Entscheidungsdatum: 25.02.2016
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 27. Januar 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. November 2014 an die Nebenklägerin zu zahlen. Die dagegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wohnte der Angeklagte im Dezember 2013 zusammen mit der Nebenklägerin in einer Wohngemeinschaft. Es kam zu Sexualkontakten, wobei sich die Nebenklägerin „nicht ausschließbar“ eine dauerhafte Liebesbeziehung zum Angeklagten erhoffte. Bereits Anfang Dezember 2013 war sie aber auch eine Beziehung zu dem Zeugen S. eingegangen, den sie am Abend des 12. Dezember 2013 besuchen wollte. Dies missfiel dem Angeklagten, der daraufhin das Schloss der Wohnung auswechselte, während ein weiterer Mitbewohner, der gesondert Verfolgte Sz. , die Nebenklägerin in der Küche bewachte. Da die Nebenklägerin die Wohnung nunmehr nicht mehr verlassen konnte, sagte sie dem Zeugen S. telefonisch ab. Dessen Nachfrage, ob sie Hilfe benötige, verneinte sie und legte sich schlafen. Gegen 4.30 Uhr in der Nacht legte sich der Angeklagte zu ihr ins Bett und versuchte, ihre Hose zu öffnen. Die Nebenklägerin, die dadurch erwachte, versuchte den Angeklagten wegzustoßen und nach ihm zu treten. Der Angeklagte hielt sie jedoch fest, zog ihre Hose und Slip herunter und führte den Analverkehr aus.
Am nächsten Morgen verließ die Nebenklägerin die Wohnung. In der Folgezeit hielt sie sich bei ihrer Mutter, bei Bekannten und später in der Wohnung des Zeugen S. auf. Sie stand weiterhin im Kontakt zum Angeklagten, wobei es auch zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen kam.
Am 18. Februar 2014 klopfte der Angeklagte an der Tür zur Wohnung des Zeugen S. , während sich die Nebenklägerin dort alleine aufhielt. Als diese öffnete, drängte er sofort hinein und schlug ihr mehrfach ins Gesicht. Dabei forderte er die Zahlung von 120 Euro, die die Nebenklägerin dem Angeklagten schuldete. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, drohte er auch mit einem Messer. Da die Nebenklägerin versicherte, über kein Geld zu verfügen, forderte er sie auf, sich welches zu besorgen und legte das Messer zur Seite. Er nahm ihr Mobiltelefon und Portemonnaie als Pfand an sich, woraufhin die Nebenklägerin anbot, gemeinsam zur Bank zu gehen, um zu beweisen, dass auch auf ihrem Konto kein Geld vorhanden sei. Während sich die Nebenklägerin im Bad ankleidete, kam der Angeklagte hinzu und forderte sie auf, sich nackt auszuziehen. Er wollte Nacktfotos von ihr fertigen, um den Zeugen S. damit zu ärgern. Da der Angeklagte mit Schlägen drohte, kam die Nebenklägerin dem nach. Nachdem der Angeklagte die Fotos gefertigt hatte, drückte er sie mit dem Oberkörper nach vorne, so dass sie sich abstützen musste. Sodann führte er von hinten gegen ihren erkennbaren Willen den Vaginalverkehr durch. Danach gingen sie gemeinsam zur Bank, wo die Nebenklägerin einen Kontoauszug ausdruckte, den sie dem Angeklagten zeigte. Er erklärte, dass sie bis zum Abend nunmehr 300 Euro zu zahlen habe und entfernte sich.
2. Der Angeklagte hat die Tat vom 12./13. Dezember 2013 bestritten. Er habe zwar das Schloss in der Wohnungstür ausgewechselt; dies aber aus einem anderen Grund. Zum Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin sei es in dieser Nacht nicht gekommen. Das Geschehen am 18. Februar 2014 hat er insoweit eingeräumt als er die Geschädigte geschlagen und mit einem Messer bedroht habe, um deren Schulden einzutreiben. Auch sei es an diesem Tag zu einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen beiden gekommen. Die zeitliche Reihenfolge hat er indes abweichend geschildert; die Nacktfotos habe er auf Betreiben der Nebenklägerin gefertigt.
II.
1. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.
