Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 22.01.2014


BGH 22.01.2014 - 2 StR 314/13

Beweiswürdigung im freisprechenden Strafurteil: Notwendige Darstellung einer Zeugenaussage in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
22.01.2014
Aktenzeichen:
2 StR 314/13
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Aachen, 4. März 2013, Az: 61 KLs - 804 Js 12/13 - 1/13
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 4. März 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung sowie der versuchten Nötigung in zwei Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Nebenklägerin hat mit der Sachrüge Erfolg.

2

1. a) Nach der Anklage wurde dem Angeklagten vorgeworfen, die Nebenklägerin am 13. Februar 2012 vergewaltigt und in zwei Fällen versucht zu haben, diese durch Drohungen zu veranlassen, von der Erstattung einer Anzeige abzusehen. In seinem auf einem Waldparkplatz abgestellten Fahrzeug habe er der auf dem Beifahrersitz sitzenden Nebenklägerin unvermittelt an die Brust gefasst und versucht, ihr die Hose herunterzuziehen. Die sich dagegen wehrende Nebenklägerin habe versucht, aus dem Fahrzeug auszusteigen. Dies sei ihr indes nicht gelungen, weil die Fahrzeugtür verschlossen gewesen sei. Der Angeklagte habe sodann die Rückenlehne des Beifahrersitzes in Liegeposition gebracht, die Hose und Unterhose der Nebenklägerin bis zu ihren Knien heruntergezogen, ihre Beine hochgedrückt und gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss vollzogen.

3

Auf der Rückfahrt zur Wohnung der Nebenklägerin habe ihr der Angeklagte erklärt, dass er sie und ihre Tochter töten werde, sollte sie wegen des Vorfalls Anzeige erstatten. Am nächsten Mittag habe der Angeklagte die Drohung gegenüber der Nebenklägerin telefonisch wiederholt.

4

b) Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Er habe die Nebenklägerin am Tag zuvor im Kulturverein kennengelernt. Sie habe Hilfe bei der Verlängerung ihres bosnischen Passes benötigt; er habe angeboten, mit ihr zum zuständigen Konsulat in Frankfurt am Main zu fahren und den Pass verlängern zu lassen. Eine Reaktion hierauf habe sie nicht gezeigt; vielmehr sei die Nebenklägerin - auch den anwesenden anderen Männern gegenüber - "offenherzig" aufgetreten und habe "seine Hand auf ihre Brust", später dann u.a. "ihre Hand in seinen Intimbereich" gelegt (UA S. 7). Nachfolgend habe er sie in die Nähe ihrer Wohnanschrift gefahren und sie habe ihm "einen Kuss in Richtung seines Mundes gegeben" (UA S. 7).

5

Am Folgetag habe er sie wegen der Passangelegenheit insgesamt dreimal angerufen. Beim letzten Telefonat habe sie ihm gegenüber "signalisiert, dass er nunmehr bekommen solle, was er am Vorabend nicht bekommen habe, und dabei gelacht" (UA S. 7). Sie hätten sich sodann getroffen und seien - nach einem kurzen Halt an einer Tankstelle - zu einem Waldstück gefahren. Im Fahrzeug sei es zum einvernehmlichen ungeschützten Geschlechtsverkehr gekommen. "Währenddessen" (UA S. 8) habe ihn die Nebenklägerin auf einen vorbeilaufenden Jogger nebst Hund aufmerksam gemacht; er habe deswegen "die Wagentür von innen durch Betätigen des entsprechenden Türknopfes verschlossen, um nicht gestört zu werden" (UA S. 8).

6

Die Nebenklägerin habe ihn auf der Rückfahrt gefragt, ob er ihr 50 € leihen könne; er habe sie deshalb am nächsten Tag angerufen und ihr mitgeteilt, keine 50 € zur Verfügung zu haben.

