Entscheidungsdatum: 22.09.2011
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 8. April 2011 aufgehoben, soweit das Landgericht die Anordnung eines Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen Sachbeschädigung, wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch sowie zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Die Strafkammer hat jedoch rechtsfehlerhaft von der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung abgesehen.
1. Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB soll das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist; dabei ist dieser Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach einer Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB möglich ist. Diese Vorschrift hat der Gesetzgeber bewusst als "Soll-Vorschrift" ausgestaltet. Nur wenn aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolges erwarten lässt, namentlich bei aktuell dringender Therapiebedürftigkeit des Betreffenden (vgl. NStZ-RR 2007, 371, 372; BT-Drucks. 16/1110, S. 14), darf von der Anordnung abgesehen werden (BGH, NStZ-RR 2008, 142 und 182). Liegen solche Gründe nicht vor, so hat der Tatrichter im Erkenntnisverfahren bei der Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe keinen Beurteilungsspielraum mehr (BGH, NStZ-RR aaO).
2. Diesem Maßstab wird das Landgericht nicht gerecht.
Die Nichtanordnung des Vorwegvollzugs hat das Landgericht mit der Besonderheit begründet, es sei derzeit nicht sicher vorhersehbar, ob die zur Bewährung ausgesetzte Vollstreckung zweier früherer gegen den Angeklagten verhängter Freiheitsstrafen widerrufen werde und in welcher Reihenfolge die Vollstreckung der Freiheitsstrafen in diesem Fall erfolge. Gegebenenfalls seien die früheren Freiheitsstrafen erst nach der Maßregel zu vollstrecken, weshalb die Anordnung des Vorwegvollzugs vorliegend keinen Sinn mache. In jedem Fall aber habe es die Strafvollstreckungskammer in der Hand, gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 StGB die in diesem Urteil festgelegte Vollstreckungsreihenfolge zu ändern (UA S. 29).
Diese von der Kammer erwogenen, möglicherweise in der Zukunft eintretenden Umstände rechtfertigen indes keine Abweichung von der Regel des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB. Für die Beurteilung des Vorliegens wichtiger, eine Abweichung rechtfertigender Gründe ist allein der Zeitpunkt der Aburteilung maßgeblich. Das Erreichen des Therapieerfolgs wird dadurch auch im Falle später eintretender neuer Umstände nicht gefährdet, denn diesen kann die Strafvollstreckungskammer durch eine Anordnung, Änderung oder Aufhebung des Vorwegvollzugs jederzeit gerecht werden.
Der Angeklagte ist schon durch die Nichtanwendung des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB beschwert, weil die von § 67 Abs. 1 StGB abweichende Vollstreckungsreihenfolge auch der Sicherung des Therapieerfolgs dient und bei dessen Eintritt die Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte unter Anrechnung der Unterbringungsdauer schon zum Halbstrafenzeitpunkt entlassen wird (BGH, Beschluss vom 21. August 2007 - 3 StR 263/07; Beschluss vom 13. August 2009 - 3 StR 224/09; vgl. Fischer StGB 58. Aufl. § 64 Rn. 10). Die Beschwer besteht ungeachtet einer der Strafvollstreckungskammer in § 67 Abs. 3 Satz 1 StGB eröffneten Möglichkeit der nachträglichen Anordnung, denn eine spätere Anordnung steht lediglich in deren Ermessen und darf überdies nur auf Umstände gestützt werden, die erst nach Rechtskraft der Unterbringungsanordnung (typischerweise: während des Vollzugs) in Erscheinung getreten sind; verwehrt ist es dem nachträglich entscheidenden Gericht, bei gleicher tatsächlicher Beurteilungsgrundlage die Urteilsfeststellungen des erkennenden Gerichts nach Art eines Rechtsmittelgerichts zu "berichtigen" (Schöch LK 12. Aufl. StGB § 67 Rn. 105).
3. Über die Frage des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe ist daher unter Heranziehung eines Sachverständigen neu zu befinden. Stehen der Anordnung keine gewichtigen Gründe entgegen, wird die Kammer auch die erforderliche Therapiedauer festzustellen haben.
Fischer Appl Berger
Krehl Ott