2. Die Beweiswürdigung, die der Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, zugrunde liegt, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Vorliegend handelt es sich um einen Fall, in dem zu der entscheidenden Frage, ob ein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat oder nicht (Tat am 12./13. Dezember 2013) und ob dieser in beiden Fällen einvernehmlich erfolgte oder aber mit Gewalt vom Angeklagten erzwungen wurde, letztlich Aussage gegen Aussage steht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 1 StR 503/15). Darüber hinaus gab es konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Falschbelastungsmotivs der an einer Borderlinestörung erkrankten Geschädigten. Den sich aus alldem ergebenden besonderen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung vom Tathergang, soweit er von der Einlassung des Angeklagten abweicht, und insbesondere davon, dass es in beiden Fällen zu nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen ist, im Wesentlichen auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt.
Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage hatte die Strafkammer einen aussagepsychologischen Sachverständigen hinzugezogen. Anlass war, dass die Geschädigte bereits bei ihrer ersten polizeilichen Befragung angegeben hatte, psychisch labil zu sein und leicht in paranoide Zustände zu fallen, so dass der Unterschied zwischen Realität und der Scheinwelt vermischt werde (UA S. 23). Der Sachverständige hat sein Gutachten in der Hauptverhandlung erstattet und ausgeführt:
Bei der Geschädigten sei eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp zu diagnostizieren. Grundlegend für diese Erkrankung sei eine Nähe-Distanz-Problematik, die sich im Kontaktverhalten dergestalt auswirke, dass Personen entweder idealisiert oder entwertet würden. Beziehungen würden schnell neu definiert. Früher gezeigte Verhaltensweisen würden nicht mehr wahrgenommen, was zu einer Umdeutung des eigenen Verhaltens führen könne. Dies wirke sich zwar nicht auf die Realitätswahrnehmung des Erkrankten aus. Das Wahrgenommene werde aber im Nachhinein anders interpretiert. Entweder es werde gar nicht berichtet oder aber in einem anderen Kontext, was bedeute, dass Aussageinhalte beeinträchtigt werden könnten. In dem Bemühen, vom Partner nicht verlassen zu werden, würde die eigene Person zum Beispiel als Opfer präsentiert, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Auch aufgrund einer hieraus entstehenden Wut könne es zu Falschaussagen kommen. Die Geschädigte sei in der Lage, „so etwas“ ohne Erlebnishintergrund zu berichten (UA S. 26f.). Ein mögliches Motiv für eine absichtliche Falschbelastung könne aus dem Aufmerksamkeits- und Geltungsbedürfnis heraus entstehen. Für die Geschädigte sei es wichtig gewesen, dass der Angeklagte sich sexuell hauptsächlich ihr zugewandt habe. Wenn es einvernehmlicher Geschlechtsverkehr gewesen sei, stelle sich die Frage, warum sie dies nun anders darstelle. Das sei im Zusammenhang mit der Borderlinestörung zu sehen. Deshalb werde ein früheres Einverständnis mit dem Geschlechtsverkehr nicht mehr aufrechterhalten, sondern zurückgewiesen. Bei der Geschädigten seien auch Veränderungen in ihrer Einstellung zu den Geschehnissen festzustellen. Vor dem Hintergrund der Persönlichkeit der Geschädigten gäbe es daher „hypothetische“ Motive für eine Falschaussage, „die nicht alle entkräftet werden könnten“ (UA S. 28). Unter Berücksichtigung insbesondere der Qualität und Konstanz der Aussage der Nebenklägerin sei „die Gesamtschau der Befunde“ mit der Alternativhypothese, dass die Aussage der Nebenklägerin erlebnisfundiert sei, „besser in Einklang zu bringen“ (UA S. 34f.).
Die Strafkammer ist den Aussagen des Sachverständigen „gefolgt“ und hat es – nach einer kursorischen eigenen Würdigung – im Ergebnis für ausgeschlossen erachtet, dass die Nebenklägerin das „tatsächliche Geschehen falsch berichtet“ habe.
b) Es fehlt die bei dieser Lage notwendige besonders sorgfältige Würdigung der Aussage der Nebenklägerin. Zwar lässt sich – worauf auch der Sachverständige hingewiesen hat – aus einer festgestellten Belastungsmotivation beim Zeugen nicht zwingend auf das Vorliegen einer Falschaussage schließen (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 175). Warum die Unwahrhypothese hier letztlich überwunden werden konnte, erschließt sich jedoch nicht und lässt durchgreifende Erörterungs- und Darstellungsmängel erkennen.