7

c) Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten "vor allem im Hinblick auf die Einvernehmlichkeit des Geschlechtsverkehrs" (UA S. 9) nicht zu widerlegen vermocht. Der Aussage der Nebenklägerin habe nicht gefolgt werden können. Sowohl zum Tatgeschehen selbst als auch zum Randgeschehen seien die Angaben der Nebenklägerin insgesamt nicht glaubhaft, da sie in zahlreichen Punkten widersprüchlich seien.

8

So habe die Nebenklägerin gegenüber den polizeilichen Vernehmungsbeamten und gegenüber der medizinischen Sachverständigen angegeben, der Angeklagte habe den Wagen über die Zentralverriegelung durch Betätigen einer Fernbedienung von innen verschlossen, nachdem sie seine Hand, mit der er ihr an die Brust gefasst habe, weggeschlagen habe. In der Hauptverhandlung habe sie ausgesagt, der Angeklagte habe die Tür von innen verschlossen, nachdem er sich "auf sie gestürzt, ihre Beine nach oben gestreckt und sich auf sie gelegt habe" (UA S. 12).

9

Weiterhin habe die Nebenklägerin widersprüchliche - von der Strafkammer im Einzelnen wiedergegebene - Angaben zu der Anzahl und den Zeitpunkten der "vermeintlich von dem Angeklagten ihr gegenüber geäußerten Drohungen" (UA S. 12) gemacht.

10

Ein "eklatanter Widerspruch" (UA S. 14) sei außerdem anlässlich der Schilderung der Nebenklägerin hinsichtlich der Fahrt zum Tatort aufgetreten. Gegenüber der Polizei und zunächst in der Hauptverhandlung habe die Zeugin - trotz wiederholter Nachfrage und Vorhalts der Einlassung des Angeklagten -mehrfach erklärt, dass es einen kurzen Halt an einer Tankstelle nicht gegeben habe. Erst später habe sie ein solches Geschehen eingeräumt. Außerdem habe sie einerseits in der Hauptverhandlung bekundet, die Fahrstrecke, die der Angeklagte mit ihr gefahren sei, überwiegend nicht gekannt zu haben; andererseits habe sie die Polizeibeamten "an den vermeintlichen Tatort geführt, indem sie ihnen die Fahrtstrecke vorgegeben habe" (UA S. 15).

11

Schließlich habe die Nebenklägerin die Frage nicht widerspruchsfrei zu beantworten vermocht, "woran der Angeklagte hätte erkennen sollen, dass sie -die sich nach eigenem Bekunden nicht gewehrt hat - mit dem Geschlechtsverkehr nicht einverstanden sei" (UA S. 15).

12

2. Die Revision der Nebenklägerin hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die erhobenen Verfahrensrügen, denen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 24. Juni 2013 in der Sache kein Erfolg beschieden wäre, nicht ankommt.

13

a) Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters (§ 261 StPO), dessen Aufgabe es ist, sich eine Überzeugung von der Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten zu verschaffen. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110 mwN).

14

Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 9. März 2011 - 2 StR 467/10, Rn. 10, zit. nach juris). Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. November 2006 - 1 StR 392/06, Rn. 13, zit. nach juris) oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08, Rn. 16 mwN, zit. nach juris).

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b) Diesen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.

16

aa) Rechtsfehlerhaft ist es zunächst schon, dass die Strafkammer die Einlassung des Angeklagten als nicht zu widerlegen zugrunde gelegt hat. Der Angeklagte hat insbesondere zum Tatvorgeschehen eine Vielzahl von Details geschildert, u.a. dass die Nebenklägerin am Tatvortag ihm und weiteren Männern im Kulturverein "gegenüber offenherziger und ... forscher" (UA S. 7) aufgetreten sei und die männlichen Anwesenden u.a. gefragt habe, "wie potent sie seien und ob sie es ,im Bett bringen' würden" (UA S. 7). Dieses - für sich genommen vor dem kulturellen Hintergrund der Beteiligten sehr ungewöhnliche -Auftreten, die im Verlauf des Abends vorgenommenen, ihn betreffenden intimen Berührungen durch die Nebenklägerin und schließlich deren "Kuss in Richtung seines Mundes" (UA S. 7), sowie deren Andeutung anlässlich des dritten Telefonats am Tattag, "dass er nunmehr bekommen solle, was er am Vorabend nicht bekommen habe" (UA S. 7), sollen schließlich in den vom Angeklagten behaupteten einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gemündet sein.

