Freibeweisverfahren durch die Einholung dienstlicher Erklärungen überprüfen, ob eine dem Regelungsgehalt des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unterfallende Verständigung erfolgt war.
Allein die pauschale - und entgegen der Ankündigung der Revision auch nicht näher konkretisierte - Behauptung einer Verständigung gibt dem Senat hingegen keine Veranlassung, weitere Aufklärung im Freibeweisverfahren zu betreiben.
Fischer Appl Schmitt
Krehl Ott