Schon die Annahme, es handele sich nur um ein „hypothetisches“ Falschbelastungsmotiv geht darüber hinweg, dass die Nebenklägerin, die an einer Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp leidet, nach den Feststellungen „nicht ausschließbar“ eine Liebesbeziehung mit dem Angeklagten erhofft hatte und auf den sexuellen Kontakt zum Angeklagten Wert legte. Die vor diesem Hintergrund nahe liegende Hypothese einer verschmähten Liebe als konkretes Motiv wird indes weder näher konkretisiert noch fallbezogen überprüft. Der Tatrichter ist jedoch bei konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Falschbelastungsmotivs gehalten, diese naheliegende Möglichkeit zu prüfen (vgl. auch BGH, Urteil vom 27. März 2003 – 1 StR 524/02, NStZ-RR 2003, 206, 208).
Auch soweit der Sachverständige und ihm folgend die Strafkammer im Rahmen einer Gesamtbewertung den Umständen, „die (theoretisch) für eine Falschbelastung“ sprechen können, vor allem im Hinblick auf Qualität und Konstanz der Aussage der Geschädigten kein durchschlagendes Gewicht zumessen, zeigen sich Erörterungsmängel. Es wurde ersichtlich nicht bedacht, dass gerade dann, wenn die Vorwürfe im Rahmen einer bestehenden sexuellen Beziehung zwischen Täter und Opfer erhoben werden, bei der emotionale Erlebnisse und neutrales Randgeschehen ohne weiteres aus neutralen Erlebniswahrnehmungen generierbar sind, vorhandene Realkennzeichen, die sonst auf eine erlebnisfundierte Schilderung hindeuten, im konkreten Fall wenig aussagekräftig insbesondere dafür sein können, ob ein früheres Einverständnis mit dem Geschlechtsverkehr bestanden haben kann.
Aber auch soweit auf die Konstanz der Aussage abgestellt wird, bleibt offen, weshalb die allein im Hinblick auf das Kerngeschehen der Vergewaltigungen bestehende Konstanz maßgeblich mit zur Widerlegung der Unwahrhypothese beitragen kann. Der bloße Hinweis des Sachverständigen, dass die in zentralen und peripheren Angaben bestehenden Abweichungen für die Geschädigte „nicht alle wichtig“ waren, kann dies schon deshalb nicht auflösen, da an anderer Stelle auch darauf hingewiesen wird, dass die Nebenklägerin insbesondere zu ihrem Interesse an dem Angeklagten und ihren Kontakten zu ihm widersprüchlich berichtet habe und auch in ihrer Selbstpräsentation Abweichungen festzustellen seien. Überhaupt konnte der Sachverständige im Hinblick auf die teilweise inkonstanten Schilderungen der Nebenklägerin zu den Begleitumständen der Taten und der Art ihrer Beziehung zum Angeklagten im Ergebnis nur eine „abgestufte Konstanz“ feststellen (UA. S. 31).
Letztlich wäre der Tatrichter unter diesen Umständen auch gehalten gewesen, in den Urteilsgründen im Zusammenhang darzustellen, was die Nebenklägerin bei früheren Vernehmungen, beim Sachverständigen und in der Hauptverhandlung ausgesagt hat, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung, insbesondere der Aussagekonstanz, zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2007 – 2 StR 258/07, StV 2008, 237; Beschluss vom 2. Dezember 2014 – 4 StR 381/14, NStZ-RR 2015, 82, 83). Die nur fragmentarische Erwähnung einzelner vom Sachverständigen in Bezug genommener Angaben der Geschädigten, wobei ihre Aussage in der Hauptverhandlung nahezu vollständig ausgeblendet wird, lässt dies nicht zu.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, auf diesem Rechtsfehler beruht. Die Sache bedarf daher in diesem Umfang der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Die Verurteilung des Angeklagten wegen der von ihm eingestandenen Körperverletzung sowie die Adhäsionsentscheidung (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 107) bleiben hiervon unberührt.
Fischer Appl Eschelbach
Ott Zeng