17

Die Strafkammer hätte diese Angaben des Angeklagten zum Tatvorgeschehen nicht ohne weiteres als unwiderlegt zugrunde legen dürfen. Es musste sich vielmehr aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung bilden (vgl. Senat, Urteil vom 6. November 2013 - 2 StR 357/13, Rn. 6, zit. nach juris; Ott in: KK, StPO, 7. Aufl. § 261 Rn. 28a, jeweils mwN). Eine solche Gesamtwürdigung - insbesondere mit Blick auf das Tatvorgeschehen - fehlt.

18

bb) Die Beweiswürdigung ist auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil es jedenfalls an einer geschlossenen Darstellung der Aussage der Nebenklägerin bei der Polizei fehlt.

19

Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier -Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).

20

Zwar stellt das Landgericht die dem Anklagevorwurf entsprechende Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung "im Wesentlichen" (UA S. 9) dar; die Darstellung der Aussage der Nebenklägerin bei der Polizei beschränkt sich indes auf die Wiedergabe und die Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben. Die Bekundungen der Nebenklägerin zu dem von ihr erhobenen Vergewaltigungsvorwurf, insbesondere konkrete Details zum unmittelbaren Tatgeschehen, werden dagegen allenfalls ansatzweise und nur hinsichtlich der zeitlichen Abfolge der Verriegelung der Fahrzeugtür mitgeteilt.

21

Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Nebenklägerin zum Kerngeschehen vorgenommen und die dabei von ihr aufgezeigten "Abweichungen", die hinsichtlich des erhobenen Vergewaltigungsvorwurfs ausschließlich das Randgeschehen betreffen, zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - 4 StR 526/96, NStZ-RR 1997, 172).

22

cc) Das Landgericht hat ferner seine Zweifel an der Schuld des Angeklagten wesentlich auf "Abweichungen" in den Aussagen der Nebenklägerin gestützt. Bei der Bewertung insbesondere der widersprüchlichen und ungenauen Gedächtnisleistungen der Nebenklägerin, beispielsweise zur Anzahl und zu den Zeitpunkten der vermeintlich von dem Angeklagten ihr gegenüber geäußerten Drohungen, hätte sich das Landgericht aber mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob diese derart schwerwiegend sind, dass sie Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Aussage erlauben. Denn nicht jede Inkonstanz stellt bereits einen Hinweis auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172).

23

dd) Soweit das Landgericht einen Widerspruch darin sieht, dass die Nebenklägerin einerseits in der Hauptverhandlung bekundet habe, die Strecke, die der Angeklagte mit ihr gefahren sei, habe sie - bis auf ein kleineres Teilstück -nicht gekannt, die Polizeibeamten habe sie indes an den vermeintlichen Tatort (sicher) führen können, kann der Senat dem nicht folgen. Die landgerichtliche Würdigung ist unklar. Denn zum Tatzeitpunkt mag der Nebenklägerin die Fahrtstrecke - freilich bis auf ein Teilstück - unbekannt gewesen sein; dies galt aber nicht mehr für die Fahrt mit der Polizei, die anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung am Tag nach der vermeintlichen Tat erfolgte (UA S. 13). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Nebenklägerin nämlich die Gegend, in welcher der Tatort lag, wiedererkannt; sie konnte daher die Polizeibeamten dorthin leiten, auch wenn ihr die konkrete Fahrtstrecke am Tatabend unbekannt war.

24

ee) Widersprüchlich ist es schließlich, wenn das Landgericht einerseits ausführt, die Nebenklägerin habe sich "nach eigenem Bekunden nicht gewehrt" (UA S. 15), deren Aussage in der Hauptverhandlung aber dahin wiedergibt, "sie habe ihn mit der Hand weggeschubst" (UA S. 10).

Fischer                            Appl                    Schmitt

               Eschelbach                     Zeng